Es gibt mehr oder weniger intelligente Kommunikation, zu der es auch mehr oder weniger intelligente Modelle gibt. Was davon an Vulgärweisheit in den politischen Diskurs noch einsickert, ist so etwas wie “Symbolpolitik”, eine Art in symbolischen Handlungen zu sprechen, die meist zurecht kritisiert wird. Vor allem, weil sie ablenkt und völlig falsche Prioritäten setzt. Reizthemen überlagern mühelos die Diskussion über dringend notwendige Enscheidungen, wenn letztere halt nicht für große Gefühle taugen.

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Aber auch innerhalb einer Debatte werden derart Tabus gesetzt, Zustimmung gelenkt, Optionen zunichte gemacht. Wenn etwa konservative Schmalspurrhetoriker anheben mit “Es kann doch nicht sein, dass …”, gefolgt von Delikt + “straffrei bleibt”, ist der Kosmos schon komplett. Da gibt es nur noch Widerspruch von unverbesserlichen Gutmenschen. Das Problem besteht nicht zuletzt darin, dass Themen auf ihre angebliche moralische Wertigkeit verkürzt werden. Dem zum Opfer fällt dann nicht nur die Logik, sondern obendrein alles, was zu einer Lösung des Problems führt.

Aus Wut wird Gewalt

Dergleichen haben wir derzeit im Doppelpack. Wer über die Tumulte in England etwas schreibt, das sie in Beziehung setzt zu ähnlichen Ereignissen andernorts, wird reflexhaft abgewatscht. Er hat dann “ein Demokratiedefizit” oder vergleicht “Kriminelle” mit “Revolutionären”. Diese Abwehrreaktion ist eindimensional. Muss ich darauf hinweisen, dass die Behauptung einer Demokratie ihre Bürger noch nicht auf deren Verteidigung festlegt? Hieß es nicht übrigens Deutsche Demokratische Republik? Der Fehler liegt aber tiefer: Es wird stets suggeriert, wer nach den Ursachen für Krawalle oder Revolten innerhalb des betroffenen Systems sucht, rechtfertige damit die Täter. Es ist manchem nicht begreiflich zu machen, dass man da mit Moral nicht weiterkommt, denn Moral ist Fiktion, wo es darum geht, Wirklichkeit zu beschreiben.

Wenn Jeremy Gilbert in der TAZ die explosive Situation der englischen Unterschicht anspricht, entschuldigt er damit niemanden, der Rentner totprügelt. Er weist aber zurecht darauf hin, dass aus Benachteiligung Wut und aus Wut Gewalt wird. Wer das nur als “Kriminalität” erkennt, die zu unterdrücken ist, mag zwar moralisch daher schwadronieren, offenbart aber ein tiefgehendes Desinteresse an den Vorfällen und ihren Hintergründen. Oder, schlimmer noch: Ihm liegt etwas daran, dass die Verhältnisse, die dazu führen, sich nicht ändern.

Dazu gehört auch, dass Vergleichbares anderenorts ebenfalls nicht ausreichend hinterfragt wird, geschweige denn erläutert. Woanders sind die Opfer, wenn es gefällt, Diktatoren, die Täter edle Rebellen – wie übrigens auch die Taliban in den 80er Jahren. Dabei muss man sich klar machen, dass die ersten, die etwas riskieren, stets diejenigen sind, die nichts zu verlieren haben. Unter denen sind häufig “Kriminelle” auch im landläufigen Sinn. Überhaupt ist “Kriminalität” kein allgemeiner moralischer Makel, sondern der Ausdruck des Verhältnisses eines Menschen zu dem Staat, in dem er verurteilt wird. Das ist niemals einfach, darum macht es sich eine Demokratie möglichst schwer mit dem Urteilen. Politiker und Medien mögen das anders besorgen, aber es ist absurd, sich dann auf die Demokratie zu berufen.

Für Schießbefehl und Stasi

Zum zweiten Ereignis, das ‘aktuell’ für gefühliges Symbolblabla sorgt: ‘Mauer und Stacheldraht’. Und natürlich ist auch und gerade bei dem Thema jeder ein Freund der Diktatur und der Menschenschinder, der die Ereignisse in den historischen Kontext setzt. Ist er dann noch ein Linker, ist er Stalinist. Es trete bitte hervor, wer glaubt, der Kalte Krieg hätte bei offenen Grenzen ausgetragen werden können. Es erkläre mir jemand, wie die DDR als Satellitenstaat der UdSSR ihren Schwund an ‘Human Ressources’ anders hätte aufhalten sollen. Bin ich jetzt also für Schießbefehl und Stasi?

Die einfache Differenzierung, dass geschlossene Grenzen wohl nicht vermeidbar waren, es aber selbst unter dieser Bedingung ein schweres Verbrechen war, Menschen an der Grenze zu erschießen, würde den “Diskurs” schon überfordern. Dazu sind die allermeisten, die solche Debatten führen, schon zu dumm. Schlimmer noch, wenn ihnen daran liegt, ihr Auditorium dumm zu halten. Dafür schicken sie Nützlinge wie Vera Lengsfeld ins Rennen oder einen untalentierten Gitarrenwürger, der seit 35 Jahren erfolgreich seinen zertifizierten Antikommunismus vermarktet.

Und während die Union solche Spiegelfechtereien veranstaltet, denen sich dann die neoliberale Phalanx fröhlich anschließt, um es den Linken mal wieder so richtig zu zeigen, werden im Hintergrund die Pflöcke eingeschlagen. Mit ESM und EFSF hinein ins Hayeksche Paradies, wo kein Gewählter jemals die Entscheidungen beeinflusst. Man wird sich dann zwar auf keine Demokratie mehr berufen können, aber das war ja ohnehin nur ein Argument für die Dummen da draußen.

[update:] Ich möchte anlässlich des Jahrestages noch einmal die Worte eines verdienten Genossen aus 1989 zitieren:

Was die Mauer betrifft, so lassen wir uns nicht deren Schutzfunktion ausreden – ganz einfach, weil wir den Schutz spüren vor all dem, was hinter der Mauer jetzt an brauner Pest wuchert.