Die neoliberale Verdrehung der “Sozialen Marktwirtschaft” nach deutscher Prägung hält Angela Merkel für den kommenden Exportschlager. Dabei humpelt sie von einem “Irrtum” zum nächsten, wenn sie sich und ihre Kumpels von der deutschen Wirtschaft als Retterin der Finanzwelt aufspielt. Das beginnt mit dem, was sie nicht erklärt, der Idee der Sozialen Marktwirtschaft, der dem Begriff innewohnte, bevor die INSM ihn mit dem großen Pürierstab vewurstet hat. Eine Idee nämlich, die von vornherein auf einen akzeptablen Ausgleich der Teilnehmer am Wirtschaftskreislauf angelegt ist und das “Soziale” der “Wirtschaft” nicht unterordnet. Neudenglisch würde man es vielleicht so formulieren, daß der Stakeholder Value im Fokus der Ökonomie steht und nicht der Shareholder Value. Soziale Marktwirtschaft wäre darauf angelegt, daß sie Armut und extremen Reichtum einlevelt, wenn nicht verhindert. Eine Wirtschaft, die erst die Schere auseinander klappen läßt, um dann den Armen unter großem Gezeter ein wenig vom Nötigsten zukommen zu lassen, hat damit nichts zu tun.
Genau das sieht Merkel aber ganz anders, und zwar ausdrücklich, und sie pflegt ganz standesgemäß keine Argumente, sondern liefert ein Glaubensbekenntnis ab.

Für die neue Weltwirtschaftsordnung schlug Merkel die Globalisierung des deutschen Modells der sozialen Marktwirtschaft vor. ‘Das sind die Prinzipien, auf die wir uns international einigen können’.

Was Merkel aber da vorschlägt, ist weder “sozial” noch “deutsch”. Ihr Modell bleibt neoliberal und ist insofern längst international. Vielleicht gaubt sie, woanders gäbe es gar keine Sozialleistungen. Vielleicht weiß sie nicht, daß die Marktwirtschaf nicht in Deutschland erfunden wurde. Es gelingt ihr, mit einem Schritt gleich zwei Fettnäpfe zu erwischen: Den ihrer nationalen Arroganz und den des Unwissens, der ihr schon zum zweiten Schuh geworden ist.

Als Prinzipien nannte sie ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft, ein intaktes, stabiles internationales Finanzsystem, das eine ‘dienende Funktion’ für den Rest der Wirtschaft wahrnehmen müsse, eine offene Weltwirtschaft, nachhaltige Ressourcennutzung und Armutsbekämpfung. Wie bereits zuvor schlug sie vor, zur Kontrolle einen Weltwirtschaftsrat bei den Vereinten Nationen einzurichten.

Mit dem “Bekenntnis zur Marktwirtschaft” liefert sie einmal mehr ihr überflüssiges Credo ab. Was heißt denn das? Daß man die Existenz der Marktwirtschaft zur Kenntnis nimmt? Daß man sie, egal in welcher Form, auch dann noch verteidigen wird, wenn es nichts mehr zu wirtschaften gibt, weil die Märkte unter dem Dilettantismus der Wirtschafter zusammenbrechen?
Vor allem heißt es eines: Es soll weiterhin unterschieden werden zwischen “Marktwirtschaft” und “Sozialismus”, damit auch in Zukunft jede Idee, die nicht von den alten Lobbyisten eingebracht wird, als eben “sozialistisch” etikettiert werden kann. Denn wirklich ändern soll nichts nichts.
Ein “intaktes, stabiles internationales Finanzsystem” ist freilich eine grandiose Idee. Ich hätte gern übrigens Reichtum und Gesundheit für alle, ein langes Leben und daß alle Frauen auf mich stehen. Was sollen diese Worthülsen? Wollte man bislang ein instabiles Finanzsystem? Wohl kaum. Gern hätte ich an dieser Stelle gehört, woran es denn liegt, daß es trotzdem so kam.
Daß Merkel “nachhaltige Ressourcennutzung” in ein Mikrophon lispeln kann ohne dabei rot zu werden, ist eine erstaunliche Leistung. Union und FDP sind seit Jahrzehnten geradezu süchtig nach rücksichtslosem Wachstum, Energieverschwendung und der Begünstigung deutscher Exporteure. Da war absolut nichts auch nur annähernd nachhaltig.
Dies lag auch und vor allem am neoliberalen Konsens bezüglich der heiligen Deregulierung. Daß Merkel jetzt eine zahnlose zentralistische Instanz zur “Kontrolle” der Weltwirtschaft vorschlägt, ist reinstes Kabarett. Dahinter steckt nichts anderes als die Weigerung, jemals selbst das Nötigste zu tun und endlich wirklich zu regulieren.
Wenn dann alles wieder gut ist und die deutsche Geldelite sich am Konsum der anderen berauschen kann, ist Merkel sogar bereit, die selbst geschaffene Armut zu bekämpfen. So sozial ist das, was sie sich unter Marktwirtschaft vorstellt. Der einzige Trost liegt darin, daß dieses erbärmliche Weltbild von der brutalen Wirklichkeit überrollt werden wird. Gar nicht tröstlich werden freilich die Zustände sein, auf die wir uns einstellen dürfen.