Wäre Ökonomie eine Wissenschaft oder wenigstens eine Kunst, hätte sie beizeiten Ideen entwickelt. Sie hätte für möglich gehalten, was zu verdrängen sie sich stets bemüht. Sie hätte einiges verhindern können, was Kulturen an den Rand des Zusammenbruchs führt – oder darüber hinaus. Sie entwickelte sich vorwärts anstatt mit schroffer Ablehnung auf jeden Gedanken zu reagieren, der nicht in ihre Leitsätze passt. Sie wäre gewappnet für das, was noch kommt.

Ist sie aber nicht. Natürlich gibt es immer einige, die gegen den Strom schwimmen, ihre Augen offen halten und daher zumindest kommen sahen, was die große Gemeinde für völlig unmöglich erklärt hatte. Es gibt auch heute welche, die gern die richtigen Lehren daraus gezogen hätte. Aber sie gehen unter im großen Getöse der Rechthaber und Optimisten, der Profiteure und ihrer willigen Hofschranzen, die “Wissenschaftler” zu nennen mir nicht einfällt.

Kein Gestern und kein Morgen

hwsDie gängigen ökonomischen Lehren sind nicht einmal moderne Theorien, dabei haben echte Wissenschaften die Moderne bereits hinter sich gelassen. Die weitgehend mechanistischen Modelle, die Betrachtung der Welt als einen Markt und von Staaten als Betrieben mit dem Recht auf Steuererhebung, das ist bestenfalls auf dem Niveau des 17.-18. Jahrhunderts. Da war Marx schon Lichtjahre weiter, der heute auch nur bedingt helfen kann. Seine Theorie krankte am Syndrom der Moderne: Sie versprach ein Ziel, ein Ende der Geschichte. Immerhin ging damit aber das Bewusstsein einher, dass die Strukturen von Wirtschaft und Politik historisch gewachsen sind. Woraus auch folgt, dass es ein historischer Prozess ist, innerhalb dessen sie sich entwickeln müssen.

Für heutige Ökonomen ist ein globaler Wettbewerb vom Himmel gefallen oder von Gott so eingerichtet worden, dem wir alle unterworfen sind. Es gibt Gesetze auf dem heiligen Markt, sie sind unumstößlich und nur richtig zu deuten – womit wir sogar noch hinter die Wissenschaft des 17. Jahrhunderts zurückfallen. Bestenfalls ist Ökonomie ein System, das durch die strenge Anwendung bestimmter Methoden eine Ordnung offenbart. Es gibt kein Gestern und schon gar kein Morgen.

Geschweige denn einen Blick über das Ganze und hindurch oder eine Vorstellung davon, was ist, wenn nicht mehr das ist, was man heute auf den ersten Blick sieht. Der böse Marx hatte schon darauf hingewiesen, dass es gegenläufige Interessen gibt, dass und wie Herrschaft mit Eigentum zusammenhängt und dass am Ende unter bestimmten Bedingungen produziert und verteilt wird. Er sprach von Krisen und Umwälzungen, Revolution und Klassengegensätzen. Wer das verstanden hat, versteht sehr viel mehr von den heutigen Verhältnissen als jeder brave Student der Betriebswirtschaftslehre.

Wenn das Spielgeld verbrennt

Vor allem aber wagt er einen Blick voraus, auf das was kommen wird und das, was kommen könnte. Über den Abgrund hinweg. Wer würde Ökonomen fragen, wenn der Kapitalismus unrettbar kollabiert? Noch immer trauen sich die Großstrategen auf die Bühne, die schon die letzte Krise eingebrockt und davon nichts bemerkt haben. Noch immer gibt es keine ernsthaften Ansätze zur Regulierung, und nur vereinzelt fragt man inzwischen schon einmal Experten, die nicht das neoliberale Mantra singen.

Was machen wir, wenn weltweit das Geld nichts mehr wert ist? Oder wenn es nicht mehr getauscht werden kann, weil die sogenannten Märkte endgültig durchdrehen? Wenn das ganze Spielgeld verbrennt oder – was man sich kaum vorstellen kann – die Milliardäre versuchen, es auszugeben? Was, wenn die Banken am Domino Day feststellen, dass keiner niemandem mehr Kredit gibt?

Der Witz ist ja, dass die Menschen dann noch da sind. Die Werke sind noch da und die Ressourcen, die Energie und das Material. Nur macht keiner mehr etwas daraus, weil es dafür kein Geld gibt? Dann verhungern wir und erfrieren inmitten einer gigantischen Infrastruktur? Wer würde Ökonomen fragen, was dann zu tun ist?

Wer würde Ökonomen fragen?

tietmeyerSie werden so etwas sagen wie “Schulden weginflationieren” oder “Währungsreform”. Das kann sogar klappen. Es hieße aber, das wieder einmal das große Rad nach den alten Regeln gedreht würde. Alles passt sich dem an, was so ist, weil es wem ‘gehört’.

Wer hätte den Mut, sich zu überlegen, wie man die Infrastruktur, die Arbeitskraft und das Material nutzen kann zum Wohle aller, ohne dass dafür ein Geldwert herhalten muss, der nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat? Das wäre eine Wirtschaftswissenschaft nach meinem Geschmack. Allein: So etwas wäre sicher Kommunismus, Mauer und Stacheldraht. Denn lieber gehen wir unter als das Privateigentum zu entweihen. Oder auch nur darüber nachzudenken.

Was dabei herauskommt, wenn der Plan B fehlt, zieht längst auf. In Ungarn, in Italien, seit gestern in Finnland zum Beispiel. Denn wenn der kollabierte Wettbewerb nicht durch Solidarität abgelöst wird, geht er in die nächste Runde. Dann wird es weiterhin Herren und Sklaven geben, bloß dass der Status nicht (nur) durch ihre Stellung in der Marktwirtschaft bestimmt wird. Dann werden Rasse, Herkunft, Volksgesundheit und dergleichen für die schnelle Errichtung einer funktionierenden Hierarchie sorgen. Feinde im Inneren und Äußeren werden die Nationen zusammenschweißen. Geschichte wird sich wiederholen, auch weil eine rückwärts gewandte ‘Wissenschaft’ auf ganzer Linie versagt hat.