Inzwischen werden Untergangsszenarien gezeichnet, so etwa von Peter Dausend und Mark Schieritz in der “Zeit”. Die Phantasie, die dabei an den Tag gelegt wird, hält sich in argen Grenzen, nämlich der des gescheiterten Finanzsystems und bekannten Standardvorstellungen von Inflation (nicht einmal Deflation) und möglichen Reaktionen drauf. Daß die Autoren in der “Zeit” ernsthaft glauben, Regierungen ließen sich von den Reaktionen und Wohlstandsansprüchen ihrer Völker leiten, birgt große Komik, zumal, wenn das Volk sich gegen “Schulden” erhebt:

Und sie sind wütend, so ziellos kann Wut sein, auf die Regierung, weil sie mit Blick auf die nächsten Wahlen nun immer mehr Unternehmern immer mehr Direkthilfen zukommen lässt und dadurch Schulden aufhäuft, die alle überfordern.”

Welch ein grotesker Unfug!
Wenn man Katastrophen erlebt, sind andere Parameter entscheidend, zum Beispiel die Zuversicht, daß man sich das Brot und die geheizte Wohnung noch leisten kann. Und wenn es dazu kommt, sprechen wir nicht mehr von aufgehetzten Unzufriedenen, sondern von Aufständen, die sich überall entladen. Von wirklich sinnloser, zielloser Gewalt.
Dies alles wissen aber unsere fleißigen Innensicherheitspolitiker längst. Ein Szenario des Untergangs müßte sich also an den Aktionen und Reaktionen von Aufstandsbekämpfung und Aufständen (in dieser Reihenfolge) orientieren. Wie auch immer das kommen mag, mit Zivilisation wird das wenig zu tun haben.
Diese Frage kann man aber wahlweise an Hollywood oder die BBC weitergeben, sie ist wenig hilfreich, um eine politische Situation zu beschreiben, geschweige denn, sie in den Griff zu bekommen.
Selbst die Frage, ob die Krise sich zur zivilen Katastrophe ausdehnt und welche Ausmaße sie noch annehmen wird, ist eher poetischer Natur. Ich mache mich vielleicht lächerlich, aber ich halte die Frage für vordringlich, wer wie dazu in der Lage wäre, die Zivilisation aufrecht zu erhalten. Da wäre es natürlich das Beste, wenn sich Ideen zur Überführung eines gescheiterten Wirtschaftssystems in ein funktionierendes einfänden. Gleichzeitig darf man gleichwohl daran denken, was man denn zu tun hat, wenn es dafür bereits zu spät zu sein sollte.
Ganz egal, ob es die Rettung der Wirtschaft oder die des Rechtsstaates anbetrifft, muß man hier einige Schritte voraus denken. Es braucht die Phantasie, sich völlig andere Mechanismen vorzustellen als die, welche man bereits aus der Vergangenheit kennt. Das gilt sowohl für die zu ergreifenden Maßnahmen als auch für die sich selbständig entwickelnden Auswirkungen der gegebenen Krise. Es bedarf großer Lösungen und anderer Lösungen, und zwar lange bevor der Retter mit der Endlösung vor der Tür steht.
Da wir ja hoffentlich über den Punkt hinaus sind, wo schlimmste Befürchtungen als unberechtigt und “Krisengerede” gelten, darf tief in die Kiste gegriffen werden, um sich einmal alles zu anzuschauen, was da möglich ist. Einschließlich sozialistischer, freiwirtschaftlicher und sonstiger Ideen, die bislang Tabu sind. Eine Währungsreform braucht man auch nicht erst zu diskutieren, wenn sie unabwendbar ist, ebenso eine völlige Umstrukturierung der Europäischen Union und eine Kündigung sämtlicher bislang gültiger Wirtschaftsverträge. Das ist es, was ich eigentlich von Ökonomen in diesen Tagen erwarte (Kommentare zu diesem Satz sind nicht wirklich nötig).
Ich erwarte ebenfalls von Politikern die Forcierung einer solchen Diksussion, anstatt sich darauf zu verlassen, daß es im Fall der Fälle schon gutgehen wird für diejenigen, die von den Truppen geschützt werden.
Nur eine wirklich offene Diskussion über alle denkbaren Maßnahmen kann auch mittelfristig zu einer Umstrukturierung der Weltwirtschaft in einem humanen Sinne führen. Ein bißchen Regulierung hilft da nicht, was auch bedeutet, daß eine Regulierung des Bestehenden nicht ausreicht. Was Lafontaine als “gefährlichster Mann Europas” vor zehn Jahren gefordert hat, worin auch der Grund seines Rücktritts lag, ist heute nicht mehr nur diskutabel, sondern ganz oben auf der Agenda. Ein Umbau der Marktwirtschaft muß so aussehen, daß sie zukünftig nichts mehr mit dem gemein hat, was bislang als einzig wahre und gültige Wahrheit galt. Es darf keine Konkurrenz mehr um die günstigsten Bedingungen für das Geld der Plünderer geben, sondern im Gegenteil einhellige Reglementierugen und das unumstößliche Primat der Politik. Wer dabei nicht mitmacht, muß vom Handel der zivilisierten Staaten ausgeschlossen sein.
Noch ist wenig Hoffnung, denn noch beten sich alle gesund und hoffen, daß es sie irgenwie nicht erwischt. Es wird sich aber die schmerzhafte Erkenntnis durchsetzen, daß niemand mehr profitiert, wo nur auf Profit gesetzt wird. Und selbst im Angesicht dieser Erkenntnis wird es wenig Hoffnung geben, solange die Altideologen in Politik und Wirtschaft noch fest im Sattel sitzen. Einzig der Erlöser aus den USA gibt heute Anlaß zur Hoffnung. Er könnte es sich leisten, einen völlig neuen Weg zu weisen und das immense Risiko einzugehen, den “Change” noch viel radikaler und weitreichender anzustoßen, als er es sich selbst je zu träumen gewagt hätte.
Nein, ich glaube auch nicht an Erlöser. Darum spreche ich von “Hoffnung”, von einer winzigen, an der man sich orientieren kann. Allerdings sollte jeder, für den es ein “Morgen” gibt, aufhören, umzudenken. Es ist bitter nötig, ganz von vorn mit dem Denken anzufangen – und bis zum Ende durchzuhalten.