Ohne jede Rechtsgrundlage vierzig Jahre bespitzelt zu werden, das passiert einem nicht in jedem Land, dessen Regierungen sich “demokratisch” nennen. Die deutschen Republiken, die sich “demokratisch” nennen, liefern diesen Service freilich ohne jedes Unrechtsbewusstsein. Den einen haben wir nicht zuletzt deshalb abgewickelt, dem anderen sind die Gepflogenheiten eines Rechtsstaats offenbar zunehmend fremd. Die Geschichte von Rolf Gössner kann nicht wirklich als Unfall oder Zufall betrachtet werden. Wirft man einen Blick auf die Praktiken, die derzeit bekannt werden – obwohl das eigentlich niemand wissen soll -, ist man eher geneigt, den Regelfall zu postulieren.

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Quelle: Wikimedia Commons / Bundesarchiv

Was die oben erwähnte “Rechtsgrundlage” ist, das fragen sich scheinbar immer seltener diejenigen, die Spitzel auf vermeintlich gefährliche Bürger loslassen. Gössner galt noch als potentieller Umstürzler, als er längst Verfassungsrichter war. Wer so handelt, dem ist jeder verdächtig. Wer derart Spitzel einsetzt, ist vom Überwachungsstaat besessen. Was macht es da für einen Unterschied, ob die Spitzel von der “Stasi” sind, von BKA, LKA oder dem „Verfassungsschutz”?

Die Linken, das sind eh alle gefährliche Staatsfeinde. Egal ob Antifaschisten oder sonstige linke Studentengruppen, das wird hier infiltriert und observiert, denn es könnten ja “Straftaten” begangen werden. Hatte die Stasi je eine andere Befürchtung? So wie für deren Schergen jeder Regimegegner ein Krimineller war, so ist es hier und heute jeder, der sich etwas Demokratischeres vorstellen kann als die Republik der Ackermanns und Westerwelles. Was derart links ist, kann nur kriminell sein.

Dass das für die Rechten in noch höherem Maße gilt, ist bekannt. Die NPD ist völlig durchtränkt von Spitzeln. Das ist ja ihre Bestandsgarantie, darum durfte sie nicht verboten werden. Es mutet an wie ein Staat im Staate. Er hat nicht das Ausmaß der Stasi, aber er bedient sich derselben Methoden. Er ist selektiver und effektiver. Und während in der DDR jeder wusste, dass Horch und Späh überall sitzt, wird die Mehrheit in der Wiedervereinigten vermutlich vehement anzweifeln, dass hier unbescholtene Bürger bespitzelt werden. Die werden doch sicher etwas verbrochen haben. Chapeau!

Aufgearbeitet wird derweil gar nichts, weder die Gegenwart noch die Vergangenheit. Eine Behörde, die darüber aufklärt, wer wann warum bespitzelt wurde? Nicht bei uns. Das wäre wohl auch zu peinlich. Denn wer verschweigt, das er selbst Nazi-Schlächter wie Klaus Barbie im Namen der Demokratie auf andere Menschen angesetzt hat, der hat reichlich zu verbergen – vor seinen Bürgern. Wie nennt man also einen Staat, der seine Bürger schutzlos rechtswidrigen Geheimdienstoperationen aussetzt, die Spitzel aber uneingeschränkt vor ihren Opfern schützt?