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In der Diskussion um alternative Gesellschaftsformen lässt sich ein Dilemma erkennen, das die ohnehin gespaltene Linke um eine weitere Variante der scheinbaren Unversöhnlichkeit bereichert. Die traditionell internationalistische politische Haltung sieht sich nämlich einer starken Tendenz zur Regionalisierung in jüngeren Strömungen gegenüber. Das muss nicht unbedingt ein Widerspruch sein, es zeigt aber, dass die Linke flexibel sein muss. Diese Flexibilität nenne ich “liberal”, weil sie auf ein Maximum an Freiheit setzt statt auf eine Zentrale, die stets die ideologische Korrektheit überprüft.

Letzteres ist einigen Linken ein Anliegen, in deren Köpfen noch immer die Vorstelllug spukt, man müsse eine mögliche “Konterrevolution” in Schach halten. Dieser reaktionäre Ansatz gegen eine oft nur vermeintliche Reaktion mündet zwangsläufig in Paranoia und Stalinismus. Daran ist der “real Existierende” gescheitert und alle Verteufelungen des Sozialismus oder Kommunismus beruhen letztlich auf dieser historischen Idiotie. Ein selbstbewusster Sozialismus müsste sich nicht gegen böse äußere Einflüsse wehren, schon gar nicht präventiv. Er wäre einfach das bessere Angebot und setzte sich sogar in ‘marktwirtschaftlichen’ Kategorien gegen den Kapitalismus durch. Das gilt umso mehr in einer Entwicklungsstufe, die bereits eine hohe Produktivität erreicht hat. Das mag 1917-1989 noch gravierend anders gewesen sein, inzwischen muss man das nicht mehr diskutieren.

Homo Homini

Aber zum Kern der Sache: Die “internationale Solidarität” prägt die Geschichte der Linken, eine frühe Globalisierung, die im Kopf passiert. Ein universelles Menschenbild nämlich ist notwendige Grundlage für Menschenrechte, die mehr sind als ein Lippenbekenntnis. Alle Menschen sollen gleiche Rechte haben. Das unterscheidet die Linke fundamental von der Rechten und sonstigen Spielarten von Rassismus und Diskriminierung. Dieser Respekt der Menschen vor den Menschen ist nicht verhandelbar, insofern bleibt die Linke internationalistisch.

Die Gestaltung einer verfassten Gesellschaft, eines Staates, betrifft das zunächst nur am Rande. Wenn man etwas als richtig erkannt hat, ist das auch für die Linke richtig. Steht dem die Vorstellung dessen, was “links” sei, im Wege, muss die Vorstellung korrigiert werden. Oder man hört eben auf, “links” sein zu wollen. Man kann aber die Erkenntnis nicht der Idee opfern, sonst endet man in Dogmatismus, und dann ist es egal, ob das noch ein rechter, ein linker, ein sozialistischer oder ein kapitalistischer ist.

Die Erkenntnis, um die es hier geht, ist die, dass die Beteiligung der Menschen an den Entscheidungsprozessen sowohl für Demokratie als auch für eine alternative Arbeitsorganisation unerlässlich ist. Diese Beteiligung wiederum lässt sich nicht zentralistisch und durch abstrakte Stellvertretung wie in der aktuellen parlamentarischen Demokratie herstellen. Dieses Defizit ist und war überall zu erkennen, sowohl im autoritären und zentralistischen Sowjetimperium als auch in den kapitalistischen Staaten, die inzwischen zur neoliberalen Einheitsfront verschweißt sind. Dagegen kann eine Regionalisierung der Entscheidungen durchaus helfen. Wenn aber die Regionen und Kommunen selbst darüber entscheiden, was und wie sie produzieren, muss überregional eine Solidarität mit den Regionen organisiert werden, die dabei zu kurz kommen.

Das Imperium zerbricht

Das ist das Gegenteil dessen, was derzeit in Europa geschieht. Global operierende Konzerne und ihre Eigentümer zwingen die Politik zur zentralen Monokultur, die auf kurzem Wege dem Kapital dienbar ist. Dabei gehen ganze Regionen zugrunde, denen man nur so viel ‘Solidarität’ zukommen lässt, dass sie noch beherrschbar bleiben. Als Sicherheitsrisiko werden die dort lebenden Menschen ohnehin wahrgenommen, darauf wird mit innerer Aufrüstung reagiert. Das Regime ist global totalitär, die ‘Freiheit’ darin besteht in der “Verantwortung”, nicht aus dem System auszuscheren. Die mitmachen, werden belohnt. Wohlgemerkt: Einzelne und Gruppen, die sich wiederum gegen jede echte Opposition wenden. Wo das Volk sich gegen das System wendet, weil es kein Auskommen mehr hat, müssen entsprechend jene ‘Eliten’ gestärkt werden, die dennoch für Ordnung sorgen. Scheitert auch das, hilft nur noch militärische Intervention.

Das Bild ähnelt immer stärker dem Niedergang des Sowjetimperiums, und es ist höchste Zeit, dass wenigstens die Linke endlich daraus lernt. Die alte Maxime “global denken, lokal Handeln” bedeutet, den Menschen auch dann als Mitmenschen zu erkennen, wenn er sprichwörtlich am anderen Ende der Welt unterwegs ist, ihn nicht zu vergessen und ihn in der Not nicht allein zu lassen. Es bedeutet darüber hinaus aber, die Menschen zu ermutigen, für sich selbst zu entscheiden und sich da zusammen zu tun, wo sie gemeinsam handeln müssen: Im Betrieb, im Dorf, in der Stadt. Da darf dann auch kein Kommissar reinreden, der am besten weiß, was ein guter Sozialist ist. Und schon gar kein Manager, der weiß, wie die Shareholder am besten ihre beanspruchte Rendite einfahren.

Und wenn da draußen welche meinen, sie müssten weiterhin ihre kapitalistischen Experimente in immer schnelleren Rhythmen vor die Wand fahren, muss man sie wohl oder übel auch machen lassen. Man kann andere nichts lernen. Selbst das Lehren hat ja kaum funktioniert.