Kultur


Es klingt wie ein Rührstück fürs Volk, und sei es eins – es gefällt mir. Es erscheint in Form eines Interviews mit dem Fußballer Dedé und belegt ganz nebenbei, daß Interviews mit Sportlern durchaus interessant sein können. Dedé berichtet von seiner Herkunft, der Armut seiner Kindheit und vor allem der Freundschaft zum Konkurrenten Lincoln und anderen Fußballern. Er hilft gern Neuankömmlingen aus Brasilien, die sich in Deutschland und der Liga zurechtfinden müssen und schwärmt von gegenseitiger Unterstützung. Im Sinne der sportlichen Konkurrenz ist das nachgerade “dumm”, denn wenn’s dem Gegner nicht gut geht, spielt er schlechter. Dedé setzt andere Prioritäten. Ganz im Sinne des Sportsgeists, der kaum noch zu finden ist – in der Bundesliga wie in anderen Industrien.

Meine nicht eben oberflächlichen Kenntnisse der Philosophie des 20. Jahrhunderts haben mir nie eröffnet, was “Existenzialismus” wohl sein mag. Für manche ist er irgendwie ein bißchen ontologisch, ein guter Schuß Heidegger, französich adaptiert, aber noch keine Postmoderne. Für manche andere vielleicht das Gefühl, in die Welt geworfen zu sein, ohne den Anspruch, daraus bedeutend mehr zu machen – man verwindet die Seinsgeschicke eben mehr oder weniger unbeteiligt. Vor allem aber war Existenzialismus ein -ismus mit schwarzen Rollkragenpullovern, Gauloises rauchen und Filme gucken, die keinen Spaß machen. Es gab einige Gallionsfiguren, deren Werke man erwähnen mußte (lesen war nicht nötig), und schon gehörte man dazu.
Heute ist die Welt nicht mehr so kompliziert, niemand muß mehr so tun, als könnte er/sie Bücher lesen. Dafür aber Internet. Internet muß. Klar: Web zwei null-mäßig! Zum Gefasel der Dazugehörenden gibt es auch das passende “Design”. Irgendwer hat sich ausgedacht, daß zum webzweinullmäßigen Dazugehören das Hingucken vereinfacht werden muß. Poppige Farben, Verlauf, pseudospiegelnder Schriftuntergrund, abgerundete Ecken und Lichteffekte, die Einäugigen ein echtes 3D-Feeling verschaffen. Layouts, die dem Rezipienten nicht zumuten, die Augen bewußt oder klassich lesend zu bewegen, sondern Anordnungen, die Screen-to-Brain ohne den lästigen Umweg über die Großhirnrinde ermöglichen. Wer sich fragt, wozu diese Verödung der Landschaft gut sein soll, ist schon raus und sollte es vielleicht einmal mit schwarzen Rollkragenpullovern versuchen. Und wer die Stirn hat, ein Blog ins Netz zu stellen, das Web-2.0-Design-mäßig voll daneben liegt, ist heute schon von gestern.

“ZEIT Campus online: In der Medizin ist Ethik bereits ein fester Bestandteil des Studiums. Ist es nicht sinnvoll, generell in all jenen Studienfächern verpflichtende Ethikscheine einzuführen, in denen man für Berufe ausgebildet wird, die mit Machtausübung zu tun haben?”

Yapp! Wenn alle den Ethikschein haben, geht es endlich moralisch zu in der Welt. Dann aber doch besser gleich den Weltbessermachschein oder Weltrettungsseminare.

Genauso bleiben alle Gründer im Management tätig. Auch sämtliche Nutzerdaten bleiben bei studiVZ. Damit ist die Sicherheit Eurer Daten weiter gewährleistet

[Blog.studivz.net]

Für so einen Spaß muß man sonst eine Menge wegkiffen.

Die Druckversion der ZEIT zitiert heute Holger Burckhardt, “Studiendekan” der Kölner Universität:

Diversity kann – aus meiner Sicht der Transzendentalpragmatik – verstanden werden als plurale und entscheidungsoffene Diskursgemeinschaft, in der der Einzelne zugleich sich bestimmt und dialektisch-reflexiv vollzieht: Sowohl als Dialogsubjekt, bestimmt als sein Miteinander-Gegeneinander mit anderen personalen Intersubjekten, wie auch als Autonomiesubjekt, bestimmt als das um sich als Subjekt des Handelns, Wollens Fühlens, Denkens wissende, personale Subjekt.

Diversity als Mannigfaltigkeit von Lebenspraxen kommt damit produktiv zur Geltung, wenn sich die in ihren Mannigfatigkeiten vollziehenden Individuen und Gemeinschaften ihres Miteinander-Gegeneinanders geltungslogisch und moralisch sicher sind und wenn sie denn Diversity als Individualitäten und Vielheiten, also als Autonomie und Dialogizität mit anderen leben und teilen wollen.

Dieses semantisch und syntaktisch blutrünstige Monster eines Sprachinfarkts sagt uns viel über die Genossen Philosophen, die sich nicht nur bis zur Promotion haben terminologisch verblöden lassen, sondern darüber hinaus noch weitere fröhliche Jahre damit zubringen, jeden Begriff, dessen sie sich ermächtigen, in das Korsett ihres eindimensionalen Wichtigtuerslangs zu würgen, ohne Rücksicht darauf, ob das ein Leser oder Zuhörer noch erträgt. Hinzu kommt bei dem hier ausgestellten Exemplar eine Dimension der Sinnfreiheit, die ohne Umweg Verzweiflung auslöst, wenn man nach Inhalt sucht.

Was sagt uns das da oben? Es gibt einen Begriff, “Diversity”, den man auch schlicht mit “Vielfalt” übersetzen könnte. Herr Burckhart stellt fest, daß man alle seine nichtssagenden Lieblingsvokabeln, ein Konglomerat aus Habermas-Fetzen, gestutzten Vorsokratikern und Kleinkindergestammel, mit dem Terminus in Verbindung bringen kann, um dabei zu der Aussage zu kommen: Menschen wähnen sich als Individuen, sind aber Teil einer Gemeinschaft und erleben sich mal so, mal so. Großartig!

Untersucht man die Implikationen und leider eben nicht logischen Beziehungen der verwursteten Begrifflichkeiten etwas strenger, kommt man obendrein zu dem Schluß, daß “Diversity” etwas verdammt Unwahrscheinliches sein muß, jedenfalls, wenn es/sie “produktiv” sein soll. (Wieso soll sie das eigentlich?) Individuen (und Gemeinschaften) müßten sich schon mal “geltungslogisch und moralisch sicher sein”. (Wieso eigentlich?) Ich bin sicher: Ich war mir noch nie geltungslogisch und moralisch sicher, schon gar nicht mit Gemeinschaften, und beim besten Willen nicht unseres “Miteinander-Gegeneinanders”! Teilen will ich so etwas schon gar nicht, und sollte mir je so ein Umfug einfallen, ich würde sofort Gegenmaßnahmen einleiten.

Aber das ist alles sicher gar nicht so gemeint. Der Sinn der Sache: Fünfzehn Adepten werden das gelesen haben, dann weise genickt, und schließlich waren sie sich miteinander-gegeneinander sicher: Wir sind die Größten!

Zum “Unwort des Jahres” taugt durchaus die Vokabel “Gutmenschen”, die nicht nur auffallend häufig in rechten oder rechtsradikalen Kreisen kursiert, sondern heute auch von der Bundesfamilienministerin ohne Not in den offiziellen politischen Diskurs eingeführt wurde. Beispielhaft für den Gebrauch des Wortes ist das Gästebuch des Anwalts Ihrwißtschonwer, der sich selbst als “Arschloch” bezeichnet, andere mit Abmahungen überzieht und dafür von seinen Claqueuren gelobt wird – sie finden “das Gejaule der Gutmenschen” “unerträglicher” als ihn. Was steckt dahinter? Der Popanz, auf den da eingedroschen wird, sind die ewigen Wollsockenträger und politically Korrekten, die immer allen den Spaß verderben. Das Ziel der Veranstaltung ist das Lob des Asozialen, Rücksichtslosen, Starken, kurz: der pure Sozialdarwinismus. Die Ironie steckt nun darin, daß die Geisteszwerge, die sich den vermeintlichen tough Guys derart anbiedern, selbst heilfroh sind, daß sie von einer noch gerade funktionierenden Zivilgesellschaft geschützt werden. Sie wären die ersten, die jaulten, wenn es vom Bösmenschen ganz konsequent was auf die Fresse gäbe. Ein wirklich guter Witz ist so gesehen das Lob des besagten Anwalts, der das Rechtssystem, von dem er lebt und in dessen Schoß seine Fans es sich gemütlich machen, aushöhlt, indem er es für niedere Zwecke nachgerade pervertiert. Ein toller Typ! Das Verständnis von Sozialverhalten, das die Anti-Gutmenschen und ihre Helden pflegen, endet sicher ganz rasch, wenn es um die eigene Haut geht. Dann ist ihnen Gerechtigkeit plötzlich ein ganz hohes Gut.

Auch die deutsche Musikszene fährt gern mit: Die Konsumenten von Einslive haben dem die Krone aufgesetzt. Mit der talentfreien Garagenkapelle “Sportfreunde Stiller” wurden WM-Zecken ausgezeichnet, deren Leistung darin besteht, zur rechten Zeit auf den großen Fußballzug aufgesprungen zu sein. Ein Reimdichoderichfreßdich-Text wurde fix in ein hundertprozentiges Plagiat gepreßt, das musikalisch obendrein weit hinter dem schon nicht eben grandiosen Original der Toten Hosen zurückbleibt. Alles aus Liebe zum Geld, das paßt schon.

Jaja, der Don Alphonso… zerstört die Ruhe und den Spaß von Millionen Studis, die nur ein bißchen gruscheln wollen. Mal abgesehen von seiner Haudraufrhetorik, die einem die Lektüre mitunter schwer macht und einer gewissen Egozentrik, über die sich schwer hinweglesen läßt – wo er recht hat, hat er nun mal recht. Das Thema ist für die, die es interessiert, schon quasi alt, jedenfalls abgefrühstückt. Dem entgegen steht allerdings die Haltung derer, die es nicht interessiert und die von den katastrophalen Zuständen des Servers und der 49 Murmeln, die darum herum werkeln, betroffen sind. Sie wollen es nicht wissen. Wenn man sich die Kommentare von Studis in verschiedenen Blogs und vor allem bei StudiVZ durchliest, kann einem das Hirn von der Fahne gehen. Die Spitze der hiesigen Bidlungskette ist dumm, naiv, faul und fahrlässig. Ernsthaft ist der Tenor, “die Jungs” von StudiVZ hätten sich doch so viel “Mühe gegeben”, das solle doch “erst mal jemand besser machen”. Als seien es Jungs von nebenan, die eine tolle Idee haben und als Teil des großen “Wir” vor lauter Idealismus eine tolle Community gegründet hätten. Daß es bei dem Spiel um Millionen geht, hat sich bis zum kuscheligen Gruschelteestübchen wohl noch nicht durchgetrommelt. Die Oberstübchen der User, deren einzige Sorge darin besteht, daß der Server länger down sein könnte, werden unterdessen hermetisch abgeriegelt gegen jeden von Vernunft kontaminierten Gedanken. Alles Neider und Spaßbremsen, die da was von “Datenschutz” faseln. Ob ihre Daten, seien es Fotos, Forenbeiträge oder Adressen, für alle Welt zugänglich sind, ist ihnen egal. Daß sie der laxe Umgang mit ihren Daten einmal den Job kosten wird – auch wurscht. Daß sie nach Strich und Faden verarscht und ihre Daten verhökert werden, während sie glauben, das alles sei eine Riesenparty unter Gleichen, könnte zu Tränen der Rührung veranlassen. Was erwachsene Menschen aber rasend macht, ist die unsolidarische Haltung dieser gern Regierten und Willenlosen. Denn diejenigen Betroffenen, die das alles überhaupt nicht lustig finden, müssen sich nun damit abfinden, daß sie nicht nur hinter die Fichte geführt und verschachert wurden, daß ihr Vertrauen mißbraucht wurde und sie falschen Versprechungen auf den Leim gegangen sind, sondern auch damit, daß fast alle das einfach cool und okay finden. Das einzige, das die hirntaube Masse, welche das Gros der User darstellt, umtreibt, ist die Sorge, man müßte sich nach einer anderen Com umschauen, wo man etwas versteht von Datenschutz, wo man die Arbeit ernst nimmt und nicht nur aufs große Geld aus ist. Aber den Streß tut sich der VZ-Studi im Jahr 2006 nicht an. Wozu auch?

Immer öfter kommt die Frage auf, ob der SPIEGEL wirklich etwas gewinnt, wenn er politische und kulturelle Zusammenhänge genau so tumb vereinfacht wie die Konkurrenz. Überschriften wie “Der politische Islam knüpft an die Nazis an” zielen auf Reflexe. Und es ist die unterste Schublade der Journaille, falsch zu zitieren, um eine ohnehin streitbare Aussage zur Hetze zu verzerren. Er hat es so nicht gesagt, und er hat es so nicht gemeint. Obendrein “arbeitet” die Headline mit einer schmerzenden Diskrepanz im Differenzierungsniveau. Während das angebliche Anknüpfen an die Nazis grob zusammengeschustert wurde von jemandem, der seinen Gesprächspartner nicht verstanden hat, wird mit dem Begriff “politischer Islam” eine Vokabel eingeführt, die auf sensibler Differenzierung beruht. Etwas unter einem solchen Titel als “Interview” zu verkaufen, ist eine Frechheit.
Aber das ist offenbar heute Standard bei SpiegelOnline. Ein herzlich blödsinniger Rekurs auf die Regensburger Rede des Papstes wird dem Leser ebenfalls als “Interview” untergejubelt. Die sich mit Fanfaren aufdrängende Nachfrage, ob der interviewte Herr den Unterschied zwischen einer Aussage und einem Zitat kennt, der Hinweis darauf, daß das Vorlesen aus einem Buch hier nicht als Meinungsäußerung gilt, fehlt gänzlich. Wer derartiges für eine angemessene Präsentation der Auseinandersetzung mit dem Islam hält, sollte sich Gedanken übers Layout machen. Ich rate zu größeren Buchstaben.

Wenn es zu langweilig wird in der Welt oder ein Bombenanschlag nicht blutig genug war, kommt beim ZDF Elmar Thevessen ins Studio und gruselt sein Publikum. Was uns nicht mitgeteilt wird: Der stets als “Terrorexperte” annoncierte Schauergeschichtenerzähler ist Chef vom Dienst der ZDF-Hauptredaktion „Aktuelles“. Was ihn qualifiziert, ist außer einem ungewöhnlichen Mitteilungsbedürfnis also seine Hausmacht. Sonst würde man ihn auch wohl nicht mehr vor die Kamera stellen – zu oft beschreit er das Grauen, das partout nicht stattfinden will und bläst das vielleicht möglicherweise beinahe unter Umständen Schreckliche vor uns auf, das dann doch nicht geschieht. Er macht sich damit zum Megaphon für all die Spinner, die täglich “das Tor zur Hölle aufstoßen”. Vielleicht hat das aber auch sein Gutes, und relevante Islamisten verzichten auf Anschläge, weil Deutschland dank Thevessen & Co. ohnehin schon vor ihnen zittert – dafür muß sich niemand mehr in die Luft sprengen.

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