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Ich habe vor einigen Jahren eine kleine Serie von Artikeln zum Doping im Radsport (siehe u.a. hier) geschrieben und schließe das Kapitel hiermit ab. Anlass ist das lächerliche, quasi posthum gesprochene Urteil eines sogenannten “Sportgerichtshofs”, das nach der Vernichtung von Jan Ullrichs Karriere im Jahr 2006 immerhin sechs Jahre später feststellt, dass er gegen die Regeln verstoßen hat und ihn jetzt dafür verurteilt. Obendrein werden einige Zahlen und Namen aus Datenbanken gestrichen. Dass Ullrich seinerzeit besser war als die Konkurrenz, gilt daher nicht mehr. Es gilt die Wirklichkeit der Pharisäer – bis sie eine neue auswürfeln.

Ich greife das Thema aus zwei Gründen auf: Erstens bin ich selbst dem Radsport verbunden und zweitens ist der himmelschreiend dumme und heuchlerische Umgang damit ein Paradebeispiel für die Verteilung von Verantwortung im Kapitalismus. Eins nach dem anderen:

Die Droge, die das Bild prägt, ist seit Mitte der 90er Jahre EPO, ein Mittel, das die Sauerstoffaufnahme im Blut extrem erhöht und eine derartige Leistungssteigerung ermöglicht, dass die ‘ohne’ gegen die ‘mit’ schlicht chancenlos sind. Doping beginnt dabei keineswegs erst bei der Tour de France. Jeder ambitionierte Amateurfahrer dopt. Wäre ich nicht schon zu alt gewesen für derartige Experimente, ich mache keinen Hehl daraus: Ich hätte das Zeug auch ausprobiert. Wer den Unterschied kennt zwischen den ersten Touren im Frühjahr und der Topform im Spätsommer, den reizt es enorm, das Ganze aus der Dose noch einmal oben drauf zu packen.

EPO – Friss oder stirb

Für die Profis sieht die Geschichte noch einmal anders aus. Wie bereits geschildert, haben sie die Wahl: Entweder du verlierst deinen Job oder du machst dich schneller. Jeder weiß das. Die Fahrer, die Trainer, das Management, die Funktionäre, die Sponsoren und die Informierten darum herum. Nicht nur, dass es jahrelang sehr einfach war, die “Kontrollen” zu manipulieren, das System hatte längst dazu geführt, dass der Verzicht auf das Dope viel riskanter war als die Einnahme. Deshalb konnte es sich ein Lance Armstrong auch leisten, seine Kritiker unter den Kollegen zu isolieren. Die paar Bekloppten, die einen auf “sauberen Sport” gemacht haben, brauchte im Feld niemand.

Das hätte so weit alles funktioniert, zumal mit der Hauptdroge EPO und den dazugehörigen Techniken ein Mittel Verbreitung fand, das jahrelang erprobt war und bei herausragender Wirkung weitgehend ungefährlich, zumal unter ärztlicher Anleitung. Gäbe es da nicht ein paar ehrgeizige Pharisäer, die ihre krude Vorstellung von Gerechtigkeit durchprügeln mussten, willfährige Medien, die sich wie immer doof gestellt und einer Idiotenmoral das Wort gesprochen haben und andere Konzerne, die einerseits mit dem Sport, andererseits mit dem “Skandal” Kasse gemacht haben.

radspritzeDen Heuchlern in den Redaktionen ist es gelungen, über Jahrzehnte so zu tun, als sei jeder endgültig nachgewiesene Fall ein Einzelfall. Die “Neutralität” der Berichterstattung erfordert halt die fortgesetzte Lüge, wenn man den Zeitpunkt nur lange genug verpasst, sich eine Meinung zu erlauben. Es galt für alle: Der Sport ist sauber, nur die “Sünder” sind es nicht. Gedeckt wurde damit eben ein Business, das denen am Ende der Nahrungskette Leistungsvorgaben macht, den Mehrwert abschöpft und sich neue Sklaven kauft, wenn es mit den alten Ärger gibt. Dass es einigen wenigen Fahrern gelungen ist, dabei selbst zu Geld zu kommen, verleitet zu einem falschen Eindruck. Die große Kohle macht die Industrie, und wer nicht zur Weltelite gehört, wird für die Schufterei äußerst mäßig bezahlt.

Wenn der Sklave Ärger macht

Eine wahre Weltklasseleistung haben einige Sponsoren erbracht wie zum Beispiel die Deutsche Telekom bzw. T-Mobile. Mit Fahrern wie Jan Ullrich, der ungemein beliebt war, sich das Image aufzupolieren, war ihnen sehr genehm. Wie dessen Leistung zustande kam, haben sie wohl gewusst – es sei denn, sie wären wirklich so unfassbar inkompetent gewesen, etwas anderes anzunehmen. Ich schreibe diese Einschränkung hierher, damit man mir keine “Tatsachenbehauptung” unterstellt. Nein, vielleicht ist das T-Management ja auch nur in ein Rettungsboot gefallen.

Als dann allmählich deutlich wurde, dass nicht nur jeder Profi verbotene Substanzen zu sich nimmt, sondern auch die Kontrollen deutlich effizienter wurden, ließ man alle Fahrer eine “Ehrenerklärung” unterschreiben. So wuschen sich also die Befehlshaber rein, während die an der Front jederzeit vor dem Richter landen konnten.

Heute hat diese Farce für Jan Ullrich einen Abschluss gefunden, indem man dem Sportrentner die Teilnahme an Wettbewerben verbietet. Nur die unheilbar Doofen unter den Pharisäern werden dabei hoffen dürfen, dass auch nur eine Pille weniger geschluckt wird. Klar: Man muss schon schwer vor den Schrank gelaufen sein, wenn man heute noch eine Karriere als Radprofi anfängt. Aber man kann ja auch dopen, ohne nachher in einen Becher zu pinkeln. Da, wo alle nehmen dürfen, was sie wollen. Das nämlich ist ehrlicher Sport.