Vielleicht sollte man einen Preis ausloben für die Lösung des Rätsels “Blogblues”. In guten Zeiten und am guten Tagen taugen selbst Banalitäten des politischen oder sonstigen Lebensbetriebes zu achtbarer Inspiration. An schlechten Tagen eben nicht. Der Betrieb der Medien und ihrer Zuarbeiter lebt schon immer von der Wiederholung und erhält sich auch ohne große Varianz. Einfacher ausgedrückt: Es ist doch immer dasselbe. Wann, frage ich mich, bei der wievielten Wiederholung, bin ich so angeekelt, daß ich kein Wort mehr verliere? Wann andererseits ist es so weit, daß ich mich wieder damit befasse?
Es ist ja nicht nur Laune. Es ist auch nicht nur die abgründige Qualität journalistischer Trommelei oder die Erbärmlichkeit der produzierenden Charaktere. Es sind ja meist dieselben, und wieso halte ich die dreizehnte und dreiundzwanzigste Runde, die eine Sau im Dorf dreht, für kommentarwürdig, während ich die zehnte und zwanzigste für unerträglich befinde und daher ignoriere? Gibt es eine Art Atommodell, sind es Valenzniveaus, die einmal zum Schweigen, ein anderes Mal zum Räsonieren führen?
Aktuell ist es einer dieser Artikel bei SpOn, in dem Veit Medick unter Beweis stellt, daß Broder, Malzahn, Steingart und Mohr nicht alle sind, die Austs Gruselkabinett entstammen und ihren bedauernswerten Kunden weiterhin ungenießenbaren Schmarrn servieren. Schon wieder und noch immer werden Ypsilanti und Beck im Kasperltheater vorgeführt, und das im Angesicht der Erkenntnis, daß alles, was über sie und den “Erfolg” der Partei gesagt und geschrieben wurde, falsch ist. Nicht in einer einzigen Zeile befasst sich dieser Komödiant mit der Rolle der eigenen Dramaturgen in der Beckweg-Farce. “Von nichts eine Ahnung, aber auf alles eine Antwort” – Was früher aalglatten Versicherungsverkäufern nachgesagt wurde, gilt heute für eine gewisse Sorte von Journalisten. Es macht keinen Spaß, über sie zu schreiben.
September 7th, 2009 at 02:15
Immerhin, Du findest wenigstens fuer die Misere (Blues) noch Worte.
September 7th, 2009 at 03:17
Den Spiegel u.a. zu lesen ist Cargo-Kult.
Das gilt natürlich nicht für gequälte Blogschreiber, die darauf hoffen, dass die Bindung bestimmter Gebrauchsmuster an ehemals vorhandene Gesinnungen ewigen Charakter hat ;-)
September 7th, 2009 at 07:50
ich empfehle zum heutigen montag den stormy monday blues von chris farlowe. das attribut stormy könnte man ja weglassen.
https://www.youtube.com/watch?v=FQ56INueoac&feature=PlayList&p=8CE48D17A7438AE9&playnext=1&playnext_from=PL&index=22
September 7th, 2009 at 09:18
Ich habe immer die Energie derer bewundert, die sich Tag für Tag gegen den Wahnsinn auflehnen. Aber auch deren Kraft muss erlahmen, wenn der Souverän, das Volk, alles schluckt und akzeptiert.
Harz3-9 ist akzeptiert, Afghanistan, Anti-Links-Kampagne, Spiegel, Klima, Bundeswehr im Inneren, Schäuble dito.
Selbst dort, wo man positive Veränderungen ganz stark vermuten durfte / zu vermuten hoffte (Bürgerrechte, Wirtschaft, Soziales, Rezession, was’n das?) ist alles mit Öde erfolgreich zugekleistert.
Die BTW ist das letzte mögliche Möglichkeit, auf ein Signal des Volkes zu hoffen, sich aus der Umklammerung zu befreien. Und das wird scheitern.
Deshalb prophezeie ich folgendes:
Ein Blogsterben nach der BTW. Haare ab, Herr Samson. Halten werden sich nur die, die schon immer eine eher fundamentale Wirtschaftskritik geübt haben. Vielen anderen wird die Kraft fehlen.
September 7th, 2009 at 10:19
Wenn es denn gar zu frustrierend wird, blättere ich mich gern mal durch das eine oder andere Zeitungsarchiv. Bei der Lektüre dieser uralten Zeitungen erfährt man zuweilen mehr über die heutige Zeit, als in den meisten ‘hochaktuellen’ Tagesblättern.
BTW, gibt es vielleicht noch andere solcher Zeitungsarchive?
September 7th, 2009 at 11:16
wer oder was ist BTW?
September 7th, 2009 at 11:23
Das Kasperletheater, das dem Wähler die Möglichkeit der Einflußnahme vorgaukeln soll. Findet am 27.09. statt, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt.
September 7th, 2009 at 11:27
BTW, dt.: Bundestagwahl
btw, engl.: by the way = p.s., p.p.s.
Blöde Abkürzeritis
September 7th, 2009 at 11:40
@HAL:
Ja, ich habe mal wieder vor paar Tagen vorgeführt bekommen, was das eigentliche Problem ist hierzulande und das hat gleich meine Motivation deutlich gedämpft. Die meisten interessieren sich kaum dafür was in diesem Land eigentlich passiert und gerade diese selbsternannte Mittelschicht ist da am schlimmsten. Hier sind viele Leute selbst dazu unfähig eine Verknüpfung zwischen dem Sozialstaat auf Magerkur, den zusätzlichen Repressionsmassnahmen und ihrem eigenen Schicksal herzustellen. Ich weiss nicht, ob es einfach nur Verdrängung ist, aber es erstaunt mich schon, denn gerade die sind es doch, die eigentlich am meisten zu verlieren haben und als erstes unter die Räder geraten, wenn die feuchten Träume der Wirtschaftseliten von schwarz-gelb wahr werden.
Ehrlich gesagt freue ich mich aber schon, wenn ich nächstes Jahr paar Vertreter dieser Spezie in der einen oder anderen Massnhme wieder treffe. Vielleicht wird dann endlich mal mehr Leuten ein Licht aufgehen, dass sie, trotz allen Leugnens, mit Leuten, wie mir, längst unter einer Decke stecken. Wenn die Sätze dann noch weiter sinken, dann ist das Katzenjammer gross, denn dann wird die selbsternannte Mittelschicht Opfer der Politik der selbsternannten Mittelschichtsparteien. Ich mag irgendwie diese Vorstellung, denn anders scheint man es einfach nicht begreifen zu wollen.
September 7th, 2009 at 12:24
@Manul
T’schja, kenne das Gefühl: Schwanken zw. Zynismus, Fatalismus, Schadenfreunde und Hoffnung. Ich kann Dir nur zustimmen: Im Endeffekt fehlt eine “Art Klassenbewußtsein”, wohin man eigentlich gehört. 3000Euro im Büro oder Amt und ein geerbtes Häuschen machen eben noch keine Mittelschicht aus.
Ick weeß, jo och nich…, aber es wird sich etwas tun.
September 7th, 2009 at 12:54
Mir geht es wie Manul: Ich denke, vielleicht geht einigen Leuten bald ein Licht auf, auch wenn wir dafür erstmal noch durch ein tieferes Tal müssen.
Dann packt mich wieder die Skepsis: Werden die dann plötzlich den Durchblick haben und sich weiter links orientieren? Oder nicht doch weiter rechts??
Soll ich auf den “großen Knall” der Unzufriedenheit hoffen – und dann wählen diese Hirnis NPD?
Ein Blogsterben wäre fatal! Ich hab auch ein kleines Blog, es befasst sich aber mit meinen Handarbeiten und Haustieren, weshalb ich es an Stellen wie hier nicht verlinke. Trotzdem sind mir dort auch schon ein paar deutliche Worte Richtung “korruptes Politikerpack” rausgerutscht.
Angst hab ich nicht. Wäre doch schrecklich, wenn wir alten Achtundsechtziger jetzt zu feige wären, das Maul aufzumachen. Sollen die Schäubles doch mitlesen. Was wollen die ‘ner alten Schachtel noch! Dass Jüngere sich Sorgen um ihre Zukunft machen, kann ich verstehen, und darum müssten die, deren Zukunft schon ziemlich gelaufen ist, um so deutlicher werden.
Aber ich hab seit Monaten nichts mehr in mein Blog geschrieben aus dem gleichen Gefühl des Verdrusses heraus, das Feynsinn beschreibt. Da hatte ich schon einen Text im Kopf und dann befiel mich so etwas wie Schwäche und ich dachte: Was soll’s…… was ändert es?!
In verschiedenen Foren hab ich versucht, die Leute darauf hinzuweisen, wie sie belogen werden. Da kam dann manchmal das Thema Privatvorsorge auf, und ich wollte die jungen Leute darauf hinweisen, dass die beste Vorsorge die wäre, die Gesetzliche Rente zu stärken statt zu schwächen.
Da bin ich nicht durchgedrungen, sondern wurde aggressiv gefragt, ob ich einer Sekte angehöre!
Ich fürchte, Optimismus wird in Enttäuschung umschlagen. Nun gut, die Linke hat jetzt in den Landtagswahlen mehr Stimmen bekommen, als vorausgesagt wurde. Das wird wohl demnächst bei der BTW auch so sein. Aber ob’s reicht, um eine Kurskorrektur vorzunehmen? Glaub ich nicht.
September 7th, 2009 at 13:04
Das Problem des deutschen Michel ist halt, dass er immer etwas länger als seine Nachbarn benötigt, um festzustellen, dass etwas nicht rund läuft. Das letzte mal mussten erst 6 Millionen Juden bzw. insgesamt ca. 60 Millionen Menschen verrecken und unzählige Städte in Schutt und Asche gebombt werden, bis man hierzulande auch bemerkt hat, dass das politische System eher suboptimal funktioniert.
Dementsprechend ist es gerade für die sogenannte Mittelschicht heutzutage noch längst kein Alarmsignal, dass immer mehr Suppenküchen aus dem Boden schießen. Dazu müssen wahrscheinlich erst einige Millionen Hartzis verhungert auf der Straße liegen. Und selbst das wird erst ein Grund zur Beunruhigung, wenn der Mittelschichtler unter den Verhungerten den ehemaligen Nachbarn entdeckt, der seit dreißig Jahren bei Opel gearbeitet hat und dann plötzlich aus unerfindlichen Gründen aus seinem Reihenendhaus ausgezogen ist.
PS: Sorry für Offtopic :)
September 7th, 2009 at 15:35
@HAL:
Der Witz ist, dass es eigentlich gar keine Mittelschicht gibt, ja noch nicht mal wirklich Klassen. Es gibt nur ein ‘reich’ oder ‘arm’ und zur letzten Kategorie gehören fast alle, die nicht über hohe Millionenvermögen verfügen (tja, 5 Mio EUR sind dank der Vermögenskonzentration inzwischen kein wirkliches Vermögen mehr…) und sie sind alle gewiss keine Nutzniesser dieser Politik. So begreifen leider immer noch viele Mittelständler nicht, dass wenn die Politik die Unternehmen entlasten will, dann meint sie ganz sicher nicht kleine Handwerkbetriebe, sondern internationale Grosskonzerne. Genauso raffen immer noch viele nicht, dass wenn Westerwelle von Leistungsträgern spricht, dann denkt er bestimmt nicht dabei an die Krankenschwester und den Elektriker, sondern eher an die, die andere für sich arbeiten lassen.
Wenn man sich dann erdreistet und den Leuten genau das sagt, dann wird man entweder angeschaut, als wäre man ein Verschwörungstheoretiker oder man erntet nur ein gelangweiltes Schulterzuckern – von wegen man weiss es ja schon. Beim nächsten Mal geht man eh entweder überhaupt nicht wählen (bringt ja nichts) oder wählt sich seine Henker selbst.
September 7th, 2009 at 15:50
@Marlies:
Ich bin 30 Jahre alt und in meinem Bekanntenkreis gibt es unzählige Menschen, die die Propaganda der letzten 15 Jahre gut in sich aufgesogen haben, aber bis heute nicht mal verstehen wie die umlagefinanzierte staatliche Rente wirklich funktioniert. Man könnte sogar sagen, dass meine Generation hier bewusst fehlgesteuert wurde, wir sind praktisch mit der Euphorie der Märkte gross geworden und so nehmen auch viele meiner Altersgenossen die Ökonomisierung ihres Lebens einfach so hin, weil sie einfach nie was anderes gelernt haben. Das wiederspiegeln auch Umfragen, wie zuletzt die vom DGB zum Thema Sozialstaat, wo die sozialen Errungenschaften am wenigsten Rückhalt bei den Jungen haben. So sitzt z.B. eine Bekannte von mir und schimpft auf die Sozialabgaben, aber bekommt seit Monaten Krankengeld ausgezahlt. Einen Zusammenhang zwischen den Abgaben und dass sie krank zu Hause herum sitzen kann, ohne dass sie gefeuert wird und verhungert gibt es für sie leider nicht.
September 7th, 2009 at 21:54
Ja, seltsam, die Funktionweise der Gesetzlichen wird häufig missverstanden. Sagte mir mal jemand, der älter ist als ich, beim Thema leere Rentenkassen: “Aber ich hab doch all die Jahre eingezahlt! Wo ist denn das Geld heute??”
*schluck*
Ich versteh es ja, dass (relativ) junge Leute keine Welt mehr kennen, in der _nicht_ der Neoliberalismus herrscht. Wir haben damals dafür gestreikt und gestritten, dass die Lohnabhängigen mehr Rechte bekamen und ein gesichertes Leben führen konnten. Für die Nachgeborenen ist das selbstverständlich, darum können sie den Sozialstaat nicht so wirklich achten. Den gab es für sie ja immer.
Ist auch gar nicht verwunderlich. Bloß dass sich so viele gegen die Erkenntnis wehren, dass sie pausenlos belogen werden in den Medien, das verblüfft mich dann doch. Den Eindruck hatte ich auch schon, dass manche Leute einfach keine Lust zum Denken haben.
Aber sicher auch keine Zeit. Die heutigen Studenten der Wirtschaftlehre zum Beispiel – die müssen immerzu für ihre nächste Prüfung pauken, wann sollen sie denn einen Schritt vom Wege ab tun. Studieren hieß früher, sich in aller Ruhe mit allen Aspekten seines Fachs auseinander zu setzen. Ich fürchte, wer da heute nach dem Bachelor und Master-Schnellkurs von den Hochschulen kommt, ist neoliberal indoktriniert und weiß es nicht mal.
Darum sehe ich auch etwas grau in die Zukunft. Das soll unsere rebellische Jugend sein, die die Gesellschaft in Frage stellt? Wenn sie’s nur endlich täte! Ich wär immer noch dabei. (Wir alten Schachteln sind nämlich nicht von Pappe. *g*)
Die jungen Leute sind nicht die Schuldigen, aber man könnte schon erwarten, dass sie auch mal etwas anderes denken möchten als von Bertelsmann vorgekautes Zeugs. Wenn man es ihnen schon anbietet!
Thema Mittelschicht: Dazu rechnen sich doch so ziemlich alle, die nicht am Hungertuch nagen. Die Hartzies, das sind ja immer die, die noch weiter unten sind als man selbst. Darum wohl so wenig Mitleid. Wenn man nur glaubt, dass “die” einfach bloß faul und versoffen sind, dann braucht man sich keine Sorgen zu machen, dass man mal zu ihnen gehören könnte. Man selbst ist ja nicht faul und versoffen. Und von 351 Euro lebt es sich super, denn es wird doch die Warmmiete bezahlt!
Diesen letzten Satz hab ich mir leider nicht ausgedacht. Gerade vor ein paar Tagen gehört. Von jemandem, der garantiert nicht von 351 Euro leben muss.
Ich war in den Siebzigern mal drauf und dran, nach Dänemark auszuwandern. Wurde dann doch nichts.
Schade eigentlich.
September 8th, 2009 at 11:40
@Marlies:
Ja, das ist das Problem, die Geschwindigkeit, mit der erwartet wird, dass man funktioniert und Erwerbsarbeit nachgeht. Schon in meiner Jugend fehlte einem die Zeit und wenn man sich diese genommen hat, kamen wichtige Sachen auch schon mal unter die Räder. So bin ich um einiges schlechter ausgebildet, als ich es eigentlich sein könnte und meine Ausbildung war vor allem markttauglich – wie bei vielen meiner Altersgenossen. Nun habe ich das Problem, dass meine markttaugliche Ausbildung nicht unbedingt wirklich das ist, was ich bis Lebensende gerne machen würde, ich würde gerne etwas Neues lernen und da komme ich schnell an meine Grenzen. Studieren kann ich leider kaum noch aus Mangel an Angeboten für Erwachsene und eine Umschulung ist auch fast unmöglich zu bekommen, wenn man eine markttaugliche berufliche Ausrichtung hat, wo die Fallmanager davon ausgehen, dass es durchaus eine Einstellungsperspektive gibt. So viel zum Thema lebenslanges Lernen, wo schon mit 30 die Optionen sehr knapp werden.
Ich beschwere mich aber nicht, denn manche Erfahrungen, die mich Zeit gekostet haben, möchte ich nicht missen, sie waren wichtig und richtig für meine persönliche Entwicklung. Der Preis ist dafür ist mein ‘geringerer’ Wert auf dem Arbeitsmarkt, den ich in Form von befristeten und schlecht bezahlten Jobs und immer wieder kehrender Arbeitslosigkeit bezahle. Ich bezeichne trotzdem meine Lage nicht als hoffnungslos, denn der Blick zu den Wegerändern hat auch den Blick dafür geschärft, dass es auch ein Leben ausserhalb des Berufslebens gibt und dieses kann ebenso befriedigend sein – wenn nicht manchmal sogar befriedigender. Ich pflege zumindest ein gesundes soziales Netzwerk und habe jede Menge Hobbys und Interessen, die die Zeiten ohne Arbeit so füllen können, dass es eigentlich ständig was zu tun gibt und immer etwas passiert.
Auch ich habe überlegt, noch bis vor Kurzem, Deutschland in Richtung Dänemark zu verlassen und mir kam da auch ein wenig die Krise dazwischen. Mittendrin wollte ich das einfach nicht tun, der Auswanderungsprozess ist eh immer etwas schwierig (habe es schon einmal hinter mir…), meine Dänischkenntnisse sind leider auch nicht besonders gut und so nutze ich jetzt erstmal die Zeit anderweitig. In paar Jahren vielleicht, da versuche ich es nochmal :)