Ja, Qualitätsjournalismus!
Posted by flatter under JournalismusKommentare deaktiviert
12. Mai 2009 0:35
Miriam Meckel beschwört in der FAZ einmal mehr den “Qualitätsjournalismus”. Sie beschreibt ganz richtig und treffend, was diesen ausmacht und wie nötig er ist. Allerdings scheint sie zu glauben, es gäbe ihn tatsächlich.
Ihre kryptische Einleitung mag ich nicht kommentieren, ich habe keine Lust, sie zu verstehen. Mit ihr geht es mir ähnlich wie mit Heidegger: Eine Kritik ist zu aufwendig, wenn sie sich durch meterdickes Geschwurbel fressen muß.
Wo sie zur Sache kommt, mag ich ihr beinahe zustimmen:
“Bislang ist es der Journalismus, der die Menschen mit Neuigkeiten aus der Welt versorgt, sie durch gut recherchierte und erzählte Geschichten interessiert und fasziniert. Das bringt zum Beispiel nicht nur dem Leser einer Tageszeitung oft ein Lesevergnügen, es sorgt auch für die soziale Synchronisation unserer Gesellschaft. Journalisten beobachten die Welt mit der Aufgabe und Zielsetzung, das Ergebnis ihrer Beobachtung professionell aufzubereiten und es als Nachricht, Bericht oder Reportage wieder in die Gesellschaft einzuspeisen. Diese Informationen machen es möglich, uns in einer komplexen Lebenswelt zu orientieren, uns der eigenen Zugehörigkeit zu dieser Welt zu vergewissern, indem wir uns aus einem Informations- und Themenfundus bedienen, der diese Komplexität reduziert und Momente der gesellschaftlichen Verständigung generiert.”
“Der Journalismus” versorgt die Menschen mit Neuigkeiten. Das ist so weit in Ordnung, allerdings sind das in erster Linie die Agenturen, die da “Journalismus” sind. Eine tolle Einrichtung, ganz zweifellos.
Durch “gut recherchierte und erzählte Geschichten” fasziniert Journalismus, und zwar umsomehr, als daß man solche Perlen kaum mehr findet. Was vielleicht einmal die Regel war, in den besten Zeiten des “Spiegel” etwa, ist zum publizistischen Lottogewinn geworden. Gut recherchiert? Wo sind denn die großen Aufreißer geblieben? Was wird denn noch enthüllt und akribisch dokumentiert? Wenn der Wallraff zur Schreibmaschine greift, wird die Gazetten- und Magazinmischpoke doch grün vor Neid.
Gut erzählt? Meinen wen? Wenn mich eines in die Blogs treibt, sind es Schreiber, die etwas zu erzählen haben oder eine Art, die beeindruckt. Stil wird dort geprägt. Die FAZ weiß das am allerbesten, kauft sie doch nach Art von Bayern München die besten Spieler der Konkurrenz auf und glaubt, sie hätte den Fußball zeitgemäßen journalistischen Anspruch erfunden.
Putzig ist die Behauptung, Journalismus reduziere Komplexität. Was Meckel da abliefert, ist gerade einmal das Gegenteil, soll aber ja vielleicht auch gar kein Journalismus sein. Was meint sie sonst? Daß komplexe politische Zusammenhänge auf die Einheitsmeinung zurechtgestutzt werden?
Ihre Beschwerde über die “Google-Recherche” geht schließlich völlig an allem vorbei, worüber zu schreiben sie vorgibt. Es stimmt ja, daß der Fall des angeblichen “United-Airlines”-Konkurses ein peinliches Beispiel miserabler Recherche ist. Aber was lehrt uns das? Daß der Verursacher schuld ist und alle, die von ihm abgeschrieben haben, die sonst die Agenturberichte kopieren, dessen wehrlose Opfer?
Ganz im Gegenteil: Wer die Suchmaschine bedienen kann, entlarvt solchen Blödsinn sofort, sofern er sich denn ein gesundes Mißtrauen bewahrt hat. Tatsächlich sind “Google und Co.” gerade für die Recherche ein wunderbares Geschenk. Sie ersetzen sogar in vielen Bereichen eine mühsame Recherche in Archiven. Das heißt freilich nicht, daß es für guten Journalismus damit getan wäre.
Qualitätsjournalismus kann alles: Die schnelle und dennoch intensive Recherche im Intenernet genauso wie die Pflege von Kontakten, fähige Korrespondenten und die Kunst des Telefonierens, das präzise auf den Punkt Kommen wie eine sprachliche Qualität, die das Lesen zum Genuß macht.
Wo sind sie aber denn, die großen Journalisten, die sich mit solchen Federn schmücken können? Wo werden sie denn dafür ausgebildet? In einem Bachelorstudium “Journalismus”?
Wir hier draußen machen nur Spaß. Manche mehr, manche weniger. Unsere Leser sind gnadenlos: Wem wir keinen Spaß mehr machen, der geht woanders spielen. Wir wissen das. Was am allerwenigsten hilft, ist eine beleidigte Publikumsbeschimpfung oder die Beschuldigung böser Mächte, die uns die Kunden stehlen.
Alles, was uns hilft, ist die Einlösung des unausgesprochenen Versprechens auf eine eigene Qualität. Ein hartes Brot, fürwahr. Na und?
Der einzige Rat, ich den selbsternannten “Qualitätsjournalisten” geben kann, geht in fünf Worte:
Hört endlich auf zu jammern!
Mai 12th, 2009 at 05:08
der von dir zitierte abschnitt von miriam meckel liest sich für mich wie die einleitung zu einem hauptseminarreferat, daß habermasisch einen idealzustand entwirft, wobei dieser mit der realität verwechselt wird. diesen von meckel beschriebenen journalismus gibt es doch längst nicht mehr.
Mai 12th, 2009 at 07:21
Ein Artikel mit Qualität. Danke.
Mai 12th, 2009 at 08:39
“Wie lässt sich ein professionell angelegter Qualitätsjournalismus noch finanzieren, wenn Informationen im Netz zur Commodity werden und kostenlos zu haben sind?”
Indem man Qualität abliefert, für die Leute bereit sind, zu zahlen, Frau Meckel.
Mai 12th, 2009 at 08:55
Man nennt es Journalismus,
doch Propaganda ist es.
Das Weltbild der
Eigentümer,
des Eigentums,
wird propagiert.
Macht herrscht.
Ohnmacht konsumiert.
Mai 12th, 2009 at 09:32
Am schlimmsten finde ich das Argument der “sozialen Synchronisation unserer Gesellschaft”, da bekomme ich das kalte Grauseln. Wenn Zeitungen sich darüber definieren, dass sie nur die Mehrheitsmeinung vertreten und alle Abweichungen unberücksichtigt lassen, dann brauchen sie sich nicht wundern, wenn keiner mehr dafür bezahlen will. Warum soll ich Geld dafür ausgeben, überall dasselbe zu hören oder zu lesen?
Mai 12th, 2009 at 10:46
Was kommen wird, wenn es nach meiner Phantasie geht, ist ein Journal auf elektronischem Papier. Das e-Paper ist ja bereits in der Entwicklung. Ich lade mir über Nacht die Photos und Texte der Autoren herunter die mir etwas zu sagen haben und Vergnügen bereiten. Den Umfang des Journals und damit den Preis des Abonnements bestimme ich selbst. Ich bestimme, ob ich null, drei oder uneingeschränkt Werbeangebote zulassen will. Die Autoren werden exakt entsprechend der Nachfrage nach ihrer Geistesarbeit bezahlt. Hier will ich mal bremsen und nur noch usw. einfügen…
Was mich zu solchen Phantasien treibt, ist der tägliche Napf Schweinefraß, der mir von Propagandaschreibern ohne Talent und Inspiration hingesetzt wird und für den mir selbst der Fußtritt zuviel Anstrengung abverlangt. Ja, ich wünsche denen, die tagtäglich gesellschaftliche Mindeststandards als unfinanzierbar diffamieren die Unfinanzierbarkeit. Und vielleicht etwas Zusatzeinkommen durch Gartenarbeit.
Mai 12th, 2009 at 11:05
Wenn mich eines in die Blogs treibt, sind es Schreiber, die etwas zu erzählen haben oder eine Art, die beeindruckt. Stil wird dort geprägt
Das empfinde ich ganz genauso. Viele Journalisten bei “großen Zeitungen” schreiben entweder Agenturmeldungen ab oder sind bezahlte Schreibhuren, die nur Propaganda betreiben. Das ist weder interessant, geistreich, noch erkenntnisgewinnend – sondern schlicht und ergreifend widerlich und langweilig.
Mai 12th, 2009 at 11:11
“Was meint sie sonst? Daß komplexe politische Zusammenhänge auf die Einheitsmeinung zurechtgestutzt werden?”, fragen Sie.
Genau darin liegt die Aufgabe der “Schreiberlinge” in Mainstream-Medien.
In diesem Zusammenhang fällt mir Walter van Rossum ein. Er sagte in einem Interwiev mit Reinhard Jellen am 28.04.2009 auf telepolis:
. . . “Darüber könnte ich jetzt zwei Stunden reden. In der Kurzfassung handelt es sich um einen komplexen Mix aus Charakterlosigkeit, Korruption, Desorientierung und Berechnung. Die Grundlage von allem ist der Konformismus. Und in unseren Zeiten ist es der leidenschaftliche und pedantische Konformismus mit der parlamentarischen Mitte, die bekanntlich 95 Prozent des Spektrums ausfüllt. Der Rest unterliegt bereits der Bebachtung des Verfassungsschutzes. Man sollte nicht – oder nur in wenigen Fällen – davon ausgehen, dass Journalisten eine eigene Weltwahrnehmung hätten. Medienkonzerne wollen die Mitte abschöpfen. Medien sind äußerst lukrative Unternehmen. Allerdings leben sie nur an zweiter Stelle vom redaktionellen Inhalt. Bei den Zeitungen sind es bis zu 70 Prozent des Umsatzes, der durch Werbung gemacht wird.
Sehen Sie sich die TAZ an. Weil die mal links war und heute gerne noch so tut als wäre sie links, haben die kaum Werbung. Beim Privatfernsehen wird alles über Werbung finanziert. Wer glaubt, dass hätte keinen Einfluss auf die redaktionelle Arbeit, ist nicht von dieser Welt. Hier und da leistet man sich eine eigene Stimme. Das sieht dann nach eigenständigem Journalismus aus.”
Mai 12th, 2009 at 11:18
Da haben wir’s wieder.
Miriam Meckel ist das Paradebeispiel für Menschen welche bei Science Fiction auf unterstem Niveau stehen bleiben.
Wer dabei über finstere Horrorgeschichten über Gehirne im Tank nicht hinauskommt sollte sich nicht über Qualität unterhalten.
Mai 12th, 2009 at 11:30
Das kalte Grauseln Herbert Krawczeks angesichts der “sozialen Synchronisation unserer Gesellschaft” beruht auf einem Missverständnis. Hiermit ist nicht die Mehrheitsmeinung gemeint, die heute bereits eine Einheitsmeinung geworden ist, bei der “alle Abweichungen unberücksichtigt” bleiben – was angesichts der massenhaften Ausbreitung dieses Phänomens über so viele betriebswirtschaftlich geführte Medien und so viele unkritische LeserInnen und ZuschauerInnen natürlich aufs heftigste zu kritisieren ist -, sondern der gemeinsame Fokus der LeserInnen erst einmal einer Zeitung bzw. der ZuschauerInnen eines Fernsehsenders o.Ä. Damit wird das Phänomen beschrieben, dass diese Menschen dieselbe Informationsgrundlage haben und entsprechend gemeinsam darüber diskutieren können. Insofern ist das Argument schon stichhaltig. Es handelt sich jedoch um eine Idealsituation, wie in diesem Blog-Beitrag ja schon beschrieben, die für die Realität gehalten wird! Tatsächlich ist die Realität weit davon entfernt, weil sämtliche Medien durch vorgeschaltete Presseagentur-Filter und betriebswirtschaftliche Eigeninteressen nur noch biased content verbreiten, der gar keine Basis für Informiertheit oder gar zielorientierte Diskussionen bieten kann.
Beispiele:
In der Allgemeinen Zeitung Mainz (VRM-Konzern) erschien einmal ein Kommentar, der den Post-Mindestlohn diffamierte, ohne auch nur am Rande darauf hinzuweisen, dass die VRM mit postino einen eigenen privaten Postdienst betrieb und auch bei der PIN Group engagiert war!
Ich fahre seit mehr als drei Monaten im Verkehrsverbund Mainz Wiesbaden ohne Ticket herum, um meiner Forderung nach einem realistisch bepreisten Sozialticket – nämlich maximal 15 Euro – Nachdruck zu verleihen. In beiden Mainzer Lokalzeitungen (AZ und Mainzer Rhein Zeitung) erschienen halbherzige Artikel, in denen lediglich die Ursache – der aktuelle Wucherpreis des Sozialtickets – angesprochen wurde und ich wahlweise als “kritischer AZ-Leser” oder “kritischer MRZ-Leser” vorkam. Der größte Teil der Nachricht, also die meisten der sieben journalistischen “Ws”: Wer, wann, wo, was, wie, warum und “mit welchen Folgen”? wurden unterdrückt: dass der Name des Lesers Manfred Bartl ist, dass er als Bundestagskandidat für Mainz antritt, dass er wegen des Sozialticketwuchers ohne Ticket fährt, wie viele FNEen es geben mag und was dann geschehen kann, warum die eingeholten Stellungnahmen der Verkehrsbetriebe so abgehoben oder gar quasi-faschistoid daherkommen durften (das Thema “Extremismus der Mitte” hätte viele eigene Beiträge in Zeitungen und TV-Sendungen verdient) usw. Nein, liebe Leute, das ist wahrhaftig keine Realität, die es verdient hätte, real zu sein!
Mai 12th, 2009 at 14:33
[...] Qualität, Quantität, Quälentut Posted in Nicht kategorisiert by ugugu on Mai 12, 2009 1. Ja, Qualitätsjournalismus! [...]
Mai 12th, 2009 at 15:18
Naja, wenn man aber bedenkt wie tief Meckel im “System” drin ist…früher Pressesprecherin bei Sparstein, Freundin von Will, usw. ist ihr Artikel doch ganz in Ordnung.
Und die pauschale Lobhudelung der Blogosphäre…nur weil einige gute Blogs existieren, die die Mainstreammedien idR. “nur” ergänzen, letztenendes sogar von ihnen Abhängig sind, würde ich das als unfaire, ggü. der papiernen Restpresse, Verallgemeinerung bezeichnen.
Mai 12th, 2009 at 17:54
Naja, es gibt sie schon noch, die Perlen im Journalismus. Allerdings bedeutet Journalismus mit einer Verlagsstruktur und den Intermediären nicht automatisch auch Qualitätsjournalismus, wie es Meckel unterstellt.
Er ist tatsächlich so rar gesäht wie lesenswerte Blogs.
Meine Gedanken zum verwandten Thema:
https://www.werbeblogger.de/2009/04/14/eine-chance-fuer-den-qualitaetsjournalismus/
Mai 12th, 2009 at 18:46
Frau Meckel beweist doch wunderbar, daß Journalisten mittlerweile sogar zu blöd sind für saubere Allegorien und Metaphern.
Denn ihre sind mehr als hinkend, und sie ergeben unsaubere Bilder. Wühltischschrott.
Mai 12th, 2009 at 22:29
Ich habe das Gefühl, daß Frau Meckel hier eine Art Angst ausdrückt vor Blogs, welche eben nicht dem Mainstream unterliegen sondern sich eigene Gedanken machen und ausdrücken ohne Bezahlung. Die könnten ja die ganze Arbeit der Medienbranche und der ihr verbundenen Regie- rung zunichte machen.
Da hat Sie schon recht, die Lebensgefährtin von Anne Will…
Mai 12th, 2009 at 22:36
Ich liebe jeden Artikel der Impfungen betrifft. Die Presse von Mainstream bis Regionalblatt übernimmt die Texte 1 zu 1 (Suche bei Google News bringt selten weniger als 50 Treffer).
https://www.blogmedien.de/?p=1276
Was hat das ganze noch mit Journalismus zu tun. Gerade in Zeiten wie heute, erwartet man von Journalisten Recherche und nicht nur abschreiben. Was hier passiert ist Volksverarschung…
Mai 12th, 2009 at 23:28
@Morla
“Hier und da leistet man sich eine eigene Stimme. Das sieht dann nach eigenständigem Journalismus aus.”
Mein erster Gedanke: Heribert Prantl bei der Süddeutschen Zeitung.