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Wer muss eigentlich vor wem gerettet werden? Es ist nicht leicht, noch eine entschiedene Meinung zur Eurokrise zu haben. Das liegt daran, dass man sich inzwischen zuerst entscheiden muss, ob man noch ‘Informationen’ verarbeiten will oder den analytischen Blick beibehalten, sich von Zahlenspielchen blenden lässt oder hinter die Kulissen schaut. In der Tat eine gewöhnungsbedürftige Situation: Informieren oder denken – beides zusammen geht nicht.

Das liegt daran, dass das Spiel sich selbst erfüllender Prophezeiungen und Erwartungserwartungen denselben Regeln zu folgen scheint wie alles andere an den Finanzmärkten. Es gibt keine Rationalität, sondern bloß noch Stochastik. Wer sie beherrscht, macht Gewinn, die anderen zahlen drauf. Was die plappernden Diskutanten auf allen Kanälen darüber inzwischen völlig verdrängen: Griechenland ist kein Finanzmarkt, Griechenland ist real.

Real Ya

Das Motto der spanischen Leidensgenossen “Democracia Real Ya” heißt nicht nur “echte Demokratie jetzt”, es ist auch ein Ruf der Realität, der realen Menschen hinein in die losgelassene Welt der Zahlenvirtuosen. Hier und jetzt, zum Anfassen. Da ist nichts weg zu definieren oder bilanziell auszugleichen. Man kann die Leute erschießen oder ihnen weichen, man kann die Probleme lösen oder an ihnen scheitern. Menschen leiden darunter, und schon kurzfristig wird die Frage sein, wer genau und auf welche Weise.

Es wird immer noch diskutiert über Entschuldung, Sparprogramme oder Währungsaustritt, die Rolle der Ratingagenturen oder der Spekulanten. Natürlich sind die Ratingagenturen ein Teil des Problems, sie haben mehr Macht als Jochen Hoff oder Frank Lübberding einräumen. Das liegt aber daran, dass sie Teil einer virtuellen Geldwertproduktion sind, in der jeder seinen Vorteil sucht und nach seinen eigenen Regeln spielt.

Dass dieser Eigennutz eben keine Konstante ist, zeigt sich beispielhaft an den Ratingagenturen. Auch deren Bewertungen sind nachweisbar Einzelinteressen gefolgt. Hier geht die Stochastik dann unmittelbar in Betrug über. Dieser gelingt, weil die Ratingcodes sogleich in Parameter einfließen, die quasi automatisch zu Gewinnen und Verlusten führen. “Vertrauen” ist hier eine stochastische Größe neben anderen.

Wenn der Glaube weicht

Auch dies ist aber noch nicht des Pudels Kern, sondern höchstens eine ethische Betrachtung. Es entwickelt sich allmählich eine Entsprechung dieser Vorgänge in der sozialen Wirklichkeit. Auf der einen Seite kann man kaum mehr begreifen, was der Wert des Geldes eigentlich abbildet. Das Treiben an den Börsen und in den Banken hat nichts mehr mit Kaufkraft oder Warenwert zu tun. Eine völlig abgehobene Sphäre der Wertermittlung zeitigt Ergebnisse, die gewisse Machtverhältnisse andeutet. Die Milliardäre sind reich, einkaufen können sie mit ihrem Geld aber nicht. Immerhin glauben die Menschen noch, dass diese Leute eine Menge zu sagen haben – und kaufen könnten.

Da draußen aber geschieht der umgekehrte Prozess: Menschen machen nicht mehr mit, stellen sich real und physisch in den Weg und tun deutlich kund, dass sie nicht mehr glauben. Nicht an diese Zahlen, nicht an dieses Recht und nicht dass irgend etwas davon in ihrem Namen stattfindet. Da spielt es überhaupt keine Rolle mehr, ob Griechenland, Irland, Spanien, Portugal, Italien oder sonstwas noch zu “retten” ist, wie hoch die Schulden sind und ob sie steigen oder fallen. Niemand weiß, wie es real weitergehen soll. Offenbar kann alles Geld der Welt nicht die Wirklichkeit ändern. Das Spiel ist aus.