Inspiriert durch einen Artikel von weißgarnix über Sloterdijks “Weltinnenraum des Kapitals”, gestatte ich mir, euch ein wenig mit einem kleinen Ausschnitt aus meinem großen Pamphlet zu langweilen, das mir geeignet scheint, den Grundgedanken zu skizzieren. Es geht mir um die Frage, warum Kapitalismus funktioniert. Warum machen quasi alle mit?
Die andere große Frage ist die nach einem Motiv, einem Antrieb, der eine humanere Gesellschaft begründen könnte. Ich habe die auf unterschiedlichen Antrieben basierenden Grundkonzepte “Selbstsorge” und “Fürsorge” genannt. Mal sehen, ob wir zu einer Diskussion kommen, sonst ist der Text halt für die Tonne.
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Wirtschaftskonzepte, basierend auf Fürsorge oder Selbstsorge als Realitätsprinzip
Um sich zu vergegenwärtigen, welche die psychischen Grundlagen der Wirtschaftssysteme sind, macht es Sinn, das Realitätsprinzip zu betrachten, dem sie folgen. Ausgehend von Freuds Begriff des “Realitätsprinzips” hat Herbert Marcuse in “Triebstruktur und Gesellschaft” die These aufgeworfen, es gebe eine “vorherrschende historische Form des Realitätsprinzips”. Das muß erläutert werden:
Grob skizziert, entsteht das “Ich”, das vernunftbegabte Subjekt, durch die Ersetzung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip. Der Mensch folgt, wie bereits geschildert, nicht einfach seiner Nase zum Triebziel, sondern er prüft die Situation unter Zuhilfenahme seiner Erinnerungen und koordiniert das Machbare mit dem Erwünschten. Dies geschieht im Individuum, aber es gibt durchaus auch kollektive Formen solcher Wirklichkeitserzeugung. Marcuse war der Ansicht, das “Leistungsprinzip” sei die “vorherrschende historische Form des Realitätsprinzips”, die Menschen seien also darauf ausgerichtet, ihre Triebunterdrückung und die Restbefriedigung so zu organisieren, daß sie ihre Leistungsfähigkeit dem Kollektiv/der Gesellschaft zur Verfügung stellen können. Ob man diese Ansicht teilt, sei dahingestellt. Der Grundgedanke aber ist fruchtbar, und ich möchte ihn adaptieren in der Form, daß ich Marcuses Perspektive verlasse und eine andere einnehme. Marcuse hat sein Augenmerk auf die Funktion der Individuen als produzierende gerichtet. Sie sind in der Masse also Menschen, die arbeiten, etwas herstellen, Dienstleistungen erbringen und Mehrwert produzieren. Diese noch quasi marxistische Perspektive mag mit den Füßen auf Hegels Kopf stehen, aber sie macht den zweiten Schritt vor dem ersten. Daher war auch seine Hoffnung, die er auf die “Verwandlung der Sexualität in den Eros” setzte, recht gewagt. Der Gedanke, es gebe eine je aktuelle Form der Organisation des Realitätsprinzips, also nicht bloß ein Realitätsprinzip, das immer in der von Freud beschriebenen Form walten muß, ist sehr zu loben. Freuds starrer Blick auf die Unterdrückung der Triebe verführt überdies zu falschen Schlußfolgerungen. Der Glaube, es gebe auf der einen Seite die Triebe, die die Energie liefern und auf der anderen Seite die Organisation der Triebunterdrückung, die nur bestimmte Formen der Befriedigung zuließe, war schon bei Freud eher Axiom als Befund. Könnte es eine “Kultur” geben, die nur mit nur purer Gewalt die Triebe unterdrückt? Wäre es also am Ende die schiere Angst, die die Einzelnen dazu bringt, ihre Triebe in einer bestimmten Weise zu organisieren bzw. sie nicht auszuleben? Vielleicht wäre das möglich. Aber damit wäre die Fragestellung schon sehr eingeschränkt. Das Modell, demzufolge es einen Drang gibt, eine Bewegung, die in Bahnen geleitet wird, ist nicht falsch. Aber wie steht es mit der Möglichkeit konkurrierender Triebe? Eine Fragestellung, die in der Sphäre der Gesättigten in den Vordergrund rückt. Was bewog schon in der Vergangenheit die Herrschenden zu herrschen? Was die Ausbeuter zur Ausbeutung? Waren sie von Leistungsprinzip ausgeschlossen? Und welches Realitätsprinzip beherrschte sie dann?
Im Fokus der Sorge um sich selbst und um andere erweitert sich das Bild. Die “Unterdrückung” der Triebe ist, wie bereits angedeutet, ja eine Strategie zu ihrer Erfüllung. Wer die Befriedigung aufschiebt, hat etwas davon. Es kann zu seinem Überleben beitragen. Es kann fundamental zum Überleben der Gattung beitragen. Es steigert Lust, und es sichert Macht, die wiederum Befriedigung ermöglicht. Diese Strategie “Triebunterdrückung” zu nennen, ist einäugig.
Die Frage stellt sich also eher, wie die Energie in Strategien eingebunden wird. Die Entwicklung solcher Strategien ist zunächst eine Fähigkeit und kein Hemmnis. Man kann auch das Teilen, das Verzichten auf Ressourcen und womöglich auf Triebbefriedigung zugunsten anderer “Unterdrückung” nennen. Aber es sollte auf der Hand liegen, daß nur so “Freiheit” möglich ist. Und hier liegt eine Wurzel des Mißverständnisses, das neoliberale Plünderungskapitalisten ebenso pflegen wie romantisierende Hippies: Freiheit ist immer nur begrenzt und trägt ihr Ende, von dem sie nichts wissen will, in sich. Es gibt keine Freiheit ohne Maß. Dieses auszutarieren, ist definitiv keine Unterdrückung.
In der Betrachtung von Wirtschaftssystemen ist es demnach nicht einfach dabei zu belassen, nach den Mechanismen zu suchen, die die Menschen an die Produktion koppeln und die Welt in abhängig Produzierende und Profiteure zu unterteilen. Damit sei übrigens nicht gesagt, jegliche Diskussion über den Arbeitswert sei hinfällig. Aber eine ganze Theorie darauf zu begründen, ist schon recht sparsam. Ebenso kurzsichtig ist auch die These, ein “Markt” regle sich über Angebot und Nachfrage. Spätestens auf der Nachfrageseite wird es nämlich kompliziert: Wie generiert sich denn eine Nachfrage? Wie entstehen und organisieren sich Bedürfnisse? Und damit sind wir wieder mitten in der Fragestellung: Welche Rücksicht nehmen die Wirtschaftssysteme bzw. die mit ihnen und den zugrundeliegenden Theorien verbundenen Vorstellungen auf das Problem der Versorgung? Was versprechen sie sich und anderen? Welche Strategien entwickeln sie?
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Wo die kapitalistische Wirtschaft auf Akkumulation setzt, also auf eine möglichst effiziente Anhäufung wirtschaftlicher Macht, hält es die der sozialistisch-kommunistischen, namentlich marxistischen Planwirtschaft mit der konkreten Zeitsouveränität des Realitätsprinzips. Der Kapitalismus, die Ideologie freien Wirtschaftens und Handelns, ist nicht allein auf eine Art “Reichtum den Reichen” – Prinzip zurückzuführen. Zwar läuft vieles darauf hinaus, denen zu geben, die schon haben, aber die Vorteile der Marktwirtschaft, auf der der Kapitalismus basiert, liegen auf der Hand. Historisch betrachtet, liegt das Erfolgsrezept solcher Wirtschaftsstrukturen darin, daß sie eher dazu geeignet sind, Bevölkerungen materiell zu versorgen. Daraus wiederum folgt die Möglichkeit, gerade Reichtum zu vermehren, denn die Voraussetzungen für die Produktion qualitativ hochwertiger Waren sind eben am ehesten dann gegeben, wenn der Lebensstandard der Produzierenden ein Mindestmaß an Luxus und Konsum zuläßt. Historisch überkommen sind Theorien, die von der Annahme ausgehen, Ausbeutung als Basis kapitalistischen Wirtschaftens sehe vor, dem Proletariat nur das Nötigste zum Leben zu lassen. Wollte man die absolute Macht weniger über viele etablieren, müßte man es wohl so halten. Aber eben um solche losgelöste Verfügungsgewalt geht es nicht im Kapitalismus. Was auch immer man sich bemüht, ihm zu unterstellen, es bleibt ihm eine vordergründig löbliche Eigenschaft: Er korrespondiert mit der Bemühung um Versorgung. Das Konzept besteht darin, auf Vorrat zu produzieren. Und zwar nicht auf einen Vorrat, der tatsächlich zum Konsum ansteht oder zur Versorgung notwendig wäre, sondern auf den totalen Vorrat. Die Zauberformel ist das “Angebot”, das sich nicht wirklich an der Nachfrage orientiert. In ihm verbirgt sich vielmehr das Prinzip, auf dem Gier beruht: Stets so viel zur Verfügung zu haben, daß man sich jeden Wunsch erfüllen kann. Dahinter steht nicht nur die Vorstellung vom Leben als Millionär, der nicht mehr arbeiten muß, sondern das Phantasma eines Reichtums, der schon Bedürfnisse abdeckt, die noch gar nicht aktuell sind. Auch hier wirkt das Prinzip in beide Richtungen. Die produzierten Bedürfnisse sind kein Trick der Werbebranche, aber die Anbieter machen selbstverständlich gern von der Möglichkeit Gebrauch, den Kunden Bedürfnisse einzureden. Sie zehren dabei von der gar nicht dummen Idee der Einzelnen, Vorräte anzulegen. Daß der Wahn in den gesättigten Gesellschaften so weit geht, auch Bedürfnisse auf Halde zu produzieren, entspricht nur einer intelligenten Versorgungsstrategie, die übers Ziel hinausgeschossen ist.
Anders verlief die bisherige Geschichte sozialistischen Wirtschaftens. Ihre Idee war die vollständige Versorgung aller, die Erfüllung der Bedürfnisse zu einem Zeitpunkt, absolute Konstanz. Man kann vom “geplanten Nirwana” sprechen.
Illusionär befaßt die Planwirtschaft sich mit der planbaren Wunscherfüllung nach Maß. Es soll immer genug für alle da sein. Historisch war der Wirtschaftsmarxismus sich zunächst der Schwierigkeit der Aufgabe bewußt, ein Volk zu versorgen, ohne daß jemand hungern müßte. In Abgrenzung des zu jener Zeit aktuellen Ausbeutungskapitalismus’ verlor man sich an die Vorstellung, daß eine Volkswirtschaft erfolgreicher wäre, wenn niemand von der Produktion der Waren profitierte. Man würde schließlich die Gewinne, die sonst abgeschöpft wurden, unter allen verteilen. Um nun zu vermeiden, daß mit Überschüssen doch wieder freier Handel betrieben würde, der zu Übervorteilung und Ausbeutung führen könnte, verbot sich solche Vorratsproduktion außerhalb der Kontrolle der staatlichen Macht. Geht man einmal davon aus, was historisch nie der Fall war, daß nämlich die staatliche Kontrolle nicht korrupt und hungrig nach Verfügungsgewalt gewesen wäre, so wäre das Prinzip der Planwirtschaft trotzdem zum Scheitern verurteilt gewesen. Dem Konstanzprinzip strukturell analog und inhaltlich verpflichtet, ist sie strategisch der Akkumulation hoffnungslos unterlegen.
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Februar 17th, 2009 at 09:58
Als Wohlgesinnter betrachte ich deinen Beitrag als fragmentarisches Fragment. Dazu kommt, dass ich ihn in Teilen nicht verstehe, durchaus im Sinne von „nicht begreifen können“. Also einige Fragen.
Wo bleibt das Geld samt seiner Funktionen? Wo bleiben die Schlussfolgerungen daraus, dass der Kapitalismus von jedem beliebigen Ausgangspunkt ein wachsender Organismus ist, dieses Wachstum überaus nützlich, aber nun nicht mehr aufzuhalten. Und nun, ab dem Punkt „nicht mehr aufzuhalten“, der Kapitalismus nur noch Zerstörungspotentiale bereithält?
Wo bleibt die Folgerung aus der Tatsache, dass fast jede Arbeit darauf ausgerichtet ist, das Ausmaß der verbleibenden, der zukünftigen Arbeit zu reduzieren, wenn die Potentiale der Zerstörung außen vor blieben?
Dazu sollte man diskutieren und Antworten suchen.
Februar 17th, 2009 at 10:55
Diese Fragen sind berechtigt, aber ich stelle sie hier nicht. Ich frage mich vielmehr, was am Kapitalismus so ungemein attraktiv ist und wie man eine Alternative so attraktiv machen kann, daß sie durchsetzungsfähig wird.
Februar 17th, 2009 at 12:35
@flatter: Gute Frage, nun ich würde sagen, dass der Kapitalismus vor allem wegen seiner Bedienung triebhafter Motive so erfolgreich ist, welche sich vor allem in der Werbung offenbaren. Das verleiht ihm die Aura einer Art von Natürlichkeit trotz der immer technisierteren Herstellungsweise seiner Produkte. Auch die Möglichkeit durch “Leistung” später auf andere herabblicken zu können, ist ein, nicht zu unterschätzendes Element, seiner Attraktivität.
Februar 17th, 2009 at 17:21
Auf die Gefahr hin, zerpflückt zu werden, kann ich mir dennoch ein paar Kommentare nicht ersparen…
So interessant eine Kapitalsimus-Theorie auch sein mag, so abgehoben und überflüssig ist sie meiner Meinung nach ebenfalls. Woran liegt’s?
Die Menschen, die heute im Kapitalismus leben, sei es auf Seiten der Reichen, die reicher werden oder der Armen, die ärmer werden, sind in der Masse in dieses System geboren und eben durch dieses, respektive seine Vertreter in Form von Eltern, Lehrer, etc., erzogen worden. Offensichtlich ist es so, dass eine Kritik am System derzeit nicht massenhaft zu beobachten ist, auch, weil die Propagandamaschinerie der Profiteure des Systems dieses bisher erfolgreich verhindern konnte.
Das System “Kapitalsimus” ist menschlich und daher auch erfolgreich, da es das System ist, welches der menschlichen Natur sehr nahe kommt. Verteilungsgerechtigkeit, Fürsorge, etc. sind durchaus auch Gedanken, die zu finden sind, aber halt nur dann, wenn dies auch gesteuert und als wichtiges und notwendiges gesellschaftliches Ziel politisch formuliert wird. Dies ist leider nicht mehr der Fall und so, wie ein kleines, unerzogenes Kind, benehmen sich viele Menschen egoistisch und asozial.
Dabei vergessen sie, dass es oftmals nur eine Frage des Zufalles ist, auf welcher Seite sie letztendlich stehen. Moralische Schranken des eigenen Handelns bestehen ebenfalls kaum noch: die durchaus kritikwürdigen Kirchen mit ihren Moralvorstellungen haben ebenso an Bedeutung verloren wie auch andere Einflüsse, die zumindest ein wenig Gegengewicht zum Egoismus des Kapitalsimus beigetragen haben.
Da stellt sich die Frage, weshalb diese Einflüsse zurückgedrängt und auch in der Gesellschaft zur Zeit kaum eingefordert werden? Man wird auch dies auf theoretischer Ebene stundenlang diskutieren können…vielleicht liegt es aber einfach daran, dass diese Werte erst dann wieder in den Vordergrund geraten werden, wenn es einer erheblichen Masse wirtschaftlich schlecht geht.
Um es kurz zu machen: Kapitalismus ist für die Masse sexy, weil man gewinnen kann. Die Alternative wird sexy, wenn man verloren hat. Wenn 50% der Spareinlagen der breiten Masse der Finanzkrise zum Opfer gefallen sind, bewegt sich hier wieder was…, vorher nicht.
Februar 17th, 2009 at 18:52
@mathes: Ich stimme dir weitgehend zu, bin aber der Ansicht, daß es nicht ausreichen wird, wenn es den Menschen wirtschaftlich schlecht geht. Es bedarf einer attraktiven Perspektive, die unmittelbar an die Grundmotive der Menschen anknüpft, um ein anderes System zu etablieren.
Februar 17th, 2009 at 19:15
@flatter: Die Menschen werden aber keine Alternative attraktiv finden, solange die Mehrheit vom bestehendem System scheinbar profitiert oder meint, noch profitieren zu werden…Attraktiv wird eine Alternative erst dann, wenn das bestehende System von der Mehrheit als nicht mehr attraktiv angesehen wird. Attraktivität wird eben durch die wirtschaftliche Situation bestimmt. Wenn da in der Bewertung andere Werte eine Rolle spielen würden, wäre das System schon lange Geschichte…
Davon abgesehen bedeutet JEDE Alternative zum Kapitalismus eine Einsicht dahingehend, dass der Konsumwahnsinn und der damit einhergehende Ressourcenverbrauch eingeschränkt werden muss. Und das bedeutet zum heutigen (materiellen) Lebensstandard Verzicht. Zeig mir den, der ehrlich dazu bereit ist.
Februar 17th, 2009 at 19:25
@Mathes: Der Kapitalismus selbst hat aber keine Kosten und Mühen gescheut, sich eine mathematesierte Rechtfertigung seiner Existenz mit dem Namen neoklassische Wirtschaftstheorie zuzulegen. Insofern scheint sehr wohl, auch eine theoretische Fundierung für nötig befunden worden zu sein.
Davon abgesehen, teile ich den Befund nicht, wonach so wahnsinnig viele das System des freigelassenen Kapitalismus sexy finden. Vielmehr waren die US-Amerikaner in den 1950er Jahren trotz des Kalten Krieges glücklicher als heute. Zwar kann man heute erheblich mehr Tand kaufen als noch in den 1950ern, dennoch scheint er, die Leute nicht glücklicher zu machen. Außerdem mahnen doch schon jetzt die Apologeten des Systems, dass den Kindern nicht früh genug eingebleut werden könne, wie man die Ellbogen am effizientesten einsetzt, um im Kampfe aller gegen alle zu bestehen.
Außerhalb Deutschlands passiert durchaus etwas (Griechenland, Frankreich, Italien, Island…), aber der berühmte deutsche Michel braucht halt ‘ne Zeit bis er die Schlafmütze abgenommen hat.
Februar 17th, 2009 at 19:49
@andi1789: Die möglichen Alternativen verfügen mit Sicherheit nicht über das Budget, sich solche Rechtfertigungen basteln zu lassen, wobei angemerkt werden muss, dass diese Rechtfertigungen nichts anderes als Mumpitz waren und sind. Eine theoretische Fundierung findet seine Rechtfertigung nur dann, wenn sie der Praxis auch standhalten kann. Dies ist bei der Kapitalismustheorie genauso schief gegangen wie beim Sozialismus. Nichts gegen eine fundierte Theorie, aber Praxis halte ich für wichtiger. Eines noch zum Thema Theorie: die kam nach der Praxis, als Fundament, Begründung für Entscheidungen, die getroffen waren.
Die 50er-Jahre in den USA, damals, als in den USA noch glückliche Menschen wohnten, denen dann irgendwie der Kapitalismus passiert ist, oder was? Da drehst Du Dich aber gewaltig…, wenn in dieser Zeit alles so viel besser war, und, wenn man davon ausgeht, dass die Menschen die Gesellschafts- und Wirtschaftsform aktiv gestaltet haben, warum ist es dann denn diesen Weg gegangen? Wenn es unvermeidbar war, weil es eigentlich schon nichts anderes als Kapitalismus war, der sich noch an Kolonien bediente, waren sie glücklicher in den USA und anderswo? Du siehst das zu isoliert.
Das, was außerhalb Deutschlands passiert, ist grundsätzlich begrüßenswert, und ich nehme das auch zur Kenntnis, aber sicherlich nicht der Beginn einer fundierten Diskussion über Alternativen, sondern nichts anderes, als der Beginn eines Aufstandes der Armen, Benachteiligten. Wohin das führen wird, bleibt abzuwarten.
Februar 17th, 2009 at 20:23
Im Prinzip halte ich von der Neoklassik auch nicht viel, weil es nur eine arg abstrakte Modellwelt ist, die letztlich nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Dennoch liefert die Theorie auch eine Angriffsfläche, von der aus man über Alternativen nachdenken kann.
Das Beispiel aus den USA führte ich an, um zu verdeutlichen, dass selbst im Mutterland des Kapitalismus die Folgen desselben für das Wohlbefinden der Bevölkerung (wie problematisch so eine Messung auch ist) eher negativ sind.
Februar 17th, 2009 at 22:43
@Mathes: “Davon abgesehen bedeutet JEDE Alternative zum Kapitalismus eine Einsicht dahingehend, dass der Konsumwahnsinn und der damit einhergehende Ressourcenverbrauch eingeschränkt werden muss.”
Das sehe ich eben anders, ohne dir zur widersprechen. Einsicht und Einschränkung sind nämlich nicht konkurrenzfähig gegenüber reich und schön. Was aktiviert werden müßte, sind positive Energien, die nach etwas streben und nicht etwas zügeln. “Fürsorge” in diesem Sinne bedeutet Umsorgtsein. Der Kapitalismus befördert die Scheinautonomie des Starken, der etwas gilt. Dabei wird etwa das Bedürfnis nach Geborgenheit völlig unterdrückt. Nicht zufällig sind es die Männer, die das System tragen. Kapitalismus macht einsam – das ist ein Phänomen, bei dem sich ansetzen läßt.
Selbstverständlich landen wir dann wieder beim System, der Propaganda und der Organisation. Ein erfolgversprechendes Gegenmodell darf aber eben weder auf reines Verständnis, noch auf Propaganda basieren. Die unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen, und zwar die unbefriedigten, müssen zu einem Versprechen gebündelt werden. Anders macht es der Kapitalismus auch nicht, und er ist bislang Monopolist auf diesem Feld.
Februar 18th, 2009 at 00:04
@flatter: “Nicht zufällig sind es die Männer, die das System tragen.”
Du sprichst sicher auf die männlichen oberen Zehntausend an? Manager? Banker? Unternehmer und Politiker? Willst Du sagen, dass diese das System tragen? Was ist mit der riesigen Industrie, die nur auf Frauen zugeschnitten ist? Kosmetik, Haushaltswaren, Frauenzeitschriften, TV-Sendungen, Kinofilme, Frauenkleidung usw. usf.
Ohne frauenverachtend zu sein, würde ich doch behaupten, tragen auch die weiblichen Konsumentinnen dieses kapitalistische System mit – auch ohne dass es viele weibliche Managerinnen dazu geben müsste.
Februar 18th, 2009 at 00:22
@epikur: In diesem Zusammenhang meinte ich nicht die Konsumenten, sondern die Machthaber an den Konferenztischen.
Februar 18th, 2009 at 05:48
Ich hau jetzt mal absichtlich in eine andere Kerbe: 1. “Man muß doch was zu tun haben”. 2. “Wenn ich nix zu tun habe, muß ich irgendwie die Langeweile kompensieren.”
Das ist m.E. der Grund, warums funktioniert. Die Menschen haben ohne Arbeit oder irgendeine “Leidenschaft” (und wenns nur die des Zockens oder Geldansammeln ist), mit der sie die Zeit rumkriegen, eben Langeweile.
Woher kommt der “Konsum”? Warum Frustkäufe? Oder: ich arbeite 11 Monate, um 1 Monat wohinzufahren (Urlaub genannt) – und nach dem Monat bin ich froh, wieder arbeiten zu können (eben wegend er Leere und Langeweile).
Der Kapitalismus bedient das alles effektiver, als es der Sozialismus je könnte.
Aber auch der Sozialismus berücksichtigt die Problematik, löst sie nur etwas anders: auch da herrscht Arbeitszwang (damit die Leute keine Langeweile haben), nur mit dem Konsum klappts halt nicht so, also gibts da andere Arten von “Einbindung” (früher gabs da auch hier, im Erhard-Kapitalismus: Vereinsmeierei genannt), ein Konsum eben, der nicht so offensichtlich ist. Letztendlich trotzdem einer.
Kurz: meine These lautet: es ist der Mensch selbst, der es so will. Warum? Weil “Denken”, ein “eigener mind”, ein “Hinterfragen”, auch im Sinne von “Haben oder Sein” nicht erwünscht sind und nicht gelehrt werden.
Die, die das trotzdem taten und tun, waren immer und werden immer Minderheiten sein. In jedem System. Darum sehe ich einen Systemwechsel nicht als Lösung. Das System wechselt, wenn sich die Menschen ändern. Umgekehrt wirds zum Zwang, der nur solange existiert, wie der Zwang wirkungsvoll ausgeübt werden kann.
Und die Wettbewerbsdenke, die für einen “Sieger” immer auch “Verlierer” braucht, tut ihr übriges dazu, daß alles so bleibt, wie es ist. Seltsamerweise kann sich kaum ein Mensch vorstellen, daß es eine Gesellschaft geben könnte, in der es nur Gewinner gibt. Da wäre vielleicht ein Ansatz zum Nachdenken.
Gruß
Frank
Februar 18th, 2009 at 10:46
Was du sagst, ist auch wieder richtig, setzt aber nur innerhalb des Systems an. Wenn die Leute also langeweile haben, sollen sie doch arbeiten. Man müßte sie allerdings dazu bringen, miteinander zu arbeiten anstatt jeder für sich selbst.
Februar 18th, 2009 at 12:05
Ich denke, es sind vor allem zwei Faktoren, was den Kapitalismus für viele so “beliebt” macht:
1.) Er gibt sich den Anstrich von Natürlichkeit, so als wäre er schon immer da gewesen und als hätte es nie etwas anderes gegeben. Ich merke immer wieder, wie viele verdutzt gucken, wenn man ihnen ein wenig die Geschichte vor Augen hält. Dies erschwert auch die Kritik ungemein, da viele wirklich davon ausgehen, als würde es nichts anderes mehr geben (wie z.B. Venezuela gerade).
2.) Er bedient die “Haben-Mentalität”. Selbst ärmere Menschen sammeln etwas, wollen “Haben”. In diesem Konsum, diesem “Haben” steckt wohl die ganze psychologische Perversion des Systems. Erich Fromm meinte dazu mal treffend, dass die Menschen im Kapitalismus wie Säuglinge ewig an der Flasche des Konsum nuckeln und nie genug kriegen können, weil der Konsum eben auch niemals wirklich glücklich machen kann.
Ich muss Franktireur zustimmen: Aufklärung und einen Mentalitätswandel voranzutreiben sind die obersten Gebote der Stunde.
Februar 18th, 2009 at 16:26
Zu dieser Überzeugung bin ich ebenfalls gekommen, es wird sich nichts ändern, wenn man keine Aufklärung betreibt, wann immer sich einem dazu Gelegenheit bietet. Interessant ist, die Reaktionen darauf zu beobachten, die darauf hindeuten, dass sich niemand als konsumgeil outen möchte, aber dann der nächste gedankliche Schritt zumeist nicht gewagt wird, der im Hinterfragen der eigenen Lebensweise bestünde. Dennoch fand ich Bestätigung u. a. in diesem Beitrag:
https://www.br-online.de/bayerisches-fernsehen/quer/quer-finanzkrise-interview-ID1201120337687.xml
Februar 19th, 2009 at 00:59
Die mit quasi-religiösem Eifer gespeiste kapitalistische Illusionsmaschine des “absoluten Reichtums” scheint für die um ihre wahren Bedürfnisse betrogenen Menschen Grund genug zu sein, “mitzumachen”. Aber auch der Zusammenhang von Kapitalismus und “Post-Demokratie” wäre noch zu beachten.
https://www.buecher.de/shop/Buergerbeteiligung/Postdemokratie/Crouch-Colin/products_products/detail/prod_id/23308041/
buecher.de: Postdemokratie – Colin Crouch – Portofrei
Es geht aber auch innerhalb des Systems anders:
https://www.jjahnke.net/skan.html
Februar 21st, 2009 at 15:07
@anonyma: Ich vergesse keineswegs die vom Konusm ausgeschlossenen. Ich halte es nur für äußerst ineffizient, auf einen Bedarf hin zu produzieren, der gar nicht ermittelt werden kann. Überproduktion hat zwei entscheidende Vorteile: Sie läßt deutlich weniger Versrogungslücken zu und bringt vor allem eine Dynamik in die Produktion, die erst einen hohen Versorugungsgrad – auch mit dem wirklich Nötigen – zuläßt.
Profiteure gab es, daruf habe ich hingewiesen, auch in der Planwirtschaft. Natürlich ist es ein Unding, daß Aneignung in einem unerhörten Maße stattfindet, während viele nicht das Nötigste haben. Dies ist aber ein Problem der Verteilung und nicht der Produktion.
Das Problem, das ich sehe, ist, daß Aneignung gewaltige Motivationsressourcen entfesselt. Meine Frage gaht daher in die Richtung, worin eine Alternative zum Motiv der Aneignnug bestehen kann. Einsicht halte ich als Motiv für völlig ungeeignet, das lehrt die Geschichte.