Da ich gerade bei dem Thema bin, im folgenden zur Ergänzung aus meinem alten Schmöker ein Auszug, der sich mit der Struktur von Filmstories befasst. Fokus ist die kapitalistische Gesellschaft als eine der “Selbstsorge”.

Die Bilder werden passend zur stillen Ideologie produziert. Gefragt sind die Einzelkämpfer. Stereotypen, deren Unabhängigkeit so weit geht, dass sie über jedem Gesetz stehen, vor nichts Angst haben und reuelos töten. Die Einzelnen werden in überhöhten Positionen dargestellt, ausgestattet mit einer Verfügungsgewalt, von der die realen Individuen nur träumen können. Egal, ob Science Fiction, Fantasy, Krimi, Historien- oder Actionfilm, das Schema ist stets das des Einzelhelden oder Führers, der Kraft seiner Macht die Handlung spätestens zum Happy End bestimmt. Was vom Mainstream dann noch bleibt an Darstellung von Zwischenmenschlichkeit, sind Liebesgeschichten, die auf ihre Weise die Stellung der Einzelnen überhöhen und mit den Problemen realer Beziehungen nicht belastet sind. Einzig der Humor kann, in besonders gelungenen Einzelfällen von Komödie, noch Bilder liefern, die mit Realität korrespondieren. Nur in der bewusst gebrochenen Darstellung, dem Witz, ist noch Wirklichkeit.

Wieder breitet sich der Hauch einer Verschwörungstheorie aus: Werden die Einzelnen von der bösen Filmindustrie verdummt und gehirngewaschen? Nein. Zwar ist es völlig richtig, zu sagen, dass sich das System mit Hilfe solcher “Medien” reproduziert, aber das System folgt keinem Machtinteresse Einzelner oder elitärer Gruppen. System ist System ist System. Die Bilder folgen den Bedürfnissen der Einzelnen wie diese den Bildern. Daher lassen sich aus den Produktionen der Kitschindustrie eben auch Rückschlüsse auf den Zustand der Kultur ziehen.

Letzteres sei als Empfehlung in den Raum gestellt. Es liegt mir fern, in einem Zirkelschluss so zu tun, als sei die These von der Einzelkämpfer – Ideologie in zeitgemäßen Filmproduktionen ihr eigener Beweis, weil es so schön zur Behauptung der Tendenz zur Selbstsorge passt. Die These ist an dieser Stelle so unbeweisbar, wie sie anderenorts überprüfbar ist. Es lassen sich beinahe beliebige Beispiele dafür heranziehen: Vergleicht man die Darstellung der Einzelnen und ihrer angewandten Handlungsmacht in den Produktionen mit den Wechselwirkungen zu kollektiven Zwängen und Ansprüchen und vergleicht diese Konstruktionen mit realen Handlungssituationen, wird man feststellen, dass die Rolle des Einzelnen, sein Einfluss auf das System, in dem er sich befindet, in den Produktionen aufs Gröbste überhöht wird. Und man bedenke, dass dieses Schema Anwendung findet in einer Kultur, die ohnehin den Einzelnen sehr viel mehr Handlungsfreiheit gibt als in irgend einer anderen Kultur der Menschheitsgeschichte.

Der Unterschied zwischen den realen Einzelnen und den Filmhelden, das macht das ideologische Moment der Bilder aus, besteht darin, dass der Filmheld Glück hat, wobei er dieses Glück seiner ihm eigenen Macht verdankt, wo reale Einzelne sich im Geflecht fremder Machtansprüche verlieren. Man darf dankbar sein, wenn dieses Schema in Form einer märchenhaften Geschichte präsentiert wird, um den Bezug zur schon seltsamen Sehnsucht der Einzelnen nach dem Ende ihrer Ohnmacht wenigstens zu retten – es ist ja nur ein Traum. Vollendete Verblödung suggeriert, starke Männer könnten reale Probleme durch Gewalt gegen das Böse lösen. Die Wirklichkeit der Demokratie zeigt sich nicht zuletzt daran, dass solche Blödheit nicht mehr dem gegängelten Proletariat vorbehalten ist, sondern längst auch die Mächtigsten befallen hat. Präsentiert sich der Präsident als Cowboy, erheischt man wohl einen kurzen Blick ins Reich der Ideen: Hier kommt die Komik zu sich selbst.

Bemerkenswert am Schema der filmischen Massenproduktionen ist der Ursprung des dort erzeugten Scheins in der Frustration. Figuren, die solche Allmachtsphantasien ausfüllen, derer sich reale Einzelne bedienen, um ihre Ohnmachtsgefühle zu ertragen, haben jederzeit Konjunktur. Der Kampf ums Dasein auf der Leinwand ist existentiell, groß und ein Abklatsch der Mythen. In göttlichen und übermenschlichen Dimensionen wird dort ausgetragen, was im Alltag an der Tücke des Objekts und in den Mühlen der Verwaltung scheitert. Die mannigfaltigen Ursachen der Alltagsfrustration werden nicht benannt oder hinterfragt, sondern die durch sie erzeugte und angestaute Energie wird genutzt, um die Einzelnen an die “Story” zu binden. Leiden und Erlösung werden so zubereitet, dass die im realen Leben Unbefriedigten für eine kurze Zeitspanne entspannen dürfen. So wird noch das völlige Scheitern des Konzeptes “Selbstsorge” triumphal ins Gute gewendet. Dass Unterhaltung so funktioniert, ist nicht als “amoralisch” zu brandmarken. Warum sollte ausgerechnet die Unterhaltungsindustrie dem Guten dienen, wenn das korrumpierte Schöne durstig aufgenommen wird? Der Bezug auf Wahrheit würde solche Fragen aufwerfen. Aber was gilt die Wahrheit im Kampf der Einzelnen? Und ist sie nicht obendrein langweilig?

(2005)