pirazIch bleibe ambivalent, und da ich ein “Optimist, der nachgedacht hat” bin, ebenso misstrauisch. Wenn ich höre, die Piraten seien “die neuen Liberalen”, wenn ich von einem Funktionär höre, die Partei habe “einen harten Markenkern” und Angelika Beer mir erklärt, was “piratisch” ist, dann singt hier das Martinshorn. Das ist dasselbe PR-Blabla mit erkennbaren Absichten, das wir schon von den anderen Seelenverkäufern der neoliberalen Flotte kennen, und es ist nicht zu übersehen, dass die Orangen auch deshalb mit Samthandschuhen angefasst werden. “Beliebigkeit” ist das Schlimmste, was die Etablierten ihnen vorwerfen. Der Vorwurf trifft ja auch zu, geht aber nach hinten los.

Denn die ihn erheben, sind nur in einem nicht beliebig: Im neoliberalen Markenkern eben, dem Mitmachen und Abnicken der Interessen jener, die ihnen die Lobbyisten schicken. Die ihnen die Gesetze vorformulieren. Die ihnen eingetrichtert haben, was “alternativlos” bedeutet. Beliebig wurde dadurch längst das Personal und die Wahl einer der etablierten Parteien. Man kriegt von allen dasselbe geliefert.

Das ist bei den Freibeutern anders. Sie sind eine Wundertüte, und jede Überraschung scheint willkommen. Selbst solche Wähler, die sich noch einreden lassen, die Linke sei böse kommunistisch, hoffen vielleicht auf ein bisschen Sozialismus ohne Linke. Hauptsache aber nicht die da, die einen doch alle belügen.

Hauptsache nicht die da

Sehr dumm ist inzwischen der Vorwurf, die Piraten hätten kein Programm. Das haben sie, auch wenn keiner da draußen das liest. Na und? Die anderen Parteien haben auch Programme, für die sich bedauerlicher Weise gerade deren Funktionäre nicht interessieren. Einsame Spitze in dieser Kunst ist seit eineinhalb Jahrhunderten die SPD.

Was nun das Programm anbetrifft, so ist da reichlich Holz zum Hacken. Schon das “Mehr Demokratie wagen” zum Auftakt bereitet Schmerzen, denn was da unter “Demokratie” firmiert, offenbart, dass es keine werden will. Wahlweise kann man auch feststellen, dass die Autoren und Parteimitglieder nicht wissen, was sie da sagen:

Die Piratenpartei Deutschland sieht Demokratie als die bestmögliche Herrschaftsform“.

Naja, schon stilistisch bescheiden, steht da, es gehe darum uns zu beherrschen. Demokratie wie ich sie verstehe, ist aber Beschränkung von Macht, Selbstorganisation, Primat der Politik. Es ist keine Petitesse, wenn hier von vornherein von “Herrschaft” die Rede ist. Noch “mehr” von solcher “Demokratie” brauche ich wahrlich nicht.

Herrschaftszeiten

Mit dem Problem befasst sich das Programm aber nicht lange und setzt zu einem großen Wünschdirwas an, das mich nicht erkennen lässt, wie etwa sozial-, finanz- oder außenpolitische Schwerpunkte sich gestalten werden. Es ist auch nicht erkennbar, wie überhaupt Programmatisches umgesetzt werden soll. Das Personal ist nicht bloß unbekannt, sondern dessen Anbindung ans Programm bzw. die Haltung zu Fragen, die im Programm offen bleiben, sind nicht prognostizierbar. Dies ist keine gute Basis für Eigenständigkeit und gegen Korrumpierbarkeit.

Nur zwei Bereiche werden scharf umrissen, nämlich das Bekenntnis zur Informationsfreiheit und die Forderung nach Transparenz. Vor allem letztere ist ein Ansatz, der sehr wirksam sein könnte und äußerst förderungswürdig. Das Dumme ist nur, dass ich keine Strategien dahinter erkennen kann. Wie will man auch nur die Parlamente und Regierungen selbst zu mehr Transparenz bewegen? “Bitte bitte” sagen? Geheime Akten veröffentlichen? Oder glauben sie im Ernst, ihnen und ihren Wählern zuliebe würde künftig mit offenen Karten gespielt?

Tatsächlich werden sie nur dann etwas bewegen können, wenn sie realistisch sind und eine klare Aussage machen dahingehend, dass sie gar nicht regieren wollen, weil keine Regierung, kein Parlament der Republik sich auf solche Forderungen einlassen wird. Ein echter Anlass sie zu wählen wäre für mich, wenn als Ziel der Fahrt ausgegeben würde: „Wir machen Deutschland unregierbar“. Aber wem “Herrschaft” so am Herzen liegt, der wird wohl lieber auch herrschen. Und teilen.