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Beamte der japanischen Atomsicherheitsbehörde glauben nicht, dass es am Gehäuse des Reaktors Nummer 1 im Kernkraftwerk Fukushima 1 zu ernsten Schäden gekommen ist

Meldung vom 12.03.2011
 
 
“Ich finde an einem solchen Tag darf man nicht einfach sagen unsere Kernkraftwerke wären sicher. Sie sind sicher und trotzdem muss man nachfragen was ist zu lernen aus einem solchen Ereignis ohne das man Anhaltspunkte hat das sie nicht sicher wären und trotzdem können wir immer dazu lernen.”

Angela Merkel, 12.03. 2011
 
 
“Wir können an solch einem Tag nicht sagen, die Kernkraftwerke sind sicher. Ja, die Kernkraftwerke sind sicher. Trotzdem müssen wir fragen, was lernen wir daraus.”

Tanja Gönner, 13.03.2011
 
 
“Wir haben Ihnen dafür ein Energiekonzept vorgelegt. Dieses Energiekonzept beruht seit langer Zeit zum ersten Mal auf klaren Analysen, wie sich die Entwicklung gestalten wird, soweit man dies für 10, 20 oder 30 Jahre vorhersagen kann.
(Sigmar Gabriel [SPD]: Bezahlt von RWE!)
Mit diesem Konzept machen wir deutlich, dass wir drei Dinge zusammenbringen, die für einen modernen Industriestandort ganz wesentlich sind: Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit des Stroms und Umweltverträglichkeit.
Ich glaube, wir alle verfahren richtig, wenn wir sagen, es macht keinen Sinn, wenn wir auch im internationalen Wettbewerb stehen, ideologiegetriebene Energiepolitik zu machen, sondern es macht Sinn, eine rationale, vernünftige Energiepolitik mit einem klaren Ziel zu machen.
Dieses Konzept werden wir am 28. September in der Regierung verabschieden und in der nächsten Sitzungswoche hier debattieren. In diesem Energiekonzept gibt es Brückentechnologien, ja.
Das ist die Kernenergie; das sind die Kohlekraftwerke. Die brauchen wir, und wir tun den Menschen keinen Gefallen, wenn wir so tun, als ob wir das alles nicht mehr brauchen, den Bau jedes modernen Kohlekraftwerks verhindern und aus ideologischen Gründen die Kernkraftwerke abschalten.
Das ist nicht unser Zugang. Wir machen es wirtschaftlich vernünftig, weil das Arbeitsplätze für Deutschland sichert.”

Angela Merkel, 15.09.2010
 
 
“Fukushima wiegt zu schwer, als dass irgendjemand einfach zur Tagesordnung übergehen könnte. [...] Die Katastrophe in Japan heißt allerdings nicht, dass wir die Sicherheit unserer Kernkraftwerke – weder der älteren noch der jüngeren – in Frage stellen. Sie erfüllen alle sicherheitstechnischen Anforderungen und übertreffen sie zum Teil sogar deutlich. Und nirgendwo in der Welt gibt es höhere Standards als bei uns. Dennoch müssen wir nach Fukushima offen über Sicherheitsthemen neu diskutieren. [...] Und wie bleibt Energie für die Industrie und für alle Bürger bezahlbar? Wie erhalten wir Arbeitsplätze und Wohlstand für uns und unsere Kinder? Denn auch auf deren Zukunft kommt es heute an! Darauf brauchen wir Antworten. Und zwar bevor endgültige Entscheidungen über einen schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie fallen. Nur so schaffen wir einen tragfähigen Umstieg mit Augenmaß.”

Eon-Chef Teyssen, 01.04.2011
 
 
p.s.: Was mich extrem annervt, ist dass Großereignisse und Jahrestage inzwischen Monate vorher publizistisch abgefeiert werden, damit man bloß nicht der Letzte ist. Wie Adventskalender im August halt.

 
Fanatiker kennen keine Kultur und keinen Respekt vor der Geschichte. Sie zerstören alles, was ihrer Ideologie und der Ausbreitung ihres religiösen Wahns im Wege ist. Wie jetzt wieder einmal die altbekannten Taliban.

Drakonische Strafen in religiösem Eifer

Wer die teils drakonischen Urteile religiös motivierter Justiz nicht versteht, weiß wenig über die Verstrickungen der verantwortlichen Richter mit den Strukturen fanatischer Fundamentalisten. Die Scharia etwa ist für sich noch kein Quell grausamer Strafen, sondern vielmehr eine Ethik, die sehr von Auslegung und Anwendung geprägt ist. Islamische Gerichte, die sich auf die Scharia berufen, können daher fair und besonnen sein, wenn die Richter es eben sind.

Das hat oft wenig mit mittelalterlichen Wurzeln zu tun und kann durchaus in modernem Gewand daherkommen. So wurde etwa eine ganze Firma sprichwörtlich von einem Richter an den Pranger gestellt und zur öffentlichen Selbstanklage gezwungen. Der Richter wiederum wurde offenbar danach von der Partei für künftige Fatwas gedungen, welche die Klage eingereicht hatte. Konkreter: Nachdem Sir Robin Jacob Apple im Sinne des Gegners Samsung in einem bizarren Urteil dazu verknackt hatte, sich auf der eigenen Website zu kasteien, wird er jetzt von Samsung als Rechtsexperte bezahlt, sagt die Quelle.

Sinnlose Gesetze

So werden innerhalb der Glaubensgemeinschaft die verdeckten Machtkämpfe immer häufiger auf der Ebene sogenannter “Gesetzgebung” ausgetragen. Dabei geht es um pure Klientelwirtschaft, in der familiäre Beziehungen stets eine gewichtige Rolle spielen (siehe z.B. den Klaeden-Clan). Die ‘Argumentationen’ erweisen sich folgerichtig als umso geistloser, je größer der Einfluss der (hier marktreligiösen) Geistlichen ist.

Mehrheiten in derartigen Pro-forma-Parlamenten beruhen daher regelmäßig auf Unwissenheit und Korruption. Ausgerechnet die Urheber eines der lächerlichsten Gesetze des neuen Jahrtausends nennen ihren vermeintlichen Feind Google selbst “Taliban”. Die Leistungsschützer zeigten von Anfang an ein beträchtliches Talent, sich selbst zu treffen bei dem hilflosen Versuch, andere zu schlagen.

Bizarre Auslegung

Im angeblich so kühlen Norden überraschen die Richter immer wieder mit fiebrigen Rechtsauslegungen. Wenn nämlich ein Ketzer der Marktreligion (Assange) ohne Gummi den Beischlaf vollzieht, so gilt er als Vergewaltiger, wird international gesucht und muss in den U.S.A. mit der Todesstrafe rechnen, sollte er wegen besagten Gummimangels nach Schweden und von dort aus an den großen Bruder ausgeliefert werden. Eine Frau beim Sex totzuschlagen gilt hingegen als so etwas wie Sachbeschädigung. So sind halt die Prioritäten in mittelalterlichen patriarchalischen Gesellschaften.

Fried ist Kriegen, gaga heißt jetzt twix

Last not least: Pazifismus ist die Befürwortung von Kriegen zur Verhinderung neuer Auschwitze als “Notoperation, um Schlimmeres zu verhindern“. Wer sich derart ins koginitive Nirwana eifert, muss wohl von den “Grünen” sein? Richtig: Kerstin Müller, Talibanane des Tages.

 
ausbeuWir kommen vom Begriff der Arbeit nicht los, also will ich mich dem auch nicht entziehen und einen weiteren Versuch wagen, ihn zu denken, und zwar von seinen Extremen her. Diese sind aus meiner Sicht: Arbeit als Vernichtungsprozess, Arbeit als Teil einer kapitalistischen Religion, insbesondere im Neoliberalismus, und drittens Arbeit an der Grenze zur bloßen Tätigkeit, wo der Begriff vielleicht überflüssig wird. Das Motiv, das solche Bemühungen trägt, ist immer noch die Frage, inwieweit eine andere Organisation von Arbeit möglich ist, was daraus folgt und wie man dorthin gelangen kann.

Arbeit als Vernichtungsprozess aufzufassen, erscheint extremistisch und klingt in der Erläuterung zunächst kompliziert. Der Gedanke lässt sich aber leicht illustrieren. Zunächst der komplizierte Einstieg:
Aus der “Dialektik der Aufklärung” und deren Gedanken der “Mimesis ans Tote” lässt sich ‘Arbeit’ als Motor des Todes beschreiben. Ist die “Mimesis” die Anpassungsleistung des Menschen und seiner Gesellschaft an die Kunstwelt der Produktion, so ist Arbeit darin dasjenige, was lebendige Natur in totes Material verwandelt. Alles wird umgewandelt, verwertet und in Stückzahlen erfasst. Daher der Gedanke, dass “Arbeit macht frei” die Menschheit in Stückgut und Arbeiter teilte, zwei Seiten desselben Prozesses.

Arbeit vernichtet zwangsläufig Natur, auch wo sie die Grenze zum kapitalistischen Kannibalismus nicht überschreitet. Nicht bloß die Fleischproduktion ist ein selbsterklärendes Beispiel dafür; vor der Arbeit waren die Natur und ihre Ressourcen, danach die Produkte und ihr Verbrauch. Nichtkapitalistische Arbeit kann sich davon unterscheiden, indem sie das Produkt nicht auch noch zur Ware macht, die nämlich gar nicht des Nutzens wegen geschaffen wird, sondern um eines jenseitigen Nutzens willen – dem des Profits.

Arbeit vernichtet

In der aktuellen Ideologie des Kapitalismus, der neoliberalen Religion, ist der Arbeitsbegriff losgelöst von jedem Inhalt, jedem historischen Kontext und der Wirklichkeit zum Dogma geworden, einem durch Wiederholung eingebläuten Glaubensinhalt. Er setzt dabei auf dem lutherschen Begriff der Arbeit auf, der den Grundstein für die Religiosität der Arbeit legte.

Der Begriff bedeutete seinem Ursprung nach Plage, Mühe, die Not eines Entwurzelten, sich durch Tätigkeit am Leben zu erhalten, kurzum: das nackte Sklavendasein. Dem entgegen stand der Begriff des Werkes, auch des Werkens, was die Erstellung eine Gegenstandes (Flechtwerk) durch Handanlegen meinte. Luther fokussierte auf die tätige Mühe als asketische gottgefällige Art zu leben. Dieser Ansatz war in der Tat alternativlos, denn wo immer Profiteure auf den Plan treten, haben sie ein Interesse an dieser unterwürfigen Grundhaltung. Wo “Gott” stand, fand sich alsbald ein Manufakturbesitzer, Fabrikant, “Arbeitgeber”. Die Kooperation zwischen Privateigentum und Religion funktioniert auf dieser Basis perfekt, sie ist das Resultat schierer Evolution.

Der Bezug auf das Werk hingegen musste fallen. Im Werk wird deutlich, dass es ein von Einzelnen oder Gruppen Geschaffenes ist. Es käme die Frage auf, wieso das dann “Eigentum” eines anderen ist. Der Begriff “Werktätige” war daher von der sozialistischen Ideologie klug gewählt.
Ist erst vom Werk nicht mehr die Rede, kann es gern noch abstrakter werden. “Arbeit” ist selbst Ware, übertragbar und mit einem Wert behaftet. Wenn man die Arbeiter also endgültig enteignen will, was ist dann das Ziel? Man nimmt ihnen das Verdienst um das Produzieren und macht ihr Werken zum Abfallprodukt einer fremden Macht.

Kapitalistische Religionslehre

Daher rührt schon der Begriff “Arbeitgeber”. Es gäbe die Arbeit nicht ohne diesen, wird suggeriert. Er “macht” sie, die anderen führen sie nur aus. Das Arbeiten selbst hat überhaupt keinen Wert. Nehmen wir an, Arbeit sei grundsätzlich sozial (was schon nicht der Fall ist), wie kommt dann einer darauf zu behaupten: “Sozial ist, was Arbeit schafft“? Er hat sich an die Stelle des (göttlichen) Schöpfers gesetzt. Alles Gute kommt eben von oben. Der Arbeiter muss nur eines wissen von seiner Arbeit: Sie definiert ihn. Er ist einer, weil er sich unterwirft und die Mühe auf sich nimmt. Der Ratschluss der höheren Macht ist dabei nicht in Zweifel zu ziehen, das wäre Blasphemie. Die Pfaffen dieser Religion sind die PR-Experten und die ihnen zuarbeitenden “Journalisten”.

Wer also die Arbeit verändern will, legt sich mit der Kirche an und gerät zwangsläufig in die Mühlen der Inquisition. Wenn er Glück hat, wird er dabei lediglich dem öffentlichen Diskurs entzogen; hat er Pech, wird er hingerichtet.

Die Konzepte alternativer Gesellschaften müssen sich aufs Werken wie auf die Arbeit beziehen. Sie kommen nicht umhin, auch “Arbeit” einzubeziehen, die aus lebendiger Natur Gebrauchsgegenstände macht und muss Grenzen ziehen, um nicht in der modernen Barbarei zu enden. Sie wird auf der anderen Seite auch nicht umhin kommen, sich vom Arbeitsbegriff abzugrenzen, wie er sich in den vergangenen Jahrhunderten eingeprägt hat. Nach wie vor wird es aber keine Option sein, sich unreflektiert als “Arbeiter” zu gerieren und zu glauben, derart wäre es auch nur möglich, sich von der kapitalistischen Produktion frei zu machen. Wenn das Denken sich schon so verstricken lässt, wird das Handeln nämlich nichts Gutes bewirken.

 
bananaEs gibt einen “Armutsbericht” der Bundesregierung, von dem die Presse sagt, er sei “angepasst” worden, “verändert”, “geschummelt”, “manipuliert” oder “geschönt”. Letztere ist die am häufigsten verwendete Formulierung. Es heißt, die FDP habe darauf bestanden, den Hinweis auf die extreme Ungleichverteilung der Vermögen zu streichen. Alles was mit Ungleichheit, Ungerechtigkeit und dem schnöden Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum zu tun hat, wurde zensuriert. Besser noch: Aus “Ungerechtigkeit” wurde “strukturelle Verbesserungen”. Die Bundesregierung hat sich in kniefälligem Gehorsam vor der neoliberalen Ideologie darauf festgelegt, dass alles, was Löhne senkt – insbesondere bei denen, die ohnehin schlecht bezahlt werden – als “Reform”, ergo “Verbesserung” zu gelten hat.

Dazu passt auch Lutz Haussteins Zusammenfassung der Wirklichkeit unter der Knute der Hartz-Gesetze. Alles nichts Neues und eine sehr ausführliche Darstellung, aber immer wieder erschütternd, wie das Geschehen in den Kammern und Gängen der Gängelung den offiziellen Darstellungen Hohn spricht. Hier ist das Ende des “Marktes”, you are leaving the sane sector. Zurecht weist Lutz auf die Produktion von Angst hin, den Druck, die Gewalt. mit der Lohnabhängige gezwungen werden, auf jegliche Forderungen zu verzichten. Hier werden Sklaven gezüchtet, mit der Macht des Unrechts, das im Gewand behördlicher Rechtmäßigkeit auftritt. Hier wird allen Lohnverhandlungen der Boden unter den Füßen weggezogen, die Armut produziert – mit oder ohne Arbeit -, von der man nachher nichts wissen will. Aber wem sage ich das …

Kann mal darf nicht passieren

Was wäre eine Bananenrepublik – nein, nicht ohne Bananen, aber ohne Polizeiwillkür, und was wäre Polizeiwillkür ohne richterlichen Segen? Vermutlich muss ich mich jetzt freuen, weil ich in einer janz dollen Demokratie lebe, in der sogar Polizeicheffen verurteilt werden, aber wenn ich mir Beweislage, Urteil und Strafmaß anschaue, bekomme ich doch arg trockene Augen, die nämlich tellergroß in unendliche Weiten starren. Da wird ein 15-Jähriger vom obersten Prügelcop gefesselt mehrfach mit dem Kopf vor die Wand gehauen, das Gericht bestätigt diesen Tathergang und kommt zu welchem Schluss? Das dürfe einem “Polizeibeamten nicht passieren”. Also wird der zu genau elf Monaten auf Bewährung verurteilt, damit er nicht seinen Beamtenstatus verliert (was ab zwölf Monaten der Fall wäre).

Was bedeutet das für das Rechtsempfinden des geneigten Bürgers? Wenn das einem Beamten nicht passieren darf, darf das dann eher einem Nichtbeamten passieren? Wenn ich also dieselbe Nummer mit einem Homie aus der Nachbarschaft durchziehe, dann bekomme ich weniger als elf Monate? Ich fürchte, so ist das nicht gemeint. Eher in die Richtung: Das darf nicht einmal einem Cop passieren. Merke er sich das! Was bedeutet das wiederum für das Rechtsempfinden der Freunde und Helfer? Foltert und misshandelt getrost Gefangene, das kostet euch nicht einmal den Job. In so einem Land lebt man doch gerne!

 
Als ich zuletzt schrub, Aneignung stehe “in keinem logischen Zusammenhang mit Arbeit”, war das sehr wörtlich zu nehmen. Grundsätzlich steht zunächst nur Lohnarbeit im Zusammenhang mit dem Gegenteil, nämlich Enteignung. Dies zu betonen, ist keine akademische Übung, sondern ein fundamentaler Widerspruch zu dem, was gemeinhin von “Arbeit” – die zumeist (nicht immer!) Lohnarbeit meint, behauptet wird. Falsche Zuschreibungen sind u.a.:

- Wer arbeitet, bekommt eine Gegenleistung
- Wer mehr arbeitet, bekommt mehr
- Wer fleißig ist, kommt zu Wohlstand
- Wer faul ist, kommt nicht zu Wohlstand
- Wer nicht zu Wohlstand kommt, ist faul.

Letztere ist eine radikale These, die nicht von jedem vertreten wird, sich aber abscheulicher Beliebtheit erfreut und illustriert, wie ideologisch aufgeladen die Konnotationen zu “Arbeit” sind.

Arbeit war über eine kurze Periode für viele Menschen eine Möglichkeit, zu bescheidenem Wohlstand zu kommen. Es war hier zwischen den 50ern und 80ern möglich, als durchschnittlicher Werktätiger eine Familie zu ernähren, ein wenig zur Seite zu legen und im Alter eine auskömmliche Rente zu beziehen. Diese Zeiten sind passé, und es ist wieder wie in den Jahrzehnten zuvor so, dass das Gros der Beschäftigten gerade über die Runden kommt und im Alter von Armut bedroht ist. Minijobs, Leiharbeit, Zeiten von Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne werden inzwischen als regulär akzeptiert. Davon kann man aber nicht leben.

Wem gehört der Fortschritt?

Die Entwicklung kann man aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben; hier soll die Enteignung der Werktätigen durch die Abkoppelung von der Produktivität betrachtet werden. Wer’s gern graphisch hat, möge z.B. hier, hier und hier schauen.

Nehmen wir an, es gäbe faire Löhne und diese seien einmal bezahlt worden. Dann wäre zu fragen, was hätte geschehen müssen, als die technische Entwicklung Arbeit effizienter gemacht hat. Wenn also ein Auto statt in 100 Stunden in 10 Stunden gebaut werden kann, wer hat dann etwas von der Verzehnfachung der Arbeitsleistung? Wer es für richtig hält, dass “Unternehmer” für Verbesserungen (wie z.B. das Anschaffen von Robotern) belohnt werden müssten, gesteht diesen also nicht nur zu, ihre Kosten für die neuen Maschinen zu amortisieren, sondern auch einen Anteil an der höheren Produktivität. Das muss man schon nicht so sehen, aber selbst dann müsste man fairerweise den Arbeitern zugestehen, einen Anteil auch ihren Löhnen zukommen zu lassen. Vielleicht einen weiteren für das höhere Risiko von Arbeitslosigkeit, weil weniger von ihnen gebraucht werden.

Dem ist aber nicht so, und dementsprechend wird der Kuchen bekanntlich aufgeteilt. Diese Zahlen sind das Manifest einer permanenten Enteignung. Dabei bilden sie aber einige der übelsten Details gar nicht ab. Schauen wir uns die “technische Entwicklung” an: Neuerungen in Produktionsanlagen und Abläufen, Erfindungen, Produktideen, Verbesserungen – werden die durch “Unternehmer” geleistet? Nein. Die Sphären sind im Kapitalismus geteilt zwischen Geldgebern und Produzierenden. Letztere bekommen wie gezeigt immer zu wenig vom Kuchen, wenn auch in unterschiedlicher Höhe. Für besonders Pfiffige, so wird behauptet, gäbe es aber den Weg in die “Selbständigkeit” oder “Unternehmensgründung”. Sie könnten auf diesem Wege reich werden.

Juristische Enteignung

Nun, es gibt Beispiele für solche Karrieren. Grundbedingungen dafür: Eine gute Idee, wenig Konkurrenz und das Glück, nicht von großen Rechteinhabern wahrgenommen zu werden, bis man selbst eine schlagkräftige juristische Abteilung beschäftigen kann. Das ist die traurige Rolle des Staates im höher entwickelten Kapitalismus: Dass er per Gesetz immer mehr Eigentumsansprüche schützt, vor allem gegen aufstrebende Konkurrenz, die sich gerichtliche Auseinandersetzungen schlicht nicht leisten kann. Wer “Glück” hat, wird aufgekauft. Auch darin besteht aber eine Enteignung übelster Sorte, denn fortan werden wieder jene kassieren, deren einzige Leistung darin besteht, schon viel Eigentum angehäuft zu haben.

Insofern sind Aneignung und Arbeit inzwischen beinahe Antagonismen. Sie sind es nicht grundsätzlich, wie die Nachkriegsjahre gezeigt haben. Auch seltene Einzelkarrieren und eine immer schmaler werdende Mittelschicht lassen Ausnahmen zu. Letztere ist wichtig, um noch Innovationen zu ermöglichen, aber gerade in solchen Prozessen ist neben dem wenigen, das sich Kreative und höhere Angestellte aneignen, die Enteignung in solchen Jobs oft am größten. Die Löhne, die hier gezahlt werden, sind oft ein Witz im Vergleich zu dem Zugewinnen, die solche Kreative schaffen.

Eine Ideologie, die entgegen diesen Fakten weiterhin mit der Behauptung, Fleiß und Arbeit seien der Weg zu Wohlstand, hantiert, ist im Kern faul. Die Neoliberalen behaupten aber tagein tagaus nichts anderes, was den Irrsinn auch aus dieser Perspektive offenlegt. Allerdings müssen auch deren Gegner, sofern sie einer “Marktwirtschaft” das Wort reden, erklären, wie derartige Entwicklungen wirksam verhindert werden könnten. Neben rein ökonomischen Fragen wäre da auch noch zu besprechen, wie ein Staat, der sich dem Schutz des Eigentums verpflichtet, den beschriebenen Prozess nicht geradezu provoziert – oder ob es eine Marktwirtschaft ohne solchen Eigentumsschutz werden soll.

Ich hatte zuletzt zu dem Thema geschrieben: “Es geht um nicht weniger als die Zerstörung von Arbeit als Prinzip, das Leben (“verdienen”) und Identität (Stolz) spendet.” Ich möchte das an dieser Stelle noch einmal vertiefen, aus gegebenem Anlass und weil die Lösung vom Begriff des Arbeiters und seiner Arbeit für soziale Alternativen entscheidend sein könnte. Wenn ich an dieser Stelle “Begriff” sage, geht es nicht um ein Wort, um Haarspalterei, sondern es geht ganz selbstverständlich um das, was mit dem Begriff verbunden ist, sowohl die gesellschaftliche Wirklichkeit als auch die Konnotationen. Wer “Arbeit” sagt, meint etwas, von dem er vielleicht gar nichts weiß.

Ich werde mich mit einigen dieser Konnotationen befassen, die man erst einmal loswerden muss, wenn man über eine zukünftige Gesellschaftsorganisation verhandeln will. Es wird nämlich nicht reichen, plakativ “Lohnarbeit” abschaffen zu wollen, wenn das ganze Drumherum bestehen bleibt. Wer das ändern will, muss die Säge tief ansetzen. Eine der großen Illusionen, die in beinahe jedem Kopf von rechts bis links und reich bis arm steckt, ist die Mär vom Fleiß. Wer viel arbeitet ist fleißig. Fleißig sein ist gut. Wer fleißig ist, verdient etwas. Er verdient mehr als jemand, der weniger fleißig ist.

Die Tugend der Sklaven

Diese scheinbar völlig selbstverständlichen Weisheiten haben eines gemeinsam: Sie sind durch und durch grundfalsch. Nichts daran ist wahr. Fleiß ist eine jener ‘Tugenden’, die in einer Sklavengesellschaft den Unfreien zugedacht ist. Wer sich selbst knechtet, mehr noch als die Herrschaft es verlangen würde, gilt als tugendhaft. Diese Grundmoral der Ausbeutung ist ein Herrschaftsinstrument, dass darum den eben Herrschenden schlicht nützt. Seine Übernahme als Ideologie der “Arbeiter” selbst, grenzt an Irrsinn. Der Arbeiter, der stolz ist auf seine Arbeitsleistung, ist ein Sklave, der seine Unterwerfung vollständig verinnerlicht hat.

Dem zur Seite steht mit dem Vehikel “verdienen” die nächste ideologische Allzweckwaffe. Wer fleißig ist, “verdient”. Im Endeffekt bedeutet dies nicht ein Recht, sondern die moralische Pflicht zur Unterwerfung unter das Lohnprinzip, dies wird ja ausdrücklich politisch so formuliert: “Wer nicht arbeitet, muss auch nicht essen”. Eine Pflicht, die unausgesprochen natürlich den Profiteuren nicht obliegt. Wer reich ist, muss seine Existenz nicht rechtfertigen. Mit zynischen Sprüchen wie “Jeder kriegt, was er verdient”, wird der Status Quo für “gerecht” erklärt. Abhängige, die am selben Ort vergleichbare Arbeit leisten, werden oft nach Stunden bezahlt. Damit wiederum wird die allgemeine Regel ins Gegenteil verkehrt und behauptet, wer mehr arbeite, bekomme auch mehr. Dabei gilt für die Verteilung via Arbeit dasselbe wie für Verteilung allgemein: Wer reich ist, bekommt mehr.

Der Schnellste im Hamsterrad

Arbeiterparteien und ihre Nachfolgeorganisationen gehen diesem Unsinn nach wie vor auf den Leim und stricken fröhlich mit an der Legende vom Fleiß. Sie tun es, indem sie teils ebenfalls behaupten, teils einfordern, dass mehr Fleiß zu mehr Wohlstand führe. Dies war aber nie der Fall, nie vorgesehen und ist auch schlicht sinnlos. Letzteres u.a. deshalb, weil zu allen Zeiten unterschiedliche Arbeiten unterschiedlich bewertet wurden und weil es hieße, dass mehr Arbeit, die zu weniger Erfolg führt, besser wäre. Haben technische und wissenschaftliche Entwicklungen zu einer immensen Produktivität geführt, damit alle möglichst viel arbeiten? Wo ist da der Sinn? Fleiß ist allein deshalb kontraproduktiv, weil Intensität, Tempo und Menge in produktiven Prozessen sich nicht nach den überschüssigen Energien Einzelner richten können, weil die vielleicht gerade auf Koks sind. Fleiß ist Unsinn.

Im nächsten Text zum Komplex werde ich mich mit dem Problem der Aneignung beschäftigen, die in keinem logischen Zusammenhang mit Arbeit steht, dennoch aber flächendeckend damit in Verbindung gebracht wird.

Da ich gerade bei dem Thema bin, im folgenden zur Ergänzung aus meinem alten Schmöker ein Auszug, der sich mit der Struktur von Filmstories befasst. Fokus ist die kapitalistische Gesellschaft als eine der “Selbstsorge”.

Die Bilder werden passend zur stillen Ideologie produziert. Gefragt sind die Einzelkämpfer. Stereotypen, deren Unabhängigkeit so weit geht, dass sie über jedem Gesetz stehen, vor nichts Angst haben und reuelos töten. Die Einzelnen werden in überhöhten Positionen dargestellt, ausgestattet mit einer Verfügungsgewalt, von der die realen Individuen nur träumen können. Egal, ob Science Fiction, Fantasy, Krimi, Historien- oder Actionfilm, das Schema ist stets das des Einzelhelden oder Führers, der Kraft seiner Macht die Handlung spätestens zum Happy End bestimmt. Was vom Mainstream dann noch bleibt an Darstellung von Zwischenmenschlichkeit, sind Liebesgeschichten, die auf ihre Weise die Stellung der Einzelnen überhöhen und mit den Problemen realer Beziehungen nicht belastet sind. Einzig der Humor kann, in besonders gelungenen Einzelfällen von Komödie, noch Bilder liefern, die mit Realität korrespondieren. Nur in der bewusst gebrochenen Darstellung, dem Witz, ist noch Wirklichkeit.

Wieder breitet sich der Hauch einer Verschwörungstheorie aus: Werden die Einzelnen von der bösen Filmindustrie verdummt und gehirngewaschen? Nein. Zwar ist es völlig richtig, zu sagen, dass sich das System mit Hilfe solcher “Medien” reproduziert, aber das System folgt keinem Machtinteresse Einzelner oder elitärer Gruppen. System ist System ist System. Die Bilder folgen den Bedürfnissen der Einzelnen wie diese den Bildern. Daher lassen sich aus den Produktionen der Kitschindustrie eben auch Rückschlüsse auf den Zustand der Kultur ziehen.

Letzteres sei als Empfehlung in den Raum gestellt. Es liegt mir fern, in einem Zirkelschluss so zu tun, als sei die These von der Einzelkämpfer – Ideologie in zeitgemäßen Filmproduktionen ihr eigener Beweis, weil es so schön zur Behauptung der Tendenz zur Selbstsorge passt. Die These ist an dieser Stelle so unbeweisbar, wie sie anderenorts überprüfbar ist. Es lassen sich beinahe beliebige Beispiele dafür heranziehen: Vergleicht man die Darstellung der Einzelnen und ihrer angewandten Handlungsmacht in den Produktionen mit den Wechselwirkungen zu kollektiven Zwängen und Ansprüchen und vergleicht diese Konstruktionen mit realen Handlungssituationen, wird man feststellen, dass die Rolle des Einzelnen, sein Einfluss auf das System, in dem er sich befindet, in den Produktionen aufs Gröbste überhöht wird. Und man bedenke, dass dieses Schema Anwendung findet in einer Kultur, die ohnehin den Einzelnen sehr viel mehr Handlungsfreiheit gibt als in irgend einer anderen Kultur der Menschheitsgeschichte.

Der Unterschied zwischen den realen Einzelnen und den Filmhelden, das macht das ideologische Moment der Bilder aus, besteht darin, dass der Filmheld Glück hat, wobei er dieses Glück seiner ihm eigenen Macht verdankt, wo reale Einzelne sich im Geflecht fremder Machtansprüche verlieren. Man darf dankbar sein, wenn dieses Schema in Form einer märchenhaften Geschichte präsentiert wird, um den Bezug zur schon seltsamen Sehnsucht der Einzelnen nach dem Ende ihrer Ohnmacht wenigstens zu retten – es ist ja nur ein Traum. Vollendete Verblödung suggeriert, starke Männer könnten reale Probleme durch Gewalt gegen das Böse lösen. Die Wirklichkeit der Demokratie zeigt sich nicht zuletzt daran, dass solche Blödheit nicht mehr dem gegängelten Proletariat vorbehalten ist, sondern längst auch die Mächtigsten befallen hat. Präsentiert sich der Präsident als Cowboy, erheischt man wohl einen kurzen Blick ins Reich der Ideen: Hier kommt die Komik zu sich selbst.

Bemerkenswert am Schema der filmischen Massenproduktionen ist der Ursprung des dort erzeugten Scheins in der Frustration. Figuren, die solche Allmachtsphantasien ausfüllen, derer sich reale Einzelne bedienen, um ihre Ohnmachtsgefühle zu ertragen, haben jederzeit Konjunktur. Der Kampf ums Dasein auf der Leinwand ist existentiell, groß und ein Abklatsch der Mythen. In göttlichen und übermenschlichen Dimensionen wird dort ausgetragen, was im Alltag an der Tücke des Objekts und in den Mühlen der Verwaltung scheitert. Die mannigfaltigen Ursachen der Alltagsfrustration werden nicht benannt oder hinterfragt, sondern die durch sie erzeugte und angestaute Energie wird genutzt, um die Einzelnen an die “Story” zu binden. Leiden und Erlösung werden so zubereitet, dass die im realen Leben Unbefriedigten für eine kurze Zeitspanne entspannen dürfen. So wird noch das völlige Scheitern des Konzeptes “Selbstsorge” triumphal ins Gute gewendet. Dass Unterhaltung so funktioniert, ist nicht als “amoralisch” zu brandmarken. Warum sollte ausgerechnet die Unterhaltungsindustrie dem Guten dienen, wenn das korrumpierte Schöne durstig aufgenommen wird? Der Bezug auf Wahrheit würde solche Fragen aufwerfen. Aber was gilt die Wahrheit im Kampf der Einzelnen? Und ist sie nicht obendrein langweilig?

(2005)

 
drift

Wer will sie noch hören, die Experten von der Murmelakademie, Facherbsenzähler, Hüter der einzig wirklichen Wahrheit, Bewahrer der Wertschöpfung? Hans Werner Sinn etwa macht sich derzeit nach Kräften lächerlich, indem er tapfer versucht, den einzigen Fall herbeizuführen, in dem seine “Targetgefahr” real werden könnte. Wer den letzten Satz nach Erkennen des Namens weitergelesen hat, sei für seine Tapferkeit belobigt. Im allgemeinen steige ich an der Stelle schon aus.

In seinem kürzlich verlinkten Vortrag sagt Heinz-Josef Bontrup, dass niemand im Fachbereich Volkswirtschaftslehre befürchten muss, zu Marx geprüft zu werden. Wohl kaum, weil dessen Theorie so dumm oder unzutreffend ist, sondern weil sie der geltenden Ideologie widerspricht. Ich kann mir vorstellen, dass selbst die Seminare zur “politischen Ökonomie” weniger intolerant gegenüber ‘bürgerlichen’ Theorien waren, die man vielleicht kennen durfte, um sie widerlegen zu können. Aber wir sind ja auch nicht die Deutsche Demokratische Republik. Wir sind die Guten von der sozialen Marktwirtschaft®.

Priester und Tempel

Wissenschaft als Mythologie funktioniert, weil die Priester und die Tempel dafür eingerichtet sind. Wer die Mittel und Wege der “Aufklärung” festlegt, legt die Wahrheit fest. Es wird nicht geforscht, sondern bestätigt. Es wird nicht gelehrt, sondern verkündet. Es wird nicht gelernt, sondern nachgeeifert. Das ist übrigens kein Problem der Ökonomie allein, sondern das von “Wissenschaften”, die autoritär und hierarchisch strukturiert sind.

Ein Musterbeispiel dieser Wissenschaft ist die Geschichte der Kontinentaldrift und ihres unglücklichen Vertreters Alfred Wegener. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts präsentierte er eine Theorie, die an Plausibilität kaum zu überbieten war, nämlich dass die Kontinente einmal eine gemeinsame Landmasse bildeten und dann auseinander drifteten. Die Indizien dafür waren und sind erdrückend, aber Wegener wurde dafür verlacht und gemobbt – wohlgemerkt: nicht im finsteren Mittelalter, sondern im 20. Jahrhundert. Die Leugner der offensichtlichen Wahrheit waren erfolgreich bis Anfang der 1960er Jahre, erst dann war sie nicht mehr von der Hand zu weisen.

Nicht vor und nicht zurück

Es musste erst bewiesen werden, dass es eine Kraft gibt, welche die Kontinente in Bewegung setzt. Anstatt also das Offensichtliche zu akzeptieren und sich auf die Suche nach Belegen zu machen, mauerten die ‘Experten’ so lange, bis einer kam, der es ihnen ins Gesicht rieb. Der war dann auch ein echter Geologe und wurde daher als Eingeweihter von den anderen Geweihten gehört. Als “Plattentektonik” kam die Wahrheit doch noch zu ihrem Recht, mit 50 Jahren Verspätung.

So borniert kann ‘Wissenschaft’ sein, und wer je als kritischer Student auf einer Hochschule unterwegs war, hat die besten Chancen, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben. Es ist nicht hilfreich, innovativ zu sein oder geistig flexibel, wenn man dazugehören will. Schon gar nicht bei den Ökonomen, die seit Jahrzehnten denselben Sermon von sich geben, keinen Schritt vorwärts gekommen sind und obendrein einen maßgeblichen Teil bereits vorhandenen Wissens ausblenden. So bestehen sie denn darauf: Alles, was nicht den gültigen Regeln kapitalistischen Wirtschaftens entspricht, darf nicht sein. Daraus folgt unmittelbar, dass diese Regeln eben gelten. Das soll ihnen erst einmal jemand widerlegen.

 
fenster

Im folgenden wird es nicht um die hiesigen Kommentarregeln gehen, auch wenn es aktuell Anlass dazu gäbe. Möglicherweise wäre das gar kein schlechtes Beispiel für das zu schildernde Problem, ich fürchte allerdings, es führte die Sache in eine falsche Richtung.
Es geht um die Grenzen dessen, was private Regelungen leisten können. Und damit auch wieder um jenen ‘Staat’, der eingreift, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit sieht. Im Grunde ist dieses Problem jenseits des Kampfes Kapital vs. Menschen das zentrale politische Thema auch dieser Zeit. Es wird jeden beschäftigen müssen, der sich mit dem Aufbau von Gesellschaften befasst.

Wo endet das Hausrecht? Welche Mittel stehen ihm zur Verfügung? Ist es denkbar, dass eine Gesellschaft sich ausschließlich um Hausrechte formiert oder ist ein öffentliches Recht, ein Staatsrecht, grundsätzlich notwendig? Letztere Frage kann ich aus meiner Sicht klar beantworten: Ohne ein übergeordnetes Recht möchte ich nicht leben. In meinen Träumen und schönsten Utopien schon, aber nicht mit dem Menschen, den ich kennengelernt habe.

Machtbalancen

Die Erklärung der Menschenrechte war vermutlich die größte Kulturleistung, zu der dieser dilettantisch programmierte Zweibeiner überhaupt in der Lage ist. Ich halte den Nachweis für empirisch erbracht, dass die Durchsetzung von Menschenrechten nur in einer Gesellschaft möglich ist, die allen Menschen die Möglichkeit gibt, auf die ‘politischen’ Vereinbarungen Einfluss zu nehmen, und zwar realen Einfluss und nicht bloß durch die rituelle Bestimmung von Stellvertretern. Wo es also mit den Menschenrechten nicht weit her ist, herrscht ein Demokratiedefizit, in der Regel durch Machtballung.

Eine Höchstschwierigkeit besteht daher andererseits in den Grenzen, in denen ‘politische’ Macht, also öffentliche Vereinbarungen, sich auf das jeweilige Hausrecht auswirken. Die Piratenpartei etwa hat sich um dieses Problem gebildet: Darf ich in meiner Privatsphäre kontrolliert werden? Was sind die Voraussetzungen, wie weit darf das gehen? In welchem Verhältnis steht das Recht der Öffentlichkeit/des Staates zur Privatsphäre, zum Hausrecht? Die radikale Lösung ist wie zumeist keine: “Ohne Staat gäbe es das Problem nicht”. Resultat wäre freilich, dass dann in den jeweiligen Herrschaftszonen irgendwer die Gewalt über Leben, Würde und Freiheit aller Anwesenden hätte.

Es ist nicht einmal sinnvoll, mit der Formel “so wenig staatlicher Einfluss wie möglich” zu operieren, denn das ist nicht ganz zufällig eine tragende Säule der neoliberalen Ideologie. Macht muss an allen relevanten Schnittstellen austariert werden. Die Grenzen des Hausrechts bilden eine dieser Schnittstellen. Es wird nicht einmal eine dauerhaft brauchbare Formulierung für entsprechende Regeln geben, denn sie müssen permanent neu verhandelt und an die Entwicklung der Gesellschaft angepasst werden. Auch für diesen Bereich gilt mein Ceterum Censeo: Macht muss möglichst breit verteilt sein und in ein System gegenseitiger Kontrolle eingebettet. Alles andere mündet früher oder später in Unterdrückung.

p.s.: Da das Ganze bis hierher abstrakt erscheint, versuche ich es mit einer Einstiegsfrage: Kann man nun alles irgendwie privat regeln oder gibt es die Notwendigkeit einer Gesetzgebung? Wo sind die Bereiche, in die kein Gesetz hineinregeln darf? Wie kann die Grenze zwischen privat und öffentlich, Hausrecht und Staatsrecht sinnvoll gezogen werden?

Wenn ich aus dem Artikel von Judith Butler schlau werde, muss Antisemitismus eine Art Seinsgeschick sein. Etwas Ewiges und Unteilbares. Zwar spricht sie von “Rassismus und Antisemitismus“, aber dass dieser in jenem aufgehen könnte, scheint unmöglich sein zu müssen. Konsequent zitiert sie daher auch eine “antideutsche Linke”, eine Splittergruppe, an der ich nichts Linkes finden kann, die jeden Diskurs mit einer bräsigen Ideologie ruiniert.

Ich halte mich mit Äußerungen zu Israel und den Machenschaften seiner Regierung bekanntlich zurück, einfach weil es eben nur Reflexe auslöst, wenn ein nichtjüdischer deutscher Staatsbürger simple Kritik übt. Ich vertraue da auf kluge Menschen anderer Nationalitäten. die auch sehen, was nicht zu übersehen ist und sagen, was ist. Zum Antisemitismus in Deutschland muss ich Stellung beziehen, und da fällt mir auf, dass er längst ein Rassismus ist, der mit Juden und Judentum erkennbar nichts zu tun hat. Ich stelle ohne Häme fest, dass es schwer sein muss für die Nachkommen der Opfer des Holocaust, aber ihr Schicksal ist nicht frei von einer furchtbaren Beliebigkeit. Antisemitismus ist dementsprechend austauschbar.

Banales Grauen

Wer Opfer eines Verbrechens wird, ist meist nicht der einzige, dem dies widerfahren kann, es hat ihn bloß erwischt. Die Opfer werden von den Tätern nach Kriterien ausgesucht, die der Täter für sich definiert. Er hält sie in der Regel für leichte Beute, das Ziel muss ‘schwach’ sein. Der Übergang von Mobbing über den Rassismus, die Gewalt und den Krieg zur Massenvernichtung ist fließend. Das Grauen ist banal. Es hat nichts Mystisches oder Ontologisches.

Die Struktur dessen, was zynisch als “Islamkritik” verbrämt wird und dem Antisemitismus ist nicht bloß analog, sondern identisch. Die Horden hassbewegter Rassisten, die ‘den Moslems’ genetisch bedingte Dummheit und Gewaltbereitschaft andichten, sind dieselbe Charge, die den Juden das Streben nach Weltherrschaft nachsagen. Beide ‘Rassen’ sind demnach gefährlich und daher Feinde, im Kampf ums Überleben also Todgeweihte.

Der Herrenmensch und die Anderen

Der asymmetrische dritte Weltkrieg verklärt längst die halbzivilisierten Muselmanen zum Freiwild wie im zweiten das Judentum zum Ungeziefer degradiert wurde. Beide Varianten sind Konsequenzen kapitalistischer Verwertung, der ein passender Rassismus stets die letzten Mittel in die Hand gibt. Dass nur der heutige Exportweltmeister so gründlich war, gleich Millionen von Menschen zum Material des Prozesses zu machen und sie wie jedes andere in Produkte oder Asche zu transformieren, wird ein Wert für die Ewigkeit bleiben.

Daraus gelernt hat hier kaum wer. Das Hetzwerk Sarrazins trumpft mit demselben Rassismus auf wie einst ‘Mein Kampf’, ist dabei allerdings noch perfider. Die rassistische Diskriminierung von “Türken und Arabern” folgt dem bekannten Muster, Menschengruppen für minderwertig zu erklären und damit zum Feind, zum potentiellen selbstverschuldeten Opfer. Dass er aber im gleichen Atemzug die Juden diskriminiert, die “intelligenter” seien, ist der Diskussion weitgehend entgangen. Wo das drin steht, kann auch bald “verschlagener” stehen, “hinterhältig” oder sonst etwas. Die Zuschreibungen des Rassismus sind Variablen. Sie können mit beliebigen Werten gefüllt werden. Daher ist Sarrazins Machwerk nachgerade virtuos. Sein widerliches Herrenmenschenurteil über ‘die Juden’ kommt daher wie das Trojanische Pferd, als Schmeichelei.

Selber schuld

Antisemitismus ist kein Thema. Schon gar nicht von Deutschen, die schon glauben, sie seien keine Antisemiten, weil ihnen zu Juden nichts einfällt und sie eh keinen kennen. Die Rituale der geheuchelten Scham unserer Repräsentanten bei Gedenktagen machen es nicht besser. Zu viele von ihnen waren längst als Menschenhasser aufgefallen, Rassisten und Freunde von Rassisten, Parteifreunde von Nazis oder gleich selber welche, als sie ihre schlecht geübte Trauermiene aufsetzten. Das funktioniert nur leidlich und sagt nichts. Schlimmer kann man das Vergessen kaum organisieren.

Was zu tun ist, ist die Ächtung von Rassismus und Diskriminierung schlechthin. Man muss ihn und seine Ursachen erkennen, benennen und eindämmen. Dazu sind aber alle jene nicht bereit, die ihren Popanz brauchen. Und alle diejenigen, die im Konkurrenzkampf Munition für ihre Gnadenlosigkeit brauchen. Schließlich jene, die eine schale Rechtfertigung brauchen dafür, dass sie über Leichen gehen. “Selber schuld” ist das Motto der Rassisten. Wo das erklingt, wird zugeschlagen.