Die “Eliten” in Deutschland machen schwere Zeiten durch. Ein ums andere Mal lassen sich Top-Manager dabei erwischen, wie sie in kriminelle Machenschaften verwickelt sind: Zumwinkel bei Steuerhinterhinterziehung, die Siemens-Leute wie schon zuvor Peter Hartz bei Korruption, Telekommanager bei der Bespitzelung von Journalisten und Mitarbeitern. Im Einzelhandel werden die Beschäftigten überwacht. Gewerkschafter werden gekauft, wechseln, wie bei der Bahn/Transnet ins Management. Nicht wenige Manager, die mittelbar oder unmittelbar mit solchen Machenschaften zu tu haben, “beraten” Kanzler und Regierung. Politiker werden Vorstände und Aufsichtsräte bei Firmen, die sie zuvor begünstigt haben. Ein Konglomerat von Interessensvertretern, Vorteilsnehmern und Maklern geht in den Ministerien ein und aus.
Was sie eint, ist das Streben nach Geld und Macht. Sie wollen gewinnen. Dieses zentrale Motiv aller Beteiligten ermöglicht einen Grad an Organisation, der unter keiner anderen Prämisse möglich wäre. Ideologien stehen sich im Wege, sachliche Ziele erfordern Zeit für Diskussionen und Entscheidungen. Einzig die Möglichkeit, den Beteiligten einen Gewinn zu erwirtschaften, ist die Basis für die Kooperation unterschiedlichster Personen und Institutionen. Zumal, wenn wirtschaftlicher Erfolg nicht nur die innere Organisation der Eliten bestimmt, sondern auch zum Ideal erhoben wird.
Dies unterscheidet den neoliberalen Kapitalismus übrigens fundamental vom Faschismus. Es gibt keine Herrenmoral oder sonstigen ideologischen Ballast. Zwar geben die einen sich “christlich”, die anderen “konservativ”, “sozialdemokratisch” oder “ökologisch”, aber sie sind nicht in der Lage, sich effizient zu organisieren. Ihnen fehlt die Essenz, die allen Beteiligten gemeinsam wäre. Das ursprüngliche Ziel sozialer Organisation, Fürsorge, findet kein immer aktuelles Handlungsmotiv. Dieses bringt hingegen das Gewinnstreben mit sich. Die Gier, mühsam kontrolliert oder eben nicht, ist ein immer wirksames Moment im Handeln der Akteure. Sie drängt in der Geldwirtschaft unmittelbar zur Organisation. Sie hat in der Zahlenwelt der Ökonomie ein Wertesystem, das von allen anerkannt wird. Jeder betrachtet Gewinn als erstrebenswert, ganz gleich welches höhere Ziel er zu verfolgen glaubt.
Auch diejenigen, die nicht offen den Gewinn zum Ideal erheben, betrachten ihn als Mittel zum Zweck. Dies gibt ihnen auch die Möglichkeit, sich als Personen zurückzunehmen. Ihr Handeln betrachten sie nicht als Ausübung persönlicher Verantwortung, sondern als ihr Wirken, ihre “Arbeit” im System. Die Welt der Eliten ist so hoch organisiert, daß jeder einzelne Akteur mit Recht behaupten kann, er mache nicht die Regeln. Gleichwohl können sie sich als wirkungsmächtig erleben, wenn ihnen “messbarer” Erfolg gelingt. Die guten Zahlen sind ihr Fetisch.
Dieser Mix aus Getriebenheit, Sachzwang und Erfolgsideal führt folgerichtig zu dem Phänomen, das immer häufiger offen zutage tritt: Korruption. Das Mittel dagegen ist nicht eine Moral, der sich die Eliten zu verpflichten zu hätten. Die Basis einer Veränderung des Systems, in dem Korruption nicht mehr deviant ist, sondern der Regelfall, wäre eine Änderung der Prioritäten. Es muß erkannt werden, daß wirtschaftlicher Erfolg und Gewinn nicht per se “gut” sind. Im Gegenteil handelt es sich um ein notwendiges Übel, das um den Bestand der Zivilisation Willen begrenzt werden muß. Dies bedeutet auch, daß die Abläufe verlangsamt und der Grad an Organisation verringert werden müssen. Das ist noch keine Bürokratie, sondern nur dringend notwendige Kontrolle.