Die TAZ berichtet über Pläne in der SPD, ihren Kanzlerkandidaten künftig per Urwahl oder gar offener Vorwahlen zu bestimmen. Es wird interessant sein zu verfolgen, was aus dieser Idee wird, die als solche ganz und gar dem Vorsitzenden zu Gesicht steht. Gerade darum aber liegt die Vermutung nahe, daß es sich um heiße Luft handeln könnte, denn Gabriel haut gern und virtuos auf die PR-Pauke, ohne daß nachher etwas Nennenswertes passiert. Wahlkampf im Vakuum quasi.

gabi

Quelle: Wikimedia Commons / Agência Brasil

Zunächst einmal muß aber korrigiert werden, was Stefan Reinecke in der TAZ über die historische Fehlbesetzung Rudolf Scharping schreibt, der ja temporibus illis per Urwahl gekürt wurde. Was in der TAZ sehr mißverständlich dargestellt wird, ist allerdings, daß dieser nicht zum Kanzlerkandidaten, sondern zum Parteivositzenden gewählt wurde. Dafür ist in der Regel der Parteitag zuständig, im Fall Scharping haben aber alle Mitglieder abgestimmt, bevor dann erst der Parteitag das Votum bestätigte.

Dies ist vor allem deshalb ein interessantes Detail, weil die Wahl Scharpings eine letzte Immunreaktion auf den damals schon ungemein karrierbesessenen Konkurrenten Schröder war. Der hatte von vornherein gesagt, er wolle als Vorsitzender auch Kanzlerkandidat werden. Diese Machtfülle wollte ihm die aus guten Gründen mißtrauische Partei aber nicht zugestehen und floh in die Arme Scharpings, den von Anfang an niemand wirklich haben wollte. Der hatte aber eben einen bescheideneren Eindruck gemacht.

Daß er dann dennoch beide Funktionen übernahm, war ein Symtpom seiner tranigen Selbstüberschätzung. Mit Lafontaine und Schröder hatte er gleich zwei Weggefährten an seiner Seite, die ihm turmhoch überlegen waren und ihn folgerichtig auf dem Parteitag zwei Jahre später auch wegfegten. Am Rande sei bemerkt, daß Schröder später unter dem Vorsitzenden Lafontaine Kanzler wurde – bis dahin dachte die Partei immer noch, ihn würde schon irgendwer kontrollieren.

Zurück zur Gegenwart: Der Kurs, den Schröder autoritär der SPD aufgezwungen hatte, hat sie bekanntlich nach ihm im Jahrestakt ihre jeweiligen Vorsitzenden gekostet – egal, ob sie voll auf seiner neoliberalen Linie lagen oder sich abweichende Haltungen leisteten. Die Partei hat nebenbei seit Scharping und Schröder fast die Häfte ihrer Mitglieder verloren.

Was noch da ist, soll also künftig auch gefragt werden, womöglich sogar jeder, den es interessiert. Es wäre ein spannendes ‘demokratisches’ Experiment, wenn denn auch inhaltlich etwas daraus würde. Es ist insbesondere Sigmar Gabriel zuzutrauen, daß er Vorwahlen abhalten läßt, schließlich ist er der letzte “Sozialdemokrat” mit achtbaren rhetorischen Fähigkeiten und hat daher nichts zu fürchten. Schade nur, daß ich der SPD und ihren Funktionären kein Wort mehr glaube, schon gar nicht, daß sie sich ernsthaft öffnet und der Diskussion mit jedermann stellt – womöglich um zentrale politische Inhalte.

Daß die sich quasi parteiübergreifend nicht ändern, egal wen man wählt, ist das eigentliche Dilemma. Wie kommt es denn sonst zu einem Zwischenhoch der SPD? Hat sich deren Politik etwa geändert? Gibt es nennenswerte Alternativen inner- oder überparteilich? Wenn eh keine in Sicht sind, kann man nämlich prima wählen lassen, und sie bewegt sich doch nicht.