neolibSolidarität scheint eine Art Luxus zu sein, den man sich nur unter paradiesischen Zuständen leisten kann. Die neoliberale Mentalität besticht dadurch, dass sie nur ein einziges Motiv menschlichen Handelns kennt: Gewinnstreben. Dies wird auf alle Bereiche des Lebens ausgedehnt, auf Wirtschaft, Staat, Verwaltung, Privatleben. Es wird behauptet, nur ein finanzieller “Anreiz” bewege Menschen und ihre Organisationen. Aktuell droht die CSU wieder einmal damit, aus dem Länderfinanzausgleich auszusteigen. Dieser sei ohnehin nur die Aufforderung, auf Kosten anderer zu leben. Es sei ja kein Anreiz da, vernünftig zu wirtschaften, wenn die reichen Länder die armen unterstützen.

Seltsam, denn in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg war es Bayern, das stark vom Ausgleich profitierte. Durch den Strukturwandel, der woanders nicht so glücklich ablief wie in Bayern, ist es jetzt halt umgekehrt. Warum sind die Bayern eigentlich nicht arm geblieben, wenn sich der Aufstieg gar nicht lohnt? Wie kommt es überhaupt, dass ausgerechnet den Armen immer vorgeworfen wird, sie seien gern arm und selbst verschuldet? Man müsse ihnen Beine machen, damit sie auch fleißig und reich würden?

Wenn der “Anreiz” fehlt

Warum gilt das Argument des fehlenden Anreizes nicht, wenn Banken, deren Betreiber sich völlig verzockt haben, vom Steuerzahler “gerettet” werden – und sich nach Möglichkeit nie an den durch ihre Misswirtschaft entstandenen Schäden beteiligen? Welche Motive hätten deren Teilhaber und Kunden, die in Zukunft etwas anderes erwarten ließen als weitere Blasen und volkswirtschaftliche Katastrophen? Wo sind da die Anreize? Ist das alles dennoch in Ordnung, weil sie ja schon aus Gewinnsucht handeln? Geht es darum, diese Gier in allen Bürgern zu verankern oder um eine lebensfähige Sozialordnung?

Auch die Staaten untereinander, selbst die, welche sich “Union” nennen, kennen nur das Gegeneinander. Deutschland, das gern Vorschriften macht, wie andere, von denen es profitiert, sich zu verhalten hätten, gerät derweil selbst in den Strudel. Das Top-Rating “AAA” bröckelt [via]. Das wiederum heißt, dass Deutschlands Schulden teurer werden. Jene Schulden, die von den Steuerzahlern beglichen werden sollen und insbesondere immer wieder von den Ärmsten, in Form von Kürzungen der Hilfen.

Nur keine Gleichheit

hivsolGanz offensiv vertritt die Kanzlerin diese Form der Finanzierung. Das kann angesichts der zu erwartenden Entwicklung nichts anderes bedeuten als eine Absenkung des Existenzminimums zur Rettung der Banken. Interessant übrigens, dass Merkel auf derselben Veranstaltung folgendes kundtat:
Wer glaubt, dass man die Kinder nur lange genug in das gleiche Klassenzimmer setzen muss, damit auch gleiche Kinder herauskommen, der irrt.“
Mit diesen Worten warb sie für das dreigliedrige Schulsystem. Von dem ist zweifelsfrei bewiesen, dass die frühzeitige Trennung der Kinder in verschiedene Schulformen die Schichtzugehörigkeiten zementiert. Auch hier gibt es keinen “Anreiz”.

Ein anderes Beispiel: Steuerhinterziehung. Unter Koch und Weimar herrschten bekanntermaßen Zustände wie in einer Bananendiktatur (hier der aktuelle Stand), die FDP in BaWü stimmte jetzt aus Versehen einer Aufstockung des Personals bei der Steuerfahndung zu und macht das schleunigst rückgängig [via]. Auch hier stellt sich die Frage der “Anreize”. Die Signale stehen auf Grün, wenn es Richtung Ausland geht mit dem Vermögen, es wird deutlich, dass von Seiten eines namhaften Teils der Politik kein Interesse daran besteht, Steuerbetrug in Millionenhöhe zu bestrafen.

Gier als Selbstzweck

Was ist das also für ein “Anreiz”? Wie oben bereits gemutmaßt, verdichtet sich der Eindruck, dass Gier an sich gefördert werden soll. Es ist nicht zu erkennen, dass ein positiver Effekt auf den Staatshaushalt oder die Stabilität der Wirtschaft erreicht werden soll. Die Effekte sind konträr, nur das Heilmittel bleibt dasselbe: “Make Money, make more Money”. Dazu gehört natürlich zuinnerst, dass niemand irgendwem etwas abgeben soll. Tatsächlich offenbart sich diese Haltung als Selbstzweck. Mit Vernunft hat das eben sowenig zu tun wie mit irgend einem wirtschaftlichen Konzept.

Fatal ist die Wirkung dieses Giftes, weil es selbst diejenigen befällt, die sich ihm entziehen wollen. Welche Strategie gäbe es denn, sich dem künstlichen Überlebenskampf zu entziehen? Ist die Endsolidarisierung nur weit genug fortgeschritten, kommt das stetige Misstrauen hinzu: Sollte ich je bedürftig werden, wird mir niemand etwas lassen. Es gibt nur einen Weg: Ich muss mich unantastbar machen. Ich muss selbst reich werden. Und so träumen selbst die an der unteren Kante vom Lottogewinn. Solidarität? Ich bin doch nicht blöd!