Ich weiß, dass es nicht klug ist, seinen Namen zu nennen und die reaktionären Hetzartikelchen zu beachten, die er schreibt. So etwas ignoriert man gemeinhin, schreit der Humbug doch eh nur nach Aufmerksamkeit. Einer Diskussion ist so etwas nicht würdig. Dennoch muss gelegentlich gezeigt werden, wie er funktioniert und auch muss gelegentlich darauf hingewiesen werden, wie der “Spiegel” zum Kampfblatt der antidemokratischen Rechten geworden ist.

Dass dabei nicht nur eine demokratische Kultur unter die Räder kommt, sondern gleichermaßen das Niveau journalistischer Argumentation, ist kein Zufall. Man muss kein Aufklärer sein, um zu erkennen, dass Propaganda Dummheit befördert. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass eine bauernschlaue Verdrehung von Fakten letztlich ins Chaos führt. Wer sich stets die Wirklichkeit so zurecht lügt, dass sie in die Gesinnung passt, muss irgendwann die Orientierung verlieren. Danach ist nur noch Parolen dreschen, die sich immer weiter von dem entfernen, was man noch sehen und hören kann.

Chat Atkins hatte neulich ein Beispiel zerpflückt, das ich noch mit der Empfehlung kommentierte, er solle Fleischhauer besser gar nicht erst ignorieren. Aber vielleicht ist es richtig, jeweils ein Mal den groben Unfug als das zu benennen, was er ist. Nur Schweigen ist auf die Dauer auch keine Option.

Recht als Mittel der Vergeltung

Nun hat sich der Besagte aufgeschwungen, das Strafrecht als Mittel der Vergeltung zu proklamieren. Kein Scherz. Das kann man tun, wenn man ein rechter Hanswurst ist und lieber den Kreislauf der Rache installiert, anstatt zu versuchen, Kriminalität wirklich einzudämmen. Das nämlich ist der Sinn der Resozialisierung. Sie ist der effektivste Opferschutz, den wir kennen, denn rückfällige Täter schaffen sich eben immer neue Opfer. Wenn also drakonische Strafen zu hohen Rückfallquoten führen, ist deren Forderung eine Förderung der Kriminalität. Leute wie Fleischhauer wollen mehr Opfer, nicht weniger.

Die von ihm vorgebrachten Scheinargumente vom Recyclinghof sind dem gemäß. Hauptbeleg: In den 60ern habe es noch viel mehr Freiheitsstrafen gegeben. Seine Formulierung ist ganz nebenbei falsch, denn sie suggeriert, von 1968 auf 1969 (“bis 1968 …, seitdem stabil”) sei die Zahl der JVA-Insassen um 100.000 auf 70.000 gesunken. Es wäre hier durchaus relevant, in welchem Tempo und aufgrund welcher Effekte die Zahl so gesunken ist, dass sie seit den späten 70ern relativ stabil ist. Für den Rechtskonservativen ist natürlich klar: Die Ideologie der 68er ist schuld, und das ist eben schlecht.

Es gibt immer mehr als einen Grund, wenn man aber genauer hinschaut,wird es zu kompliziert für Propaganda. Das macht keinen Spaß. Zum Beispiel hatten wir in den 50er und 60er Jahren noch überall die original Nazirichter im Amt, die erst allmählich durch anders geschulten Nachwuchs ersetzt wurden. Soll deren brutale Justiz also das bessere Vorbild sein?

Nackte Zahlen sagen gar nichts

Und was sagt die Abnahme irgend einer Zahl eigentlich aus? Schauen wir uns den internationalen Vergleich an: Da spielt Deutschland in keiner extremen Liga, außer bei den registrierten Betrugsdelikten, was sich aus der Statistik allein auch nicht erklären lässt.

Die Extremisten unter den Industriestaaten sind, wer hätte das gedacht, die USA und Russland. Bei denen ist nicht nur die Quote der Knackis extrem hoch. Das Verhältnis der registrierten Straftaten zu den Inhaftieren ist erschreckend. Wer dort vor Gericht landet, hat beste Chancen, auch verurteilt zu werden. Das ist wohl die Welt der Fleischhauers. Am besten versorgen wir das Volk dann noch mit Waffen, und wir können wieder ruhig schlafen.

Die verlinkte Statistik zeigt überdies, dass die blanken Zahlen kaum etwas hergeben. Einige Extremwerte bedürfen unbedingt der Erklärung. Wenn in vergleichbaren Ländern die Werte um das hundert- oder tausendfache abweichen, kann man nicht davon ausgehen, dass hie ein Hort des Bösen ist und dort das Paradies. Von den hohen Werten bei Vergewaltigungen in Schweden wissen wir seit Assange immerhin, woran das liegt. Ohne intensive Betrachtung der Hintergünde aber sind solche Zahlen wertlos.

Dummheit als Markenzeichen

Kommen wir aber zum Kern der Sache, die den Reaktionär leider nicht interessiert. Sein Hinweis, dass in “der Heimerziehung und Intensivpädagogik etwas furchtbar schiefläuft“, ist tendenziell richtig. Seine Behauptung, dies liege an zu milden Strafen, ist aber blanker Blödsinn. Diese stellen nämlich das Ende des Prozesses dar, die Ursachen liegen weit davor. Da hat eine “Reform” der Gewerbesteuer, die die Kommunen ausblutet, viel Schlimmeres angerichtet als je ein Jugendrichter vermochte.

Zu wenige Maßnahmen, die vor allem zu spät ergriffen werden, zu wenig Personal in den Jugendämtern, keine Freizeitangebote, keine Prävention, schlecht bezahlte Arbeitskräfte et cetera et cetera. Eine Kommune, die pleite ist, hangelt sich von einem Haushaltsjahr zum nächsten. Die Kinder- und Jugendhilfe wird dabei auf breiter Front kaputtgespart. Das ist das Resultat jenes schlanken Staates, den die Strafverschärfer meist in derselben Aktentasche tragen. Das wollen sie freilich nicht wissen, und ihre Leser sollen es nicht wissen. Dummheit ist hier Markenzeichen.

Dass Fleischhauer dann Karl Binding zitiert, seinen Gewährsmann für die Strafe als “Wunde”, das passt schon. Vielleicht hat er sich zuvor an dessen Werk “Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens” ergötzt. Das ist ja jetzt wieder hoffähig, man darf doch sicher mal darüber reden?