Ein bißchen mit Kindern spielen
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
24. Mai 2009 23:32
Als hätte es einer Illustration meines gestrigen Artikels bedurft, hat Dieter Bednarz bei SpOn einen derart dümmlich-jovialen Artikel über den Beruf der Erzieherin ins Netz gestellt, daß einem der Kragen rotiert. Das Geschwafel von Ohrstöpseln und Baldrian, die er braucht, um seine “Goldstücke” länger als ein paar Minuten an der “Wickelfront” zu ertragen, mag ja ein schmerzhafter Versuch sein, witzig zu erscheinen. Es verstärkt aber bedauerlicherweise die Wirkung eines inkompetenten Großkotzes, der seiner Minna ein Almosen zukommen läßt und ihr dafür regelmäßig auf den Arsch haut.
Als ginge es bei den aktuellen Protesten und Streiks der Erzieherinnen um Wickelkommoden! Zwar ist der Aufhänger, für eine bessere Gesundheitsversorgung der Mitarbeiterinnen zu sorgen, ein wichtiger Aspekt, dies aber aus juristischen Gründen, da so die Friedenspflicht umgangen werden kann. Tatsächlich ist beides allerdings auch inhaltlich wichtig: Es geht nicht nur um mehr Geld, sondern auch darum zu zeigen, welchen Belastungen Erzieherinnen ausgesetzt sind.
Genau das interessiert Bednarz aber überhaupt nicht. Er formuliert das so:
“Toll, denke ich dann, Petra und Co. dürfen den Vormittag mit unseren Kindern verbringen, während ich mich ins Büro schleppen muss. Wie gerne würde ich dann tauschen.
Aber sagen darf man ihnen nicht, dass man sie beneidet. Da kann selbst die gelassene Petra ganz wuschig werden. Richtig grimmig hat sie mich angesehen, als ich mal geseufzt habe: ‘Ihr dürft mit unseren Kindern zusammensein, und wir müssen arbeiten gehen.’”
Dieser infantile Schwachsinn über wuschige ganz grimmig guckende Petras ist ein Schlag ins Gesicht der Angestellten, die er mit seinem naiven Oberschichtsgelaber zuvor beleidigt hat. Hätte sie ihm das Nasenbein gebrochen und ihn ein Arschloch genannt, ich hätte es verstanden. Aber auch die Selbstbeherrschung angesichts unerträglich dummer und arroganter Klienten gehört zu den Belastungen in dieser Branche.
Die Wirklichkeit des Berufs sieht übrigens auch noch ganz anders aus. Es sind nicht immer die verwöhnten Kinder von FDP-Wählern, mit denen sich das pädagogische Personal herumschlagen muß. Jenseits der Kitas, in der Kinder-und Jugendhilfe zum Beispiel, kommen alle denkbaren und für andere unvorstellbaren menschlichen Abgründe dazu. Auch hier werden Erzieherinnen gnadenlos ausgebeutet. Häufig arbeiten sie auf Stellen für Sozialpädagogen und manchmal sind sie auch noch besser als diese. Mehr Geld gibt es dafür trotzdem nicht. Auch keine gesellschaftliche Anerkennung. Sie bleiben “nur” Erzieherinnen.
Ich denke, wenn man ihnen wirklich sagte, was auf sie zukommt, würden sie sich gar nicht erst für diesen Drecksjob ausbilden lassen. Immerhin ist der Druck inzwischen so groß, daß er sich langsam Bahn bricht. Viele haben schon lange die Nase voll, aber es wie so oft halten sie still: Es ist ihr Job, sie haben oder sehen keine Alternative, und wenn es jahrzehntelang alles schon so war, kann es jetzt ja nicht plötzlich falsch sein. Und immer mal ist eine von ihnen so unvorsichtig zu äußern, daß sie ihren Beruf mag. Das schreiben Leute wie Bednarz natürlich gern mit.
Sie sind nicht allein. Pflegepersonal ist mindestens genauso schlecht dran. Der ganze “soziale Bereich” und “Gesundheitsbereich” lebt von der Ausbeutung seiner Mitarbeiter, vor allem der nicht studierten und vor allem der weiblichen. Und was fällt den Krawattenträgern in den Parlamenten, Instituten und Vorständen ein? Richtig: Den Gürtel enger schnallen und im sozialen Bereich sparen. Der Idealismus der dort beschäftigten Sklaven wird das schon tragen.
Leute wie Bednarz sehen das so: Ihr dürft etwas sinnvolles tun und werdet mies bezahlt, ich muß etwas Überflüssiges tun und bekomme ein sattes Gehalt. Was fühle ich mich schlecht, was seid ihr zu beneiden!
Müssen Menschen, die ein solches Karma ihr eigen nennen dürfen, auch noch gut bezahlt werden?
Natürlich ist es wurscht, ob jemand ein Schwänzchen in der Hose hat oder nicht. Ich will sie alle auf der Straße sehen, Männer und Frauen, je mehr und je länger desto besser. Die Altenheime, Krankenhäuser, Kitas und Sozialeinrichtungen sollen so lange dicht machen, bis sich wirklich etwas ändert in dieser Republik. Dazu brauchen wir allerdings vor allem mutige Frauen, die sich nicht auch noch für die letzte Konsequenz der untragbaren Zustände verantwortlich machen lassen.
Laßt euch nicht suggerieren, die Leidtragenden solcher Streiks seien eure “Opfer”. Sie sind wie ihr einfach Kostenfaktoren, die klein gehalten oder eliminiert werden müssen.
Mai 24th, 2009 at 23:49
Was wir brauchen, ist ein Generalstreik.
Mai 25th, 2009 at 00:11
Da ballt sich einem wirklich die Faust in der Tasche, wenn man so ein Dummgeschwafel liest, aber es zeigt nur welch eine Geringschätzung insbesondere die sozialen Berufe unter der neoliberalen Kutte erfahren – und damit zeigt sich hier die ganze inhumane Fratze dieses Systems. Dienst am Menschen ist für diese Technokraten etwas, was sie überhaupt nicht verstehen, denn das lässt eben nicht in irgendwelchen Kurven und Diagrammen erfassen und bis ins Detail penibel rationalisieren.
Im Übrigen spiele ich mit dem Gedanken als zweiten Beruf tatsächlich den Erzieher zu erlernen (ja, es gibt doch noch Idealisten, die Berufe nach eigener Neigung wählen), aber unter diesen Bedingungen ist das wirklich ein Wagnis im Allgemeinen einen Beruf zu ergreifen, der im sozialen Bereich ausgeübt wird und ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich derart altruistisch und masochistisch veranlagt bin…
Mai 25th, 2009 at 02:32
[...] Seite feynsinn.org ist bereits in unserem Filter enthalten und wird als ‘Standard gesperrt‘ [...]
Mai 25th, 2009 at 02:36
Nur mal eine Frage, falls da jemand mehr weiß: Hat dieser Dieter Bednarz irgendetwas zu tun mit dem legendären Klaus Bednarz, der Ikone des investigativen Journalismus bei “Monitor”, der meine “revolutionäre Jugend” so maßgeblich begleitet hat?
Mai 25th, 2009 at 02:53
[...] “Ein bisschen mit Kindern spielen” bei Feynsinn — der Lesebefehl des Tages! [...]
Mai 25th, 2009 at 03:27
“Dienst am Menschen ist für diese Technokraten etwas, was sie überhaupt nicht verstehen, denn das lässt eben nicht in irgendwelchen Kurven und Diagrammen erfassen und bis ins Detail penibel rationalisieren.”
Gemacht wird genau DAS aber trotzdem. Was dabei herumkommt, lässt sich jeden Tag überall in dieser Republik beobachten.
Mai 25th, 2009 at 07:52
Link zum Buch
Der Artikel ist wohl mehr als Werbeschrift für sein Buch zu verstehen, die er im Spon veröffentlichen darf.
Auch ein Thema, wie das eigentlich zu beurteilen ist…;-)
Was mich an solchen Artikeln am meisten nervt (und das zunehmend), dass niemand mehr klar Stellung beziehen will.
Ein wenig Verständnis heucheln hier, ein wenig Ablenken dort, am Ende steht eine Einzelmeinung als dargestellte Wirklichkeit, die den Kern der Sache nicht trifft. Warum die Erzieherinnen streiken, bleibt hier völlig balanglos, die eigenen Probleme sind wichtiger und stehen im Vordergrund.
Das mag bei jedem von uns irgendwie so sein, aber wenn ich ernsthaft über eine Thema schreiben will, sollte doch das mindeste Bemühen sein, das große Ganze zu sehen und nicht die eigenen Karrieresicht in den Vordergrund zu stellen.
Das Problem sehe ich nur darin, das anscheinend die Mehrheit diese kleine Sichtweise lieber liest, als sich mit dem großen Ganzen beschäftigen zu wollen.
Mai 25th, 2009 at 11:25
Hallo Feynsinn,
als gelernte Erzieherin (1976 staatliche Anerkennung, vor der Erzieherausbildung 2 Jahre als Schwesternschülerin tätig ) kann ich Ihren Zorn nur teilen.
Schon immer privat und beruflich mit dem sich ständig verändernden Sozialsystem konfrontiert sehe ich in den letzten 15 Jahren eine Zunahme des Handlungsbedarfs im Sozialbereich, während das staatliche Engagement deutlich zu Gunsten Privater Anbieter zurückgeht. Einhergehend damit verkommt “Sozialarbeit”
zu einem Wirtschaftstitel. Hier geht es einzig und allein um Kosten, auch Sozialarbeit muss sich schließlich “rechnen”. Ich kann es mir “leisten”, meine Sozialarbeit für mich und die Menschen mit denen ich Umgang habe noch im ürsprünglichen Sinne zu gestalten und kann mir Zeit nehmen dazu, denn ich arbeite inzwischen “nur” noch ehrenamtlich und muss mich nicht täglich unsinnigen Dingen wie “Qualitätsmanagement” hingeben. In meinen Augen ist auch das so genannte QM mit ein Grund, warum in der sozialen Arbeit Menschen sich immer ausgegrenzter fühlen. Solche Dokumentationen haben inzwischen einen zeitlichen Umfang angenommen, dass für die eigentliche “Arbeit” kaum noch Zeit bleibt.
Wir haben unsere Arbeit während meiner Schwesternzeit, wie auch während meiner Erzieherinnentätigkeit immer dokumentiert, doch dies diente unserer Arbeit, nicht irgendwelchen Statistiken oder wem auch immer (Kontrolle?!). Ich bin sehr wütend, wie in unserem Land mit Menschen umgegangen wird, die unsere Hilfe und unser Mitgefühl nötig haben. Ich bin sehr wütend, wie mit unseren Kindern umgegangen wird, wie sie ausgebeutet werden von Konzernen und ach so “sozialen” Stiftungen. Wie kann ein Staat, Exportweltmeister! werden auf Kosten seiner Kinder, seiner Bevölkerung! Ich schätze die Arbeit der “Tafeln”, noch lieber wäre mir, sie wären erst gar nicht notwendig.
Um nochmal auf die Arbeit von Erzieherinnen zu kommen. Ich habe in einem Sozialen Brennpunkt gelernt und gearbeitet. Damals hatten wir noch genügend finanzielle Mittel (70iger Jahre) und
konnten eine erfolgreiche Arbeit leisten, gemeinsam mit den Bewohnern einer Obdachlosensiedlung. Ja, so etwas war möglich, wenn man sich bemüht um gegenseitigen Respekt und sich mal zuhören kann.
Inzwischen haben wir wohl mehr Gelder in die Organisation von Sozialarbeit, nebst entsprechender Werbung und Hochglanzbroschüren gesteckt, dass für die eigentliche Aufgabe immer weniger finanzeille Mittel zur Verfügung stehen.
Kein Wunder, wenn Menschen in der Sozialarbeit “ausgepowert” sind, sollen sie doch den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit ihrer Arbeit vollziehen, die inzwischen mehr den betriebswirtschaftlichen Zwängen als einer menschlich und sozial zu vertretenden Arbeit folgt.
All das zwingt uns auf die Straße, lässt uns
immer unruhiger werden.
Menschen wie Herr D.Bednarz gibt es leider viele, sie werden sich eines Tages in absoluter Minderheit wiederfinden. Denke wir erleben gerade eine Zuspitzung der Dinge, die vermutlich notwendig ist (war) um endlich ein Umdenken in unserer Gesellschaft zu erreichen.
Zeigen die “Übertreibungen” (Spekulationsblasen) nicht deutlich, wie sehr sich dieses System gerade selbst an die Wand fährt? Lange lässt sich das nicht mehr “kaschieren”, da bin ich mir absolut sicher, da helfen auch keine noch so beschönigende Worte anlässlich der 60 Jahresfeier.
Es lohnt sich für unsere Würde und unsere demokratische Freiheit (die man täglich dem Mammon opferte) aufzustehen und sie zu verteidigen. Ich bin dabei und viele folgen mir.
Das lässt mich hoffen. Ich möchte auch hier einmal Rückmeldung geben, bin gerne auf Ihrer Seite und freue mich, dass mir jemand so voll aus dem Herzen spricht.
Mit freundlichen Güßen,
Inge aus Koblenz
Mai 25th, 2009 at 13:10
ich werde den verdacht nicht los, das der spiegel seine schreiberlinge direkt aus den springer-bootcamps rekrutiert! ich stell mir diese als journalistisches pendant der “terrorcamps” im nahen osten vor.
ansonsten wieder mal sehr guter artikel. respekt!
Mai 25th, 2009 at 16:38
Wenn ich an der Stelle jener Petra oder Regina gewesen wäre, denen dieses verkommene Subjekt seine dümmlichen Phrasen entgegen geworfen hätte, ich hätte in samt seiner verzogenen Bälge freundlich aber direkt des Hauses verwiesen.
Und weiterhin sei gesagt, das wenn er bei 3 kleinen Kindern schon “Baldrian und Ohrenstöpsel” braucht, die Pubertät selbiger ein Riesenspaß für alle Beteiligten wird.
Und wenn dieser Bednarz so gerne bei seinen Kindern ist so sei ihm nahegelegt, sich ganztags um seine Kinder zu kümmern. Dann müsst er auch nicht mehr ins Büro und der Welt bleibt sein dümmliches Gelaber erspart
Mai 25th, 2009 at 19:26
Kann mir mal jemand erklären, wie unsere Eliten beabsichtigen, die führende Wirtschafts- und Forschungsmacht des 21. Jh. zu werden, geschweige denn auch nur den Status quo als Wirtschafts- und Forschungsmacht zu erhalten, wenn wir unsere “human resources” nicht vernünftig pflegen?
Beim ungehemmten Wettbewerb jeder gegen jeden und jedes Land gegen jedes andere Land verlieren hinterher alle, wenn nämlich alle ihres Sozial- und Bildungssysteme herunterfahren, um der Wirtschaft (Steuern)=Kosten zu sparen, dann haben wir hinterher eine Welt voller Idioten, die nix mehr können außer in Steinzeitmanier jagen zu gehen.
Erinnert mit irgendwie an den Niedergang des röm. Reiches:
- sich bereichernde Eliten, das Land jener röm. Agrarwirtschaft war damals fast ausschließlich in Hand der Führungsschicht
- sich ausbreitender Bildungsmangel (jaja, die Christen mochten halt die alten Philosophen und Mathematiker nicht, die beweisen konnten, dass die Sonne sich NICHT um die Erde dreht)
- die wachsende Notwendigkeit von Sozialhilfe (hieß damals: Kornspeisung, eine Getreidebrei-Mahlzeit, vom röm. Staat bezahlt, damit die ärmsten Römer nicht verhungerten)
Links dazu:
https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6misches_Reich#Das_Ende_des_antiken_Imperiums
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCcherverluste_in_der_Sp%C3%A4tantike
https://de.wikipedia.org/wiki/Antike
Mai 25th, 2009 at 22:42
@10/dopaminblocker:
Da halte ich es mit flatter – ich hätte für die Dame gespendet, wenn sie wegen Körperverletzung (gebrochenes Nasenbein) eine Strafanzeige an den Hals bekommen hätte.
Aber das hat Mode. Wer sich im sozialen Bereich engagiert, der “will es ja so”, und den muß man auch nicht gut bezahlen – diese markigen Sprüche habe ich gerade in meinem Umfeld mitbekommen. Führungskräften dagegen muß man das Geld nur so in den Allerwertesten blasen, sonst sind die womöglich noch unmotiviert …
Ich kann nur sagen, Typen wie diesem Bednaz würde ein gebrochenes Nasenbein mal gut tun. Dann hielten sie vielleicht mal eine Weile den Sabbel. Ich habs ausprobiert (allerdings nicht, weil ich das Maul aufgerissen hätte, ein ordinärer Autounfall tats auch). Und dann paßt er mal ein paar Tage auf seine Kleinen auf.
Juni 3rd, 2009 at 13:11
komme gerade nochmal auf deinen Artikel hier zurück und möchte gerne 2 links einbringen, die ich gerade bei mir verarbeitet habe:
1.) artikel in der nrhz
Bertelsmann und die Kinder von Ulla Wesseler.
2.)Blog der Autorin:
https://www.kinderwarte.de/