Was nach der Katastrophe kommt
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
09. Mrz 2009 0:38
Inzwischen werden Untergangsszenarien gezeichnet, so etwa von Peter Dausend und Mark Schieritz in der “Zeit”. Die Phantasie, die dabei an den Tag gelegt wird, hält sich in argen Grenzen, nämlich der des gescheiterten Finanzsystems und bekannten Standardvorstellungen von Inflation (nicht einmal Deflation) und möglichen Reaktionen drauf. Daß die Autoren in der “Zeit” ernsthaft glauben, Regierungen ließen sich von den Reaktionen und Wohlstandsansprüchen ihrer Völker leiten, birgt große Komik, zumal, wenn das Volk sich gegen “Schulden” erhebt:
“Und sie sind wütend, so ziellos kann Wut sein, auf die Regierung, weil sie mit Blick auf die nächsten Wahlen nun immer mehr Unternehmern immer mehr Direkthilfen zukommen lässt und dadurch Schulden aufhäuft, die alle überfordern.”
Welch ein grotesker Unfug!
Wenn man Katastrophen erlebt, sind andere Parameter entscheidend, zum Beispiel die Zuversicht, daß man sich das Brot und die geheizte Wohnung noch leisten kann. Und wenn es dazu kommt, sprechen wir nicht mehr von aufgehetzten Unzufriedenen, sondern von Aufständen, die sich überall entladen. Von wirklich sinnloser, zielloser Gewalt.
Dies alles wissen aber unsere fleißigen Innensicherheitspolitiker längst. Ein Szenario des Untergangs müßte sich also an den Aktionen und Reaktionen von Aufstandsbekämpfung und Aufständen (in dieser Reihenfolge) orientieren. Wie auch immer das kommen mag, mit Zivilisation wird das wenig zu tun haben.
Diese Frage kann man aber wahlweise an Hollywood oder die BBC weitergeben, sie ist wenig hilfreich, um eine politische Situation zu beschreiben, geschweige denn, sie in den Griff zu bekommen.
Selbst die Frage, ob die Krise sich zur zivilen Katastrophe ausdehnt und welche Ausmaße sie noch annehmen wird, ist eher poetischer Natur. Ich mache mich vielleicht lächerlich, aber ich halte die Frage für vordringlich, wer wie dazu in der Lage wäre, die Zivilisation aufrecht zu erhalten. Da wäre es natürlich das Beste, wenn sich Ideen zur Überführung eines gescheiterten Wirtschaftssystems in ein funktionierendes einfänden. Gleichzeitig darf man gleichwohl daran denken, was man denn zu tun hat, wenn es dafür bereits zu spät zu sein sollte.
Ganz egal, ob es die Rettung der Wirtschaft oder die des Rechtsstaates anbetrifft, muß man hier einige Schritte voraus denken. Es braucht die Phantasie, sich völlig andere Mechanismen vorzustellen als die, welche man bereits aus der Vergangenheit kennt. Das gilt sowohl für die zu ergreifenden Maßnahmen als auch für die sich selbständig entwickelnden Auswirkungen der gegebenen Krise. Es bedarf großer Lösungen und anderer Lösungen, und zwar lange bevor der Retter mit der Endlösung vor der Tür steht.
Da wir ja hoffentlich über den Punkt hinaus sind, wo schlimmste Befürchtungen als unberechtigt und “Krisengerede” gelten, darf tief in die Kiste gegriffen werden, um sich einmal alles zu anzuschauen, was da möglich ist. Einschließlich sozialistischer, freiwirtschaftlicher und sonstiger Ideen, die bislang Tabu sind. Eine Währungsreform braucht man auch nicht erst zu diskutieren, wenn sie unabwendbar ist, ebenso eine völlige Umstrukturierung der Europäischen Union und eine Kündigung sämtlicher bislang gültiger Wirtschaftsverträge. Das ist es, was ich eigentlich von Ökonomen in diesen Tagen erwarte (Kommentare zu diesem Satz sind nicht wirklich nötig).
Ich erwarte ebenfalls von Politikern die Forcierung einer solchen Diksussion, anstatt sich darauf zu verlassen, daß es im Fall der Fälle schon gutgehen wird für diejenigen, die von den Truppen geschützt werden.
Nur eine wirklich offene Diskussion über alle denkbaren Maßnahmen kann auch mittelfristig zu einer Umstrukturierung der Weltwirtschaft in einem humanen Sinne führen. Ein bißchen Regulierung hilft da nicht, was auch bedeutet, daß eine Regulierung des Bestehenden nicht ausreicht. Was Lafontaine als “gefährlichster Mann Europas” vor zehn Jahren gefordert hat, worin auch der Grund seines Rücktritts lag, ist heute nicht mehr nur diskutabel, sondern ganz oben auf der Agenda. Ein Umbau der Marktwirtschaft muß so aussehen, daß sie zukünftig nichts mehr mit dem gemein hat, was bislang als einzig wahre und gültige Wahrheit galt. Es darf keine Konkurrenz mehr um die günstigsten Bedingungen für das Geld der Plünderer geben, sondern im Gegenteil einhellige Reglementierugen und das unumstößliche Primat der Politik. Wer dabei nicht mitmacht, muß vom Handel der zivilisierten Staaten ausgeschlossen sein.
Noch ist wenig Hoffnung, denn noch beten sich alle gesund und hoffen, daß es sie irgenwie nicht erwischt. Es wird sich aber die schmerzhafte Erkenntnis durchsetzen, daß niemand mehr profitiert, wo nur auf Profit gesetzt wird. Und selbst im Angesicht dieser Erkenntnis wird es wenig Hoffnung geben, solange die Altideologen in Politik und Wirtschaft noch fest im Sattel sitzen. Einzig der Erlöser aus den USA gibt heute Anlaß zur Hoffnung. Er könnte es sich leisten, einen völlig neuen Weg zu weisen und das immense Risiko einzugehen, den “Change” noch viel radikaler und weitreichender anzustoßen, als er es sich selbst je zu träumen gewagt hätte.
Nein, ich glaube auch nicht an Erlöser. Darum spreche ich von “Hoffnung”, von einer winzigen, an der man sich orientieren kann. Allerdings sollte jeder, für den es ein “Morgen” gibt, aufhören, umzudenken. Es ist bitter nötig, ganz von vorn mit dem Denken anzufangen – und bis zum Ende durchzuhalten.
März 9th, 2009 at 10:15
Wie (fast) immer (oder mehr-oder-weniger) bin ich auch der gleichen Auffasung. Aber:
“Allerdings sollte jeder, für den es ein “Morgen” gibt, aufhören, umzudenken. Es ist bitter nötig, ganz von vorn mit dem Denken anzufangen – und bis zum Ende durchzuhalten.”
Etwas ahne ich zwar, aber bin ich mir nicht sicher, was diese Sätze eigentlich sagen wollen?
März 9th, 2009 at 10:36
Moin!
Ist gibt tatsächlich nur einen Hoffnungsschimmer,und der heißt Obama!
Rückblickend erweist sich Georgie Bush als “Glücksfall” für die USA,da es ohne die desaströse Wirtschafts- und Außenpolitik dieser Figur niemals einen Präsidenten Obama gegeben hätte.Etwas weniger Chaos,und auch die USA würden weiter nach der gleichen Musik marschieren,wie wir hier.
So kann jetzt endlich umgesteuert werden,wenn auch viel zu spät.Aber ist ein Anfang,und mit Obama ist es der richtige.
Grüße
Hagnum
Grüße
März 9th, 2009 at 11:45
@Hagnum
du magst recht haben, aber dem “gluecksfall” verdanken viele erdenkinder ihre entleibung.
ich denke auch, bevor sich grundlegend etwas aendert, wird das innenministerium eigene truppen unterstellt bekommen. da man mittlerweile von kriminellen in der regierung sprechen muss, wird eine verfassungsaenderung dahingehend mit der naechsten grossen koalition formsache sein! der natogipfel wird jedenfalls die grenzen der buergerrechte in dieser hinsicht weiter negativ verschieben.
März 9th, 2009 at 12:18
“…aber ich halte die Frage für vordringlich, wer wie dazu in der Lage wäre, die Zivilisation aufrecht zu erhalten.”
Im Blog “Schall und Rauch” gab es im letzten Herbst eine lebhafte Diskussion über einen möglichen Zusammenbruch der Zivilisation: https://alles-schallundrauch.blogspot.com/2008/01/der-persnliche-notfallplan.html
Erschreckend fand ich, dass der Begriff “Solidarität” keine Rolle spielte. Die Leute überlegten, wie sie ihre Notrationen versteckten, und alles zusammen genommen würde es mit diesen Leuten ein tödliches Gegeneinander geben.
Das Einzige, das uns alle retten würde, wäre ein Zusammenhalten in größeren Gruppen. So könnte man auch Alte, Kranke und Kinder mitschleppen. Aber nach der “Erziehung” in unserer Welt, die den Egoismus fördert – seh ich ziemlich schwarz.
März 9th, 2009 at 13:53
“Was nach der Katastrophe kommt”…konnte man gestern um 23:30 in der ARD sehen – ‘Wolfzeit’.
Zu Bush – tatsächlich ein Glücksfall der Geschichte, wenn auch ein tragischer.
Mir ist doch ein direkter Krieg, dessen Wirkung medial in alle Haushalte gespühlt wird, wesentlich lieber als diese Hinterhofmassaker des IWF unter Clinton von denen keiner Kenntnis nimmt.
Ob Omana der richtige – eher nicht, wirklich revolutionär wäre Ron Paul gewesen, man muss sich ja nur das Kabinett des “Messias” anschauen…Monsanto-Lobbyisten, Goldman-Sachs-Bankster, Börsenspekulanten usw..
“Change” ist was anderes.
März 9th, 2009 at 15:46
Obama? Kann ja wohl nicht euer ernst sein.
https://cryptome.com/0001/obama-trilat.htm
Perfektes Marketing…
Treffer, versenkt.
Danke für diesen Text, Feynsinn gehört mittlerweile zu den ersten Anlaufstellen, sobald ich mich vor dem Rechner einfinde. Die Qualität deines Outputs ist extrem hoch.
März 9th, 2009 at 16:16
Zitat aus der “Zeit”
“Und sie sind wütend, so ziellos kann Wut sein, auf die Regierung…”
Ahem, sie haben dann doch die Richtigen im Visier! An der Stelle habe ich auch aufgehört, den Zeit-Artikel weiterzulesen und beschlossen, das Abo zu kündigen.
Eine Zeitung soll sachlich informieren und nicht den Puls auf “100 Meter Sprint” bringen.
März 9th, 2009 at 23:09
Was das Faktum des unbedingt wieder einzufordernden Primats der demokratischen Politik über die ökonomischen Zumutungen betrifft, würde ich als anregende Lektüre “Über das Politische” der Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe vorschlagen:
https://www.perlentaucher.de/buch/26676.html
Chantal Mouffe – Über das Politische
Bei einer neuen Wirtschaftsordnung sollte man aber den wichtigen Unterschied zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus machen, damit nicht das “marktwirtschaftliche Kind” mit dem “kapitalistischen Bade” ausgeschüttet wird. Das hatten wir nämlich schon einmal. Der Markt ist zwar ethisch blind, kann aber effizient sein. Damit in einer sozialen Marktwirtschaft Nutzen für alle gestiftet wird, bedarf es natürlich einer entsprechenden (Wirtschafts-)Politik.
Alle Obama-Skeptiker möchte ich mal fragen, ob im “Land der unbegrenzten Möglichkeiten” denn mehr “drin” war? Wenn unter Obama der Zug wenigstens wieder in die “richtige” Richtung fährt, kann (und muß) man zufrieden sein.
März 10th, 2009 at 02:48
[...] Was nach der Katastrophe kommt … der Artikel bringt eine Reihe von Überlegungen und Fragen auf den Tisch, die meiner Ansicht nach als gute und richtige Denkansätze bezeichnet werden können … wir sollten das Neue wagen und dabei alles Alte rigoros über den Jordan jagen (ohne dies näher umschreiben zu wollen, empfehle ich es dennoch wörtlich zu nehmen!) [...]
März 10th, 2009 at 05:59
“Damit in einer sozialen Marktwirtschaft Nutzen für alle gestiftet wird, bedarf es natürlich einer entsprechenden (Wirtschafts-)Politik.”
Kern des ganzen müsste m.E. viel eher die Finanzpolitik sein, die das internationale Wanderkapital entmachtet, das Geld neutralisiert, die Geldschöpfung kontrolliert etc..
Alles andere wäre aus meiner Sicht nachrangig, bzw. erst wirksam durchzusetzen wenn man die Kapitalmacht und damit die Diktatur der Ökonomie gebrochen hat.
Zu den USA:
Sicher, hätte es mit McCain noch schlimmer kommen können und überhaupt scheint es fraglich ob in einem Politiksystem das sich v.a. aus Multimillionären rekrutiert überhaupt etwas veränderbar ist.
Aber Obama hat halt meist nur mehrdeutige Phrasen abgehalten, vergleichbar heute mit
“Gerechtigkeits”-Müntefering, bekanntermaßen ein reudiger Lügner und Schönschwätzer der nichts vom dem hält was er verspricht.
Ron Paul hat die meisten wesentlichen Probleme klar angesprochen, gut, ob er diese auch angegangen wäre, ist wieder etwas anderes.
Zumal die Democrates ja alles andere als Waisenknaben sind.
März 10th, 2009 at 16:41
“[...]Das Einzige, das uns alle retten würde, wäre ein Zusammenhalten in größeren Gruppen. So könnte man auch Alte, Kranke und Kinder mitschleppen. Aber nach der “Erziehung” in unserer Welt, die den Egoismus fördert – seh ich ziemlich schwarz.[...]”
Ich ahne, was du meinst, ich hatte heute Mittag auch so eine Diskussion mit meiner Schwester, die auch nur an sich denkt, und völlig entsolidarisiert ist.
Auf meine Einwände meinte die nur “du nimmst alles persönlich”….
Ist wohl die Standartausrede der Menschen, die auf die Entsoldarisierer reinfallen?
Wie persönlich soll ich es denn noch nehmen, wenn die eigene Schwester, die im Nachbarort 5 km weiter wohnt, meint, dass ich im Elternhaus Miete bezahlen soll, und dass meine Mutter das Tourismusunternehmen aufgeben soll, wo ich mit 400,– Euro-Brutto im Monat, angestellt bin – (noch) bis ich was anderes finde in diesen schweren Zeiten. Meiner Schwester ist es übrigens scheißegal, die verfolgt nicht einmal die “Neue Weltwirtschaftskrise”, und dass immer mehr arbeits-, und diesmal wirklich chancenlos, werden. In einem Jahr soll alles geregelt sein. Ich seh da schon einen ganz schweren Konflikt heraufdämmern, denn kampflos lasse ich mich nicht aus dem Elternhaus mobben, nachdem mein Vater – der eigentliche Arbeitgeber – gestorben ist, ohne etwas regeln zu können. So greift nun eine “gesetzliche Erbengemeinschaft”, wo meine Mutter die Haupterbin ist, wenn meine Schwester das nicht akzeptiert, dann sehe ich die halt vor Gericht wieder….
Gruß
Nachdenkseiten-Leser
März 10th, 2009 at 22:51
@ 10
Klar, die Verteilungsfrage ist ein Kernproblem.
Das Aberwitzige ist ja, daß diejenigen, die sich immer so vehemend gegen Umverteilungspolitik “von oben nach unten” aussprechen, selber ungeniert durch Umverteilung profitieren. Natürlich durch die “von unten nach oben”, versteht sich.
@ 11
Erb- und Familienstreitigkeiten sollen ja in den besten Familien vorkommen. Und der entsolidarisierende Spaltpilz des ökonomistischen Denkens leider auch.
März 11th, 2009 at 08:41
Aha, da ist der Kapitalismus also mal wieder am Ende. Ach Gottchen, schon wieder? Ist aber auch einfach nicht totzukriegen, die hartnäckige alte Sau.
Wenn die politische Linke sich nicht fortwährend in solcherlei ideologisch-illusionärem Unfug erginge, könnte man sie mit einigem guten Willen vielleicht sogar ernst nehmen. Aber so?
März 11th, 2009 at 10:53
@Natriumglutamat: Nomen est omen – es scheint Geschmack zu haben, ist aber doch bloß ein Verstärker dessen, was eh schon drin ist. Will heißen: Geht es noch ein wenig pauschaler? So lange sich “kritik” auf diesem Niveau bewegt, wäre Schweigen gnädig.
März 11th, 2009 at 18:51
Ja, also, wenn Sie nun wirklich darauf bestehen, geht es natürlich auch noch ein wenig pauschaler. Aber so pauschal wie die “Altideologen”, die “in Politik und Wirtschaft noch fest im Sattel sitzen”, “das Geld der Plünderer” ausgeben und eine “Kündigung sämtlicher bislang gültiger Wirtschaftsverträge” vornehmen sollen? Schon klar: am Fehlverhalten Einzelner ist natürlich immer und ausschließlich der Kapitalismus schuld, die ganze Welt ist sowieso schlecht, und wer nicht Ihrer Meinung ist, kann ohnehin nur Böses im Schilde führen, auch wenn daran natürlich wieder — na wer wohl — schuld ist. Böser Kapitalismus aber auch!
Heute gelernt: auch als Meister der Pauschalisierung kann man anderen ebendiese vorwerfen.
März 11th, 2009 at 18:59
“Fehlverhalten Einzelner ist natürlich immer und ausschließlich der Kapitalismus schuld…”
Die Sache ist nur…der Kapitalismus BELOHNT Fehlverhalten, vorrangig moralisches, mit wirtschaftlichem Erfolg…
März 12th, 2009 at 01:30
Das unterscheidet den Kapitalismus nicht von allen anderen Wirtschaftsordnungen. Wer sich unmoralisch einen Vorteil erarbeiten will, kann und wird das überall. Im rechtsstaatlichen Kapitalismus sind dem allerdings — zum Teil sogar recht enge — Grenzen gesetzt. Das Problem ist also nicht der Kapitalismus, sondern der Egoismus des Menschen, der ihn zu unmoralischen Handlungen treibt.
Überhaupt: was ist denn das, diese komische Moral? Davon hat ja nun so ziemlich jeder Mensch so seine ganz ureigene Vorstellung, und sogar die ändert sich im Laufe eines Menschenlebens oft mehr als einmal.
Komisch ist auch, daß Menschen dieselbe Handlung vollkommen unterschiedlich beurteilen — je nachdem, ob ein anderer sie begangen hat oder der beurteilende Mensch selbst oder jemand, der etwas besitzt, das den Neid des Beurteilenden weckt.
Sie werden einwenden, daß das jetzt alles nichts mehr mit dem Kapitalismus zu tun habe. Und wissen Sie was? Sie haben Recht, mit Kapitalismus hat das gar nichts zu tun — außer, daß er als Strohpuppe mißbraucht wird, um menschliche Eigenschaften und Fehlverhalten zu kritisieren, die im Grunde nichts mit ihm zu tun haben.
März 12th, 2009 at 18:11
Wenn man den Kapitalismus lediglich als Wirtschaftsordnung ansieht, vielleicht.
Darüber sind wir aber hinaus, der Kapitalismus ist unser Gesellschaftsmodell.
Das es zu jeder Zeit moralisches Fehlverhalten – begrenzen wir es darauf um des eigenen Vorteils wegen anderen Menschen Schaden zuzufügen, gegeben hat, ist klar.
Nur Fakt ist doch ganz klar, der Kapitalismus in seinem derzeitigen Zustand belohnt nicht nur Unmoral er nötigt die Marktteilnehmer sogar dazu.
Die Berichterstattung über den Amoklauf gestern gibt da schöne Beispiele, um sich bestmöglich zu vermarkten unterbieten sich die Medien mit Geschmacklosigkeiten.
Wer das meiste Blut zeigt, die intimsten Details der Opfer ausgräbt, erzielt die höchsten Quoten und damit Werbeeinnahmen.
Ohne den “Wettlauf nach unten” infolge der zwingenden Mehrwertschöpfung gäbe es diese Berichtertstattung kaum in dieser Form.
Und es steht ja wohl ausser Frage das gerade die totale Ökonomisierung der Gesellschaft, der Wahn nach Mehrwert, den eigenen Egoismus und seinen bösen Zwilling, die Ignoranz, von einer negativen Charaktereigenschaft zu einem “must have” der gesellschaftlichen Geisteshaltung pervertiert hat.
“Leben und leben lassen” wurde durch ein hoch effizientes, markttauglicheres “Geiz ist geil” und mir-gehört-die-Welt-Denkverhalten ersetzt.
Verantwortung für die Gesellschaft wurde durch Eigenverantwortung ersetzt, sprich die extreme Fokussierung auf die eigene Person zum Nachteil der Umwelt.
Mir wäre auch spontan keine Glaubensrichtung bekannt die das “ich” so sehr glorifiziert und in den Mittelpunkt aller Motive stellt wie die ökonomische Religion des Kapitalismus.
März 12th, 2009 at 23:22
Daß Sie die reißerische Amoklauf-Berichterstattung wieder einmal dem vermeintlich bösen Kapitalismus anlasten, finde ich vollkommen lächerlich. Wenn die Konsumenten der Medien eine solche Berichterstattung kaufen, also offenbar haben wollen, liegt das nicht am Kapitalismus, sondern an den Konsumenten. Sobald die Konsumenten die ekelhaften Skandalberichte nicht mehr kaufen, verschwinden derlei Berichte schneller, als Sie “Marx” sagen können. Versprochen. Das ist ja gerade das Schöne am Kapitalismus: er befriedigt die Bedürfnisse der Menschen, die sie mit ihren Konsum- und Kaufentscheidungen ausdrücken.
Sehr interessant finde ich auch Ihre Forderung nach der “Verantwortung für die Gesellschaft”. Genau diese Forderung wird nach meiner Erfahrung besonders häufig von Menschen erhoben, welche die eigene Verantwortung für die Gesellschaft nicht weit genug von sich weisen können, und die bereits hinter einer Forderung nach Eigenverantwortung, mithin also der Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben, regelmäßig nichts als verdammenswertes kapitalistisches Teufelszeug und neoliberale Verschwörungsumtriebe vermuten.
Letzten Endes ist dieses geradezu zwanghafte Schieben jedweder Verantwortung auf den Kapitalismus, mithin: “die Anderen”, doch ebenfalls Ausdruck dieser weit verbreiteten Weigerung, Verantwortung für die und in der Gesellschaftzu übernehmen. Wer ein Feindbild hat und ihm alles Böse und Schlechte anlasten kann, muß sich nicht mehr darum kümmern, etwas zu verbessern — es ist ja ohnehin alles “vergiftet” und kann eh nie zum Guten gewendet werden.
Aber wer ist das, diese ominöse “Gesellschaft”? Das sind doch Sie und ich und flatter und — nein, das erspare ich Ihnen und uns dabei nicht — auch die Käufer der oben erwähnten Amoklauf-Skandalberichte. Wenn Sie oder ich oder flatter oder diese Konsumenten unmoralisch handeln, liegt das ganz allein an uns selbst, aber nicht am Kapitalismus.
Diese engstirnige Monokausalität Ihrer Argumentation zeigt allerdings sehr genau, was ich hier kritisch zu beleuchten versuche: egal, was schiefläuft, für Linke ist immer nur der Kapitalismus daran schuld. Menschen tragen nie eine Verantwortung, außer — natürlich — “denen da oben” und den “Reichen”, wobei als “reich” im Zweifel jeder gilt, der mehr hat als man selbst. Prima, wie einfach doch die Welt sein kann, wenn man nur eine passende Ideologie und das dazugehörige Feindbild hat — herrlich, aber ernstzunehmen? Ich bitte Sie.
März 13th, 2009 at 00:06
Ich wollte ja auf derlei Kommentare eigentlich nicht eingehen, weil sie mir nämlich genau dies sind: Monokausal, nämlich in den Sinne, es gäbe kein systembedingtes Verhalten. Da bitte ich Sie!
Sicher ist der Mensch auch ein Individuum, und ich stimme gerade nicht damit überein, daß alles systembedingt sei. Aber eine Systemkrise in Einzelfälle zu zerlegen, ist Unfug.
Was mich wirklich nervt, sind schließlich Vokabeln wie die der “Eigenverantwortung”. Das ist gehirngewaschener Sprachmißbrauch.
März 13th, 2009 at 02:18
Der Kapitalismus hat gegen die “Sinnfrage” den “Konsum” aufgeboten. Und damit der erfüllt werden kann, braucht es natürlich Geld. Also rennt jeder wie blöd durch die Gegend, um möglichst viel davon zu ergattern. Und genau diese “Geisteshaltung” (eigentlich eher eine geistlose Haltung) wird gefördert und propagiert. Insofern hat der “Kapitalismus”, wie er in den letzten 20 Jahren betrieben wird, sehr wohl seinen fetten Schuldanteil daran, daß es so ist, wie es ist.
März 13th, 2009 at 06:15
Systembedingtes Verhalten… verzeihen Sie, wenn ich dabei an Tierversuche denke und ein wenig angewidert bin. Vielleicht bin ich da ein wenig überempfindlich.
Jedoch ist es tatsächlich Unfug, diese Systemkrise in Einzelfälle zu zerlegen. Obwohl es zum Verständnis der Krise auch Sinn macht, dieselben zu betrachten und in der Gesamtschau zu berücksichtigen.
Die aktuelle Krise ist Folge eines sozialpolitischen Eingriffs, der aus Habenichtsen Hausbesitzer machen sollte. (Siehe auch: US-Immobilienkrise, Community Reinvetment Act, National Home Ownership Initiative)
Ein weiterer Kernpunkt war das Gegeneinanderwirken der internationalen Bilanzierungsregeln mit den internationalen Eigenkapitalrichtlinien, die mit einer Liberalisierung des Marktes einher gingen. Dabei haben sich alle Beteiligten nicht mit Ruhm bekleckert. Das war ein offenbar sehr massives Versagen der internationalen und nationalen Gesetzgeber.
Sekundär haben auch die gesetzlich vorgeschriebenen Ratingagenturen versagt, staatliche Aufsichtsbehörden ebenso, und gerade staatliche Banken waren besonders blind und haben die größten Verluste eingefahren. Wie kann angesichts eines Totalversagens insbesondere des Staates nur jemand auf die Idee kommen, mehr Staat zu fordern?
März 13th, 2009 at 14:46
Um es kurz zu machen, eine Diskussion über Moral und Verantwortung ist bei Ihnen offensichtlich sinn-los, eine kleine Frage bzgl. unserer “Krise”:
Wie hätte der weltwirtschaftliche Aufschwung (>Wachstum) die letzten Jahre stattfinden sollen, wenn die ganzen an sich bonitätsfreien US Unter- und Mittelschichtler kein zusätzliches Geld (>Nachfrage) erzeugt hätten?
März 14th, 2009 at 01:22
Der weltwirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre wäre wahrscheinlich weniger stark ausgefallen, keine Frage. Aber der nährte sich ja gar nicht nur von den US-Kreditnehmern, sondern unter anderem auch von dem Wachstum in China, Indien und einer Reihe anderer Länder.
Wissen Sie, zu Beginn der Achtziger mußten zwei Drittel (66%) der Menschheit von weniger als zwei, zwei Fünftel (40%) von weniger als einem US-Dollar am Tag leben. Das sind heute nur noch die Hälfte (50%) mit weniger als zwei, und weniger als ein Fünftel (19%) mit weniger als einem, kaufkraftbereinigt, versteht sich.
Nun werden Sie zu Recht einwenden, daß jeder dieser armen Menschen immer noch einer zuviel ist — nicht als Mensch, sondern als Armer zuviel, wohlgemerkt –, aber auf der anderen Seite sind diese Zahlen meines Erachtens ein großer Erfolg und nicht zuletzt auch ein Zeichen eines zu langsamen, dennoch aber stetigen Wachstums. Und das findet erfreulicherweise gerade dort statt, wo es am Nötigsten ist.
Dank Kapitalismus und Globalisierung ist es gelungen, trotz eines Wachstums der Weltbevölkerung die Armut in erheblichem Umfang zu reduzieren. Finden Sie das nicht prima, ist das nicht ein höchst heheres und moralisches Ziel? Das würde mich aber wundern, wenn ich mich als angeblich gefühlloser und unmoralischer Liberalismusgeneigter darüber freuen könnte, Sie sich als mitfühlender, moralischer Linker aber nicht. ;-)
März 14th, 2009 at 01:26
Ach so, Verzeihung, daß ich mir selbst antworte. Aber leider haben Sie meine Frage nicht beantwortet, die mir doch so unter den Nägeln brennt, nämlich: wie kann man angesichts des offensichtlichen Versagens des Staates nach noch mehr Staat rufen? Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Bemühungen bei der Beantwortung dieser Frage, derer ich mit großer Spannung harre.
März 14th, 2009 at 01:50
Sachma, Natriumglutamat, haste schon mal nen Dollar gefressen? Und merken Eure Hoheit nicht, daß Ihrognaden mit den erlauchten “Argumenten” hier nicht wirklich landen?
Ich empfehle die Lektüre von, sagen wir, 10 – 20 der 1045 Artikel des hiesigen Blogs und Kommentare, die sich differenziert mit den hier zu lesenden Texten nachvollziehbar beschäftigen. Schon wirste ernstgenommen.
Ansonsten prophezeihe ich, daß das Ganze ohne Jux in Trollerei ausartet und die Zensur zuschlägt.
März 14th, 2009 at 13:01
@Natriumglutamat
Wenn du ein paar Stunden Zeit hast dann kann ich dir die Viedeovorträge von Prof.Bernd Senf wärmstens empfehlen https://berndsenf.de/MenuVortraegeSeminare.htm
insebsondere die Vorträge “Tiefere Ursachen der Weltfinanzkrise 1-4″
Zumindest bei mir haben diese Vorträge einen bleibenden Eindruck hinterlassen auch wenn der Professor manchmal ein wenig komische Züge an sich nimmt aber da sollte man drüber wegsehen :)
März 14th, 2009 at 17:10
Danke für den Link, sehr interessant.
Gag am Rande: Ich habe ein Video eine Weile angeschaut und war zwischendurch kurz versucht, die Webadresse im Tafelbild zu markieren, um sie zu kopieren, ich Honk.
März 14th, 2009 at 22:15
Hallo Quotex,
Professor Senf und seine Thesen sind mir bereits seit langer Zeit bekannt, und insbesondere hinsichtlich der freiwirtschaftlichen Aspekte seiner Arbeit bin ich sehr interessiert. Aber nicht nur er ist, nunja, etwas wunderlich, sondern auch seine Thesen sind es. Etwa das parawissenschaftlich-esoterische Gefasel von der kosmischen “Orgon”-Energie, das nehmen Sie doch hoffentlich nicht ernst? Insofern sehe ich Herrn Senf und seine Thesen als einen interessanten Ansatz, aber — zumindest bis jetzt — eben leider auch nicht mehr.
Hallo flatter,
was Sie betrifft, so tut es mir aufrichtig leid, mich geirrt zu haben. Tatsächlich hatte ich vermutet, daß hier kritisch diskutiert werden könne, waren doch Sie selbst es, der mir eine unzulässige Pauschalisierung vorwarf. Also habe ich versucht, mit sachlichen Argumenten eine Diskussion anzuregen.
Bis jetzt haben jedoch, so leid mir das tut, gerade Sie nicht viel Substanzielles dazu beitragen können oder wollen. Wo ich versuchte, sachliche Argumente vorzubringen, hatten Sie dem nichts als Geschwurbel, Spott und Häme entgegenzusetzen, sich dabei stolz vom hohen Roß Ihres moralischen Nimbus herablassend. Zu sagen hatten Sie nichts, davon aber reichlich viel.
Schade eigentlich. Ich hätte zu gerne mal mit einem Linken gesprochen, der ein konsistentes Weltbild hat und es mit logischen, faktischen und verständlichen Argumenten so vertreten kann, daß es einem mindesten intellektuellen Anspruch genügt. Aber mit Linken Ihres Schlages sachlich zu diskutieren ist ebenso abwechlungs- und aussichtsreich wie dasselbe mit Rechten.
Deswegen ist hier für mich jetzt EOT. Sie können hier jetzt wieder ganz in aller Ruhe krakehlen, Ihren Neid und Ihre festgefahrene Vorstellung von einer Meinung pflegen, oder was immer Sie möchten. Sie können mich auch gerne zensieren. Hoffentlich fühlen Sie sich dabei ganz wie der kleine Held, als der Sie sich mir gegenüber dargestellt haben.
März 14th, 2009 at 23:54
Tja, Herr Glutamat, und das ganze Gelaber perlt völlig wirkumgslos an mir ab. Sie suchen auch keine “Linken”, Sie suchen Pappkameraden, ähnlich wie Border & Co.. Ich halte es für ganz selbstverständlich, daß Sie zuerst auf meinen Artikel eingehen, ehe ich mich mit Ihren “Argumenten” auseinandersetze. Das hat leider nicht stattgefunden. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn Sie ihre “Linken” woanders beleidigen – dort, wo sie solche auch finden.