Der Deutsche – vermutlich nicht nur der, aber er immer wieder, braucht Autoritäten. Das wurde zuletzt aufs Schmerzlichste deutlich, als sogenannte “Mutti” gewählt wurde, weil wir sie “kennen”. Ein Stock mit Hut täte es auch. Man wählt die Autorität nicht ab, zweifelt sie nicht an, steht hinter ihr und ist bereit “Aufgaben zu erfüllen”. “Leistung zu erbringen”, Befehle auszuführen.

Wir hatten nach dem Krieg Adenauer, der mit den Generalitäten reden durfte – trotz alledem. Er, seine Globkes, Straußens und Erhards haben uns gut geführt. Letzterer hatte das Problem, dass die Altautorität ihn nicht segnete. Das ist verwirrend für die Deutschen. Dann verließ ihn auch noch die FDP. Die Große Koalition 1966 war ein seltsamer Unfall, brachte zwar wieder einen mit Potential ans Ruder, ein reingewascher NSDAP-Mann, aber die Zeit lief gegen ihn, und eine Große Koalition ist dem Deutschen erst recht zu verwirrend, wenn dort nicht jemand eindeutig Herr im Hause ist. Dazu reichte es bei Kiesinger nicht.

Der unpassende Kanzler

Überspringen wir kurz den Protagonisten. Nach ihm kann Oberleutnant Schmidt an die Macht, der sich Meriten als Herrscher von Hamburg verdient hatte, autokratischer und erfolgreicher Manager der “Flut”. Schmidt ist bis heute (zumindest für Schmidt, und das strahlt aus) die Autorität in Deutschland. Ihm folgte die “geistig-moralische Wende” hin zu Pascha Kohl, dem Basta-Schröder folgte. Dann kam “Mutti”, durch alle Reihen geschlüpft und nicht wieder loszuwerden.

In diese Reihe von Obrigkeiten, die vielleicht respektiert wurden, vor allem aber als solche über Staat und Volk thronten, passt Willy Brandt nicht so recht hinein. Wie konnte es passieren, dass einer, der öffentlich auf die Knie fällt, sein Leben genießt, Frieden mit dem Feind schließt und “mehr Demokratie” verspricht, Bundeskanzler wurde? Obendrein einer, der von seinen Anhängern nicht (nur) respektiert wurde, sondern verehrt.

Brandt hat das Zeitfenster erwischt, als Deutschland beinahe demokratisch wurde. Das hatte nach gängiger Geschichtsschreibung damit zu tun, dass die Jugend mehr Freiheit und Mitbestimmung forderte, dass die Stellung zwischen Weltkrieg und Kaltem Krieg sowieso ein “Nie wieder” forderte. Freiheit war das große Thema der Zeit, von Prag über Washington und Paris bis Berlin. Menschen forderten ihre Regierungen heraus, wegen Vietnam, Faschismus, Stalinismus. Es war ein lauter Generationenwechsel.

Zu hohe Ansprüche

Konnte das aber wirklich die Westeutschen dazu bringen, sich zur Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte und ihrer Verantwortung für ihre Gesellschaft verführen zu lassen? Zunächst scheinbar schon. Im Kampf der Generationen stellte sich die Mehrheit auf die Seite des Wandels, gegen die Restauration. Dafür gab es gute Gründe: Die Deutschen waren nämlich für einen Wimpernschlag ein Volk von Anspruchsstellern.

Die Erzählung vom Wirtschaftswunder und ihrer Leistung hatte sie selbstsicher gemacht. Sie hatten sich etwas erarbeitet. Es war ihr Staat, ihre Gesellschaft, ihre Wirtschaft, an deren Wachstum sie teilhatten. Die Löhne stiegen, die Ansprüche auch, und dann kam dieser Kanzler, der nicht von oben herab schaute, sondern einer von ihnen war. Er war nicht Geheimrat und nicht Offizier, sondern “der Willy”.

Willy wurde bald aus dem Amt intrigiert. Zu vielen gefiel dieser Stil nicht. Das Volk braucht Führung, wusste und weiß niemand besser als Helmut Schmidt, der ihn bereitwillig beerbte. Es war kein Problem, ihn zu akzeptieren, die alten Muster waren trotz Willy noch durchaus intakt. Entscheidend aber war, dass das Fenster sich sehr schnell wieder schloss. Es musste sich wenige Jahre später wieder nach der Decke gestreckt werden. Die fetten Jahre waren vorbei. Wer es besser haben wollte, musste sich wieder durchkämpfen. Ansprüche hat man seitdem keine mehr. Es wird sich wieder untergeordnet.

p.s.: Die Geschichte der DDR habe ich in diesem Zusammenhang auslassen müssen. Ihren Bürgern wurde sehr schnell verdeutlicht, was es hieß, sich die D-Mark zu verdienen.