Na endlich: Politik verbietet Verbrechen
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
23. Mrz 2009 0:54
Mich würde einmal interessieren, was die Leute sich allgemein unter “Politik” vorstellen. Es gibt so viele Umfragen, warum fragt nicht einmal jemand: “Was ist Politik?”. Es wird wohl etwas sein, das nicht mit allzu großem Respekt betrachtet wird. Ich will aber gar nicht darauf hinaus, daß Phänomene wie Geltungssucht, Korruption oder Einfältigkeit die Szene bestimmen. Wenn man sich einfach fragt, was Politiker für ihren Job halten, kommt man in diesen Zeiten zu zwei Antworten: Erstens der “Wirtschaft” hinterherlaufen und zweitens “verbieten”. Letzteres hat damit zu tun, daß Politik gern der Realität hinterherläuft und sie selbst dann nie einholt, wenn sich alles wiederholt.
Mit dem Versagen einer Politik, die maßgebliche Kompetenzen ihrerselbst der Freiheit der Marktwirtschaft geopfert hat, möchte ich mich an dieser Stelle nur sehr am Rande beschäftigen. Der Fokus liegt also auf dem Prinzip “Politik als Verbot”, das immer dann herhalten muß, wenn eigentlich nichts zu tun ist, man aber mit einer öffentlichen Empörung zu tun hat. Immer, wenn etwas Unerhörtes geschieht, gibt es einen Reflex, dieses verbieten zu wollen. So sollen etwa Amokläufe und Kinderpornographie verboten werden.
Das Unerhörte verbieten
Da dies längst der Fall ist, es aber dennoch zu Verbrechen kommt, die diesen Kategorien zuzuordnen sind, gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: Entweder man stellt fest, daß Verbote nicht helfen, oder man verbietet alles, was dazu führen kann, daß diese Verbrechen verübt werden. Letzteres mündet in eine Diktatur und verhindert dabei nicht einmal alle verdammenswerten Verbrechen. Phänomene, die alle Grenzen von Recht und Gewissen überschreiten, lassen sich nicht durch Verbote stoppen. Das Problem ist vielschichtig.
Dumm argumentiert hingegen schlicht, ein Beispiel dafür:
Frau von der Leyen will Kinderpornos verbieten lassen, indem alle deutschen Provider entsprechende Seiten sperren und meint dazu:
“Entscheidend ist, dass viele Anbieter sich darüber klar werden, dass dahinter eine grundsätzliche Frage steht: Ob sie weiterhin uneingeschränkt die Vergewaltigung von Kindern zeigen lassen. Oder ob sie gemeinsam mit uns die Ächtung dieser Vergewaltigung vorantreiben wollen.
So einfach ist die Welt: Die einen lassen uneingeschränkt die Vergewaltigung von Kindern zu, die anderen ächten das. Und damit wir auch wissen, wie schlimm alle diejenigen sind, die das alles zulassen, klärt sie uns auf:
“Ich habe das Ausmaß des Grauens vorher nicht gekannt. Mir war nicht klar, dass die Kinder vor laufender Kamera geschändet werden, sie zum Teil getötet werden, die Schreie der Kinder im Internet hörbar sind.”
Nun sei es einmal geschenkt, daß Mord keine Pornographie ist und dieser Unsinn nur die allgemeine Empörung schüren soll. Auch die blödsinnige Formulierung “im Internet zu hören” soll nur suggerieren, das Internet sei ein realer Raum, in dem Augen- und Ohrenzeugen nicht eingreifen. Aber so ist das, wenn jemand keine Ahnung und keine Argumente hat. Da helfen nur blinder Affekt und stumpfsinnige Polarisierung. Was wirklich schockierend ist an der Aussage einer Familienministerin, ist die Behauptung, sie habe “das Ausmaß des Grauens” nicht gekannt. Was hat sie sich denn darunter vorgestellt? Bildstrecken mit Windelwerbung?
Genau so naiv kommt sie daher, wenn es ihr “ausschließlich um die Sperrung von Kinderpornographie geht”. Daß dies nicht funktioniert, glaubt sie nicht, was man ihr nachsehen kann. Daß allerdings eine Technik, die massiv in die private Nutzung des Internets eingreift, sich nicht auf einen Aspekt begrenzen läßt, muß sie wissen. Es ist ihr aber egal. Sie zieht es vor, sinnlose Eingriffe in die Freiheitsrechte vorzunehmen, wenn es dem Empörungs-Management dient. Diese Strategie hat noch jede Diktatur gewählt, um einen Fuß in die Tür zu den Bürgerrechten zu bekommen. Was hier “verboten” wird, ist nicht das Verbrechen, sondern die Freiheit, die auch das Verbrechen ermöglicht.
Hauptsache billig
Das Ganze ist vor allem eines: Billig. Billige Argumente, billige Maßnahmen. Kindesmißhandlung einzudämmen, ist möglich. Dazu bedarf es einer gut ausgerüsteten Polizei, vieler teurer und qualifizierter Kräfte und einer verzahnten internationalen Zusammenarbeit. Eine Sperrung von einzelnen Seiten führt hingegen nur dazu, daß sich die Szene besser organisiert und schwieriger zu lokalisieren ist. Dahinter steht dasselbe Prinzip wie bei den Platzverboten für Junkies: Man sieht das Elend nicht mehr so einfach, aber es verschwindet eben nicht.
Ähnlich klug ist der ewige Unsinn bezüglich eines Verbots für “Killerspiele” als Mittel gegen Amokläufe. Ich habe das schon öfter hier diskutiert und dem nicht mehr viel hinzuzufügen. Einen Satz nur an dieser Stelle: Gelänge es, ab morgen keine “Killerspiele” mehr zu verkaufen, so würden die bereits vorhandenen Datenträger noch immer für die nächsten hundert Jahre ausreichen, um jeden zu versorgen, der so etwas zocken möchte. Wenn die längst vorhandenen Altersbeschränkungen nicht ausreichen, müssen sich kluge Politiker eben Gedanken machen, wie man das Phänomen anders in den Griff bekommt. Zum Beispiel dadurch, daß man ein paar Milliarden in die Rettung von Kindern investiert, die nicht nur damit allein gelassen werden.
Zu den Möglichkeiten diesbezüglich gibt es einen recht Vernünftigen Artikel in der “Welt” – wenngleich es haarsträubend ist, am Ende ausgerechet Praktiken zu loben, die chinesische Zensoren für angebracht halten.
Ebenfalls vernünftige Ansichten finde ich bei Kurt Beck, der in der “Zeit” zu Protokoll gibt:
“Ich kann nur davor warnen, den Eindruck zu erwecken, dass man einen solchen Amoklauf auf irgendeine Weise verhindern könnte“.
Er schießt zwar ein wenig übers Ziel hinaus, da seine Formulierung nicht die Einschränkung enthält, daß unmittelbar gesetzgeberische Maßnahmen gemeint sind, aber ansonsten hat er völlig recht und belegt einmal mehr, daß er nicht der Depp ist, zu dem er so eifrig in der Öffentlichkeit gemacht wurde.
Die Gestaltung der Wirklichkeit
Politik sollte sich die Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zum Ziel machen. Dies ist ihre Aufgabe. Anstatt der Wirtschaft dies zu überlassen und sich ansonsten auf beifallheischende Vereinfachungen zu kaprizieren, sollte sie Probleme vor dem Hintergrund ihrer Entstehung vermitteln, Zusammenhänge herstellen und Ideen zur Lösung der Probleme entwickeln. Es gibt durchaus skandalöse Zustände, die man abstellen kann – wenn man denn will. Ein aktuelles Beispiel dafür findet sich beim “Spiegel”: In der Türkei werden Arbeiter abscheulich zu Tode gebracht, um auf billige Weise teure Produkte herzustellen. Der Fall der Arbeiter, die an einer tödlichen “Silikose” erkrankt sind, weil sie für Hungerlöhne Jeans gebleicht haben, ist nur die Spitze des Eisberges. Was in der türkischen Textilindustrie an der Tagesordnung ist, schreit zum Himmel. Warum steht ein solcher Artikel bei SpOn unter “Panorama”? Warum empört sich niemand darüber? Mag es etwas damit zu tun haben, daß Arbeitsbedingungen und Mindestlöhne nicht in eine noch immer gängige Ideologie passen? Sind es nicht genau solche Zustände, mit denen der “Standort Deutschland” ernsthaft konkurrieren soll? Wäre ein flächenderdeckender Mindestlohn, international durchgesetzt, nicht ein probates Mittel dagegen? Sind Produktionsbedingungen, die auf möglichst niedrige Kosten setzen, nicht ebenfalls etwas, das dringend “geächtet” gehört?
Genau hier darf man getrost ansetzen und radikale Maßnahmen fordern. Anstatt haltlose Verbote zu fordern, müssen haltlos menschliche Produktionsbedingungen gefordert werden – zumal in einem Land, das sich das zum eigenen Wohl auch leisten könnte. Jaja, das kostet, und es bringt den Mob nicht kurzfristig auf die eigene Seite. Schade eigentlich, denn Politik mit Vernunft und langem Atem könnte wirklich Großes leisten.
März 23rd, 2009 at 14:25
[...] Na endlich: Politik verbietet Verbrechen Mit dem Versagen einer Politik, die maßgebliche Kompetenzen ihrerselbst der Freiheit der Marktwirtschaft geopfert hat, möchte ich mich an dieser Stelle nur sehr am Rande beschäftigen. Der Fokus liegt also auf dem Prinzip “Politik als Verbot”, das immer dann herhalten muß, wenn eigentlich nichts zu tun ist, man aber mit einer öffentlichen Empörung zu tun hat. Immer, wenn etwas Unerhörtes geschieht, gibt es einen Reflex, dieses verbieten zu wollen. [...]
März 23rd, 2009 at 17:14
Endlich wird mir klar, woher die schrecklichen Schreie kommen, wenn ich online bin…
Das wird dann eine wirklich schöne Welt, die Frau Leyen da für mich bastelt; bei der Kinderpornographie (die übrigens ja wohl eine Erwachsenenpornographie ist) fängt es an, dann sind die Musiktauschbörsen dran, schließlich darf man vor dem PC nicht mehr rauchen (was für einen Nichtraucher wie mich ja ok geht) oder keinen Bourbon mehr süffeln (was überhaupt nicht ok geht) und ganz am Ende wird dem Zynismus, dem Pessimismus und überhaupt allen anderen schlechten Gedanken der Garaus bereitet. Einfach verbieten, den dummen Zweifel und die anstrengende Skepsis.
Willst auch du nicht ein wertvolles Mitglied dieser Gesellschaft werden? Alle anderen werden nämlich gleich morgen verboten.
Das ist genau die Art von mobbender, verächtlicher und verklemmter Geisteshaltung, mit der man Amokläufer produziert.
Diese Gesellschaft benötigt doch ganz andere Verbote, damit sie endlich freier werden kann.
März 23rd, 2009 at 17:28
[...] https://archiv.feynsinn.org/?p=1069 [...]
März 23rd, 2009 at 18:58
Der damalige Bundespräsident Herzog beschrieb Politik in seiner Ruck-Rede anno 1997 wie folgt:
“Solche Debatten führen nicht mehr zu Entscheidungen, sondern sie münden in Rituale, die immer wieder nach dem gleichen Muster ablaufen, nach einer Art Sieben-Stufen-Programm:
1. Am Anfang steht ein Vorschlag, der irgendeiner Interessengruppe Opfer abverlangen würde.
2. Die Medien melden eine Welle “kollektiver Empörung”.
3. Spätestens jetzt springen die politischen Parteien auf das Thema auf, die einen dafür, die anderen dagegen.
4. Die nächste Phase produziert ein Wirrwarr von Alternativvorschlägen und Aktionismen aller Art, bis hin zu Massendemonstrationen, Unterschriftensammlungen und zweifelhaften Blitzumfragen.
5. Es folgt allgemeine Unübersichtlichkeit, die Bürger werden verunsichert.
6. Nunmehr erschallen von allen Seiten Appelle zur “Besonnenheit”.
7. Am Ende steht meist die Vertagung des Problems. Der Status quo setzt sich durch. Alle warten auf das nächste Thema.
Diese Rituale könnten belustigend wirken, wenn sie nicht die Fähigkeit, zu Entscheidungen zu kommen, gefährlich lähmen würden.”
März 23rd, 2009 at 21:12
@Andreas:
“Endlich wird mir klar, woher die schrecklichen Schreie kommen, wenn ich online bin…”
Also, bei mir kommen die von meinem gequälten Hirn, wenn ich Seiten wie SPON ansteuere. Mittlerweile nur noch aus Versehen. Den Mist muß ich mir nicht geben.
Was übrigens den Herrn Herzog mit seiner Ruck-Rede angeht, auf den würde ich einen zweiten Blick werfen. Der sprach, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, z.B. von einer “Rentnerkratie” und warnte davor, daß die pöhsen Rentner uns alle unterjochen werden. No comment.
März 23rd, 2009 at 22:06
@Flying Circus
Mhh, mag sein, daß ich die Rede nicht richtig verstehe, aber weder Rentnerkratie noch Rentner überhaupt erwähnte er auch nur mit einem Wort.
u.A. sagte er:
“Wenn ich von der Zukunft unserer Gesellschaft rede, spreche ich – wie schon gesagt – zwangsläufig von der Jugend. Unsere Jugend ist das größte Kapital, das wir haben. Wir müssen ihr nur Perspektiven geben. Dazu gehört nicht nur, daß wir keine Schuldenpolitik zu ihren Lasten betreiben, mit der wir ihr alle Spielräume verbauen.”
Die gesamte Rede unter:
https://www.bundespraesident.de/Reden-und-Interviews/Berliner-Reden-,12086/Berliner-Rede-1997.htm
Und unter dem Blickwinkel der “allgegenwärtigen Krise” betrachtet, fragt man sich was um alles in der Welt in den vergangenen 12 Jahren alles schief gelaufen ist in diesem Land … also ich zumindest…
März 23rd, 2009 at 22:56
@Aggel
“..keine Schuldenpolitik zu ihren Lasten betreiben, mit der wir ihr alle Spielräume verbauen…”
Das zumindest ist doch erreicht worden, ja sogar noch mehr: jetzt sind sogar gar keine lästigen Spielräume mehr da und -Juchhu- ab geht es in die Autokratie!
Schade das die Jugend so gründlich sediert wurde und sich ihr Erkenntnishorizont leider auf die relativ beschränkte Sichtweise des neuen GTAs, der nächsten Staffel DSDS und dem neuen, echt krassen Video, wo der Typ sich die Unterhose über den Hals auszieht, erschöpft. Man hätte in den letzten 12 Jahren besser mal Marcuse, Sloterdijk und Proust an den Schulen unterichten sollen (dann hat man neben dem grundsätzlichen revolutionärem Handwerk auch noch gleich den enttäuschenden Charakter des Lebens und er Liebe verstanden), sämtliche Fernsehsender sprengen müssen und der ganzen verdammten Gesellschaft ein von der Warenökonomie entkoppeltes Bildungsangebot machen müssen. Tatsächlich besteht die Bildungsoffensive aber im Rauchverbot in Kneipen (hallo Volksgesundheit) und im angestrebten Verbot von Killerspielen. Konsequent weitergedacht wird dann in Zukunft einfach verboten, was einem nicht passt. Die Polkappen schmelzen? Shit, das haben wir denen doch verboten! Bienensterben? Das ist gegen das Grundgesetz (das, was noch davon übrig ist)! Sonnenflecken? Ein klarer Verstoß gegen die Richtlinien des Umweltministeriums!
Stattdessen sind wir jetzt sehr gründlich fucked up – was aber nur die erste Stufe auf der sich abzeichnenden Richterskala darstellt. Und mit wir meine ich jetzt nicht nur die vermutlich gerade noch so 2 Milliarden die noch halbwegs erster, zweiter und dritter Klasse fahren, ich meine auch gerade diejenigen, die laufen müsssen und nicht einmal Schuhe haben, vom Apple-Mac-Book fabrizierenden (super, ein ganz schlichtes, stylishes Stück Ausbeutung und aus einem vollen Aluminiumblock gefräst) chinesischen Wanderarbeiter bis zum Indianer im Regenwald, dessen Dorf man gerade planiert hat, damit europäische Konzerne Holz für Parkettfußböden importieren können.
Diese Kerze brennt nicht nur an beiden Enden, sie ist auch gar nicht mehr löschbar. Die Rohstoffe werden unausweichlich rücksichtslos alle verbraucht werden (die Finanzindustrie ist da schon sehr erfolgreich) und wenn sich wegen des sich verknappenden Angebotes nur noch wenige leisten können, wird eben mit kreditfinanzierten Abwrackprämien nachgeholfen.
Und man glaubt es ja kaum: was mir damals in der Rede als das übliche notorische Phrasendreschen erschien, ist im heutigen rethorischen Vergleich ja ein einigermaßen glänzendes Stück gewesen. Das Herr Herzog im historischen Rückblick ganz gut dasteht, wirft ein bezeichnend schlechtes Licht auf die Inkompetenzler und korrupten Knallchargen, die sich für unsere Elite halten und die auch ziemlich viele von uns wirklich fabelhaft verdient haben – und für alle anderen hege ich langsam wieder die Hoffnung der revolutionären Tat.
März 24th, 2009 at 16:25
Little Typos: “der fall”, “quailifizierter”
BTW: Evtl. hat SpOn ja alle anderen Kategorien neben “Panorama” fallenlassen? Würde ja nix ändern. Kann ich mir gut vorstellen. Nachschauen mag ich da jetzt lieber nicht.
März 25th, 2009 at 02:03
erstens: feynsinn ist guter blog: daß meine kritik nicht als destruktive aufgefasst wird. so und jetzt frei von der leber weg:
flatter sagt:
>Politik sollte sich die Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zum Ziel machen. Dies ist ihre Aufgabe.
ich kann das wort “politik” nicht mehr hören. “was macht die politik?”. “ist jetzt nicht die politik gefordert?”. “hat die politik versagt?”
flatter, überlass diese wortwahl den tagesthemen! “politik” in einem demokratischen system ist synonym für: gesellschaftsgestaltung, die durch mehrheitsentscheid bestimmt wird. hier in schilda jedoch werden nicht die vertreter des volkes gewählt sondern dessen chefs.
Mai 9th, 2009 at 12:47
[...] Update 1 300 DPI auf Flickr Danke für die weisen Worte! Die Idee zu dem Text stammt von Feynsinn. [...]