Ich bin in einem Alter, in dem es aus unterschiedlichen Gründen weniger attraktiv für einen politischen Menschen ist, sich an einen vermeintlichen Rand zu stellen. Im Gegenteil tritt das Ziel in den Vordergrund, möglichst viele mit der eigenen Meinung zu erreichen. Dabei versuche ich durchaus zu überzeugen, wo Altersgenossen gern einfach bei der vermeintlichen Mehrheit sein wollen. Letztere, die sich gern als “angekommen” betrachten, verzichten dabei allzu oft auf jede Kritik und ringen ums Dabeisein. Wer “links” sein will, muß freilich in jedem Alter darauf verzichten. “Links” gilt als nicht konsensfähig, dabei liegen die Probleme weit diesseits eines angeblichen linken Extrems.

Gelegentlich firmiere ich mit der Bezeichnung “linksliberal” im Wappen. Dabei müßte ich zutiefst beleidigt sein, würde mich jemand innerhalb der Koordinaten der gegebenen Parteienlandschaft als “liberal” bezeichnen. Und “links” sein will ich ebenfalls nicht.
Letzteres mag viele verwundern, aber ich habe es bereits in Kommentaren angedeutet, daß einiges, was als “links” gilt, eigentlich recht mittig ist. Man bringt die Begriffe halt nicht recht zusammen, wenn man sich nach dem Wind des Zeitgeists richtet.

Andererseits ist eine historische Bestimmung nicht weniger schwierig. Die Strömungen und Manifestationen der “Linken” sind zum Teil erheblich vorbelastet und alles andere als homogen. Schon an der Frage, ob und inwiefern die SPD einmal “links” war, kann die Diskussion scheitern.
Der Begriff “links” gefällt mir allein deshalb schon nicht, weil er ein Extrem suggeriert, wo keines ist. Die Klientel der Linken war schon immer die Mehrheit des Volkes. Wo, wenn nicht in diesem Sinne “links”, wäre gesellschaftlich betrachtet die “Mitte”?

Auch die programmatischen Ziele der allermeisten linken Bewegungen waren immer mehrheitsfähig in ihrer Besinnung auf die Interessen der Menschen – eben im keiner Weise extrem oder gar extemistisch: Frieden, Solidarität, globale Gültigkeit der Ziele. Wo die Programme umgesetzt werden sollten, sind sie freilich immer wieder an Machtkonzentration und Dogmatismus gescheitert. Solange eine “linke” Idee nicht auch liberal ist, d.h. undogmatisch und von dezentralen Machtstrukturen getragen, endet sie unheilvoll wie jede andere Ideologie. Es ist kein Zufall, daß die Linke als Opposition oft so viel besser ist denn als Trägerin der Macht.

Aktuell ist es der sogenannte “Liberalismus”, dessen Illiberalität von der zerstörerischen Kraft einer herrschenden Ideologie zeugt. “Liberale” Strukturen wären solche gegenseitiger Kontrolle und Begrenzung von Macht. Der Neoliberalismus hingegen versteht unter “Freiheit” eine ungehemmte Ballung von Ressourcen – sprich: Macht. Er ist zu einer autoritären Ideologie geworden, welche die Begrifflichkeiten durchsetzt, Definitionshoheit beansprucht und sich anmaßt, alternativen politischen Entwürfen die Existenzberechtigung abzusprechen.

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund die Aktualität “linker” Politik-Entwürfe, die nach wie vor die Bedürfnisse der Menschen gegen die Mechanismen der Aneignung verteidigen, das ‘Sein’ übers ‘Haben’ stellen und die Menschenrechte vor organisierter Diskriminierung schützen wollen. Daß letzteres in den entwickelten Gesellschaften noch nötig ist, ist der Skandal dieser Zeit.

Der Begriff “linksliberal” klingt heute paradox, er vereint aber zwei Aspekte politischen Wollens und Wirkens, die nur in dieser Kombination zu ihrem Recht kommen können. Aus meiner Sicht ist diese Fusion aus Freiheitsliebe und Solidarität der Sinn und Zweck sozialen und politischen Engagements. Ich bin noch täglich überrascht, daß diese Haltung so ungemein wenig verbreitet ist.