Die SPD hat in diesen Tagen erkannt, daß nicht nur die untreuen Wähler gegen sie sind und lieber zu Hause bleiben, sondern auch das Wahlrecht dem Gegner in die Hände spielt. Wie ich schon vor einem Jahr orakelte, werden die Überhangmandate den Wahlausgang für die Sozen noch schlimmer machen, als er ohnehin schon wird. Und weil die SPD das jetzt auch einsieht, gefällt ihnen das Wahlrecht, von dem sie lange profitiert hat, plötzlich gar nicht mehr.

Daß es schon lange verfassungswidrig ist, hat bislang nicht gestört. Ob ein Gesetz im Einklang mit der Verfassung steht, ist nicht weiter wichtig für eine Volkspartei. Genau wie beim Vertrag von Lissabon kommt es nur darauf an, ob die Interessen gewahrt sind und man das irgendwie hingebogen bekommt. Darum ist die Freude über das Urteil des BVerfG auch so groß – bei denen, die einmal mehr in die Schranken gewiesen wurden.
Sie dürfen ihr EU-Gemauschel jetzt auf andere Weise voranbringhen. Na gut, fragen wir halt das Parlament, das muß jetzt ohnehin zustimmen, denn die Sache ist in den Fraktionsspitzen ausgemacht, da gibt es dann nichts mehr zu diskutieren.

Auf das Resultat des Prozesses hat das Verfahren keine Auswirkung mehr. Und wer meint, mit dem heutigen Urteil sei das Parlament aufgewertet worden, irrt in vielfacher Hinsicht. Denn zunächst einmal wurde es abgewertet und umgangen. Wenn dies teilweise rückgängig gemacht wird, ist noch gar nichts gewonnen. Im nächsten Schritt werden wir erleben, wie die Zustimmung zu einem weiteren “alternativlosen” Beschluß organisiert wird. Das Parlament tagt zwar, aber es fungiert nicht. Da wird nicht gestritten, nicht einmal beraten, da wird abgenickt.
Diese nächste Demütigung wäre nur zu verhindern gewesen, wenn der Bundestag vorab gefragt worden wäre. So aber gerät er zur Karikatur seiner selbst.

Von “Parlamentarismus” zu sprechen, fällt einem in diesem Theater schon lange nicht mehr ein, und auch die Verfassungstreue bundesrepublikanischer Politikmanager ist längst sprichwörtlich. Die Sprichworte dazu kommen immer häufiger, in immer kürzeren Abständen aus Karlsruhe. Die Reaktionszeiten auf die Roten Karten verlängern sich derweil in ähnlichem Maße. Das Recht, die Wahlen, das Parlament, dies scheinen verzichtbare Güter zu sein, wenn die inneren Zirkel der Macht tagen. Denen wiederum scheint das Gewissen der Parlamentarier unmittelbar verpflichtet.
Es ist zwar einmal mehr zu begrüßen, das wenigstens die höchsten Richter noch wissen, was eine Gewaltenteilung ist. Solange der parlamentarische Geist aber einen großen Bogen um den Bundestag macht, können sie entscheiden, was sie wollen. Es bleibt bei der Herrschaft der Hinterzimmmer.