Christoph Seils gibt sie auf, die gute Agenda, die ihm doch so sehr ans Herz gewachsen war. Nachdem er den neoliberalen Kurs der Regierungen Schröder und Merkel lange mit Zähnen und Klauen verteidigt hat, um sich zuletzt in eine blinde Verehrung des Finanzkrisensymptoms Steinbrück zu flüchten, geht ihm nunmehr ein laues Lichtlein auf. Seine satte Kehrtwende legt er in die Worte:

Die “Marke” Hartz IV ist verbrannt. Was von der ursprünglichen Idee noch übrig ist, lässt sich politisch nicht mehr gestalten. Wenn die künftige Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik einerseits wieder handlungsfähig werden und anderseits die Langzeitarbeitslosen von dem Stigma befreien will, wird sie das Arbeitslosengeld II wieder abschaffen müssen.”

Nun haben wir ihm das schon seit Jahren einbleuen wollen, aber späte Erkenntnis ist allemal besser als gar keine. Er muß sie sich freilich so zurechtlegen, daß er sie noch erträgt und analysiert:

Es würde angesichts von drohenden Massenentlassungen auch gar keinen Sinn machen, den Druck auf Arbeitslose weiter zu erhöhen. Die Hartz-IV-Reform konnte ihre Wirkung, wenn überhaupt, nur in der Aufschwungphase entfalten.

Wirklich überraschend an diesem Satz ist das “Wenn überhaupt”, das Zweifel am eigenen Kurs impliziert. Sollte es so gemeint sein, Respekt! Ich zweifle allerdings daran, daß ein eindeutig positionierter Schreiber wie Herr Seils wirklich so etwas wie einen kritischen Geist entwickelt. Ich glaube eher, daß er auf den nächsten Zug bürgerlich-liberaler Arbeitspolitik wartet, um dort aufzuspringen und ordentlich anzuheizen. Wie dem auch sei – geben wir ihm eine Chance!

Die Sprachregelung, sollte sie sich denn durchsetzen, ist akzeptabel und überzeugend. Spätestens in einer Rezession sollte die Vokabel “Eigenverantwortung” im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit aus der öffentlichen Debatte verschwinden. Der Markt, die Wirtschaft, die Gesellschaft müssen neu organisiert werden, nicht der Eifer der Betroffenen.
Diese Atempause, die sich selbst die zahlreichen Ruinen der neoliberalen Presse also gönnen können, in der sie ihre Hatz auf die Hartzer einstellen dürfen, sollte ein wenig zur Klarstellung der wahren Verhältnisse beitragen. Vielleicht fällt es dann beim nächsten “Aufschwung” nicht mehr ganz so leicht, die Verlierer des Grand Prix du Capitalisme pauschal als “Sozialschmarotzer” zu beschimpfen.