Eine hervorragende Zustandsanalyse des deutschen Bürgertums hat Christian Schlüter in der FR hingelegt. Ich könnte gleich mehrere Absätze ztieren, einer aber hat es mir besonders angetan, weil er sich deckt mit meinen aktuellen Beobachtungen aus dem Polit- und Talkshowgeschäft:

Kennzeichnend ist dabei die zunehmende Unverschämtheit. Es wird beleidigt und verunglimpft, verkürzt und betrogen, vor allem aber: keine Rücksicht mehr genommen. Die Regeln des Anstands sind genauso außer Kraft gesetzt wie die elementaren Prinzipien intellektueller Redlichkeit.”

brainpipeVor allem letzteres hat deprimierende Züge angenommen. Man fragt sich, wo sie denn sind, die Intellektuellen, die noch mehr zu tun imstande sind als Phrasen und Parolen in affektiert genäselte Vorträge zu verpacken. Man fragt sich, wie eine Riege von untalentierten Schönschreibern die Redaktionen stürmen konnten und wieso derlei Dilettanten auch noch herumgereicht werden. Schlüter selbst nennt Broder, und allein die aktuellen und ehemaligen “Spiegel”-Redakteure, aber auch die ‘Spitzenkräfte’ von “Zeit”, FAZ, SZ usf. bestechen nicht mehr durch Recherche oder Analyse, sondern nur mehr durch ressentimentgeladenes Geschwurbel und auf Parolen gekürzte Scheinargumente.

Prinzipen intellektueller Redlichkeit

Mohr, Mahlzahn, Joffe, Schirrmacher, Beise, Steingart, Matussek – man weiß nicht wo man anfangen und aufhören soll bei der Aufzählung hochbezahlter Flachverblender. Gerade gestern noch entblößte der sogenannte “Kulturjournalist” Matussek seine ganze intellektuelle Erbärmlichkeit, indem er feststellte, in den 50er und frühen 60er Jahren habe es in katholischen Internaten keinem Kindesmissbrauch gegeben. Sein Beleg: Er und Heiner Geißler waren Internatsschüler und wurden nicht damit konfrontiert. Diesen gröbsten annehmbaren Unfug stellte er in die Nähe von Mixas unfassbarer Lüge, “die 68er” seien schuld daran, dass Pfaffen Kinder vergewaltigt haben.

Jemand, der so argumentiert, tritt in der Tat die “elementaren Prinzipien intellektueller Redlichkeit” mit Füßen. Dazu muss man Matussek übrigens nie für einen Intellektuellen gehalten haben. Er mag nicht besonders klug sein, aber er weiß, dass er lügt. Was will ich mit so einem? Was ist das für ein kognitiv verkommenes Bürgertum, das sich von solchen Leuten die Welt erklären lässt?

Ich glaube, was mir die größten Sorgen bereitet derzeit, ist dass die Verblödung derart durch alle Schichten geht, dass auf keiner Seite mehr relevante Kräfte stehen, die irgend eine Idee haben, die auch nur wissen wollen, was sie tun. Wer ein ‘revolutionäres Subjekt’ sucht, macht sich ohnehin lächerlich, aber selbst die Reaktion ist auf den reinen Reflex zusammengeschrumpft. Was bleibt, ist das ‘System’, eine formlose anonyme Kraft, deren Zwänge Gesetz sind. Dass “alternativlos” offenbar zum Unwort des Jahres gewählt werden soll, kommt insofern um Jahre zu spät, wenn nicht um Jahrzehnte. Die Alternativen nämlich scheinen erfolgreich ausgemerzt worden zu sein.