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Es ist mir einmal mehr das Bedürfnis, mich mit dem Begriff “liberal” zu beschäftigen, nicht zuletzt angesichts des anhaltend furchtbaren Zustands sogenannter “liberaler” Parteien in Europa. Wo sich noch nicht hinter dem finalen Etikettenschwindel intolerantes bis braunes Gesindel versammelt, beschränkt sich der Freiheitsbegriff auf die Freiheit des Marktes, die unmittelbar in die Unfreiheit der Menschen umschlägt. Ehe ich in einem weiteren Artikel auf Grundsätzliches zum Begriff komme, möchte ich noch einmal einen Blick auf die Geschichte der vergangenen 30 Jahre werfen, der Ära des Neoliberalismus.

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Am Anfang stand das Lambsdorff-Papier, das in Verlängerung der “neokonservativen” Politik Reagans in den USA und dem Thatcherismus in England das Programm auf den Punkt brachte:

- Niedrige Löhne
- Niedrige Kosten der Sozialabgaben für Arbeitgeber, Senkung der Lohnersatzleistungen
- Niedrige Steuern, insbesondere für Unternehmen
- Niedrige Staatsausgaben, “Konsolidierung” der öffentlichen Haushalte
- Deregulierung
- Privatisierung
- Bindung des Freiheitsbegriffs ans Privateigentum, Unantastbarkeit des letzteren
- Ausschließlich positive Kommunikation der wirtschaftlichen Lage.

Im Juni 1999 stellten dann die “Sozialdemokraten” Schröder und Blair ihr Konzept vor, in dem es hieß:

Die beiden vergangenen Jahrzehnte des neoliberalen Laisser-faire sind vorüber“.

Wahr ist, daß die seinerzeit vergangenen Jahrzehnte vorüber waren. Was aber sollte sich wirklich ändern? Ein Blick in die Leitsätze:

Flexible Märkte sind ein modernes sozialdemokratisches Ziel.

Was bis dahin “Deregulierung” hieß, wurde umgetauft. Die Finanzmärkte wurden dereguliert wie niemals zuvor, Arbeitnehmerrechte abgebaut. Wogegen Sozialdemokraten jahrzehntelang gekämpft hatten, das wurde jetzt einfach selbst “sozialdemokratisch”. Die “Public Private Partnership” – Projekte schossen nur so aus dem Boden, es wurde privatisiert auf Teufel-komm-raus, denn auf dem Programm stand:

Der Staat soll nicht rudern, sondern steuern“.

Der schlanke Staat wurde weiter auf strenge Diät gesetzt, Unternehmen entlastet:

“Sozialdemokraten dürfen deshalb exzessive Staatsverschuldung nicht tolerieren” und “Die Steuerbelastung von harter Arbeit und Unternehmertum sollte reduziert werden”.

ausbsrg Hiermit war nicht zuletzt der Spitzensteuersatz gemeint. Die am häufigsten erwähnte Forderung des Papiers ist die “Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten“, die den Arbeitnehmern als “höheres Netto” schmackhaft gemacht wurde. Das Motto “Mehr Netto vom Brutto” ist so neu also nicht. Daß tatsächlich damit nur die Arbeitgeber entlastet wurden, weil die Kosten der Sozialhaushalte ja weiterhin bezahlt werden müssen, hat freilich niemand verraten. Aus der paritätischen Finanzierung waren die Betriebe raus, ihre Steuern wurden gesenkt. Diese doppelte Entlastung zahlt am Ende der Bürger, zum größten Teil die Arbeitnehmer. Diese sind seitdem kein Ansprechpartner mehr für “Sozialdemokraten”, geschweige denn die Arbeitslosen. Die “Sozialdemokratie” war aufgestiegen:

Moderne Sozialdemokraten müssen die Anwälte des Mittelstands sein“.
Da steht nicht einmal “Mittelschicht”. Produktionseigentum sollte schon vorhanden sein.

Wer die Resultate dieser Politik auslöffeln sollte, wurde gar nicht verschwiegen:

Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit, denn sie erleichtern den Übergang von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung.”

Letzteres mußte als Alibi herhalten. Die Praxis sieht völlig anders aus. Es fehlt dann noch der Hinweis auf sinkende Löhne und Arbeitszwang. Dies alles wurde unter der Formel “Eigenverantwortung” verkauft und in die Hartz-Gesetze gegossen. Soziale Gerechtigkeit verschwand ganz von der Agenda, indem das Karriereschicksal zum gerechten Los umgedeutet wurde. Jeder kriegt halt, was er verdient:

In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt. Letztlich wurde damit die Bedeutung von eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert und nicht belohnt.

Die Zynische Formel “Gleichheit im Ergebnis”, die in etwa das Gegenteil der sozialen Realität darstellt, war die Abkehr von jedem Gleichheitsideal. Fortan galt “Chancengleichheit”, die nicht nur der maroden Bildungslandschaft Hohn spricht, sondern eben vor allem jede Ungerechtigkeit mit persönlichem Versagen in Verbindung bringt. Fortan wird jenen, die es zu nichts gebracht haben, Beschäftigung ohne Möglichkeit des Einspruchs “zugemutet”. Dem kann sich nur entziehen, wer das Glück eines besseren Jobs hat oder so viel Eigentum, daß er davon leben kann.

Diese Umdeutung sozialer Gerechtigkeit ist mehr als deprimierend, darum galt es, sie möglichst bunt zu verpacken, etwa mit dem Versprechen Millionen neuer Arbeitsplätze, denn:

Wenn die neue Politik gelingen soll, muß sie eine Aufbruchstimmung und einen neuen Unternehmergeist auf allen Ebenen der Gesellschaft fördern“.

Womit endgültig jeder einzelne Punkt des Lambsdorff-Papiers wiederholt und auf die “neue” Agenda gesetzt worden wäre. Dies also war das Ende “des neoliberalen Laisser-faire”. Für Arbeitnehmer und solche, die es gern wieder wären, hieß das schlicht, daß man sie nicht mehr “lassen” würde. Sie wurden zum Prekariat oder zum potentiellen Prekariat, ständig unter Druck und dem Zwang, ihre Existenz zu rechtfertigen. “Laisser-faire” gab es nicht mehr, der Neoliberalismus aber kam jetzt erst richtig in Fahrt.

Was wäre er für eine öde Veranstaltung!
Thomas Fricke macht in der FTD auf das Problem manipulierter Wechselkurse aufmerksam, die er treffend ein “Desaster” nennt. Je nach Perspektive mag man das als ein Detail des organisierten Wahnsinns betrachten oder als hinreichenden Grund für eine radikale Abkehr vom Kapitalismus. Es ist ja kein Zufall, daß Oskar Lafontaine als “gefährlichster Mann Europas” schon vor vielen Jahren und immer wieder feste Wechselkurse gefordert hat. Er ist auch deshalb persona non grata in der öffentlichen Diskussion. Kritik an seiner Position hat nie stattgefunden, die Propaganda hat vielmehr aus allen Rohren gegen einen der wenigen Vorschläge für eine andere Finanzmarktpolitik geschossen. Dabei kam es ihr zupass, daß es eben vom bösen Linken kam. Ansonsten hätte zumindest eine bessere Lösung gesucht werden müssen.

Westerwelle will derweil nichts Anderes als das “Weiter so“, weil seine Klientel davon kurzfristig profitiert. Eine Krise, gegen die dringend etwas getan werden müßte, sehen seine neoliberalen Experten nämlich nicht.
Er erhält in seiner Abneigung gegen eine Finanzmarktsteuer Unterstützung von einem, der auch nichts kapiert hat:

Nach dem G-20-Gipfel in den USA Ende September sagte IWF-Chef Dominique-Strauss-Kahn, die Tobin-Steuer sei eine sehr alte Idee, die heute nicht mehr wirklich praktikabel sei. Seit Tobin vor über drei Jahrzehnten die Steuer vorschlug, hätten sich die Märkte stark verändert, so der IWF-Boss. Er warnte, die Finanzmarktakteure würden sich einfach innovative Instrumente einfallen lassen, um die Steuer zu umgehen.”

Eine mehr als dreißig Jahre alte Idee ist also übers Haltbarkeitsdatum. Ich verweise immer wieder auf das Lambsdorff-Papier, die Blaupause für den deutschen Neoliberalismus, die es immerhin auf stolze 27 Jahre bringt. Diese wird allerdings seitdem in der Praxis von einer Krise in die nächste gejagt, während die Tobin-Steuer nie umgesetzt wurde, geschweige denn weiter entwickelt.
Das sind die Argumente der Genies, die schon so oft den Kopf in den Sand gesteckt haben, daß sie längst nur noch paniert durch die Landschaft marodieren.

Ein wenig kritischer äußert sich Rudolf Maresch bei Telepolis, der einige Ursachen der Dauerkrise benennt, aber einen grundsätzlichen Fehler nicht recht beleuchtet, der aus dem engstirnigen Blick auf angebliche Erfolge des Kapitalismus resultiert. In dem Satz:
Technologie und Kapitalismus hätten zwar den Handel ausgeweitet, die Politik werde aber weiter national betrieben“, klingt das nur kurz an.
Gemeinhin wird nämlich der technische Fortschritt dem Kapitalismus zugute gehalten, als hätte es jenen ohne diesen nicht gegeben, und als sei es nicht die wichtigste Aufgabe einer Wirtschaft der Zukunft, Fortschritt endlich von ungebremster Aneignung abzukoppeln.

Es sind schließlich nicht die Profiteure, die den Reichtum an Erfindungen und Möglichkeiten hervorbringen, sondern die Menschen, die nicht dafür arbeiten wollen, daß wenige davon reich werden. Die Abtrennung fruchtbarer Tätigkeit von jeder Solidarität, wie sie der Kapitalismus so fatal vorangebracht hat, ist ein Problem. Das andere ist die Frage, wie weltweit Menschen in organisierter Weise dazu gebracht werden können, ihr Denken und Schaffen für etwas Anderes einzusetzen als Geld.
Die Frage ist nicht, ob der Kapitalismus zugrunde geht, sondern wie und wann. Und ob es danach noch Menschen gibt, die aus diesen Wimpernschlag der Geschichte etwas lernen können.

Im folgenden ein Fragment zur Lage der Wirtschaftsnation, inspiriert u.a. durch die Diskussion zu einem Artikel vom Spiegelfechter. Ich beabsichtige, das Thema fortzusetzen.

Die geltende Doktrin des Lambsdorff-Papiers, die ich gemeinhin “Neoliberalismus” nenne, wird oft auch “marktradikal” genannt. Tatsächlich ist sie es nicht, weil sie nämlich in bezug auf die Löhne geradezu planwirtschaftlich aufgestellt ist. Zwar mögen ihre Vertreter keinen Zehnjahresplan oder absoluten Höchstlohn aufstellen, aber sie ziehen sämtliche Register und bieten alle Maßnahmen auf, um die Löhne niedrig zu halten. Daß das Zentralkomittee der Neoliberalen (INSM) ausgerechnet “Soziale” Marktwirtschaft im Munde führt, ist purer Zwiesprech. Relativ ehrlich dagegen schon ihr Propagandamotto: “Sozial ist, was Arbeit schafft”, schränkt es doch drastisch den Begriff des “Sozialen” ein.

Dem von Neoliberalen völlig überzeichneten “Problem” von Arbeitslosen, die gar nicht arbeiten wollten, kommt in dieser Absicht eine zentrale Rolle zu. Um Löhne nämlich im Dienste der Ideologie (und weder im Dienste der Volkswirtschaft noch der Martkwirtschaft) niedrig zu halten, werden potentielle Arbeitnehmer in die Zange genommen. Da nicht alle Erwerbstätigen beschäftigt werden können, muß es Sozialleistungen geben für diejenigen, die eben keinen Erwerb haben. Es sei denn, man wollte eine wütende Unterschicht, die von allem abgehängt wird, was die Gesellschaft trägt. Daraus ergibt sich logisch, daß Menschen nicht unbedingt arbeiten müssen. Neoliberale wollen sie dennoch dazu zwingen, ganz gleich, ob es Beschäftigung für sie gibt oder nicht. Daß sie aber freiwillig arbeiten, weil es sich einfach lohnt, soll auch verhindert werden. Dies ist der Kern des Kampfes gegen Mindestlöhne.

Gibt es aber in weiten Bereichen keine Mindestlöhne und werden Menschen gleichzeitig zu Arbeit gezwungen, von der sie sprichtwörtlich nichts haben, wird die Position arbeitender Menschen so weit geschwächt, daß von “Arbeitsmarkt” nicht mehr die Rede sein kann. Hier ist der Neoliberalismus das Gegenteil von marktradikal.
Könnten Arbeitnehmer nämlich Löhne aushandeln, müßte man ihnen so viel für eine Beschäftigung bieten, daß sie bereit sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Jegliche Ware, die nach dem Prinzip von “Angebot und Nachfrage” vermarktet wird, ist dem staatlichen Preisdiktat entzogen. Bei der Arbeitskraft soll das nicht so sein. Werden die Aktionäre einer Bank ohne jeden Wert, die gnädig vom Staat gekauft wird, enteignet, so gibt es einen Zwergenaufstand, weil die Entschädigung nicht hoch genug sei. Sagen aber Menschen: “Ich arbeite nicht für einen Hungerlohn”, so gilt es als ganz selbstverständlich, daß man sie dazu zwingt. Ein Mensch, der ohnehin keine Chance hat, je zu auch nur bescheidenem Wohlstand zu kommen, darf nicht sagen: “Dann bin ich lieber pleite und lebe vom Notwendigsten, das für mich abfällt”.

Man gibt ihnen nicht einmal die Möglichkeit darauf zu warten, daß ihnen etwas Besseres geboten wird als ein Job, den sie nicht aushalten, von dem sie nicht leben können oder in dem sie von morgens bis abends etwas tun, in dem sie keinen Sinn sehen. Meist übrigens alles auf einmal.
Das ist nicht schön, aber viele werden sagen, dies sei ein romantischer Ansatz, ein Luxus, den wir uns nicht leisten könnten.
Selbst wenn man das so stehen ließe, bliebe es aber nicht bei der Entrechtung der Betroffenen. Denn selbst eiskalt ökonomisch denkend, setzt sich der Druck auf diese Menschen fort auf unzweifelhaft fleißige Arbeitnehmer. Sie stehen im Endeffekt unter demselben Druck.

Sie haben keine schlechte Verhandlungsposition, sie haben gar keine. Wer verhandeln will, braucht mindestens eine Alternative. Wer keine hat, wird ausgeraubt. Wer weiß, daß er jeden Preis akzeptieren muß, weil ihm sonst Übles droht, wird (sich) eben verkaufen. Angst ist die schwächste Basis für einen Handel. Wer sich Angst zunutze macht und sie schürt, um seine Verhandlungsposition zu stärken, ist per definitionem ein Räuber.
Das hat mit freier Marktwirtschaft schon nichts zu tun, das Ganze aber auch noch “neue soziale Marktwirtschaft” zu nennen, ist ein Fußtritt ins Gesicht all derer, die halt nicht von ihren Zinsen leben können.

Vorab ein paar Worte zum Traffic: Es ist mächtig was los in der Bloggerei. Während ich hier gestern doppelt so viele Leser hatte wie an einem normalen Tag, wollten sie dem Spiegelfechter schon den Saft abdrehen, weil er zuviel Leseraufkommen hatte. Es wird doch wohl nicht erwartet, daß wir den Leuten jetzt Trost spenden, Hoffnung machen, den Weg weisen? Immerhin stelle ich erfreut fest, daß Menschen zunehmend aus politischen Gründen zu lesen beginnen. Das werden ja nicht nur Spambots sein ;-)

Zurück ins Dock, ans Wrack, zum Seelenverkäufer der Seelenverkäufer. Kaum gesunken, gurgelt der Kapitän eine Drohung in die Tiefsee: “Unentschieden!” und “Dreht bei und gebt uns all euer Gold!”
Genosse Steinmeier hat mit Rückzug gedroht. Falls man seine schönen Reformen in Frage stellen sollte. Sie sind putzig, diese Stones: Wurden noch nie gewählt, haben eine Partei mit fröhlicher Inkompetenz und bewundernswerter Ignoranz komplett versenkt und erwarten neben einer satten Belohnung noch treue Gefolgschaft.

Unterstützt werden sie dabei vom Godfather der Klarsichtfolie und Altmeister von Zucht und Ordnung. Hans-Jochen Vogel stellt fest, Steinmeier sei der richtige Mann für die Fortsetzung der Havarie, und auch inhaltlich solle man ja nichts ändern. Steckt Vogel hinter dem Masterplan? Ist er williger Helfer seines CDU-Bruders? 1982, das Jahr des Lambsdorff-Papiers, das Jahr, in dem Hajo Vogel die Führung der SPD übernahm. Ein Theoretiker, wer da keine Verschwörung wittert!

Bild am Montag stellt Vogels politisches Delirieren übrigens in den Vordergrund, obwohl die Überschrift andeutet, der Berliner Landesverband fordere den Rücktritt der gesamten Bundesspitze. Weiter wird behauptet, Olaf Scholz-Bertelsmann solle Chef in Hamburg werden. Als Belohnung für seine großartige Leistung als Minijobminister? Wem fällt so etwas ein? Wer beschließt das? Wer erzählt so etwas einfach weiter? Und müßte er dazu nicht ein bißchen gewählt werden?

Es ist tatsächlich spannend. Wir hoffen auf noch viel mehr Chaos. Chaos ist Bewegung, Vernichtung und Raum für Neues. Die SPD kann gar nicht genug davon gebrauchen.

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Ich wurde Opfer und Mittäter einer Last-Minute-Aktion, hundert Blogs für Die Linke. Die Initiatoren haben den richtigen Ton getroffen (wenn auch einen reichlich späten Termin): Sie sind keine Parteimitglieder und keine erklärten “Anhänger”, aber sie sehen dieselben Gründe dafür wie ich: Wie die Übergroße Mehrheit der Deutschen wollen wir nicht, daß unter fadenscheinigen Argumenten Kriege geführt werden. Solche Entscheidungen trifft der Deutsche Bundestag.

Seit der “Agenda 2010″ gibt es keine andere parlamentarische Opposition gegen neoliberale Wirtschaftsstrategien. Im Gegenteil werden ohne Sinn und Verstand diejenigen geschützt und gehätschelt, denen die Lohndrückerei ebenso zu verdanken ist wie die Wirtschaftskrise. Es wird mit größter Wahrscheinlichkeit genau so weitergehen, daher bedarf es einer starken Opposition, die es wagt, noch andere Thesen zu vertreten als die aus dem Lambsdorff-Papier von 1982.

Ich persönlich bin alles andere als ein eingefleischter Wähler der “Linken” und ihrer Vorgänger. Wenn ich mich gern “linksliberal” schimpfen lasse, so hat das mit einigem zu tun, was der Linken bislang nicht wirklich nachgesagt werden konnte, und einiges liegt dort noch immer im Argen. Das liegt nicht zuletzt daran, daß auch die “Linke” eine Partei ist. Ich bin kein Parteigänger, aber wir leben nun einmal in einer Parteien-Demokratie.

Die unerträglich durchsichtige und tendenziöse Hetze gegen Politiker der “Linken” ist kein Grund, sie zu wählen, aber allemal ein Grund sich dazu zu bekennen, wenn man sich dafür entschieden hat. Dies ist der Grund, warum ich meine Entscheidung öffentlich mache.
Es gibt tausend Gründe, warum ich andere Parteien nicht wähle, hier wurden nur die gröbsten genannt. Und um auch das noch zu sagen: Wenn ich an den Etablierten kristisiere, welche Positionen sie in bezug auf Wirtschafts- und Sicherheitspolitik haben, dann muß ich an den “Piraten” kritisieren, daß sie in vielen Bereichen noch gar keine gefunden haben.

Das Banner ist ein Link zur Initiative. Interessierte können dort direkt mit den Beteiligten diskutieren.

INSM-Joffe verklickert heute den Käufern des Kreuzworträtsels im Magazin seiner Wochenandacht, warum der Kapitalismus Freiheit und Demokratie ermöglicht. So weit ich weiß wird behauptet, daß das Gesamtwerk Franz Kafkas den Rekord in puncto Sekundärliteratur hält. Zählt man Paraphrasierungen dazu, dürfte das Lambsdorff-Papier ihm längst den Rang abgelaufen haben. Es gibt ganze Think-Tanks, täglich hunderte Medienprodukte und Armeen von Sprechpuppen, die nichts anderes tun als den Quark breit zu treten, der da niedergeschrieben ist.

Anders Gedachtes wird von derselben Mehrheitsfraktion von Funktionären und deren Zulieferern stets als “Kommunismus” gebrandmarkt. Das hat sein Recht, denn das kommunistische Manifest ist einer der wenigen Gegenentwürfe, wenngleich nicht so ideologisch borniert.

Von dem sich zu befreien, ist nicht einfach. Blogger und Linke reiben sich auf an der Frage, ob Begriffe wie “Politik” oder “Wirtschaft” noch Sinn machen, ob man nicht den Einheitsmedien schon auf den Leim geht, wenn man sich auf diese einläßt. Ich finde diese Diskussionen nicht fruchtbar, aber allemal symptomatisch.

Noch schwieriger scheint es, einzelne Maßnahmen, Konzepte, Ideen aufs Tapet zu bringen, die zum Gegenentwurf taugen, hinter dem sich eine kritische Öffentlichkeit sammeln, mit dem sich eine größere Masse identifizieren könnte. Die Menschen wollen keine Verschwörungstheorien, keine extremistischen Thesen, keine langatmigen oder intellektuellen Pamphlete, die ihnen die Welt erklären. Es gibt kein Mittel gegen das Dauerfeuer der Propaganda, gegen die Parolen und Vereinfachungen des Establishments, gegen die allgegenwärtige PR.

Wirklich nicht? Gibt es denn keine provokativen, schlagkräftigen Forderungen, die das matschige Dressing des politischen Salates ein wenig aufpeppen können? Es schmackhaft oder wenigstens ungenießbar machen?
Vollen Ernstes schlage ich da einmal etwas vor, das dem Marsch ins Feudalsystem eine ganz andere Melodie dazwischen jazzt:

100 % Erbschaftssteuer! Tot ist tot, und das Leben kann so lustig sein!

p.s.: Ich will eine Kampagne. Fortsetzung folgt.

In der gegenöffentlichen Debatte spielt der Begriff des “Neoliberalismus” eine zentrale Rolle. Er bezeichnet die Ideologie der westlichen Marktwirtschaft, des zeitgenössichen Kapitalismus. Protoptypisch ist diese Ideologie in Deutschland formuliert und institutionalisiert worden. Dafür stehen Think Tanks wie die “INSM”, politische Großprojekte wie die “Agenda 2010″ und das Grundkonzept des deutschen Neoliberalismus, das Lambsdorff-Papier. Seit dem Ende der sozialliberalen Koalition hat sich ein Konzept etabliert, das auf einigen simplen Grundannahmen beruht und ebenso effizient wie aggressiv umgesetzt wurde. Ein wichtiger Aspekt der Umsetzung des Konzepts ist schon in diesem selbst angelegt: Der Zwang zum Optimismus, die Rede vom “Aufschwung”. Zunächst aber zu den Grundpfeilern des Konzepts. Diese sind:

- Niedrige Löhne
- Niedrige Kosten der Sozialabgaben für Arbeitgeber, Senkung der Lohnersatzleistungen
- Niedrige Steuern, insbesondere für Unternehmen
- Niedrige Staatsausgaben, “Konsolidierung” der öffentlichen Haushalte
- Deregulierung
- Privatisierung
- Bindung des Freiheitsbegriffs ans Privateigentum, Unantastbarkeit des letzteren
- Ausschließlich positive Kommunikation der wirtschaftlichen Lage.

Kurze Geschichte einer Ideologie

Begleitet wurde dieses Grundkonzept von einer äußerst differenzierten und forcierten öffentlichen Kommunikation. So gelang es, die Inanspruchnahme von Lohnersatzleistungen mit der Vokabel “(Sozial-)Mißbrauch” zu konnotieren, die Bezieher hoher Einkommen als “Leistungträger” zu kommunizieren und Arbeitslosigkeit mit “Eigenverantwortung” zu verbinden. Letzteres ist eine besonders gelungene Kombination, die sowohl die Möglichkeit bietet, Arbeitslosen allerlei zuzumuten unter dem Vorwand, ihre “Eigenverantwortung” zu aktivieren, als auch die Möglichkeit, sie selbst für ihre Lage verantwortlich zu machen. Strukturelle Bedingungen der Arbeitslosigkeit oder massenhafter Stellenabbau trotz exorbitanter Gewinne geraten so in den Hintergrund.

Die “Agenda 2010″, die im Grunde aus den “Hartz”-Gesetzen, der Liberalisiserung des Börsenhandels, Steuerbegünstigungen für Aktiengesellschaften und weiterer Privatisierungen besteht, ist eine 1:1-Umsetzung des Lambsdorff-Papiers. Was die Regierungen Kohl sich in dieser Radikalität nicht zugetraut haben, durfte eine Rot-Grüne durchsetzen, weil ihr Wählerklientel diejenigen waren, die dagegen hätten aufbegehren müssen. Da Schröder aber ein Arbeitsmarktwunder versprochen hatte und auch sonst allerlei Nebelmaschinen anwarf, gab es keinen großen Widerstand. Die parlamentarische Opposition besteht seitdem in einer einzigen Partei, die als linke mit Vergangenheit problemlos als Schmuddelkind diktatorischer Herkunft denunziert werden konnte.

Eine aufklärersiche Presse, die dagegen gehalten hätte, gab und gibt es nicht in relevanter Verbreitung. Es zeigt sich, daß die Demokratie aufhört zu funktionieren, wenn zwischen den Leitlinien der etablierten Parteien kein kritischer Widerspruch besteht. Die “freie Presse” erweist sich als Konglomerat von Parteigängern mit fester Anbindung ans Establishment. Es findet sich kein großer Printverlag, der sich mit diesem anlegt. Im Gegenteil werden einerseits Informationen nur in esoterischen Zirkeln von der Politik an die Medien weitergegeben, andererseits sind aus den Verlagen Konzerne geworden, die sich am Gewinn orientieren und diesem ihre aufklärersiche Funktion strikt unterordnen.

In diese Struktur sickern die vorbereiteten mundgerechten “Informationen” der neoliberalen Think-Tanks ein wie warmes Öl. Nahtlos passen sich “Erhebungen” und “Studien” von “Instituten” ein, deren Organisation straff auf Tendenz abgestellt ist. Als trauriges Beispiel sei hier Forsa erwähnt, das als “Demoskopie” verkauft, was tatsächlich die Meinung eines einzelnen verbreitet, nämlich des Institutschefs Güllner, einem stramm rechten SPDler schröderscher Prägung.
Daß Rotgrün erst verwirklichte, wovon Schwarzgelb unter Kohl nur träumte, war der Anfang. Die Große Koalition forciert diesen Kurs mit aller verfassungsgebenden Macht.

Der wahrscheinlich ernst gemeinte ökonomische Kern dieser Ideologie besteht in dem Glauben, daß die optimalen Bedingungen für die Erwirtschaftung von Gewinnen in einer globalen Wirttschaft zum “Wohlstand für alle” führt. “Alle” sind in diesem Fall allerdings nur die Deutschen, denn es wurde wieder einmal hier so gnadenlos wie nirgends sonst darauf gesetzt, daß die Welt uns diene. Wir schickten Waren statt Truppen und sind abonnierter “Exportweltmeister”. Tatsächlich hat das in den vergangenen gut 25 Jahren trotz der “Kosten der Wiedervereinigung” zu gigantischen Wirtschaftsleistungen geführt.

Zwei maßgebliche ökonomische Aspekte sind aber außer Acht gelassen worden, größtenteils bewußt, teils, weil das Konzept eben nicht aufgeht: Der “Wohlstand” kommt nur den wenigsten zugute, was unmittelbar zu einer dauerhaften Lähmung des Binnenmarktes geführt hat, und die Deregulierung hat zu einer fatalen Aufblähung des Finanzsektors geführt. Dies führt zunächst zu einer enormen Beschleunigung der Schieflage bei Einkommen und Vermögen. Dem Kreislauf der Warenwirtschaft, Produktion und Konsum, wurde das Geld massiv entzogen, weil sich mit Spekulation viel höhere Gewinne erzielen ließen. Diese Gewinne kommen nur denen zugute, die das Geld dafür zur Verfügung haben.

Da sich aber dauerhaft nur Gewinne erzielen lassen, wenn solvente Kunden etwas kaufen, mußte dieses System zwangsläufig zusammenbrechen, weil zuletzt die hohen Gewinnerwartungen nur noch durch windige Geschäfte zu befriedigen waren. Die Kredite, die amerikanischen Häuslebauern angedreht wurden, welche mit Verstand betrachtet von vornherein insolvent waren, sind das finale Symptom dieses Irrsinns.

Der Niedergang und seine Ursachen

Nun rächt sich jedes Detail der neoliberalen Plünderung. Eine Wirtschaft, die sich selbst überlassen ist, die niedrige Löhne etabliert hat, private Haushalte mit hohen Kosten für Sozialversicherungen und Energie belastet und dann von den Zinsen profitieren will, die diese Haushalte aufbringen sollen, kann nur kollabieren. Zuerst kam diese Erkenntnis bei den Banken an, dann bei der Realwirtschaft. Nichts geht mehr, das Geld ist weg. Diejenigen, die kaufen wollen und müßten, haben keins mehr. Diejenigen, die es haben, können dafür nichts kaufen, was sie brauchen. Und sie können es auch nicht mehr ausgeben, um mehr daraus zu machen.

Symptomatisch für die Zwangsneurose der Gewinnmaximierung sind die Beschwörung des “Aufschwungs”, die Blindheit gegen die schiere Möglichkeit einer Rezession und die schon 1982 im Lambsdorff-Papier zementierte Ablehnung jeder Form vom Kritik am Zwangsoptimismus:

Eine Hauptursache für die seit Jahren anhaltende Labilität der deutschen Wirtschaft liegt zweifellos in der weitverbreiteten und eher noch wachsenden Skepsis im eigenen Lande. Die seit über zwei Jahren andauernde Stagnation, die immer neu hervortretenden Strukturprobleme, die wachsende Arbeitslosigkeit, die große Zahl von Insolvenzen, das Bewußtwerden internationaler Zinsabhängigkeit sowie nicht zuletzt die Auseinandersetzungen und die Unklarheit über den weiteren Kurs der Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik haben in weiten Bereichen der deutschen Wirtschaft zu Resignation und Zukunftspessimismus geführt.

Bisher ist es jedoch dadurch nicht gelungen, die pessimistische Grundstimmung zu überwinden und die wirtschaftlichen Zukunftserwartungen zu verbessern. [...]Eine die Wirtschaft nicht überzeugende Konsolidierungspolitik kann aber keine neuen Unternehmensinitiativen wecken; sie kann sogar durch das Zusammentreffen von staatlicher Nachfragekürzung ansteckendem Pessimismus in der Privatwirtschaft einen noch gefährlicheren circulus vitiosus in Richtung Depression auslösen

Die Farce zum Finale

Wer in den vergangenen Monaten die Reden von Steinbrück verfolgt hat, hat dieses Schauspiel noch einmal in seiner ganzen Erbärmlichkeit miterlebt. Von “Crisis-what Crisis?” über “Nur nicht die Rezession beschwören” bis hin zum “tiefsten Abgrund” waren es nur einige wenige Schritte. Ohne jede (Selbst)-Kritik manifestiert sich da das “Weiter so” ohne ein “Weiter” und ohne ein “So”, um in einem bräsigen “oder so” zu verhallen.

Die letzte Schlacht einer realitätsblinden Strategie ist ebenso konsequent wie tragisch. Diese war von vornherein darauf angelegt, sich gegen jede Kritik abzuschotten und jedes Opfer hinzunehmen. Der Neoliberalismus kann sich nicht anders denken als alternativlos. Die Verhöhnung und Beschuldigung der Verlierer, das Zusammenrücken derer, die sich als “Elite” betrachten, das Hinnehmen jeder schreienden Ungerechtigkeit auf dem Weg in den Abgrund waren Programm. Die Gleichsetzung von “Privateigentum” mit Freiheit hat die Frage gar nicht zugelassen, wie denn die Menschen ohne Vermögen zu ihrer “Freiheit” kämen. Daraus folgt unmittelbar die Notwendigkeit, sie für ihr Los persönlich verantwortlich zu machen.

Ganz selbstverständlich ist den Ideologen auch der Untergang nur ein dummer kleiner Unfall und die Verantwortung bei anderen zu suchen – am Ende beim Schicksal und bösen Einzeltätern.
Eines aber ist heute und für alle Zeiten klar: Es gab und gibt keine Alternative.

Was tut eine Regierung, die eine gigantische Wirtschaftkrise zu bewältigen hat? Man sollte meinen, daß alle Ressorucen gebündelt werden, möglichst kompetente Leute sich zusammensetzen und offen beratschlagen, welche Möglichkeiten des Krisenmanagements bestehen und welche davon die besten sind. Federführend in diesbezüglichen Bemühungen sollte der zuständige Minister sein, im Falle der Bundesregierung eben der Bundeswirtschaftsminister.
Daß mit Michel Glos bislang ein Totalausfall vor sich hin gewurschtelt hat, dessen beste Idee eine Subvention privater Kühlschränke war, ist Anlaß genug zur Bestürzung. Immerhin hat er als einer der wenigen bemerkt, daß er am falschen Platz sitzt, was ihn zunächst eisern nichtstun ließ, um nunmehr einsichtig das Handtuch zu werfen. Eine Chance, auf die kaum jemand gehofft hatte, und jetzt sollte es doch an der Kanzlerin sein, jemanden zu berufen, von dem man etwas Konstruktives erwarten darf.
Was sich aber tatsächlich abspielt, ist ein Fanal der Verachtung aller demokratischen und politischen Anforderungen, die an ein solches Amt geknüpft sind. Glos reicht nicht etwa bei Merkel seinen Rücktritt ein, die allein verantwortlich und zuständig ist für die Bennung der Minister, sondern er ruft seinen Parteichef Seehofer an und erklärt diesem seine Unlust. Der rüffelt den Parteifreund erst und will ihn an seinen Sessel anschrauben. Als er feststellt, daß der Glos partout nicht mehr zum Bleiben zu zwingen ist, schickt auch er ihn nicht ins Kanzleramt, sondern beginnt flugs damit, einen anderen Parteifreund auszukungeln, der in Zukunft den Proporz sichert.
Frau Merkel hat nichs dagegen, sie findet dieses Vorgehen vielmehr richtig und alternativlos. Es liegt ihr nichts an einer Regierung. Es liegt ihr schon gar nichts daran, sich mit der Krise zu beschätigen oder jemanden zu suchen, der es an ihrer statt tut. Sie will Ruhe im Stall, und da die Wirtschaft regierungstechnisch der CSU gehört, wäre ihr auch ein blauweißer Regenschirm recht, der am Kabinettstisch mit “Herr Minister” angesprochen wird. Ein untauglicher Rettungsschirm mehr, was soll’s?
Während sich die neoliberalen Kameraden aller Truppenteile in der Etappe der schnulzigen Verehrung Ludwig Erhards hingeben oder von der guten alten Zeit mit Plisch und Plum träumen, lassen sie das Wirtschaftsressort unbewegt von jedem Dilettanten sturmreif regieren, der zufällig das richtige Parteibuch spazieren führt. Bislang hatte die Regierung ja eh nichts zu melden in Sachen Wirtschaft, sie ließ und läßt sich von den Halbgöttern des Neoliberalismus diktieren, was richtig und gefälligst zu tun sei. Helden wie Hans Tietmeyer, maßgeblicher Autor des “Lambsdorff-Papiers“, stehen hoch im Kurs, ausgerechnet diejenigen, deren Konzepte grandios gescheitert sind und die Suppe eingebrockt haben, die der sonst so verachtete “Staat” nunmehr auslöffeln soll. Warum nicht gleich Lambsdorff zum Wirtschaftsminister machen? Die CSU würde ihn sicher aufnehmen, und als Steuerhinterzieher wäre er außerdem in allerbester Gesellschaft.
So mutig sind sie nicht, die Platsch und Plumps politischer Fettnäpfe, vielmehr zeichnen sie sich durch eine bajuvarische Bauernschläue aus. Wer den Narren zum König macht, kann tun, was er will und wird sicher nicht gehängt werden. In der modernen Version dieser Farce kann er sich damit sogar und dumm und dusselig verdienen, Beraterhonorare kassieren, Einfluß nehmen und sich nach Belieben Steuergelder in die Tasche stecken – Taschengeld fürs Zocken quasi. Geht’s gut, gibt’s Champagner, geht’s nicht so gut, gibt’s auch Champagner. Die Zeche zahlen die, die gar nicht wissen, wie das Zeug schmeckt.
Würdeloser geht es nicht, und das betrifft unmittelbar die Demokratie, deren Würde ebenso beschädigt wird wie die der Menschen, die als “unantastbar” gilt. Diese sind längst nur Manövriermasse, Melk- und Wahlvieh. Merkels Mauscheltruppe regiert die Menschen, nicht für die Menschen. Die Causa Glos ist ein weiteres abscheuliches Exempel für diesen deprimierenden Umstand.

Das ganz große Berliner Theater sondert in der Sommerpause Plattitüden ab, wo eine vernünftige Diskussion dringend vonnöten wäre. Die Frage wäre: Ist es sinnvoll, daß der Staat ein Konnjukturprogramm auflegt, um die drohende Wirtschaftskrise abzufedern? Der Oeffinger Freidenker weist auf zwei Artikel in der FR hin, die ein Ende des Sparwahns fordern. Es gibt offensichtlich gute Argumente dafür.
Michel Glos denkt laut darüber nach, Steinbrück und Merkel stehen auf der Bremse.
Was Glos im einzlenen vorschlägt, ist nicht das Gelbe vom Ei, aber selbst das Nachdenken möchte Steinbrück ihm gern verbieten.
“Krisengerede” wirft er dem Kollegen vor, das nur “verstärkt” werde, wenn man die Krise nicht ignoriert. Daß hohe Zinsen und Steuern bei steigenden Preisen und mieser Kauflaune selbst die Krise herbeiführen können, paßt nicht ins neoliberale Kampfkonzept. Niedrige Steuern gefallen den Herren nur in bezug auf Unternehmen. Die Bürger erholen sich derweil nicht von der höheren Mehrwertsteuer und ächzen unter explodierenden Energiepreisen. Was vom Monat übrigbleibt am Ende des Geldes, ist erbärmlich – ein gewaltiger Hemmschuh für den Binnenmarkt.
Die Wirkungen von Konjunkturprogrammen, höheren Investitionen des Staates, sind höchst umstritten und äußerst komplex. Daß von Neoliberalen allerdings behauptet wird, sie sie hätten bessere Mittel zur Beherrschung einer Konsumflaute, ist ein Witz.
Die Kernidee der Konjunkturprogramme oder Nachfragestimulierung ist eine sich selbst tragende Konsumbelebung. Wenn es funktioniert, wovon immer mehr unabhängige Ökonomen ausgehen, würden die steigenden Staatsausgaben durch mehr Konsum und entsprechenden Geldfluß die höheren Schulden kompensieren. Es wäre wichtig, diese Diskussion intelligent zu führen. Kluge Investitionen sind gefragt, solche, die eben den Markt beleben und das fatale Angstsparen beenden. Darüberhinaus können Investitionen, die arbeitsintensiven Betrieben nützen, verhindern, daß die Spirale aus Konsumverzicht und Entlassungen wieder in Gang kommt.
Das Thema kann hier nicht erschöpfend behandelt werden. Daher möchte ich auf einen Umstand aufmerksam machen, der den Bundesfinanzminister ins rechte Licht rückt. Daß er sich in die Riege der Finanzgenies von Waigel bis Eichel nahtlos einreiht, ist nur ein Aspekt seiner Eindimensionalität. Hochzinspolitik in Kombination mit Sparwahn hat uns die schönsten Reformen der Arbeitsmarktstatistiken beschert und immer wieder hohe Arbeitslosigkeit sowie niedrige Löhne. Das Lambsdorff-Papier war der neoliberale Sündenfall. Seitdem betätigt sich jeder Finanzminister als Hohepriester dieser Religion. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn auch Steinbrück keinen Jota vom Credo abrückt. Im Gegenteil: Er betätigt sich als Tugendwächter der Wirtschaftspolitik und verhindert jede Debatte über Alternativen.
Die Ironie in bezug auf die Diskussion über eine mögliche Nachfragestimulierung besteht nun darin, daß er ein wichtiges Argument gegen ein Konjunkturprogramm ebenfalls verhindert. Es ist ein Gedanke, der darauf hinweist, daß klassische Konjunkturprogramme nicht ausreichen. Das Problem besteht nämlich darin, daß eine einfache Nachfragestimulierung deshalb verpuffen muß, weil das Geld in einer Sackgasse landet. Wenn die bessere Konsumlaune dazu führt, daß nur wieder die Großkonzerne davon profitieren, kann man die Euros auch gleich verbrennen. Die “Geiz ist Geil” – Mentalität hat längst zu einem Konsumverhalten geführt, das ebendies befürchten ließe.
Es ist müßig, Herrn Steinbrück mit solchen oder überhaupt mit Argumenten zu kommen. Er ist der falsche Ansprechpartner. Man darf jetzt aber nicht den Fehler machen, einfach lautstark Konjunkturprogramme zu fordern. Der Neoliberalismus ist am Ende, um ihn zu überwinden, bedarf es allerdings mehr, als nur in eine andere Richtung zu marschieren.

Es findet derzeit ein ideologischer Rollback statt in diesem Land, den niemand einer großen Koalition zugetraut hätte. Waren die “Volksparteien” nicht beinahe zahnlos und der Kompromiß zwischen Sozialdemokratie und Christdemokraten ein laues Lüftchen, das sanft durch die Mitte der Gesellschaft weht?
Schlecht beobachtet. Die kulturelle Diarrhoe, die unter Merkels Kanzlerschaft zum Himmel stinkt, war zu erwarten, wenngleich einige Hinweise nicht so deutlich waren wie die Wirklichkeit, die aus der Konstellation hervorgeht. Die brechenden Säulen der Demokratie sind vor allem:
-Ein Politikverständnis, dem das Primat der Wirtschaft zugrundeliegt
-Eine Sozialdemokratie in rasantem Niedergang
-Ein losgelassener aggressiver Konservativismus, der aus der “Mitte” heraus rechtes Gedankengut zu etablieren versucht, anstatt sich um eine stabile Demokratie zu bemühen und
-Ein Journalismus, der sich der Herrschaft andient, anstatt sie kritisch zu begleiten
Ersteres muß an dieser Stelle nicht erneut ausgeführt werden. 25 Jahre nach dem Lambsdorff-Papier, im Zeichen von Hartz IV und Fondskapitalismus, haben die Regierungsparteien kapituliert. Sie sind nicht willens oder in der Lage, notwendige Grenzsetzungen vorzunehmen. Wirtschaft sei “globalisiert”. Man könne dem mit nationalen Gesetzen nicht beikommen.
Daß die Konservativen und Liberalen, die immer schon gut mit einem zurückgelassenen Bodensatz leben konnten, diese Haltung an den Tag legen, ist nicht anders zu erwarten. Aber die SPD? Mit Hartz IV ist es ihr gelungen, in puncto Wirtschaftstreue und Rücksichtslosigkeit zu den anderen aufzuschließen. Wäre da nur nicht dieser Name! “Sozialdemokratie”? Ohne soziale und demokratische Inhalte wird sie schwer zu verkaufen sein.
Aus der Position der Schwäche heraus, in die sie sich dadurch gebracht hat (und aus einer personellen Besetzung, die auch nicht gerade ermutigend ist), wackelt die SPD dem Tun des Koalitionspartners hinterher, sagt manchmal “vielleicht nein”, dann “vielleicht doch”, um schließlich alles abzunicken. Immer getreu dem Motto: “Es könnte schlimmer kommen, und es kam schlimmer”. Solchermaßen stärker als mit einer absoluten Mehrheit, regieren die Konservativen Freiheit und Demokratie zu Tode. Wer sollte sie auch aufhalten?
Weder die SPD noch eine Öffentlichkeit, die auf funktionierende Medien angewiesen wäre. Die aber freuen sich über spannende Nachrichten aus Schäubles Gruselkabinett und über die gute Pflege durch diese Regierung. Sie gehören ja quasi dazu. Ein Gespräch mit einem Minister oder Staatssekretär ist eine Ehre, die die Majestät dem Journalisten gewährt. Und mit ein bißchen Glück gibt’s zum Dank sogar ein paar ganzseitige Anzeigen. Am schlimmsten aber trifft den Rechtsstaat der Niedergang des “Spiegel”, der inzwischen das Gegenteil seiner selbst ist: Hofpostille und Boulevardblatt.
Allein die Nachrichten von diesem Wochendende sind erschütternd. Wir sind auf den Stand der 50er Jahre zurückgeworfen, und was davor kam, ist auch schon wieder hoffähig:
Pofalla will Kruzifixe in alle(n) Schulen. Inzwischen ist es offensichtlich, daß die Ideologen der CDU sich einen Dreck um die Verfassung scheren. Ihre Antwort auf Fundamentalismus ist Fundamentalismus. Ihre Antwort auf Verfassungsfeinde ist die Abschaffung bürgerlicher Rechte und Freiheiten. Das Vorbild ist ersichtlich die Bush-Administration, der GAU der Demokratie, der weltweit für Entsetzen gesorgt hat.
Von diesem Trend fühlen sich ehemalige Journalisten beflügelt. Eva Herman findet gar den Nationalsozialismus gut. Ohne Hitler, aber mit Mutterorden. Unfaßbar.

merkelspiegel

der Grundstoff für Höllenmaschinen

Der “Spiegel” begleitet diese Freakshow aktuell mit einem journalistischen Müll, den Augstein seinen Schreibern ins Maul gestopft hätte, um sie hernach auf die Straße zu setzen. Nur zwei Beispiele aus dem aktuellen Terrorismus-Tamtam: Zwar können Jürgen Dahlkamp und Marcel Rosenbach nicht recherchieren (warum auch, sie schreiben ja für den Spiegel), aber dafür dick auftragen. So heißt es:
Mit Stärke und weiteren Ingredienzien vermischt, hätte der Inhalt für rund 550 Tonnen Sprengstoff gereicht. Die Attentäter von London und Madrid hatten dieses Gemisch bei ihren Anschlägen auf Bahnen und Busse benutzt.“.
Diesen Bullshit kippen die Herren ihren vermeintlich doofen Lesern vor die Tür, die sich noch bedanken werden für solche Wertschätzung. “Stärke und weitere Ingredienzien” soll uns sicher sagen, daß man sie beim Bäcker kaufen kann. Nähme ich das wörtlich, müßte ich mich fragen: Woher kriegen die Jungs über 500 Tonnen Stärke? Alles Quatsch natürlich. Es war nie die Rede von 550 Tonnen Sprengstoff, sondern von Sprengstoff mit einer Sprengkraft, die 550 Tonnen TNT entspricht. Muß man ja nicht wissen. Spiegel-Leser jedenfalls nicht. [edit]: Ich habe SpOn da schlampig korrigiert. Zwar ist “550 Tonnen” immer noch Blödsinn, aber SpOn hat das inzwischen auf “550 Kilogramm” herunter korrigiert. Den ursprünglichen Text hatte ich aus dem SpOn-Artikel kopiert.[endedit]
Dennoch wären es mehrere Tonnen Sprengstoff gewesen, der sich kaum synthetisieren läßt, ohne schon beim Köcheln oder beim Transport hochzugehen. Hier haben eifrige Amateure “Terroristen” gespielt. Wie kommen Menschen auf solche Ideen? Ja, wie, wenn die Zeitungen täglich voll davon sind?
Und was schließt der Spiegel daraus? Die Fässer aus der Drogerie
enthielten Wasserstoffperoxidlösung – den Grundstoff für Höllenmaschinen, die Deutschland und die Welt in Angst und Schrecken versetzen sollten“. Grusel und Hokuspokus, den sonst gern arabische Angeber in ihre Drohbriefe schreiben. Oder eben Qualitätsjournalismus.
Es stimmt: Recht und Freiheit waren lange nicht so bedroht wie heute. Nach den Tätern muß man allerdings nicht lange fahnden.