ausbweltUrsula Rüssmann meint in der FR, Blockupy müsse “die Absage an Gewalt endlich lauter hörbar“machen – und hat damit ein Problem erkannt, das sie leider völlig falsch angeht. Die biederen Appelle an Gewaltfreiheit taugen den gehorsamen Bürgerkindern jederzeit zur Verleumdung jeglicher Anliegen. Selbst wenn keine Gewalt stattfindet, hätte man sich inzwischen stärker distanzieren müssen. Ach ja? Und wieso? Weil sonst automatisch die Veranstalter schuld sind, wenn irgendwer Steine wirft? Und weil man dann immer nur einen Stein fliegen lassen muss, um das Anliegen der Initiatoren zu neutralisieren? Weil nämlich die “Distanzierung” überhaupt nichts damit zu tun hat, wie gewalttätig eine Veranstaltung verläuft?

Ganz im Gegenteil. Die Veranstalter von Blockupy sind erklärtermaßen legalistisch und gewaltfrei unterwegs. Das kann ein Fehler sein, aber sie haben sich so entschieden. Das wiederum kann man zur Kenntnis nehmen oder sein Süppchen kochen, indem man Verschwörungstheorien spinnt von Gewaltfreien, die gar nicht gewaltfrei sind. Hauptzutat dieses Süppchens: Es gibt so viele, die es anders wollen. Überall dort, wo die Zustände, die in Frankfurt angeprangert werden, ungeschminkt zum Vorschein kommen, ist Gewalt schon beinahe selbstverständlich. Müsste sie dann nicht auch hier von jedem befürwortet werden, der sich einreiht? Ist es glaubhaft, gegen Kapitalismus zu sein und dabei gewaltfrei bleiben zu wollen?

Wo wird Recht zu Unrecht?

Es gibt zwei Debatten, die geführt werden müssen: Eine über die strategische Wirkung direkter Gewalt und eine über die Grenzen des friedlichen Protests. Es ist mühselig und nervig, sich immer wieder mit einer Minderheit auseinandersetzen zu müssen. die durch meist undurchdachte Aktion Fakten schafft, wobei diese Fakten der Bewegung nicht den geringsten Nutzen eintragen. Ihnen ist zu konzedieren, dass es nicht immer ausreicht, friedlich zu protestieren. Darum muss man darüber diskutieren, wo die Grenze liegt, ab der direkte Gewalt nicht vermeidbar ist oder strategisch sinnvoll.

Wo sie nicht mehr vermeidbar ist, dürfte die spannendere Frage sein. Kapitalismus ist Gewalt, und diese Gewalt ist nur für jene unsichtbar, die wegschauen und sich die Welt des schönen Wachstums zurecht lügen. Kapitalismus ist illegitim. Vor ihm hat sich niemand zu legitimieren, der nicht gewalttätiger ist als dessen Protagonisten. Dies kann aber nicht zu einer Freigabe jeglicher gewalttätiger Aktion führen. Natürlich ist Gewalt zu vermeiden, sie ist die ultima ratio und bedarf einer klaren Legitimation. Daher muss die Diskussion von Seiten der Friedlichen und Legalen eröffnet werden. Artikel 20 Abs. 4 des Grundgesetzes etwa ist eine gute Basis für diese Diskussion.

Man darf nicht erwarten, dass die Repräsentanten des Systems das Widerstandsrecht quasi ausrufen. Es ist auch nicht hilfreich, darüber erst zu debattieren, wenn es zu spät ist. Am allerwenigsten helfen reflexhafte Aufforderungen zur “Distanzierung” oder blinde Randale – zwei Seiten derselben Medaille. Die Frage ist zu erörtern, wo Demokratie und Rechtsstaat definitiv aufhören und was dann zu tun ist. Eine der wenigen politischen Fragen, die noch nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen.