In den Modellen von Demokratie oder anderen freiheitlichen Gesellschaftsformen wird oft vernachlässigt, dass sie einem eingeschliffenen Bedürfnis zuwiderlaufen, nämlich dem nach Autorität. Es ist andererseits nicht ungefährlich, als Linker ein solches anzusprechen, weil gern geleugnet wird, was nicht ins Ideal passt. Ohne hier eine tiefergehende Genese dieses Bedürfnisses darzulegen, erlaube ich mir die Erfahrungen zur Kenntnis zu nehmen, die man in verschiedensten sozialen Strukturen macht. Es muss nicht entschieden werden, ob da ein Atavismus am Werk ist, ob es in der Natur der Psyche liegt und einem Aufwachsen als hilfloses Anhängsel vermeintlich allmächtiger Eltern oder ob gar Hierarchien etwas Natürliches an sich haben, weil sie allen Orientierung geben.

Bei SpOn findet sich ein interessanter Artikel zu Obama, der das zumindest implizit bespricht. Das Auftreten, die Bewegungen, Gesten, Mimik, Tonfall – das alles kann entscheidend sein und jegliche Inhalte in den Hintergrund rücken. Eine der häufigsten Aussageformen, die mir in bezug auf “Politik” bei normalverbildeten Zeitgenossen begegnet, ist “Ich finde xy gut/nicht gut.” Neben eingebläuten Stereotypen scheint der persönliche Bezug zur medialen Person einen sehr hohen Rang einzunehmen. In einer Stellvertretergesellschaft kommt dies umso stärker zum Zuge, weil mit den Kompetenzen im Einzelfall sogar narzisstische Triebregungen auf die Autorität übertragen werden. Der Vorgang lässt sich einfacher so beschreiben: Der Wähler verliebt sich förmlich in seinen politischen Führer.

Der charismatische Führer

Wohlgemerkt: Das ist kein Vorgang, der sich auf hysterische Massen in einer Diktatur beschränkt, sondern Alltag in allen Gesellschaftsformen. Wer politisch wirksam sein will, kommt also nicht umhin, dies zu berücksichtigen. Es mag gelingen, Inhalte so zu präsentieren und derart selbsttragend zu entwickeln, dass sie so weit wie möglich ohne Personenkult auskommen. Wo das auf seine Grenzen stößt, bedarf es charismatischer Figuren, um sie durchzusetzen.

Dies allein könnte aus Sicht einer liberalen und linken Haltung ein guter Grund sein, die parlamentarische Mediendemokratie abzulehnen, da in einer solchen das Autoritätsproblem wie unter der Lupe erscheint. Dabei ist allerdings ausgerechnet die deutsche Version so etwas wie ein Gegenargument. Man muss sich ja nur die traurigen Figuren anschauen, die hier zur Wahl stehen. Das wäre wiederum kurzsichtig. Nicht nur, dass ja bei geringer Konkurrenz auch weniger charismatische Personen gute Chancen haben. Gerade die Schizophrenie der Haltung deutscher Wähler zeigt, dass das Problem dennoch besteht. Wie sonst lässt sich erklären, dass 2/3 mit der Kanzlerin zufrieden sind, 2/3 aber auch mit der Regierung unzufrieden? Man kann hier einen Stock aufstellen und einen Hut drauf hängen, der würde auch gewählt, wenn es nur ein mächtiger Hut ist.

Pakt mit dem Teufel

Zudem zeigen Beispiele wie Schmidt, Schröder und Fischer, dass ‘Typen’, die ankommen, ihre Parteien völlig in der Hand haben und die Programme zur Not auch mal eben ins Gegenteil verkehren können. Irgenwann kann auch mal einer daherkommen, der schon weit rechts außen anfängt, um dann noch einen entscheidenden Schritt weiter zu gehen. Man stelle sich vor, jemand mit einem netten Gesicht und rhetorischem Talent hätte Sarrazins Thesen vertreten. Wir hätten dann ein größeres Problem.

Wer emanzipatorische Ansichten vertritt, wird also ggf. einen Deal mit dem Teufel machen müssen, vor allem aber darauf vorbereitet sein. Es kann entscheidend sein, wer eine Idee vorstellt, weil es darauf ankommt, wie man sie vorstellt. Da helfen aber auch Rhetorikseminare nicht viel weiter, denn es gibt einfach Menschen, die als Star authentisch wirken und solche, denen man das nicht wird beibringen können. Umso wichtiger ist es daher auch, die schon im Zusammenhang mit Korruptionsvermeidung geforderte zeitliche Begrenzung von Macht einzufordern. Je länger und bedeutender eine Autorität wird, desto stärker ist ihre Wirkung als Person – positiv wie negativ. Inhalte finden so irgendwann gar nicht mehr statt. Es ist nebenbei bemerkt eine grandiose Leistung der Grünen, von der “Rotation” und der Trennung von Amt und Mandat zur Fischerpartei mutiert zu sein. Die Lücke am Platz des Führers hat zwar noch niemand geschlossen, die reaktionäre Ausrichtung aber ist geblieben.