Hans Werner “Ohne” Sinn erklärt einmal mehr die Wirtschaft. Die Deutschen müßten “bis 77″ arbeiten, sagt er, um sich die Rente auf dem heute schon erbärmlichen Niveau leisten zu können. Klaus Zimmermann von DIW spricht von 70 Jahren, aber das sei noch nicht ausreichend. SpOn betitelt ihn übrigens als “Profi-Ökonom”. Das ist wichtig, denn die Aussagen eines Hobby-Auchmalwassagers wären von ähnlichem Niveau.
Wie verzichtbar derartige Aussagen sind, läßt sich nur schwerlich in Worte fassen. Diese Herren beschäftigen sich tagein tagaus mit nichts anderem und sind nur in der Lage, solche lauen stinkenden Propagandalüftchen zu produzieren. Nehmen wir den Handschuh auf: Was wäre, wenn sie recht hätten? Am System der Umlagefinanzierung (wer arbeitet, bezahlt die Renten derer, die die nicht mehr arbeiten) wird festgehalten, davon geht nun auch Sinn aus, obwohl er, was löblich ist, die Umlagefinanzierung kritisiert. Allerdings sind seine Lösungsvorschläge, wie etwa die Halbierung der Rente für Kinderlose, aus demselben faulen Holz geschnitz wie sein ganzes Weltbild. Gewerkschaften und hohe Lohnkosten machen Deutschland zum Schlußlicht in Europa, so sein Credo. Und immer, wenn es Probleme gibt, muß gespart werden, und zwar an den Einkünften der Mehrheit, zuerst derjenigen, die ohnehin kein Vermögen haben. Seinen neuesten Vorstoß wird er sicherlich als Provokation verkaufen. Er wird ihn als Kritik gegen die Umlagefinanzierung verstehen. Dumm nur, daß er sich eher für die Rente ab 77 einsetzen würde als für die notwendigen Reformen.

Das System ist nicht reformierbar

Diese sind nämlich im System nicht mehr zu machen. Die umlagefinanzierte Rente war gar keine schlechte Idee, wenngleich es bessere gibt. Nachdem die Regierung Kohl aber drei Generationen ostdeutscher Brüder und Schwestern aus einem Topf finanzieren ließ, in den sie nie eingezahlt haben, ist das System am Ende. Die Milliarden, die dort abgesaugt wurden, müßten massiv über Steuergelder aufgefüllt werden. Steuern aber darf man ja nicht erheben, sagen die “Profi-Ökonomen”. Es sei denn, man belastet Lohnempfänger, siehe “Solidaritätszuschuß”. Das geht immer. Nur läßt sich aus denen irgendwann einfach nicht mehr genug herausquetschen. Das genau ergibt sich aus der Erkenntnis, daß die Leute eigentlich bis 77 arbeiten müßten. Daraus folgt unmittelbar: In dieser Form des Wirtschaftens geht es nicht weiter.
Die Probleme der Rentenfinanzierung werfen ein grelles Licht auf das Tabu, das von den Ideologen der Ökonomie über den Diskurs verhängt wurde: Verteilungsgerechtigkeit. Zwar können diese Strategen immer erklären, warum es ungerecht sei, ihr Klientel zu belasten, aber nur und gerade deshalb, weil ihnen sinnvolle Verteilung ein Dorn im Auge ist. Der Markt verteilt das Geld, sonst niemand!
In Zeiten, in denen Arbeitslosigkeit systembedingt ist, ebenso wie hohe Kosten für die Rente, ist es aber für Unvoreingenommene völlig logisch, daß man sich über die Verteilung des Volkseinkommens Gedanken machen muß und diese eben nicht dem Markt überlassen kann. Instrumente dafür gibt es ohnehin: Sozialhilfe, ALG II etcetera. Die Frage ist nur, ob das ausreichend ist. Was wäre vor diesem Hintergrund echte Wirtschaftswissenschaft?
Im Zentrum des Wirtschaftens steht seit jeher das Problem der “Allokation”: Ressourcen sind begrenzt, und es geht darum, sie zu verteilen oder zu vermehren. Ursprünglich ging es dabei schlicht um Nahrungsmittel und ihre Bedingungen: Jagdreviere, Land, die frühen Waren und Märkte. In der Industriegesellschaft geht es um Bodenschätze, Produktionsstätten und -mittel, Absatzmärkte, Verkehrswege usw.. Wirklich global betrachtet, muß man zuerst die Frage stellen, wie es möglich wäre, diejenigen zu versorgen, denen es am Nötigsten fehlt, also an Wasser, Nahrung und Unterkunft. Das blendet die moderne “Ökonomie” gern aus, weil der Markt es eben nicht regeln kann. Es gäbe nichts besseres als den Markt, so die Behauptung, und was der nicht schafft, ist anders auch nicht zu schaffen. Kompletter Blödsinn natürlich, wenn der Krieg um Ressourcen aus marktwirtschaftlichen Interessen die Konfilkte schafft, die das Elend erzeugen.

Wirtschaften heißt Verteilen

Aber selbst innerhalb der nationalen und regionalen Wirtschaftsräume der Industrieländer ist die Verteilung marktwirtschaftlich nicht mehr zu bewerkstelligen. Um die nötige Dynamik zu erzeugen, müßten die Ressourcen besser verteilt sein. Das System ist aber bereits umgekippt: Die Verteilung des Großteils der Ressourcen findet nur mehr zwischen wenigen statt. Es hat sich eine kleine Oberschicht gebildet, der eine besitzlose Masse gegenübersteht, deren Auskommen dauerhaft gefährdet ist oder die gar keine Chance mehr hat, am Marktgeschehen teilzunehmen. Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten müssen diese keinen unmittelbaren Hunger mehr fürchten, aber es reicht eben nicht, um sich zu entfalten oder aufzusteigen.
Noch “funktionieren” die Märkte, weil es neue potente Marktteilnehmer wie etwa China gibt. Damit läßt sich langfristig aber kein Binnenmarkt ersetzen, und vor sozialen Unruhen schützt das schon gar nicht. Die Unzufriedenheit der Menschen ist den Ökonomen egal, und sie übersehen sogar die Folgen für die Märkte. Resultat eines lange unterdrückten Gewissens, das sich durch keine Propaganda beruhigen läßt?
Was kann man besser machen? Zum Beispiel Wachstum: Einerseits schielen alle auf möglichst hohe Wachstumsraten, andererseits ist es ihnen nicht geheuer, wenn die zweistelligen Zuwächse, die sie selbst anpeilen, in einer ganzen Volkswirtschaft entstehen. Von “Überhitzung” ist dann die Rede. Zurecht, denn zu schnelles Wachstum, da ist das Modell ganz organisch, ist instabil und kann zu noch schnellerem Schrumpfen führen. Solchen Märkten kann man nicht vertrauen. Warum also starrt alles auf die reinen Wachstumsraten? Es würde hier absolut Sinn machen, das Wachstum einer Volkswirtschaft mit einem Verteilungsfaktor zu verbinden. Stabiles Wachstum ist solches, an dem möglichst viele teilhaben. Ein “Wachstum”, das nur wenigen Monopolen zugute kommt, ist hingegen ein Alarmzeichen. Ökonomen müssen sich darum nicht einmal scheren, sofern sie den kurzfristigen Erfolg ihrer Konzerne im Blick haben. Politiker hingegen müssen unbedingt an besserer Verteilung, sprich: stabilerem Wachstum interessiert sein. Nur solches schafft langfristig Teilhabe, sozialen Frieden und die Unabhängigkeit der Politik von den Interessen großer Konzerne. Die Aufgabe besteht also nicht darin, wie der Neoliberalismus behauptet, bloß für Wachstum zu sorgen. Es muß für ein Wachstum auf möglichst breiter Basis gesorgt werden!
Es ist weder böser Kommunismus noch romantische Verklärung, wenn Verteilungsgerechtigkeit zum Gegenstand politischer Konzepte gemacht wird. Und ein bißchen Verteilungsgerechtigkeit wird nicht ausreichen. Angesichts der Massen von Rentnern, Arbeitslosen und sonstigen Unterversorgten, die gar nichts gegen ihre Lage tun können, muß das System verändert werden. Diese Gesellschaft ist reich, und dieser Reichtum ist ungerecht verteilt. So ungerecht, daß das ganze System gefährdet ist. Das einzige Mittel zur langfristigen Stabiliserung der Verhältnisse, das derzeit diskutiert wird, ist das Grundeinkommen. Wer sich dieser Möglichkeit oder ernstzunehmenden Alternativen verweigert, mag heute den richtigen ökonomischen Glauben haben. Von Wirtschaften hat er freilich keine Anhnung.