Die Verfasser haben sich generell recht gründlich mit dem Problem gesellschaftlicher Macht und ihrer Verteilung befasst. Im Gegensatz zu den frühen Grünen, die auf eine Trennung von Amt und Mandat setzten – eine Maßnahme, die nur intern ansetzte und dann auch noch ausgesetzt wurde, setzt die Linke auf eine Art erweiterter Gewaltenteilung, um die Konzentration illegitimer Macht einzuschränken. Erstens ist die genuin politische Macht breiter anzulegen:

Ein politischer Richtungswechsel lässt sich nicht allein auf parlamentarischer Ebene durchsetzen. Er kann nur gelingen in einem Wechselspiel politischer Auseinandersetzungen im außerparlamentarischen und im parlamentarischen Bereich. [...] Deshalb muss die repräsentative parlamentarische Demokratie durch direkte Demokratie erweitert werden.

Zweitens muss die Rolle der Parlamente gegenüber den Regierungen bzw. der Exekutive gestärkt werden:

Gewalten-Teilung

Die Parlamente müssen durch die Regierungen nicht nur frühzeitiger und umfassender über die
Entscheidungsvorbereitung informiert, sondern auch in sie einbezogen werden. Die
parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit ist zu qualifizieren. Positionen von Gewerkschaften,
Sozial-, Umwelt-, Verbraucher-, Mieter- und Behindertenverbänden,
Selbsthilfeorganisationen und demokratischen Bewegungen müssen frühzeitig gehört
werden. Die Rechte der Ausschüsse und Abgeordneten auf Unterrichtung und Akteneinsicht
sind zu stärken. Das Europäische Parlament muss ein eigenständiges Initiativrecht erhalten.

Drittens ist die Macht in den Institutionen (z.b. Gerichten) besser zu verteilen:

Die Bestellung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten soll ausschließlich durch Richterwahlausschüsse erfolgen. Dabei ist sicherzustellen, dass die ausgewählten Kandidatinnen und Kandidaten alle gesellschaftlichen Schichten angemessen repräsentieren.

Dies ist das Gegenteil jener Machtballung, die sich in einer kleinen Kaste oberster Parteifunktionäre und Wirtschaftsbosse bzw. Eigentümer ereignet. Dass viertens die Macht qua Eigentum ebenfalls eingeschränkt gehört, wurde bereits angesprochen.

Dies ist recht konkret formuliert die “breite gesellschaftliche Basis”, ein Demokratieverständnis, das auf Parlamentarismus ebenso setzt wie auf die Einbeziehung sozialer Bewegungen, das Ausgleich und Gerechtigkeit sucht und ausdrücklich die Macht von Regierungen und Eigentümern beschränkt – zumal die der Lobbyisten, die diese Herrschaften zusammenschweißen. Dieses Demokratiekonzept geht weiter als alle anderen Parteiprogramme, und wer künftig behauptet, “die Linke” stehe in der Tradition der SED, meint jedenfalls nicht das Programm, das sich deren Mitglieder und Delegierte gegeben haben.

Vom Programm zur Politik

Im Programm finden sich darüber hinaus konkrete Antworten auf aktuelle Fragen der Gesellschaft wie die Forderung nach Netzneutralität, Beschränkung digitaler Eigentumsrechte, Abschaffung der Geheimdienste, dezentraler Nahrungsmittelproduktion und Energieversorgung sowie höherer Transportpreise. Umstrittene Positionen wie die zum bedingungslosen Grundeinkommen werden offen gelassen. Das Ganze steht im Zeichen einer klaren Linie zur Stärkung der Rechte der Bürger und deren Teilhabe an der Organisation ihrer Gesellschaft.

Wären Parteien identisch mit ihrem Programm, man könnte womöglich sogar die SPD wählen. In “die Linke” könnte man sich glatt verlieben. Was an parlamentarischer Demokratie zu haben ist, die das Primat der Politik wahrt und Macht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln einschränkt, hat die Partei sich ins Programm geschrieben. Das ist absolut auf der Höhe der Zeit, lässt Raum für Entwicklung und gibt den Begriffen Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit einiges von der Bedeutung zurück, die der Neoliberalismus zu zerstören versucht hat. Es kommt jetzt allerdings darauf an, die Amts- und Mandatsträger auch darauf festzulegen, dieses Programm zu verwirklichen. Mit “Koalitionspartnern” wie Herrn Sarrazin wird das sicher nicht zu machen sein.