Wenn man sich ernsthaft mit Kinderpornographie beschäftigt, sind einige zentrale Aspekte zu beachten, die in der öffentlichen Ausschlachtung des Themas von den Protagonisten nonchalant übergangen werden. Zuallererst ist der “pornographische” Aspekt völlig nebensächlich. Was nach Kräften einzudämmen wäre, ist Kindesmißbrauch. Dazu gibt es viele diskutable und einige indiskutable Mittel. Das Phänomen ist äußerst komplex. Kindesmißbrauch findet in aller Regel im Familienumfeld statt. Dort sind die Täter am sichersten, eine Aufklärung deshalb schwierig, weil die Delikte nicht bekannt werden. Außerhalb dieser Sphäre sind es selten aggressive Einzeltäter, die fremde Kinder anfallen und mafiöse Strukturen, die ein Geschäft mit der Vergewaltigung von Kindern machen. Schon diese sehr unterschiedlichen Tathintergünde verlangen ein sehr differenziertes Herangehen an Prävention und Aufklärung. Niemand hätte etwas dagegen einzuwenden, wenn den Fachleuten, die sich damit befassen, die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt würden.
Das Filmen solcher Untaten macht es den Kriminellen möglich, damit auch noch Geld zu verdienen oder sich gegenseitig Videos von Vergewaltigungen zukommen zu lassen. Die wenigsten haben ein Interesse daran, dafür den Weg übers Internet zu wählen, das Material womöglich frei zugänglich zu machen. Sie gingen ein immenses Risiko ein, ohne selbst etwas davon zu haben. Die Verbreitung über Tauschbörsen und Handys ist wesentlich effektiver, offenbar auch Usus (siehe den Fall Tauss), und wird durch das Sperren von Internetseiten überhaupt nicht beeinträchtigt.
Für die Aufklärung von Straftaten liefern die Videos sogar Beweise, die sonst nicht zu erbringen wären – soweit es sich um Delikte im privaten Umfeld handelt.
Die Förderung des Kindesmißbrauchs durch Pornographie beschränkt sich somit auf die Fälle, in denen Kinder aus geschäftlichem Interesse geschändet werden. Solche Fälle gibt es, aber gerade diese finden in professionalisierten Strukturen statt, die von den Sperren ebenfalls wenig beeinträchtigt werden.
Frau von der Leyen interessiert das alles wenig. Sie behauptet stattdessen einfach:
Und was mich auch umtreibt, ist, dass nach dem Konsum von Kinderpornographie jeder Fünfte so süchtig wird, dass er das in der Realität erleben möchte. Das heißt, dass er sich umschaut nach Kindern auf unseren Straßen.
Woher hat sie diese Weisheit? Daß es die “Sucht” nach Pornographie generell gibt, ist disktuabel. Aber würde jemand behaupten, daß sich “Pornosüchtige” “auf unseren Straßen” nach Frauen umschauen, weil sie Sexvideos angeschaut haben? Entsteht Pädophilie durch Kinderpornographie? Woher weiß sie, daß es “jeder Fünfte” ist? Gibt es repräsentative Umfragen unter Kinderschändern?
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sich seriös und professionell mit der Materie zu beschätigen. Ohne Zahnschmerzen ist das schwerlich möglich, auch wenn man die innere Distanz dazu weitgehend aufbringt. Ist man nicht beruflich damit befaßt und hat keine Möglichkeiten, sich mit Literatur und Kollegen dazu auseinander zu setzen, gibt es kaum vernünftige Möglichkeiten, mit dem Thema umzugehen. Wie auch?
Genau das belegt das Theater einmal mehr, das da gespielt wird. Es ist Empörung und Affekt. Zusammenhänge und Hintergründe kann man nicht in zwei Minuten in der Tagesschau darlegen. Und schon gar nicht, wenn man Horrormärchen erzählt von Monstern “in unseren Straßen”. Wenn die Konservativen die moralische Empörung des Volkes in Anschlag bringen, fällt gerade das auf sie selbst zurück. Was sie da treiben, ist schamlos und macht die Opfer solcher Taten zum Wahlkampfvehikel.
Dazu paßt auch, daß der Popstar von Guttenberg nun auch etwas zu melden hat in der Sache:
Er läßt also mal flugs das “Telemediengesetz ändern” als einer der Anständigen, die sich da so mächtig ins Zeug legen. Völlig ohne Sinn und Verstand, dafür mit viel Druck, wird der Streifen durchgezogen. Um die Diskussion über die Möglichkeit einer wirksamen Sperre gar nicht erst aufkommen zu lassen, werden einige Provider zur Unterstützung dieser intellektuellen Nullnummer eingespannt, und wer nicht bedingungslos mitmacht, wird denunziert.
Daß die Wirksamkeit zur Verhinderung der Verbrechen an Kindern äußerst gering ist, darüber sind sich diejenigen weitgehend einig, die sich sachlich mit dem Vorhaben befassen. Daß die vorgeschlagene Maßnahme hingegen äußerst wirksam weitere Bürgerrechte abzubauen geeignet ist, die Nachricht hinter der Nachricht.
Die einmal installierte Filtertechnik läßt sich problemlos ausweiten. Als nächstes kommt wie das Amen in der Kirche, daß man auch “terroristische” Inhalte filtern muß. Denn wer will, daß tausende sterben, weil im Internet der Dschihad verkündet und vorbereitet wird? Etcetera.
Man weiß nicht, was schließlich in der Durchführung schlimmer sein wird: Daß das BKA oder irgendeine “Behörde” für die Durchführung zuständig sein soll und sich bislang noch niemand Gedanken darüber gemacht hat, wer das Ganze wirksam kontrolliert. Wohlgemerkt: Es geht um die Zensur der öffentlichen Kommunikation, die hier völlig sorglos als Mittel zur Verbrechensbekämpfung angepriesen wird.
Populistischen Unsinn als Mittel der Politik sind wir längst gewöhnt. Als durchsichtiges Wahlkampfmittel und billige Werbung für Unions-Minister erreicht er in dieser Ausprägung allerdings neue Dimensionen. Die Verdummungs- und Affektmaschine läuft ungebremst, wie immer hat die SPD nichts grundsätzlich dagegen, und am Ende kommt ein Gesetz dabei heraus, das in Karlsruhe wieder saftig abgewatscht werden wird. Die Ressourcen, die dafür vergeudet werden, fehlen derweil denen, die seriös und im Stillen daran arbeiten, daß dem Grauen so wirksam wie möglich Einhalt geboten wird. Wahlkampf und öffentliche Erregung können die übrigens am wenigsten gebrauchen.