Einen kleinen Einblick in das System Merkel gibt Günter Bannas für die FAZ. Merkel vereint die Erfolgsrezepte von Kohl und Schröder: Aussitzen und gegen die eigene Partei regieren. Bei ihr funktioniert das geschmeidig wie bei Kohl, ohne daß sie dabei selbst Entscheidungen trifft. Es geht deutlich ruhiger zu als bei Schröder, obwohl bei ihr niemand etwas zu sagen hat, der einen erkennbaren Unionskurs einfordert. Das System ist perfekt. Und es wird den Untergang der CDU bedeuten.

Die Erfolgsrezepte ihrer Vorgänger haben nicht nur einige Haken, die beide schon ihr Amt gekostet haben, sie sind als halbgarer Aufguß auch nicht geeignet, Wähler zu binden, die wissen, daß man das Kreuzchen auch woanders machen kann.
Kohl hat sich durch Ereignisse an der Macht halten können, die er selbst nicht herbeigeführt hat. Als Dauerkanzler hat er sich zum Übervater entwickeln können, vor allem aber wußte er, wie man eine Partei führt. Er hat nicht nur zuverlässige Handlanger wie den unerreichten Wolfgang Schäuble um sich geschart, sondern Kritiker gnadenlos kaltgestellt und durch ständige Kabinettsumbildungen keinen Zweifel daran zugelassen, daß es keine Götter neben ihm geben darf. Merkel hat zwar das Wichtigste mitgenommen und ein paar Vasallen in Ämter gehoben sowie sich mit mächtigen Landesfürsten arrangiert. Sie profitiert aber lediglich von der Schwäche der einen und der Konkurrenz der anderen. Sie ist als Kanzlerin so wie ihre Überzeugung: Nicht vorhanden, beliebig, austauschbar.

Merkel konnte sich auf dieser wackeligen Basis eine Koalition mit der SPD leisten und eine mit der FDP. Gewollt sind und waren beide nicht wirklich. Es würde mich auch nicht wundern, wenn sie der Linken ein Angebot machte. Mit ihr geht alles, außer Politik.
Von Schröder hat sie sich abgeschaut, daß es nicht nötig ist, auf die Tradition der eigenen Partei Rücksicht zu nehmen. Während jener seine SPD in der Mitte zerrissen hat, hält sie es mit einer nervtötenden Gleichgültigkeit. Konservativ, das ist, wenn sie regiert. Egal, ob die Sozen rechts überholen oder jegliche Errungenschaften auch von der CDU getragener deutscher Grundpositionen über Bord geworfen werden – es ist ihr schlicht egal. Während Koch wenigstens noch gegen Ausländer hetzt und Guttenberg ein bißchen Wehrmachtsflair in die Außenpolitik bringt, darf die FDP reine Klientelpolitik machen. Das steht im Vertrag der Koalition, deren Kanzlerin sie ist. Und wenn sich nach wenigen Wochen herausstellt, daß das schon heute nicht funktioniert, läßt sie andere die Konflikte austragen.

Wer soll da noch CDU wählen? Die glückliche Fügung einer Rentnermasse, die gar nicht anders kann, beschert ihr eine “Zustimmung”, für die sich dennoch jeder Unionschef vor ihr in Grund und Boden geschämt hätte. Die Medien, der im Todeskampf noch einmal aufleuchtende Neoliberalismus und die faden Alternativen sind ihre Freunde. Sie verwechselt das mit echter Macht.
Die CDU ist nicht mehr konservativ. Innerparteiliche Kritiker sagen:

Wir müssen unsere Wähler auf der Grundlage einer erkennbaren christlichen Orientierung mit Botschaften zur Leitkultur, zur Bedeutung von Bindung und Freiheit, zur Familie, zum Lebensschutz und zum Patriotismus ansprechen.”

Dieses reaktionäre Gruselkabinett taugt zwar auch nicht zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts, aber sie formulieren als autoritäres Gegenideal, daß es etwas geben muß, das zu bewahren wäre. Beliebigkeit ist zur Tradition nicht geeignet, deshalb sind Merkels fehlende Überzeugungen für ihre Partei ein stärkeres Gift als für jede andere. Ihre effiziente Ignoranz zerstört die Basis der CDU wie Schröders Neoliberalismus die der SPD gesprengt hat.

Aus dieser Sicht lüftet sich auch ein wenig mehr der Schleier über dem Wahlerfolg der FDP. Es ist so einfach: Wenn die Konkurrenz sich derart selbst zerlegt, reicht es schon aus, sich nicht zu verändern. Die FDP ist inzwischen die konservative Partei. Erzreaktionär konserviert sie die Rezepte von gestern, wobei es ihr durchaus zugute kommt, daß diese bereits als tödliche Mixtur in Erscheinung getreten sind. Unbeirrbar, bar jeden Realitätssinns marschiert sie weiter. Das ist Prinzipentreue! Die FDP macht die Politik, die Guttenberg nur darstellt: Treue bis in den Tod, wissentlich elitär und antidemokratisch.

Es ist der selbst verschuldeten Erosion der Volksparteien zu verdanken, daß die kleineren größer werden. Die Linke wäre unter dem Druck der Medien und ihres unreflektierten Selbstbezugs längst nicht so erfolgreich, obwohl sie die einzige Partei ist, die erkennbar Ziele formuliert. Die Grünen sind ein trauriger Haufen, der irgendwie akzeptabel ist und die wenigsten peinlichen Persönlichkeiten aufbietet – obwohl sie inzwischen ein Maß an Korrumpierbarkeit erreicht hat, das ihr vor Schröder/Fischer kaum jemand zugetraut hätte.

Das ist die Geröllwüste, über die Königin Angela herrscht. Die rosige Zukunft bietet eine organisierte Beliebigkeit, die womöglich in diverse extremistische Experimente mündet – auch jenseits hemmungsloser Begünstigung und Selbstbedienung. Ich erwarte die Renaissance des Streits um politische Grundkonzepte. Vernüftige Überzeugungen, die zu einer wahren Demokratie führen, können dabei auch eine Rolle spielen. Eine äußerst vage Hoffnung.

[update:] Jens Berger diagnostiziert erwartbare Ermüdungserscheinungen ebenso bei der “konservativen” Wonderwoman Ursula von der Leyen.