Zum Fest des Einzelhandels zitiere ich aus einem Werk aus den frühen 90ern, leicht getunt und modisch runderneuert:

xmasEs adventet wieder. Oder: es kommt mal wieder nicht so darauf an. Die Bäume, geschundene Metaphern der Jahreszeiten, blinken, lauflichtern oder leuchten schlicht, vereinen abtretendes Leben mit aufstrebendem Handel, zeitgemäß urban, weihnachtlich. Was dem Diesel seine Kerze, dem Menschenkind sein Wein, ist dem Baume seine Lichterkette. Alles glüht und funkelt.

Gibt es eine Wechselwirkung, so frug ich mich neulich im Getümmel, zwischen dem Tragen haariger Tierhäute und dem Sozialverhalten ihrer Trägerinnen? Solche sammeln heute allerlei bunte Waren, wo sie dereinst Beeren pflückten. Dabei Keuchen sie schwer und drängeln, während ihre zeitgemäß am eigenen Halse angebrachten Duftmarkierungen die Konsumkonkurrentinnen betäuben, umso sicherer, je mehr sie vom teuren Zaubersaft aus der Glitzerflasche No.5 ihre Haut benetzen ließen. Gespannt streift der Blick manischen Auges umher, das dahinter liegende Sendeschlussrauschen wird nur vom Kaufimpulspiepsen unterbrochen.

STIHIILLEEE NAAACHT

Erscheint etwas außerordentlich Nutzloses im Blickfeld, an dem eine große Zahl angebracht ist, reagiert das Pelzinnere mit einem Griff in den Lederbeutel, dem Zücken großer bunter Papierscheine und Erleichterung. Das unerträglich angeschwollene Piepsen lässt sich nur so abstellen, um einstweilen seinem Widerhall zu weichen. Nähert man sich den Pelzträgerinnen in einem solchen Moment, kann man das Echo deutlich aus den Ohren klingen hören. In digitalem Weihnachtsglockengebimmel und quadrophonisch verstärkter „stiller Nacht“ geht der Ton allerdings meist unter, soviel auch zur Funktion des Geläuts.

Es ist die Zeit der Banner und Prospekte. Etwa zwei Hektar Wald, geschnitten, gebleicht und auf Hochglanz bedruckt, erfreuen unsere Briefkästen und stimulieren den Piepstrieb. Die Mailbox quillt über, das Fernsehen zeigt junge ausgemergelte Menschen bei ungelenken Simulationen von Geschlechtsverkehr. Sie bedeuten uns, Duftöle zu kaufen, um ebenfalls ungelenke Simulationen haben zu dürfen. Der Alkoholikergesellschaft sehr entgegenkommend, wird so viel von dem Zeug gekauft, dass es nur durch Saufen je konsumiert werden kann.

Die Innenstädte duften nach Feinstaub und SUV. Die Psychiatrien erfreuen sich guter Belegungsquoten. Für den allgemeinen Schund fährt die Müllmafia Sonderschichten. Die meiste Freude aber haben und machen die lieben Kleinen: Ihrer Unersättlichkeit schmiegt der Markt sich an wie Akne der Teenievisage. Unter dem Allesundnochmehr, das Eltern ihnen kaufen müssen, befinden sich immer perfektere Ästhetikgeneratoren aus Plastik, von manchen in rührender Naivität “Puppen” genannt. Sie können heute laufen, rülpsen, Kinder kriegen (per autochirurgischem Kaiserschnitt), blinken, musizieren, sind Ipod-kompatibel und generieren automatisch einen Facebook-Account, sobald man sie der Packung entnimmt.

HEIL LIGE NAAAAACHT!!1!

So etwas ist ungeheuer reizvoll für die degenerierten Kids. Noch ehe man entdeckt, wieviel abscheulicher Schwachsinn tatsächlich als batteriefressende Multifunktion aus den Dingern hervor quillt, hat man den Gedanken schon verdrängt. Einwände wie „Entfremdung“ oder „groteske Ausbeutung der kindlichen Psyche“ sind unweihnachtlich und werden als Geschäftsschädigung abgemahnt..

Dass der Reiz bald ausgeschöpft ist, bedarf keiner Erwähnung, nur sei hier vor Nebenwirkungen gewarnt: Hatte sich doch der Säugling, eigentlich Tochter eines guten Bekannten von mir, in der Lichterkette des Weihnachtsbaumes verfangen, um alsdann in einem Verwechslungsdrama von ihrer großen Schwester in Seifenlauge getunkt zu werden. Das Baby sollte sich dadurch in eine veilchenfarbene Meerjungfrau verwandeln. Der Irrtum wurde auch nicht bemerkt, als das Baby, einmal vom Weihnachtsbaum entfernt, nicht mehr leuchtete.

Solche Kollateralschäden sind alternativlos, denn wer würde heute noch ernsthaft die Auswüchse des Zuspätkapitalismus kritisieren wollen, der in seinem christlichen Jahreshöhepunkt näher an seinem Ursprung ist als er glaubt. Vielleicht verlagert sich das Ganze ja, der Massenpsyche gerecht, eines Jahres auf den Karfreitag – man kann sich von so viel Schuld freikaufen, dass es eine Freude sein wird. Dann schlagen wir ein Männlein ans Kreuz, auf dass es nicht rutscht und schlachten und büßen, was das Zeug hält und geben’s uns hart und kaufen uns viel, bis zur final rektalen Erlösung. „Der Leib Christi.“
Amen.