Die Art der Organisation von Arbeit prägt eine Gesellschaft; daher wird jede grundsätzliche Veränderung diesbezüglich von vielen Menschen reflexhaft abgelehnt, vor allem von denen, die glauben, “es geschafft” zu haben”. Dies ist im übrigen der Grund dafür, dass die “Sozialdemokratie” zu einer fanatisch neoliberalen Partei geworden ist. Sie vertritt nämlich längst nicht mehr die Unterschicht, sondern diejenigen, die eine stabile Situation in der gegebenen Arbeitsorganisation verteidigen: Höhere Angestellte, Beamte, kurz: Die Mittelschicht, für die es noch relativ viel Arbeit gibt, von der man ‘leben’ kann.

Die technische Entwicklung hat Arbeit längst in einem Maße überflüssig gemacht, das durch das Überangebot an Arbeitskräften ein neues Proletariat hat entstehen lassen. Dessen Situation ist dreifach fatal, weil es nicht bloß ersetzbar ist, sondern gänzlich verzichtbar und in immer größerer Zahl verzichtbar. Es besteht keinerlei Aussicht, dass diese Menschen jemals noch strukturell gebraucht werden könnten. Dennoch gelingt es der kapitalistischen Propaganda, Arbeitslose für dieses Schicksal auch noch zu beschuldigen. Faszinierend.

Vor die Wand oder anders

Es liegt dabei auf der Hand, dass Arbeit anders organisiert werden muss und dass der “Markt” nicht in der Lage ist, dies zu besorgen. Im Gegenteil profitiert jeder Betrieb von der Situation, solange man die volkswirtschaftlichen Folgen völlig ausblendet – wie es die Systemökonomen ja auch tun. Billige Arbeitskräfte, die lange arbeiten, kann ein an Profit orientiertes Unternehmen gut gebrauchen. So wie ein Rennwagen, der als erster durchs Ziel will, halt ein hohes Tempo braucht. Dumm nur, dass wenige Meter dahinter eine dicke Mauer steht. Aber um solche Kleinigkeiten kann sich der Wettbewerb nicht kümmern.

Nun ist jeder Einzelne in einer Situation, die er für sich selbst definiert und versucht, das Beste daraus zu machen – ganz wie es dem Neoliberalismus gefällt. Das führt u.a. dazu, dass mangels einer großen Vision, für die sich alle begeistern können, jeder seine eigenen Ziele verfolgt. Dazu gehört gemeinhin nicht eine grundsätzlich neue Organisation der Arbeit. Übrigens wäre es auch nicht wirklich beruhigend, gäbe es eine Vision, für die sich alle begeistern können. Die sind nämlich meist eher beängstigend als vernünftig.

So stellt sich denn die Frage, woher überhaupt ein Ansatz kommen soll, das Notwendige zu tun. Darauf zu warten, dass sich die Massen einigen, weil alle Einsicht in die Notwendigkeit erhalten haben, wäre wohl absurd. Ihnen ein Modell überzustülpen, das die Lehre aus der aktuellen Lage zieht, eine praktikable Idee, aber weder eine demokratische noch eine, die Aussicht auf Durchsetzung hätte. Am Ende also weitere Flicken rund um den Kapitalismus, die das Elend nur verlängern?

Gegen alle Flaggen

Unter den schlechten Möglichkeiten zeichnen sich bislang einige ab, die nicht ganz sinnlos erscheinen, darunter zwei, die hier in der Diskussion schon skizziert wurden: Ein Marsch durch und gegen die Institutionen, Graswurzelprojekte, Genossenschaften, regionale Initiativen; oder ein Entwurf für eine Gesellschaftsordnung, eine Verfassung, ein Staatsmodell, das eine Alternative bietet. Nicht nur zum Kapitalismus und seinem unbegrenzten Privateigentum, sondern auch zum “real Existierenden” und seiner Lohnarbeit für die Partei.

Dabei muss man sich darüber im Klaren sein, dass man sich nicht bloß die Kapitalisten zu Gegnern macht, sondern alle diejenigen, die sich noch irgend als “Arbeiter” definieren. Es geht um nicht weniger als die Zerstörung von Arbeit als Prinzip, das Leben (“verdienen”) und Identität (Stolz) spendet. Es geht um eine Vorstellung, die das Leben in den Mittelpunkt steht, also weder Erwerb noch Arbeit. Dies ist dann auch eine fundamentale Abkehr von allen linken Traditionen und ihren starken Arbeitsmännern. Ich fürchte, es lässt sich gar nicht vermeiden: Wer ein realistisches Projekt für eine zeitgemäße Organisation von Arbeit anstrebt, muss sich gegen alles stellen, was bisher Anhänger findet – zumal massenhaft.