In den hiesigen Diskussionen stoßen wir regelmäßig auf die Frage der Organisation von Macht, nicht zuletzt auch der Frage, ob sich Macht begrenzen lässt. Dabei überrascht es nicht, dass sich unter dem Begriff “Macht” sehr unterschiedliche Vorstellungen versammeln. Wenn ich von “Macht” spreche, meine ich nicht eine Verfügungsgewalt, die einzelne Personen ausüben. Ich meine nicht die Möglichkeit, jemanden unmittelbar zu etwas zu zwingen. Ich meine nicht einmal ein generelles Verhalten von Personen, sogenannter “Entscheider”. Macht und Diskurs sind vielmehr untrennbar miteinander verbunden.

Für einen tieferen Einblick in die Hintergründe und Konstellationen von Macht empfehle ich immer die Lektüre der “Dialektik der Aufklärung” und Foucaults “Ordnung der Dinge”. Macht ist tief im Denken selbst verankert, dazu ein Zitat von Max Horkheimer:

“Mit der Vernunft sind alle Ideen kompromittiert, soweit sie über die gegebene Wirklichkeit hinausgehen.”

Was man denken darf

Was er dort beschreibt, ist quasi Propaganda auf einer höheren Ebene. Was überhaupt denkbar ist, was noch irgendwie als ‘wahr’ oder ‘vernünftig’ gelten darf, was nicht als ‘wahnsinnig’ gilt, liegt in engen Grenzen. Dies ist die Basis der Macht. Im Zusammenhang mit Galilei versteht das noch fast jeder. Wo dieses Phänomen in jeder aktuellen Diskussion auftritt, bemerkt fast niemand. Dies ist eine Dimension der “Macht”, die man nicht völlig aus den Augen verlieren darf. Sie bestimmt zutiefst übrigens auch das Phänomen der Arbeit.

Viele Linke bringen leider nicht die Weisheit auf zu erkennen, dass Arbeit nichts Unschuldiges ist. Auch wenn niemand einen Mehrwert abschöpft, ist Arbeit blanke Machtausübung. Sie transformiert – zumeist übrigens Lebendes in Totes -, zerstört und übt meist irreversiblen Einfluss auf die Umwelt aus. Wer arbeitet, übt Macht aus. Wer über Arbeit entscheidet, bündelt diese Macht. Das ist völlig unabhängig von Kapital und Eigentum und ebenso unvermeidlich.

Allein das schon bringt mich zu der Überzeugung, dass Anarchie nicht machbar ist, bei aller Mühe und Phantasie nicht einmal denkbar. Wirft man dann einen Blick auf die Realität der menschlichen Gesellschaft, kann es nicht mehr darum gehen, kompromisslos für Utopien zu kämpfen, sondern sich erst einmal mit der Verhinderung von Dystopien zu befassen. Wir sind ziemlich nah an “1984″, da interessiert mich die Verwirklichung des Arbeiterparadieses vorläufig nicht wirklich.

Die Mäßigung aller Dinge

Wenn es sich nun also nicht vermeiden lässt, dass Macht immer ausgeübt wird und wenn es überdies in allem bisherigen Gesellschaften zu Phasen gekommen ist, in denen Macht sich sprichwörtlich maßlos konzentriert hat, dann folgt daraus m.E. unmittelbar die Aufgabe, für deren Begrenzung zu sorgen. Der moderne Staat mit dem Versprechen einer Gewaltenteilung und der Beteiligung aller Einwohner ist ein sehr akzeptables Modell dafür. Man muss das nicht “Demokratie” nennen, schon gar nicht, wenn die Lebenswirklichkeit dem Begriff Hohn spricht. Es empfiehlt sich aber, diesen Ansatz zu verbessern.

Es bedarf der Begrenzung, des Maßes, des Ausgleichs, und zwar in allen relevanten Bereichen des Lebens. Dazu gehören aktuell zuerst Wirtschaft und Medien, deren wachsender Einfluss den Interessen einer schrumpfenden Minderheit dient. Das muss ich nicht einmal moralisch bewerten. Es ist schlicht ein Konzentrationsprozess. Macht wird immer dichter gebündelt, und das führt zwangsläufig in die Katastrophe. Angesichts des inzwischen für jedermann sichtbaren Irrsinns des neoliberalen Experiments wird man darüber noch einen breiten Konsens erzielen können.

Das Spiel der Kräfte

Geht es aber um Ziele und Alternativen, erweisen sich erschreckend viele Diskutanten als extrem naiv in ihrer Vorstellung von “Macht”. Es ist aber niemandem damit gedient, wenn nur das Personal und das Türschild ausgewechselt werden. Es bedarf neuer Ideen, die belegen, dass wir aus dem Scheitern der alten etwas gelernt haben. Was dabei auch oft zu kurz kommt, ist die Erkenntnis, dass bei aller Maßlosigkeit keine Macht je unbegrenzt sein kann.

Jeder, der widerspricht, der sich weigert oder im Weg steht, begrenzt Macht. Es bleibt ein Spiel der Kräfte, das sich an Wendepunkten sehr schnell verändern kann. Eine Mücke, die vor einen fahrenden Bus fliegt, beeinflusst dessen Bewegung. Anders herum ist der Einfluss freilich entscheidend größer. Auch in politischen Zusammenhängen ist es durchaus relevant, ob und wie häufig eine Ansicht vertreten wird. Das gilt auch und gerade für die Meinungen, die sich nicht durchsetzen. Sie bergen das Mögliche, die Alternativen.

Macht korrumpiert

Dass schließlich immer alles beim Alten zu bleiben scheint, folgt einer Logik, die da lautet “Macht korrumpiert”. Wer Einfluss haben will, wer entscheiden will, muss sich so anpassen und abschleifen, dass er am Ende nicht wiederzuerkennen ist. Deshalb, so die These, lässt sich Macht nicht begrenzen. Das stimmt nicht ganz. Auch Korruption ist selten perfekt, und auch sie ist von Bedingungen abhängig, von einer Atmosphäre, in der sie gedeiht.

Je größer die Widersprüche sind, die der Korrupte erzeugt, desto geringer ist sein langfristiger Einfluss. Wie viele Freunde hat Gerhard Schröder unter denen, die ihn an die Macht gebracht haben? Dieser Aspekt ist ein relevanter Teil der Geschichte. Sie bleibt keineswegs folgenlos, wiel sie Geschichte ist. Am wichtigsten aber ist die Erkenntnis, dass Korruption auf gute oder schlechte Voraussetzungen treffen kann.

Jede Gesellschaft, die eine Konzentration von Macht gutheißt, fördert oder sogar bewundert, begünstigt Korruption. Das belegen sowohl “kommunistische” Gesellschaften als auch kapitalistische, mafiöse oder klerikale. Um also dem Reiz der Macht nicht zu erliegen, sei es als Herr oder Sklave, wird es notwendig sein, das Spiel der Kräfte aktiv zu beeinflussen und immer wieder auszutarieren, für Ausgleich zu sorgen, indem die Macht des einen durch die des anderen begrenzt wird. Das eigentlich wäre Demokratie.