Es gibt eine heiße Diskussion zwischen Heiner Flassbeck und Rudolf Hickel um die Frage, was der richtige Weg zur „Rettung“ Griechenlands sei. Hickel ist dabei für eine Umschuldung, mit der auf die „Pleite“ des Landes reagiert werden müsse, Flassbeck hingegen für das Eingreifen der EZB – wie bereits geschehen. Was soll man sich darunter vorstellen?

Die „Umschuldung“ ist (mindestens) ein Teilerlaß der Schulden. Die Gläubiger – grob gesagt Banken, Staaten und Privatpersonen – müßten dabei auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Das wäre nicht nur blöd gelaufen für Leute, die sich eine satte Verzinsung ihrer Anleihen versprochen hatten, sondern auch ein Problem für Staatsanleihen generell. Diese galten nämlich bislang als besonders sicher. Und wenn es Staatsanleihen aus der Eurozone betrifft, besteht die Sorge, daß auf Dauer alle Eurostaaten unter dem Mißtrauen leiden werden, ob sie ihre Schulden wirklich zurückzahlen werden.

Rettungsring oder Schwimmweste

Das Eingreifen der Europäischen Zentralbank, die quasi die Schulden eines Mitgliedslandes aufkauft, war bei der Konstruktion des Euro eigentlich ausgeschlossen worden und ist ein Mechanismus, der dem Drucken von Geld entspricht. Allgemein wird das von denen nicht gern gesehen, die sich Sorgen um eine zu hohe Inflation machen. Hickels Argumentation ist hier abweichend: Er sieht darin keine Lösung des Problems, weil in der Folge zur Abwehr der drohenden Inflation den Griechen ein fatales Sparprogramm auferlegt wird, dadurch werde die „Binnenwirtschaft in eine Rezession gezwungen, also kaputt gespart“.

Hickel betrachtet Griechenland also als zahlungsunfähig und sieht keine Möglichkeit, die Schulden in der vorhandenen Höhe abzutragen.

Flassbeck widerspricht Hickel zunächst in dem Punkt, daß eine Staatspleite weder definiert sei noch im Fall Griechenlands vorliegt. Sein Kernsatz:
Staaten können nicht zahlungsunfähig im Sinne von illiquide werden, solange sie Schulden in ihrer eigenen Währung haben.“

Das heißt im Grunde, wenn ein Staat zu hohe Schulden hat, kann er schlicht mehr Geld drucken. Das führt zwar zu einer Abwertung seiner Währung, diese betrifft aber „nur“ das Problem von Importen, die sich das Land und seine Bürger nicht mehr leisten können. Die Schulden werden in der eigenen Währung bezahlt. Das nennt sich auch „weginflationieren“.

Wann ist ein Staat “pleite”?

Der Spaß hört erst hier auf:
Ein Staat, besser wäre es hier zu sagen, ein Land, wird deshalb nur dann zahlungsunfähig, wenn die Liquidität in fremder Währung (also einer Währung, die der Staat in diesem Land nicht selbst drucken kann) knapp wird, das Land als Ganzes aber wegen eines großen Leistungsbilanzdefizits kurzfristig auf genau diese fremde Währung angewiesen ist. Diese von Ihnen „fiskalische Notlage“ genannte Situation, die aber gar keine „fiskalische Notlage“ ist, wird in der Tat üblicherweise – wiederum genau umgekehrt wie Sie argumentieren – durch Spekulanten hergestellt (Flassbeck an Hickel).

Grundsätzlich sollte nämlich der Wert einer Währung der Wirtschaftsleistung des Landes entsprechen. Daß dem nicht so ist, dafür sorgen die Spekulanten. Ergeben sich nämlich Verbindlichkeiten eines Landes mit einer völlig überbewerteten Währung, die in einer Fremdwährung abgerechnet werden, dann ist das Zurückfallen auf Normalmaß fatal: So viele Dollars kann die Drachme nicht aufwiegen, wenn ihr Wert plötzlich realistisch festgelegt wird.

Das Problem in Fall Griechenland liegt längst auf der Hand: Land und Währung unterstehen verschiedenen Herren. Daß unter dem Euro Staatswirtschaften zusammengefaßt sind, die man nicht einmal miteinander vergleichen, geschweige denn gleichsetzen kann, wurde bei dessen Einführung geflissentlich ignoriert. Man hatte ja die „Konvergenzkriterien“, jene Augenwischerei, die Inflation per Dekret abschuf und Deflation als unmöglich festlegte. Keiner macht mehr als soundsoviel Schulden, dann wird alles gut, Basta. Daß dieses Konstrukt nicht einmal vom Außenhandelsmonster Deutschland durchgehend getragen werden konnte, ließ dennoch keine wirksamen Zweifel aufkommen. Bei der ersten ernsthaften Krise bricht dieses Kartenhaus jetzt zusammen.

Der Euro, eine Fehlkonstruktion

Flassbeck und Hickel meinen es beide gut mit Griechenland, wobei ersterer korrekt volkswirtschaftlich argumentiert und zweiterer die verbliebene Macht eines getriebenen Staates gegen die Ansprüche von Spekulanten in Stellung bringt. Keiner von beiden erwägt ernsthaft den Ausstieg der Griechen aus dem Euro. Hickel setzt dabei deshalb auf eine Abstrafung der Spekulanten durch Umschuldung, weil diese sich sonst auf den nächsten Pleite-Anwärter stürzen würden. Flassbeck macht hingegen deutlich, daß eine Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse, vereinfacht: eine Annäherung der Exportquoten und Lohnentwicklung in den Euro- Staaten notwendig ist.

Langfristig hat Flassbeck da völlig recht, und Hickel wird ihm wohl kaum widersprechen. Der Euro bleibt eine Fehlkonstruktion, wenn jeder versucht, auf Kosten der anderen seinen Vorteil zu finden – die einen den einer harten Währung bei ungedecktem Konsum, die anderen den einer hemmungslosen Exportfixierung auf Kosten der Bilanzen ihrer „Partner“.

Der Streit der beiden, die an Deutlichkeit der Wortwahl nicht missen läßt, überdeckt am Ende die Einigkeit im wichtigsten Punkt: Ganz gleich welche Strategie mehr Erfolg verspricht, es herrscht völlige Übereinstimmung in der Notwendigkeit einer Abkehr von den Lehren des Neoliberalismus. Lohndumping, brutaler Standortwettbewerb, geringe Steuer- und Abgabenquoten und unkontrollierte Spekulation sind allesamt heilige Gebote der herrschenden Ideologie und Sargnägel der Volkswirtschaften. Die Krise des Euro und Griechenlands ist keine Momentaufnahme, die bloß durch blinden Konsum entstanden und durch Sparsamkeit zu beheben ist. Es handelt sich um ein komplettes Systemversagen. Die Konsequenzen müssen dementsprechend weitreichende sein.

In der Krise ist vor der Krise

Eine sinnvolle akademische Diskussion endet, wo eine Entscheidung in der Praxis getroffen wurde. Es gibt keine Umschuldung. Mit den kurzfristigen Maßnahmen, wozu auch das hektische Verbot ungedeckter Leerverkäufe und ggf. eine Tobin-Steuer gehören, ist aber das Problem noch lange nicht gelöst. Im Gegenteil ist der Versuch, Garn in die laufende Nähmaschine einzufädeln, ebenso dumm wie hilflos. Selbst die Forderungen Flassbecks und Hickels hätten wieder nur aufschiebende Wirkung, selbst wenn sich ein Weg fände, beide zu realisieren. Ja, die EU muß endlich zu einer koordinierten Wirtschaftspolitk kommen. Ja, es muß einen Weg geben, bei den Profiteuren des großen Spiels das Geld wieder einzutreiben. Es ist zu befürchten, das selbst das nicht gelingt, weil Wille und Einsicht fehlen.

Der nächste Schritt wäre ohnehin der, die USA, China und alle großen Wirtschaftsmächte dazu zu bringen, den tödlichen „Standortwettbewerb“ zu beenden. Das geht nicht mit ein paar halbgaren Vereinbarungen, die jeder wieder so auslegen wird, daß es ihm irgendwie zum Vorteil gereicht. Das Primat der Politik, eine weltweite Kontrolle der Wirtschaft, ist herzustellen. Es wäre das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen. Das aber kommt so oder so. Die Frage ist nur, ob man ihn so lange toben läßt, bis die Städte brennen oder die Bestie vorher erlegt.