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Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0909-423 / Sindermann, Jürgen / CC-BY-SA

Niemand muss mehr ‘politikverdrossen’ sein. Es findet nämlich längst keine mehr statt. Das liegt vor allem daran, dass die öffentliche Kommunikation in den meisten wichtigen Fragen die Sprache und die Logik nicht mehr findet, in der sich ein Diskurs überhaupt führen ließe. Das Stakkato von Kampagnen und ritualisierten Medienbeiträgen, gespielt von einem Dilettantenorchester aus Parteien und Medienhäusern, lässt keine Melodie mehr erkennen. Das Resultat: Immer mehr pfeifen drauf, auf das, was einmal “Politik“ war, andere entdecken ihr Heil in der Flucht in die Beliebigkeit. Dessen deutlichstes Symptom sind die “Piraten”, die sich erst mal wählen lassen und dann überlegen, was sie wann wie entscheiden. Mit Erfolg.

Dieser Verlust an Ordnung verhindert nicht zuletzt die Suche nach den Ursachen. Er verhindert zum Beispiel eine Auseinandersetzung mit dem System Schröder, das wiederum ein Katalysator war für den Niedergang der politischen Kultur.

Im Sommerloch war ein Fall aus Russland der Renner, der Prozess gegen “Pussy Riot”. Er war hier vor allem ein sich Reiben der deutschen Politikredaktionen am System Putin. Einhellige Meinung: Russland ist eine Diktatur, die Opposition wird unterdrückt; wer sich gegen Putin wendet, wird kaltgestellt. Auch der Lieblingsrebell der hiesigen Medien, von dem ich nur weiß, dass er gut Schach spielt, wird wieder heroisiert. Man kann diese Einheitsansicht zur Not teilen. Putin hat alles getan, um seine Macht zu halten und zu erweitern. Aber wenn das denn verwerflich ist und diktatorisch, wo bleibt dann der Hinweis auf den Ritterschlag durch jenen Kanzler, der Putin einen “lupenreinen Demokraten” nannte?

Lupenreine Demokraten

Wie bringt man das unter ein Dach, dass der eine Diktator ist und der andere nicht sein gekaufter Handlanger? Wie geht das ohne Skandal? Es geht, weil es ohne Sinn geht. Im Zeitalter von “web 2.0″ herrschen weiterhin die Sender. Ein Dialog findet nicht statt. Wie soll er auch? Denn wenn man beginnt, Fragen zuzulassen und nach Antworten zu suchen, kommt mehr zum Vorschein als nur eine Erklärung für die Wandlung eines Bundeskanzlers zum Nützlichen Idioten der Diktatur. Man wird sich fragen müssen, warum und wie.

Wie konnte es passieren, dass der Regierungschef derart korrupt ist? Und wenn er es war, was bedeutet das für seine Regierung, seine Minister, den Staat, den er führte? Man würde sich Karrieren anschauen müssen wie die von Wolfgang Clement, Kritiker der Menschenrechte und Freund des Kapitals. Man würde sich erinnern, dass Weggefährten wie Steinbrück und Steinmeier Teil des Systems waren. Dass der eine noch heute obszöne Honorare für “Vorträge” kassiert und der andere einen Mitbürger hat in Guantanamo verrotten lassen. Zum Beispiel. Man würde nach einer Mentalität fragen, die das alles ermöglicht hat – womöglich nach Positionen in einem Klassenkampf.

Das traut sich keiner mehr, zumal der Chef des “Spiegel” sich “Zeiten” herbeidefiniert, die keine Kontrollfunktion des Journalismus mehr brauchen:
Wenn die Zeiten denn so sind, soll er ein Sturmgeschütz sein – in Zeiten in denen es nicht ganz so wild zugeht, tut’s auch ein bißchen weniger”.
Wer jetzt sagt, das wäre kein Verzicht auf die Kontrollfunktion, geht der Beschönigung schon auf den Leim.

Von der Verflechtung zum Filz

Zurück zu Schröder: Der “Medienkanzler” hat in die Extreme getrieben, was sein Vorgänger angelegt hatte. Kohl hatte seine Getreuen, Leute von Springer und vor allem Leo Kirch. Schröder hat sich gar nicht erst damit aufgehalten, in einem guten Licht dargestellt zu werden, er hat sich vollständig selbst inszeniert. Das Paradoxon “Genosse der Bosse” hat funktioniert, weil seine Wähler und Parteikollegen ihn für einen Genossen hielten. Von dieser Substanz hat er über zwei Wahlen gezehrt und sie dabei völlig zersetzt. Der Emporkömmling, der die Türen zuschlug für seinesgleichen, hat den ganzen Diskurs aufgelöst, indem er Inhalte durch Images und Slogans ersetzt hat.

Natürlich nicht er allein. Da er als Kanzler aber nicht nur mit den Medien “konnte”, sondern auch eng mit der Finanzwirtschaft (Maschmeyer), der Industrie (Hartz) und den Beratern (McKinsey, Roland Berger) verflochten war, haben deren PR-Agenturen und “Think Tanks” (INSM) den Rest besorgt. Das Nähere regeln Wahlenthaltung, Parteiaustritte und Resignation. Na ja, und die eine oder andere Parteigründung.

Es hat aber erkennbar nicht nur die “SPD” geschrägt. Der Machtzuwachs der Finanzwirtschaft etwa ist ebenso den Schröderschen Deregulierungen zu verdanken wie die Verarmung der unteren Schichten dessen Sozialgesetzgebung. Es ist nichts mehr wie es war.
Der Einwand, das habe doch nicht Schröder allein verursacht, ist absolut richtig. Aber er war der perfekte Mann für den Job und die Symbolfigur schlechthin. Das Schweigen über diesen windigen Charakter spricht Bände. Eine Kritik findet nicht statt.