Mich würde einmal interessieren, was die Leute sich allgemein unter “Politik” vorstellen. Es gibt so viele Umfragen, warum fragt nicht einmal jemand: “Was ist Politik?”. Es wird wohl etwas sein, das nicht mit allzu großem Respekt betrachtet wird. Ich will aber gar nicht darauf hinaus, daß Phänomene wie Geltungssucht, Korruption oder Einfältigkeit die Szene bestimmen. Wenn man sich einfach fragt, was Politiker für ihren Job halten, kommt man in diesen Zeiten zu zwei Antworten: Erstens der “Wirtschaft” hinterherlaufen und zweitens “verbieten”. Letzteres hat damit zu tun, daß Politik gern der Realität hinterherläuft und sie selbst dann nie einholt, wenn sich alles wiederholt.
Mit dem Versagen einer Politik, die maßgebliche Kompetenzen ihrerselbst der Freiheit der Marktwirtschaft geopfert hat, möchte ich mich an dieser Stelle nur sehr am Rande beschäftigen. Der Fokus liegt also auf dem Prinzip “Politik als Verbot”, das immer dann herhalten muß, wenn eigentlich nichts zu tun ist, man aber mit einer öffentlichen Empörung zu tun hat. Immer, wenn etwas Unerhörtes geschieht, gibt es einen Reflex, dieses verbieten zu wollen. So sollen etwa Amokläufe und Kinderpornographie verboten werden.

Das Unerhörte verbieten

Da dies längst der Fall ist, es aber dennoch zu Verbrechen kommt, die diesen Kategorien zuzuordnen sind, gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: Entweder man stellt fest, daß Verbote nicht helfen, oder man verbietet alles, was dazu führen kann, daß diese Verbrechen verübt werden. Letzteres mündet in eine Diktatur und verhindert dabei nicht einmal alle verdammenswerten Verbrechen. Phänomene, die alle Grenzen von Recht und Gewissen überschreiten, lassen sich nicht durch Verbote stoppen. Das Problem ist vielschichtig.
Dumm argumentiert hingegen schlicht, ein Beispiel dafür:
Frau von der Leyen will Kinderpornos verbieten lassen, indem alle deutschen Provider entsprechende Seiten sperren und meint dazu:
Entscheidend ist, dass viele Anbieter sich darüber klar werden, dass dahinter eine grundsätzliche Frage steht: Ob sie weiterhin uneingeschränkt die Vergewaltigung von Kindern zeigen lassen. Oder ob sie gemeinsam mit uns die Ächtung dieser Vergewaltigung vorantreiben wollen.
So einfach ist die Welt: Die einen lassen uneingeschränkt die Vergewaltigung von Kindern zu, die anderen ächten das. Und damit wir auch wissen, wie schlimm alle diejenigen sind, die das alles zulassen, klärt sie uns auf:
Ich habe das Ausmaß des Grauens vorher nicht gekannt. Mir war nicht klar, dass die Kinder vor laufender Kamera geschändet werden, sie zum Teil getötet werden, die Schreie der Kinder im Internet hörbar sind.”
Nun sei es einmal geschenkt, daß Mord keine Pornographie ist und dieser Unsinn nur die allgemeine Empörung schüren soll. Auch die blödsinnige Formulierung “im Internet zu hören” soll nur suggerieren, das Internet sei ein realer Raum, in dem Augen- und Ohrenzeugen nicht eingreifen. Aber so ist das, wenn jemand keine Ahnung und keine Argumente hat. Da helfen nur blinder Affekt und stumpfsinnige Polarisierung. Was wirklich schockierend ist an der Aussage einer Familienministerin, ist die Behauptung, sie habe “das Ausmaß des Grauens” nicht gekannt. Was hat sie sich denn darunter vorgestellt? Bildstrecken mit Windelwerbung?
Genau so naiv kommt sie daher, wenn es ihr “ausschließlich um die Sperrung von Kinderpornographie geht”. Daß dies nicht funktioniert, glaubt sie nicht, was man ihr nachsehen kann. Daß allerdings eine Technik, die massiv in die private Nutzung des Internets eingreift, sich nicht auf einen Aspekt begrenzen läßt, muß sie wissen. Es ist ihr aber egal. Sie zieht es vor, sinnlose Eingriffe in die Freiheitsrechte vorzunehmen, wenn es dem Empörungs-Management dient. Diese Strategie hat noch jede Diktatur gewählt, um einen Fuß in die Tür zu den Bürgerrechten zu bekommen. Was hier “verboten” wird, ist nicht das Verbrechen, sondern die Freiheit, die auch das Verbrechen ermöglicht.

Hauptsache billig

Das Ganze ist vor allem eines: Billig. Billige Argumente, billige Maßnahmen. Kindesmißhandlung einzudämmen, ist möglich. Dazu bedarf es einer gut ausgerüsteten Polizei, vieler teurer und qualifizierter Kräfte und einer verzahnten internationalen Zusammenarbeit. Eine Sperrung von einzelnen Seiten führt hingegen nur dazu, daß sich die Szene besser organisiert und schwieriger zu lokalisieren ist. Dahinter steht dasselbe Prinzip wie bei den Platzverboten für Junkies: Man sieht das Elend nicht mehr so einfach, aber es verschwindet eben nicht.
Ähnlich klug ist der ewige Unsinn bezüglich eines Verbots für “Killerspiele” als Mittel gegen Amokläufe. Ich habe das schon öfter hier diskutiert und dem nicht mehr viel hinzuzufügen. Einen Satz nur an dieser Stelle: Gelänge es, ab morgen keine “Killerspiele” mehr zu verkaufen, so würden die bereits vorhandenen Datenträger noch immer für die nächsten hundert Jahre ausreichen, um jeden zu versorgen, der so etwas zocken möchte. Wenn die längst vorhandenen Altersbeschränkungen nicht ausreichen, müssen sich kluge Politiker eben Gedanken machen, wie man das Phänomen anders in den Griff bekommt. Zum Beispiel dadurch, daß man ein paar Milliarden in die Rettung von Kindern investiert, die nicht nur damit allein gelassen werden.
Zu den Möglichkeiten diesbezüglich gibt es einen recht Vernünftigen Artikel in der “Welt” – wenngleich es haarsträubend ist, am Ende ausgerechet Praktiken zu loben, die chinesische Zensoren für angebracht halten.
Ebenfalls vernünftige Ansichten finde ich bei Kurt Beck, der in der “Zeit” zu Protokoll gibt:
Ich kann nur davor warnen, den Eindruck zu erwecken, dass man einen solchen Amoklauf auf irgendeine Weise verhindern könnte“.
Er schießt zwar ein wenig übers Ziel hinaus, da seine Formulierung nicht die Einschränkung enthält, daß unmittelbar gesetzgeberische Maßnahmen gemeint sind, aber ansonsten hat er völlig recht und belegt einmal mehr, daß er nicht der Depp ist, zu dem er so eifrig in der Öffentlichkeit gemacht wurde.

Die Gestaltung der Wirklichkeit

Politik sollte sich die Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zum Ziel machen. Dies ist ihre Aufgabe. Anstatt der Wirtschaft dies zu überlassen und sich ansonsten auf beifallheischende Vereinfachungen zu kaprizieren, sollte sie Probleme vor dem Hintergrund ihrer Entstehung vermitteln, Zusammenhänge herstellen und Ideen zur Lösung der Probleme entwickeln. Es gibt durchaus skandalöse Zustände, die man abstellen kann – wenn man denn will. Ein aktuelles Beispiel dafür findet sich beim “Spiegel”: In der Türkei werden Arbeiter abscheulich zu Tode gebracht, um auf billige Weise teure Produkte herzustellen. Der Fall der Arbeiter, die an einer tödlichen “Silikose” erkrankt sind, weil sie für Hungerlöhne Jeans gebleicht haben, ist nur die Spitze des Eisberges. Was in der türkischen Textilindustrie an der Tagesordnung ist, schreit zum Himmel. Warum steht ein solcher Artikel bei SpOn unter “Panorama”? Warum empört sich niemand darüber? Mag es etwas damit zu tun haben, daß Arbeitsbedingungen und Mindestlöhne nicht in eine noch immer gängige Ideologie passen? Sind es nicht genau solche Zustände, mit denen der “Standort Deutschland” ernsthaft konkurrieren soll? Wäre ein flächenderdeckender Mindestlohn, international durchgesetzt, nicht ein probates Mittel dagegen? Sind Produktionsbedingungen, die auf möglichst niedrige Kosten setzen, nicht ebenfalls etwas, das dringend “geächtet” gehört?
Genau hier darf man getrost ansetzen und radikale Maßnahmen fordern. Anstatt haltlose Verbote zu fordern, müssen haltlos menschliche Produktionsbedingungen gefordert werden – zumal in einem Land, das sich das zum eigenen Wohl auch leisten könnte. Jaja, das kostet, und es bringt den Mob nicht kurzfristig auf die eigene Seite. Schade eigentlich, denn Politik mit Vernunft und langem Atem könnte wirklich Großes leisten.