Als letzten Nachschlag zum Thema der vergangenen Tage ist ein Kampf zu erwähnen, der nicht zu Wasser und nicht zu Land geführt wird, aber die Fortsetzung dessen ist, was bereits als “Landraub” bezeichnet wurde und witziger Weise als “Piraterie” gilt.
Die Ausdehnung der Eigentumsverhältnisse macht nirgends halt. Es werden einzelne Buchstaben und bestimmte Farben als “Marke” veranschlagt, und wer sie benutzt, muß mit dem finanziellen Ruin rechnen. Es werden “Regeln” für die private Kommikation in einem öffentlichen Medium aufgestellt, und wer sich nicht daran hält, bekommt Post vom Anwalt. Das Land ohne Land, “Internet” genannt, ist Schauplatz der postmodernen Schlachten um Recht und Freiheit.

Hauptakteur auf der einen Seite sind “Rechteinhaber”, die für die Verbreitung ihrer Produkte Geld fordern. Sie haben “Urheber” von Musik, Film und Text unter Vertrag, kaufen ihnen ihre Rechte ab und versuchen, diese in finanziellen Gewinn umzumünzen.
Auf der anderen Seite stehen ihnen Menschen entgegen, die solche Rechte nicht akzeptieren oder sie aus anderen Gründen nicht achten. Es ist offenbar, daß die Behauptung dieser Rechte nicht ausreichend legitim erscheint, da Millionen sich nicht darum scheren. Brave Bürger, die nie einen Ladendiebstahl begehen würden.
Ihr Antrieb ist dabei nicht allein die Anonymität und das geringe Risiko, erwischt zu werden, wie häufig argumentiert wird. Ihr Tun wird vielmehr als legitim betrachtet. Nicht zuletzt, ganz unbewußt, als legtitime Revanche an all denen, die mit ihren Lizenzen, Patenten und Geldmassen die großen Geschäfte unter sich ausmachen, während der Masse nur die Krümel übrig bleiben.

Sie treibt das Gefühl, für alles bezahlen zu müssen, was sie als ungerecht empfinden. Sie finden es nicht ungerecht, einem kleinen Bäcker das Brot zu bezahlen. Sie finden es aber ungerecht, für Sprit, Strom, Gas und alles Mögliche ihre paar Kröten raushauen zu müssen, die bei anonymen Großverdienern landen, welche schon mehr als genug davon haben. Sie haben das Gefühl, daß es ungerecht zugeht in der Welt des Geschäfts und fühlen sich als Opfer. Vielleicht ahnen sie gar, daß sie nur stillhalten, solange sie gut unterhalten werden. Wenn schon nicht finanziell und sozial, dann aber wenigstens durch Entertainment. Sie sehen es nicht ein, sich auch dafür noch über Gebühr schröpfen zu lassen und empfinden Freude daran, sich ein bißchen suvbersiv zu verhalten. Sie kopieren, laden sich etwas runter und machen sich ein paar entspannte Stunden – kostenlos.

Ganz heimlich genießen sie dabei die Unterstützung derer, die sich in den unendlichen Weiten des großen Netzes auskennen und dem Establishment die Hölle heiß machen. Haben die nicht recht? Ist es nicht nur gerecht, den großen Profiteuren ein Schnippchen zu schlagen, sie aus dem Hinerhalt anzugreifen und ihre Ladung zu plündern? Das tut ja nicht einmal weh. Und ist es nicht umso gerechter, für die Freiheit der Information und den Schutz der Kleinen vor den Großen zu kämpfen, wenn letztere in der wirklichen Welt schamlos ehrliche Angestellte bespitzeln? Ist es nicht ein legitimer Freiheitskampf, wenn die Macht der Mächtigen noch irgendwo in die Schranken gewiesen wird?

Der Kampf ums Internet, so ahnt die breite Masse, ist einer um die Frage, wer wen in die Schranken weist. Die totale Kontrolle aller Lebensbereiche könnte das Resultat sein, wenn Großkonzerne und Sicherheitsfanatiker auch hier noch das Sagen haben. Was wäre der größere Schaden für die Demokratie: Wenn einige windige Gestalten illegal an den Produkten anderer mitverdienen oder wenn überbordende Kontrollen die Freiheit der Kommunikation zunichte machen? Der Erfolg der Piraten und ihrer Partei beruht genau darauf, daß immer mehr Menschen sich diese Frage stellen und sie nach ihrem Empfinden beantworten. Mehr noch: Er beruht auch darauf, daß sie ihren Verstand einschalten und erzdemokratisch ihre Prioritäten setzen.

Es sind beinahe alle Lebensbereiche durchsetzt von finanziellen Forderungen, deren staatlicher Absicherung und einer begleitenden Propaganda, die es fertigbringt, jeden Zweifel an der Begünstigung von Großunternehmen als “Linksrutsch” zu diffarmieren. Es herrscht eine politische Kultur, die ehemals linke Parteien dazu verführt hat, ihrer eigenen Klientel ein roboterhaftes Funktionieren in der Marktwirtschaft abzuverlangen. Sie sollen es als “sozial” betrachten, daß sie ihre Ersparnisse aufzehren, wenn sie arbeitslos werden, während die Versager in den Chefetagen nach horrenden Gehältern auch noch ebensolche Abfindungen kassieren. Sie nehmen das hin, weil sie es nicht anders kennen und sich ihnen keine Alternative bietet.

Im Netz ist das anders: Hier ist alles neu und unbekannt. Hier steht niemand hinter einem und droht mit Entlassung. Keiner sagt einem, was erlaubt ist und was nicht. Das ist erst einmal unheimlich, aber wer es wagt, kann eine Welt entdecken, in der die Sieger und Besiegten nicht von vornherein feststehen. Das bedeutet gerade für den deutschen Michel nicht, daß er sinnlos marodierend umherzieht und permanent die Sau rausläßt. Er mag es gern ordentlich, aber nicht totreglementiert und schon gar nicht mit Parkplatz- und Sittenwächtern an jeder Kreuzung. Einige toben sich aus, aber die meisten lernen die Freiheit bald zu schätzen und gehen recht entspannt damit um. Wer das einmal für sich entdeckt hat, läßt es sich nicht mehr nehmen.

Diejenigen, die ihre Zäune auch noch im Internet hochziehen wollen, werden die Erfahrung machen, daß sie sich damit nur den Pöbel in ihren Vorgarten holen werden. Und zwar im echten Leben.