Schröder: Der Ehrgeiz des Proleten
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
07. Apr 2009 11:41
Es ist peinlich. Vor vielen Jahren wies Volker Pispers schon auf die “Verwüstungen” hin, “die der zweite Bildungsweg hinterläßt”. Gerhard Schröder ist so ein Selfmademan aus der Unterschicht, der sich vieles erarbeiten mußte, mit dem anderen Mächtigen schon das Kinderzimmer vollgestopft wird. Er ist ein Machtmensch aus Ehrgeiz, ein Aufsteiger. Als “Sozialdemokrat” hat er sich das in seinen Kanzlerjahren so zurecht gelegt, daß er, er ganz persönlich, es sich besser verdient hat. Durch seine Leistung. Und das ist es, was er als “Gerechtigkeit” empfindet.
Er ist niemals auf die Idee gekommen, seinen nicht wirklich gesunden Ehrgeiz kritisch zu hinterfragen. Er war ihm das Mittel, das ihm alle Türen geöffnet hat, und er glaubt noch heute, das ginge bei allen anderen auch so – wenn sie nur wollten. Die Vorstellung, alle Menschen seien so ehrgeizig wie Gerd Armani, ist schon schaurig genug, um an der Stelle innezuhalten. Der Gedanke, daß er auch viel Glück gehabt hat und noch von ganz anderen “Leistungen” profitiert hat, ist des Pudels Kern.
Zum Beispiel ist da die SPD, die ihm und anderen aus einfachen Verhältnissen immer Hoffnung gemacht hat. Generationen von Vorkämpfern, die dafür gesorgt haben, daß überhaupt so etwas wie Durchlässigkeit in der Gesellschaft existiert. Die dafür gesorgt haben, daß der Pöbel sich bilden darf und das “Existenzminimum” mehr ist als ein Stück Brot am Tag.
Zum Beispiel ist da sein Feind und Weggefährte Oskar Lafontaine, der Schröders Wahlsieg maßgeblich ermöglicht hat – mit politischen Vorstellungen, die der Kanzler dann ins Gegenteil verkehrt hat. Schröder hat mit der Agenda 2010 ein sozialdarwinistisches Programm aufgelegt. Only the strong survive: Wer gesund und ehrgeizig ist, heimatlos und ungebunden, der hat ja alle Chancen. Was geht uns der Rest an, die Kranken, Bedächtigen und Faulen?
Schröder hat damit das Geschäft seines einstigen Klassenfeindes besorgt, der sich nur die Hände reiben konnte, sieht man einmal davon ab, daß die Oberklasse den Kanzler nicht stellen durfte und nicht einmal den Außenminister. Die “Wirtschaft” hat ihm zugejubelt, denn er war ihr ein perfekt vorauseilender Befehlsempfänger.
Das ist es aber, was Schröder nie kapiert hat. Er wähnte und wähnt sich als einer von ihnen, Elite. Seine Nase ist fein genug, um zu riechen, daß er nicht dazugehört. Stallgeruch kann man sich nämlich nicht erarbeiten. Sein Ehrgeiz kompensiert das aber und läßt ihn ruhelos weiter streben. Würdelos ist das längst. Wo echte Staatsmänner die Ruhe des Alters auszustrahlen fähig sind, scheffelt der emporgekommene Prolet noch so viel Kohle wie möglich. Wo so mancher Altpolitiker Weisheit entwickelt, ist Schröder Opportunist und sagt das, wofür er bezahlt wird. Wie tief muß ein ehemaliger Regierungschef sinken, um sich von einem anderen für dessen Propaganda aushalten zu lassen?
Daß der “Genosse” Kanzler damit sein ehemaliges Amt beschädigt, ist eine unschöne Sache, eine ganz andere aber ist das, was er noch nach seinem fatalen Wirken als mächtigster “Sozialdemokrat” den Genossen antut. Die rastlose Fortführung seiner Streberkarriere sorgt nämlich dafür, daß Menschen aus weniger gut betuchten Familien zukünftig erst recht die Türen verschlossenen bleiben, wenn es um sozialen Aufstieg geht. Er ist ein grell leuchtendes Beispiel dafür, daß man sich mit “denen da unten” besser nicht abgibt, wenn man sich nicht den Abend versauen will. Sie sind zu laut, zu dumm und zu peinlich.
April 7th, 2009 at 13:22
Nicht nur Ehrgeiz, sondern wahrscheinlich so mancher unsaubere Handel steckt, wie ich vermute hinter dem Aufstieg von Leuten wie Schröder oder Clement. Wer einmal zu oft ja gesagt hat, kann irgendwann nicht mehr nein sagen. Gerade bei Clement habe ich mir das schon manchmal gedacht, wenn er plötzlich aus dem politischen Jenseit doch wieder auf die Bühne tritt.
Warum macht er das bloß? Geld hat er genug, und dass ihm am Allgemeinwohl gelegen ist, das glaubt doch wohl keiner mehr, oder jedenfalls ich nicht. Ich stelle mir das so vor, dass er irgendwann einen Anruf kriegt, bei dem es heißt: “Wolfgang, du musst wieder ran! Schließlich hast du deinen Aufsichtsratssessel nicht umsonst gekriegt…”
April 7th, 2009 at 17:58
“Gerd Langguth lehrt politische Wissenschaften an der Universität Bonn. Er ist Autor der vielbeachteten Biographien über Angela Merkel und Horst Köhler. Im April erscheint sein neues Buch: “Kohl, Schröder, Merkel. Machtmenschen”.
Wichtig vielleicht auch zu erwähnen, dass Langguth (der Autor des Artikels, auf den Du verlinkt hast) sich lange Jahre beim Bürgerkonvent engagiert hat. Eine INSM-ähnliche Organisation, die für marktradikale Reformen eintritt. Ergo: auch Langguth hat ein Interesse bei seinen Büchern ;)
April 7th, 2009 at 19:45
Die Gefahr, daß sich jemand über den zweiten Bildungsweg in die vermeintlichen Eliten ( die aber jeztz nur noch besitzstandwahrende, forschrittshemmende Verteilungsautokraten sind, also mitnichten diesen Titel verdienen) dürfte sich in den letzten zwei Jahrzenten doch sehr verringert haben. Gerade Herr Schröder hat sich in der Versiegelung der sozialen Schichten sehr verdient gemacht – heute ist die Behauptung von “Aufstieg durch Bildung” doch nur die Karrotte die dem dummen Esel Volk hingehalten wird, auf das er den verdammten Karren noch ein wenig schneller ziehe.
Wegweisend immerhin die Grandezza, mit der er die SPD als erste große Volkspartei in den Abgrund geschubst hat und bewundernswert auch der Mut, ein Drittel der Bevölkerung von der fairen Teilnahme am Wirtschaftsleben auszuschließen und sich danach darüber zu wundern, doch von denen tatsächlich nicht mehr gewählt zu werden.
An ihm ließ sich erstmals und auf eine peinliche Art und Weise offensichtlich genau ablesen, wie Machterwerb, Status und rücksichtslose Abzockerei in unserem System funktionieren und das man, sollte man noch fossilen Begrifflichkeiten wie “ehrliche Arbeit” oder sogar “von den eigenen Händen leben”, sofort und gründlich einpacken konnte.
Also entweder die verbleibende Kohle flugs bei den Lehmann Brothers in Hoffnung auf Mörderrenditen plaziert, oder bei einer der zahlreichen Zeitarbeitfirmen angeheuert, um deren Interessen sich ja mittlerweile überaus rührend ein ehmaliger Arbeitsminister der SPD kümmert.
Während aus jemandem wie Heiner Heißler am Ende wenigstens doch noch so etwas wie ein netter alter Sack geworden ist, ist der Schröder immer noch abonniert auf die Rolle des polterig-pöbeligen Machertypen; und das ist wirklich nur eine Rolle mit schlechtem Schauspiel – entscheidend sind ja immer die Ränkespiele hinter der Bühne.#
Kein Stil – Halts Maul – Basta!
April 7th, 2009 at 19:57
[...] Mehr: https://archiv.feynsinn.org/?p=1082 [...]
April 7th, 2009 at 22:25
Schöner Text! Aber es stimmt schon, Langguth hat einen bitteren Beigeschmack. Naja, von Arnim verlegt bei Bertelsmann. Und Gorbatschew tritt bei AWD auf. Schröder natürlich sowieso.
April 7th, 2009 at 22:39
Eine scharfsinnge Analyse und ein zutreffendes Psychogramm der Person von Ex-Kanzler Schröder.
Wenn Genosse “Streber-Prolet” Gerhard Schröder nur ein Einzelfall in der deutschen Sozialdemokratie wäre, hätte freilich kaum eine derart große “Gerechtigkeitslücke” in der hiesigen Gesellschaft entstehen können, Globalisierung und Kapitalmacht hin oder her.
Daß aber ein standhafter und aufrechter Sozialdemokrat wie etwa Ottmar Schreiner in seiner eigenen Partei nurmehr die Rolle eines “Fossils” aus längst vergangenen Zeiten abgibt, läßt aber darauf schließen, daß es in der heutigen SPD allzu viele kleine Gerhard Schröders gibt, die mit ihren Minderwertigkeitsgefühlen den “hohen Herren” in Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber nur durch Überanpassung meinen fertig werden zu können.
April 8th, 2009 at 01:06
Ach ja, das Problem kannte ich jahrzehntelang mit der Duisburger SPD: dumme Proleten-Emporkömmlinge ohne Stil und Geschmack. Was meint ihr, warum gerade im Ruhrgebiet so viele tolle Skulpturen herumgammeln? Weil die von irgendwelchen Akademikern aus der Großbürgerschicht ausgesucht wurden, da die SPD-Granden der entsprechenden Städte sich nicht einmal dabei einen eigenen Geschmack zutrauen, Bagage. Mehr als puren Materialismus haben und hatten die nie im Schädel.
April 8th, 2009 at 07:50
Das Problem ist, dass andere entscheiden sollten ob man zur “Elite” (also den Besten) gehört oder nicht. Viele die von sich behaupten dazuzugehören, wollen ihr Ego oder weiß ich was kompensieren. Wenn man seine Qualitäten am Level der Macht oder der Menge des Geldes festmacht ist das ganz schön armseelig. Genau das ist es aber, was uns in der Gesellschaft vorgelebt wird. Schröder hat genau das gemacht. Bei ihm kann man sehen, dass Qualität der Arbeit und verdientes Geld (oder Macht) nicht zusammengehören müssen.
April 8th, 2009 at 15:46
Also bitte Leute.
Ich kann ja eure Abneigung gegen Gerhard Schröder verstehen, – die ich teile.
Aber auch ich bin einer dieser Proleten-Emporkömmlinge des zweiten Bildungsweges.
Und ich kann bei mir keinerlei Ehrgeiz, und schon mal gar keine Machtbesessenheit feststellen. Aber ok, Schwamm drüber.
Doch macht den Leuten nicht die einzigen Optionen schlecht mit denen Sie vielleicht nicht ganz so abhängig von Visionen von Figuren wie Schröder und Müntefering sind.
April 8th, 2009 at 15:57
@Antiferengi:
Ich selbst bin ein promovierter Prolet und von daher ebenfalls gefährdet. Der Unterschied ist der, daß mein Ehrgeiz Grenzen hat und mir meine Würde jederzeit wichtiger ist als die Karriere.
Es behauptet ja niemand, daß man so enden muß wie Schröder, aber er hat aus seiner Situation eben entsprechende Schlüsse gezogen, die nun auch für andere gelten sollen. Seine vermeintlichen Kumpels aus den Chefetagen werden eben die ihren ziehen.
April 8th, 2009 at 16:08
Hmm, schöner Satz das mit der Würde.
Absolut akzeptiert.
Aber mal eine andere Sache,(keine Sorge, ist mein letzter Kommentar, – es soll ja hier kein Forum werden :-) – wenn Müntefering Schröder jetzt wieder als Wahlkampfhelfer engagieren will. Ich meine Agenda2010 und Hartz4 war ja wohl einer der Hauptgründe für den Wegfall der Wählerschar. Was passiert dann mit dem Rest der noch linken Wähler der SPD. Kann man hier den Untergang der SPD prognostizieren, weil ein Münte anscheinend keinerlei Realitätssinn mehr aufbringt?
April 8th, 2009 at 18:51
@antiferengi
Nein, um Münte mußt du dir keine Sorgen machen: mit der Bermerkung wollte er sich nur für einen Job als Berater eines obskuren, menschenverachtenden und osteuropäischen rohstoffliefernden Konzernes anempfehlen.
Sehr, sehr durchsichtig, dieser Münte.
April 8th, 2009 at 19:59
@antiferengi:
Das darf ruhig ein Forum werden ;-)
Und was den Untergang der SPD angeht, so wird sich das sicher noch eine Weile hinziehen. Wie man hört, haben einige sogar noch Hoffnung auf Besserung.
April 10th, 2009 at 14:34
Sorry Leute, war auf dem Sprung. ( ohne Rechner).
@Andreas
Yep, darauf wirds wohl hinauslaufen. Aber ob er sich dort wohlfühlt ist fraglich. Ich hab den Mann immer mehr als den Typus -Smarter Autoverkäufer- eingeordnet.
@flatter
Ja, – manche Unternehmen sterben langsam.