Es gibt noch so etwas wie Journalismus im deutschen Fernsehen, an einem Dienstag zwischen 23 und 24 Uhr. Bei Maischberger (in der Mediathek [noch?] nicht zu finden) traf sich heute eine Runde von Gästen, die mehr zur Krise um Georgien beitrugen als hunderte Beiträge der Mainstream-Journaille. Die Besetzung: Hans-Dietrich Genscher, Peter Scholl-Latour, Lothar Loewe, Erhard Eppler und Gabriele Krone-Schmalz. Zugeschaltet war kurz auch Eduard Schewardnadse, der freilich wenig zur Diskussion beitragen konnte.
Die Anwesenden beleuchteten aus sehr unterschiedlichen persönlichen Perspektiven den Hintergrund und die möglichen Folgen der Lage im Kaukasus. Trotz aller Unterschiede herrschte Einigkeit über die wichtigsten Punkte, hier in aller Kürze:
Die Krise ist nicht den Russen anzulasten, wenngleich sie klar “überreagiert” haben. Sie ging aus einer Aggression Georgiens gegen Südossetien hervor. Im Vorfeld sind schon die Fehler der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges für die Lage mitverantwortlich sowie eine aggressive und mit niemandem abgestimmte Politik der Bush-Administration. Die NATO hat keine Zukunft, wenn sie ihren Mitgliedern gestattet, ihre Eigeninteressen auf das Bündnis abzuwälzen. Eine Aufnahme Georgien ins die NATO wäre fatal und hätte bereits zu einem Weltkrieg führen können. Geisterfahrten wie die Stationierung von Raketen an der Grenze zu Russland kann sich ein westliches Bündnis nicht leisten. Die bewußte Isolation Russland, vom Westen betrieben, wäre ein GAU für Europa. Die derzeitige Lage ist vor dem Hintergrund des amerikanischen Wahlkampfs äußerst nützlich für die Republikaner, eine Entspannung würde hingegen Obama nützen.
Hervorzuheben ist überdies die Leistung von Gabriele Krone-Schmalz, die hellwach dafür sorgte, daß die recht überflüssig eingestreute “Parallele” (die eben keine ist) zum Prager Frühling nicht in einem Bild von bösen Russen mündete, wie es derzeit von Merkel und den ihr angeschlossenen Medien aufgebaut wird.
Die Menschen, die hier ihr Hintergrundwissen und ihre ganze Erfahrung einbrachten, um zu einer klugen Einschätzung der Situation zu gelangen, sind recht unverdächtig, eine Bande linker Spinner zu sein, dennoch stehen sie mit ihren Meinungen auf einem völlig anderen Planeten als diejenigen, die derzeit das entscheiden, was in Deutschland eine “Außenpolitik” sein soll. Man vergleiche das nur mit dem unsäglichen Getrommel, das etwa bei SpOn und Sueddeutsche.de zu lesen ist:
- Merkel verspricht härtere Gangart gegenüber Russland und
- Russlands Präsident Dimitri Medwedjew führt sein Land in eine selbstzerstörerische politische Isolation.
Das Volk soll nicht wissen, es soll mitmarschieren. Daß es noch Journalisten gibt, die dagegen halten, hinterläßt mich ratlos. War das nun eine Sternstunde in schwierigsten Zeiten oder der Abgesang auf einen Journalismus, der niemanden mehr erreicht?