Der Begriff “Sozialliberal” fällt äußerst selten in den politischen Debatten seit den 80er Jahren, bislang spielte er keine Rolle im publizistischen Mainstream. Aktuell betitelt Tom Strohschneider seinen Artikel im Freitag mit dieser Vokabel und meint damit mögliche Koalitionen, in denen SPD und FDP an einer Regierung beteiligt wären. Ich muß ihm den Begriff ganz fix streitig machen, weil der Autor hier mit Etiketten handet, die keinerlei passenden politischen Inhalt bezeichnen.
Die politische Blogsphäre in Deutschland kennt eine ganze Reihe von Autoren, die sich mehr oder minder als “sozialliberal” oder “linksliberal” bezeichnen lassen, Feynsinn zählt sich ausdrücklich dazu. Ohne an dieser Stelle eine intensive Analyse des Begriffs zu leisten, seien einige Hinweise dazu erlaubt, was sich dahinter verbirgt.

Die Politik Willy Brandts war sozialliberal, nicht bloß, weil die Parteien seiner Regierung etwas davon im Schilde führten. Sie war sozial, weil sie die Bedürfnisse der Arbeiter, der Bezieher eher niedriger Einkommen sowie Arbeitssloser zuinnerst berücksichtigte. Das betraf den simplen Lebensstandard dieser Menschen sowie ihre Teilhabe am soziokulturellen Leben, ihre Aufstiegs-und Bildungschancen. Dem hielt die damalige FDP noch keinen Marktradikalismus entgegen, und viele auch prominente “Liberale” traten nach der Kohlschen “Wende” in die SPD ein.
Die Außenpolitik der Regierung Brandt, vornehmlich die der Ostverträge, war sozialliberal, weil sie ebenfalls die Bedürfnisse der Menschen in Ost und West in den Fokus rückte, keine Berührungsängste mit verbohrten Kommunisten kannte und mögliche Fortschritte nicht einer bügerlich rechten Ideologie opferte, wie es die CDU/CSU damals wollte.

“Sozialliberal” ist eine Geisteshaltung, die “links” ist, weil sie soziale Gerechtigkeit zu einer ihrer obersten Prioritäten macht, die keinem marktwirtschaftlichen Kalkül geopfert werden darf. Sie ist gleichermaßen “liberal”, weil sie Bürgerrechte und indviduelle Freiheit ebenfalls als unveräußerlich begreift. Sie wehrt sich ebenso gegen realsozialistischen Autoritarismus wie gegen die Beschneidung von Bürgerrechten im Namen eines Sicherheitsdenkens, das die blinde Staatsräson etabliert, um vermeintliche Feinde zu bekämpfen. “Sozialliberal” ist in diesem Sinne undogmatisch und antiautoritär.
Tragikomisch ist Strohschneiders Erwähnung einer Eloge auf Friedrich Ebert, die Dirk Niebel sich erlaubte, um damit ein “sozialliberales Signal” zu setzen. Wo Eberts brutaler antikommunistischer Kurs endete, muß hier nicht erläutert werden.

Was allerdings erwähnt werden muß, ist wie “sozial” und “liberal” SPD und FDP heute noch sind. Die Agenda 2010, ihre gnadenlose Verteidigung durch die SPD und der marktradikale Kurs der FDP sind so sozial wie jemand, der Sklavenarbeit schafft. Liberal im Sinne der Verteidigung der Bürgerrechte sind sie ebensowenig. Otto Schily stand Wolfgang Schäuble in nichts nach, Wiefelspütz und andere prominente Antidemokraten lassen sich nur noch durch das Bundesverfassungsgericht im Zaum halten. Die FDP hat die Bürgerrechte ebenfalls nur nur Wahlkampfzwecken auf dem Zettel. Das vom Bundesverfassungsgericht kassierte Verfassungsschutzgesetz in NRW fand die FDP völlig in Ordnung, und sie bevorzugt mit der CDU/CSU den Koalitionspatner, der stets die Kettensäge an den Baum der Freiheit legt. An dieser SPD und dieser FDP ist nichts, aber auch gar nichts “sozialliberal”, egal wieviele Koalitionen sie eingehen.
Es spricht weder für ein fundiertes Hintergrundwissen noch für ein respektables Verantwortungsbewußtsein, einen noch halbwegs lebendigen Begriff derart mit dem Blick auf die schiere Machtpolitik mit Füßen zu treten. Hier sind einige Stunden Nachsitzen und Nachdenken fällig – wenn’s denn hilft.