Jusos 2010: Hippies zu Wirtschaftsprüfern
Posted by flatter under Politik[20] Comments
07. Mai 2010 16:46
Ich habe schon lange keinen Artikel in der “Zeit” mehr gelesen, dem ich etwas Relevantes hätte entnehmen können, das nicht woanders ansprechender berichtet wurde. Heute gab es endlich einen Aufreger. Er ist ein Beispiel dafür was passiert, wenn man gänzlich auf Redaktion verzichtet und einfach billigste Propaganda machen läßt. Am besten gleich von denen, in deren Interesse sie liegt.
Ein gewisser Séverin Pabsch darf sich da ungebremst äußern zu dem, was er für Studentenpolitik hält. Niemand erwähnt, daß er SPD-Mitglied und für diese u.a. Bundestagskandidat ist. Auch, daß er den streikenden Studierenden in den Rücken gefallen ist und öffentlichkeitswirksam die linke Konkurrenz anschwärzte, erfährt man nicht.
Es ist vielleicht auch nicht nötig, denn die mentale Krawatte, die sich schneidend eng um sein Hirn gewickelt hat, spricht für sich. Pabsch ist ein Streber, wie die durchökonomisierte Bachelor-Uni ihn sich glatt geschliffener nicht vorstellen könnte. Er kennt nur zwei Sorgen: Einsparungen und die böse Linke. “Extreme Kräfte” nennt er sie, die “Leninisten, Marxisten und knallharte(n) Kommunisten“, “Zentrale der Revolution“, die “verblendete Aktionen starten“, die Brut aus der “Kifferbude mit Gammelsofas und vollgekritzelten Wänden“.
Kurzum: Er hat dieselben Feindbilder wie seine Nazi-Urgroßeltern und denselben Blick auf die Hippies und Gammler. Er ist halt “Sozialdemokrat”.
Als solcher ein ordentlicher, sauberer, disziplinierter und sparsamer Mensch, hält er den extremistsichen Gammlern entegegen, was er unter Studentenleben versteht:
“Ein modernes Office mit zwei Assistentinnen, Computern, einem Zentralserver” [...]
“Die Buchhaltung haben wir outgesourct an einen professionellen Wirtschaftsprüfer, das kostet zwar, aber so gehen wir sicher, dass mit dem Geld der Studenten nichts Unrechtes passiert. Immer wenn ich Studenten erzähle, wie viel Geld wir verwalten, sagen die: Richtig so. Das darf man doch nicht im Chaos versickern lassen!”
Studentische Gelder Wirtschaftprüfern in den Rachen zu werfen, anstatt sich selbst der Verantwortung zu stellen und sich die entsprechenden Kompetenzen anzueignen, die Generationen von Hippies vor ihm hatten, das allein hilft ihm, das “Chaos” abzuwenden. Und daß ihm das “immer” als gut und richtig bestätigt wird, weist wohl darauf hin, daß er nur noch mit sich selber spricht. Oder sind die “Extremen” und ihre Wähler keine “Studenten”?
Überhaupt: Selbstwahrnemung und Kategorien dieses neoliberalen Kriechers sind in faszinierender Weise von jeder Realität abgekoppelt. Wenn drei Viertel der Wahlberechtigten “linke” Gruppierungen wählen, schwätzt er sicher immer noch von “Extremisten”. Und wenn die ganze Welt weit links von ihm stünde, würde er noch immer glauben, er sei die “Mitte”.
Die dümmliche Behauptung, bei geringerer Wahlbeteiligung hätten Extremisten bessere Chancen, muß für diese Selbsttäuschung herhalten. Zehn Prozent von zwei Prozent sind nämlich viel mehr als zehn Prozent von dreißig Prozent. Ist doch klar. Und Aufrufe zum Wahlboykott kommen ja stets aus der “Mitte”, Extremisten gehen immer wählen.
Daß an den Unis – noch immer – junge Menschen zusammenkommen, um ihre eigenen politischen Ziele zu entwickeln und nicht bloß zusehen, daß sie sich möglichst kostengünstig zu rückgratlosen Systemträgern machen, hat eine gute Tradition. In angepaßten Denunzianten wie Pabsch haben sie ihre erbittertsten Feinde.
Zu Zeiten Dutschkes wäre dieser Hanswurst brutalst möglich ausgelacht worden, und selbst zu meiner Zeit hätte er nur beim RCDS oder den Burschenschaften etwas zu trinken bekommen.
Eine alte Weisheit, die Fontane zugeschrieben wird, lautet: “Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, hat keinen Verstand.”
Wer mit Anfang 20 schon derart reaktionär daherkommt, hat zwar weder diesen noch jenes, aber allemal das Zeug zu einer ganz großen Karriere – in der SPD.
Mai 7th, 2010 at 17:33
“Studentische Gelder Wirtschaftprüfern in den Rachen zu werfen”, …heißt in korrektes Deutsch übersetzt:
- Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten -
Und natürlich für Griechenland und Europa, wie wir soeben für Sie beschlossen haben.
Oder hieß der Spruch “Lassen Sie Ihr Geld für Geld arbeiten”?
Mai 7th, 2010 at 17:43
»…Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, hat keinen Verstand…«
Der gute alte Monarchist Fontane hat sich einen von arroganten Simpeln geführten “demokratischen” Staat wie diesem nicht vorstellen können. Da die heute 19jährigen alle Hände voll zu tun haben, ihre Studiengebühren zu erwirtschaften und die nötigen Scheine in Sollzeit zu erlangen, müssen eben die erfahrenen 40+ als Revoluzzer ran. Besonders weil sie (wir) noch eine Zeit gekannt haben, als ein Bafög als Beihilfe gezahlt wurde und nicht als Kredit, man sich noch in Ruhe lerntechnisch orientieren konnte, der Papi samstags uns gehörte und man sich wohlig vor dem Russen® gruseln konnte.
Mai 7th, 2010 at 17:48
P.S.: Sorry, die heute 19jährigen werden gerade durchs Turbo-Abi geprügelt oder habens gerade hinter sich und sind froh, wenn sie einen bertelsmannigfaltig verschulten Bachelor-Studienplatz bekommen.
In dieser Generation, in der aus freien Bürgern wieder zuhauf Untertanen gemacht werden, steht eben vieles auf dem Kopf.
Mai 7th, 2010 at 18:22
Also als ich den Artikel gerade gelesen habe kam mir das alles halb so wild vor. Klar kann muss man das nicht von Wirtschaftsprüfern machen lassen, aber 800.000 Euro sind dann schon Dimensionen wo bei der Selbstverwaltung schnell viel schief gehen kann. Außerdem kostet das ja noch mehr Zeit… Ich will damit die anderen von dir Kritisierten Punkte (Streikenden in den Rücken fallen…) gar nicht relativieren, aber der Artikel lohnt sich nicht darüber aufzuregen. Insbesondere nicht mit so einer laaaangen Kritik. ;)
Da hast du doch schon “wichtigere” Probleme angemessener kritisiert!
Mai 7th, 2010 at 19:27
Es geht nur äußerst peripher um die Sache mit dem Wirtschaftsprüfer. Es geht darum, daß ein AStA-”Chef” seine Kommilitonen als dreckige Hippies desavouiert. Darüber kann ich mich gar nicht genug aufregen.
Mai 7th, 2010 at 20:28
“Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, hat keinen Verstand.”
Hihi, das kenn ich aus der Serie “Die Straßen von San Franzisko.
Ok, sehr unpassend, aber ich muss leider zustimmen. Durch so Vögel wie Pabsch ist eine vielversprechende Anfangsbewegung bereits in den Anfängen zu Fall gekommen. Übrigens wird der Mann auch unter den Studenten genauso beschrieben wie hier.
Mit so Flöten haben Schavan und Wintermantel schon gewonnen.
Mai 7th, 2010 at 23:14
Hm.. komisch wieso gab es bloß vor den “professionellen Wirtschaftsprüfern”, die sich der Uni-Gelder annehmen, so viele Absolventen die hervorragend ausgebildet wurden und heute einen sehr guten Job machen???
Achso die haben die gute Organisation und Selbstverwaltung in der Gammelsofaritze gefunden ;-). Purer Zufall, nicht?
Na dann ist alles klar, das muss natürlich dringend geändert werden. Hat ja in der Weltwirtschaft auch alles so toll gefunzelt mit dem Neoliberalismus/Kapitalismus/Geldgeilheit…. wie auch immer sie es nennen mögen.
Und vielen Dank von mir an “Pabsch”-Vertretern wie Ano und Co.
Grüße von der “weniger reichen” ausgegrenzten Minderheits Studentin, die Bafög bekommt. Nun prügelt mich alle nieder, weil ich aufmüpfig und arm bin (und meine Familie ebenfalls)
Mai 7th, 2010 at 23:29
ASTA war schon zu meiner Zeit passé.
Wer seine Schäfchen als Noch-Student noch nicht im Trockenen hat, der arbeitet oder scheitert grade daran. Das Leben ist irgendwo hinter dem Examen/Diplom/Master. Das Leben ist NICHT an der Uni.
Ganz böse könnte man sagen: Die Uni ist der erste Ort wo du lernst, dass Demokratie und Wahlen nix bringen. Sieh zu dass du die Leute kennst die die Leute kennen. Geh networken, früher nannte man das Nepotismus und Klüngel. Drittmittel kommen nicht von der Asta (falls du an der Uni bleiben willst). Jobs die eine Familie ernähren kommen nicht von der Asta.
Könnten Anstösse zur gesellschaftlichen Veränderung von der Asta kommen? Jo, könnten. Theoretisch. Aber nicht wirklich. Die potentielle intelletuelle Elite verweigert sich dem Denken über den Tellerrand. Das ist nichts Dramatisches, was da in der ZEIT steht. Nur eine Bestandsaufnahme. Jedem sein Karrierchen, und wer’s nicht schafft hat sich halt kein Glück sondern ein Unglück geschmiedet. Kennt man ja vom Bleigiessen an Sylvester.
Mai 8th, 2010 at 00:02
Der Lümmel studiert Jura!Wahrscheinlich will er Winkeladvokat werden, oder?
Beste Grüße
Mai 8th, 2010 at 09:14
Ich will dem hier gesagten mal einen Erfahrungsbericht entgegenstellen.
Ich bin seit ein paar Jahren Juso und seit drei Semestern an der Uni. Natürlich gibt es auch hier eine Juso-Hochschulgruppe, die allerdings nur mäßig einflußreich ist. Ich konnte miterleben, wie sie zuerst Verhandlungen mit anderen Gruppierungen über die Bildung eines “linken AStA” geführt hat, doch irgendwann entnervt mit zwei anderen Gruppen den besagten Service-AStA weitergeführt hat, den wir hier schon länger haben und der auch gute Arbeit macht.
Ich finde die Übeschrift nicht gerechtfertigt. Natürlich gibt es viele dieser “Aktenkoffer-und-Anzug-Jusos”, wie sie hier beschrieben wurden. Aber rechtfertigt das, gleich von “Jusos 2010″ zu sprechen? Finde ich nicht. Ich sehe, dass es bei den Jusos sehr viele junge, idealistische Menschen gibt, die sich auch nicht einreden lassen, sie wären Extremisten, bloß weil sie vom neoliberalen Mainstream abweichen. Teilweise geht das sogar in die Richtung, dass “Marx-Lesekreise” veranstaltet werden, die ja nun ebenso an der Realität der Jugendlichen vorbeigehen wie dieser smarte Jurist hier, der ahnungslos über linksextreme Gruppen schwafelt.
Ich registriere seit langem den “Kulturkampf” innehabl der Jusos: Auf der einen Seite “Pragmatiker”, die eher in Richtung des hier beschriebenen Juristen gehen. Also scharfe Abgrenzung nach links, Anbandlung nach rechts, “Service statt Politik”, Karriere in der Partei, “Helmut Schmidt ist mein Held”.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele (z. B. die Bundesvorsitzende Franziska Drohsel) der Sorte Traditions-Linke, die Marx-Lesekreise organisieren, die nun wirklich niemanden interessieren. Die Leute abschrecken, wenn sie vom Sozialismus reden (im Bewusstsein des 0815-Jugendlichen ist Sozialismus = DDR = böse). Und diese Gruppierung ist auch sehr einflußreich und trägt meiner Meinung nach ebenso dazu bei, dass die Jusos heute kaum ein ernstzunehmendes Gewicht mehr in Partei und Gesellschaft haben.
Zu dem ASta-”Chef”: Ich finde es ehrlichgesagt peinlich und ärgerlich, so jemanden bei den Jusos, ja bei der SPD zu haben. Aber damit muss man leben, wenn man eine Volkspartei sein will.
Mai 8th, 2010 at 12:08
Der Kerl studiert BWL und kann keinen Rechenschaftsbericht für eine studentische Fachschaft oder Gruppierung erstellen, wo im wesentlichen die Einnahmen lediglich aus den aus universitären Töpfen zugewiesenen Fördergeldnern und Einnahmen aus Parties und Kuchenverkauf sind? Und was für Ausgaben hat so eine Fachschaft eigentlich? Ein oder zwei Computer sind i.d.R. vorhanden, wenn die nicht sowieso von der Uni gestellt werden… Telefon u Internet bezahlt die Uni. Website machen die Studenten selber. Lediglich Kaffee, Essen für Parties für alle Studenten vom Fach, Flyer für Events (die Räume stellt i.d.R. die Uni), Verpflegung für Tagungen, Druckerpapier und Druckertinte und derartiges wird überhaupt Fachschafts-Geld ausgegeben.
Wenn das nicht im Hinblick auf heutige BWL-er so realistisch wäre, würde ich sagen, jemand würde mich verarschen wollen.
Hier mal Sahra Wagenknecht zur Griechenland-Rettung. Sehr hörenswert! Sehenswert auch die Reaktion der lieben Parlamentskollegen: Westerwelle kommt erst gegen Ende der Rede, von der Leyen tuschelt die ganze Zeit mit ihrem Nachbarn, Schäuble sieht so aus, als höre er zu und hinterher saftig Applaus für Wagenknecht!
Mai 8th, 2010 at 12:17
Da fehlt wohl ein Link? ;-)
Mai 8th, 2010 at 14:43
https://tinyurl.com/2v46ej4
Mensch Flatter, das hätte ich Dir schon noch zugetraut. Ich schätze mal es ist dieses Video:
https://www.youtube.com/watch?v=ddhm3qpe7sg
Und es ist wirklich sehr gut!
Viele Grüße
Mai 8th, 2010 at 14:43
@Kulle:
“Natürlich gibt es auch hier eine Juso-Hochschulgruppe, [...] Ich konnte miterleben, wie sie zuerst Verhandlungen mit anderen Gruppierungen über die Bildung eines “linken AStA” geführt hat [...]”
Jusos und “_linke_ AStA” – das passt doch aus reinem Partei- und Politikverständnis nicht zusammen, das konnte nur schief gehen. Das passt selbst dann nicht, wenn man bei der sPD Nachwuchsorganisation davon ausgehen mag, dass deren Verständnis einer sozialdemokratischen Politik noch nicht ganz so verdreht und verdrechselt ist wie bei den Altkadern.
“Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele (z. B. die Bundesvorsitzende Franziska Drohsel) der Sorte Traditions-Linke, die Marx-Lesekreise organisieren, die nun wirklich niemanden interessieren.”
Genau. “Modern” links ist das, was die sPD verzapft, “Traditions-Links” ist out, weil’s keinen interessiert, oder wie oder was? Wie gut, dass es die linke Linke gibt, denn die trägt ihre politische Standortbestimmung nicht nur verschämt im Namen.
Mahlzeit!
Mai 8th, 2010 at 17:13
Das sich bei den Jusos noch jemand fuer Marx interessiert, erwartet (glaube ich) niemand.
Aber woher beziehen denn die Nachwuchs-SPDler ihr theoretisches Ruestzeug um sozio-oekonomischen Misstaenden analytisch entgegentreten zu koennen???
Mai 8th, 2010 at 20:14
Der Lutscher weiss doch wirklich wie es geht: Verantwortung einfach “outcourcen” und möglichst keine anderen Lebensentwürfe/Ethiken tolerieren.
Schade nur, dass er anscheinend nicht kompetent genug ist, um sich gleich an einer der privaten Akademien der freien Wirtschaft zu verlustieren, wo er sich so richtig im Darm des Systems gemütlich machen könnte.
Anscheinend tritt man einer Partei nur noch bei, um das eigene Leben möglichst lukrativ zu gestalten.
Mai 8th, 2010 at 20:53
Solche Witzfiguren haben wir in München auch zuhauf. Fallen dem Bildungsstreik in den Rücken, um sich beim Uni-Präsidenten einzuschleimen und dadurch eigene Interessen vermeintlich zu befördern, und schimpfen sich dann “Studentenvertreter”…
Mai 8th, 2010 at 23:41
Oh, ich möchte nur mal eben darauf hinweisen, dass “Andreas” im Posting Nr. 14 nicht “andreas” in Posting Nr. 16 ist. Nur der Ordnung halber. Denn die Meinung kann man durchaus teilen. :)
Mai 9th, 2010 at 17:06
Nun beruhig dich mal wieder: Die FDP denkt ja auch, sie sei eine ‘Partei der Mitte’. Dabei ist rechts von ihr nur noch die Wand.
Mai 10th, 2010 at 04:47
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