Die Meldung des Tages, die emsig per copy & paste verbreitet wird, um als “Leistung” geschützt zu werden, ist Schäubles angekündigte Singapurreise. Knapp dahinter folgt die atemberaubend dämliche Meldung, “Europa” plane eine “dritte industrielle Revolution.”

dogma

Dass Schäuble jemanden “verfolgen” will, kann man ja mit einem gewissen Zynismus durchgehen lassen. Was einen inzwischen nur mehr dumpfen Kopfschmerz verursacht, ist die routinierte Wortwahl. Kleiden wir die semantische Tretmine ins Gewand einer Umfrage, die wir uns durchaus wörtlich so vorstellen dürfen:
Was finden Sie schlimmer?
- Steuersünder, die vor der Enteignung fliehen
oder
- Sozialschmarotzer, die sich als Hartz IV-Betrüger leistungslosen Wohlstand erschleichen?

Schäuble, so heißt es nämlich. wolle “Steuersünder bis Singapur verfolgen“. Wo ist bitte der Punkt, an der Steuerhinterzieher, die sich einer schweren Form des Betrugs schuldig machen, auch so genannt werden? Wenn schon ein Finanzminister, der sich intensiv um die Amnestierung von Steuerbetrügern bemüht hat und die Mittel der Fahnder gern beschränken möchte, von denen spricht, die er dann noch dingfest machen will, dann sind das sicher keine armen Sünderlein, sondern die kriminellsten Steuerbetrüger, die frei herumlaufen. Ich weiß, das ist hoffnungslos, aber ich mag den Lohnschreibern ihren Neusprech immer noch nicht unwidersprochen durchgehen lassen.

Vergangenheit ist Zukunft

Eine Intelligenzleistung der besonderen Art ist aber die Meldung des Wirtschaftsboulevards von “Welt” bis “Spiegel”. Chat Atkins merkt bereits an, dass “geplante Revolutionen” ein merkwürdig Dingen sind, dem ich hinzufüge, dass eine solche, die zentralistisch und von oben geplant ist, sicher die besten Aussichten hat. Der Geistesblitz der Planer: Es sollen wieder “mehr Fabriken” gebaut werden. Wie nennt man diese Form der Marktwirtschaft dann? Sozialkapitalistische Planmehrwertmarktwirtschaft vielleicht?

Dumm genug, aber das ist ja erst der Anfang. Wie kriegt man so viel Gaga in einen Schädel: Gegen eine veritable Produktivitätskrise bauen wir also “Fabriken”? Wohlgemerkt: Gegen eine zu hohe Produktivität! Wir könnten mit den bestehenden Kapazitäten jedem Eichhörnchen zwei PKWs vor den Baum stellen. Weil die aber nicht genug Nüsse haben, von denen die Angestellten leben könnten, werden massenhaft “Stellen abgebaut”. Absatzeinbruch bis zu 40% dieses Jahr, und es kann noch schlimmer kommen. So. Und jetzt bauen wir Fabriken? Was produzieren die denn so Revolutionäres? Solvente Kunden sicher. Argh!

So viel Marx haben diese Genies also inzwischen verstanden, dass “Dienstleistungen” die Produktion nur sehr bedingt ersetzen können. Sie haben gar erkannt, dass das überhaupt nicht funktioniert hat. Mit den Ursachen mögen sie sich aber nicht befassen, das wäre dann sicher Sozialismus. Wenn das Kapital sich künstliche Badeparadiese schafft, weil es keine natürlichen Räume mehr findet, in denen es sich ausbreiten kann, dann ist es nicht die Lösung, das ganze Wasser wieder auf die überschwemmten Felder umzuleiten.

Neoliberaler Vulgärmarxismus

Die “Revolution” ist obendrein die schiere Reaktion, die zerebral entkernten Propagandisten preisen ernsthaft den Marsch in die Vergangenheit als glorreiche Zukunft an. Eine Industriegesellschaft kann nur – und nur für eine kurze Zeit – durch Arbeitssklaven restauriert werden. Das geht eine Weile auch ohne höheren Absatz, bis die Herren dann merken, dass überhaupt niemand mehr den ganzen Schund kauft, der doch so kostengünstig hergestellt wird.

Immerhin dürften solche Glanzleistungen den Absatz von Schmerzmitteln ankurbeln. Das dürfte aber bereits eingepreist sein, denn der Berufsstand scheint sich das inzwischen zur vornehmsten Aufgabe zu machen.