Merkel macht den Schröderkohl
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12. Jan 2010 0:13
Einen kleinen Einblick in das System Merkel gibt Günter Bannas für die FAZ. Merkel vereint die Erfolgsrezepte von Kohl und Schröder: Aussitzen und gegen die eigene Partei regieren. Bei ihr funktioniert das geschmeidig wie bei Kohl, ohne daß sie dabei selbst Entscheidungen trifft. Es geht deutlich ruhiger zu als bei Schröder, obwohl bei ihr niemand etwas zu sagen hat, der einen erkennbaren Unionskurs einfordert. Das System ist perfekt. Und es wird den Untergang der CDU bedeuten.
Die Erfolgsrezepte ihrer Vorgänger haben nicht nur einige Haken, die beide schon ihr Amt gekostet haben, sie sind als halbgarer Aufguß auch nicht geeignet, Wähler zu binden, die wissen, daß man das Kreuzchen auch woanders machen kann.
Kohl hat sich durch Ereignisse an der Macht halten können, die er selbst nicht herbeigeführt hat. Als Dauerkanzler hat er sich zum Übervater entwickeln können, vor allem aber wußte er, wie man eine Partei führt. Er hat nicht nur zuverlässige Handlanger wie den unerreichten Wolfgang Schäuble um sich geschart, sondern Kritiker gnadenlos kaltgestellt und durch ständige Kabinettsumbildungen keinen Zweifel daran zugelassen, daß es keine Götter neben ihm geben darf. Merkel hat zwar das Wichtigste mitgenommen und ein paar Vasallen in Ämter gehoben sowie sich mit mächtigen Landesfürsten arrangiert. Sie profitiert aber lediglich von der Schwäche der einen und der Konkurrenz der anderen. Sie ist als Kanzlerin so wie ihre Überzeugung: Nicht vorhanden, beliebig, austauschbar.
Merkel konnte sich auf dieser wackeligen Basis eine Koalition mit der SPD leisten und eine mit der FDP. Gewollt sind und waren beide nicht wirklich. Es würde mich auch nicht wundern, wenn sie der Linken ein Angebot machte. Mit ihr geht alles, außer Politik.
Von Schröder hat sie sich abgeschaut, daß es nicht nötig ist, auf die Tradition der eigenen Partei Rücksicht zu nehmen. Während jener seine SPD in der Mitte zerrissen hat, hält sie es mit einer nervtötenden Gleichgültigkeit. Konservativ, das ist, wenn sie regiert. Egal, ob die Sozen rechts überholen oder jegliche Errungenschaften auch von der CDU getragener deutscher Grundpositionen über Bord geworfen werden – es ist ihr schlicht egal. Während Koch wenigstens noch gegen Ausländer hetzt und Guttenberg ein bißchen Wehrmachtsflair in die Außenpolitik bringt, darf die FDP reine Klientelpolitik machen. Das steht im Vertrag der Koalition, deren Kanzlerin sie ist. Und wenn sich nach wenigen Wochen herausstellt, daß das schon heute nicht funktioniert, läßt sie andere die Konflikte austragen.
Wer soll da noch CDU wählen? Die glückliche Fügung einer Rentnermasse, die gar nicht anders kann, beschert ihr eine “Zustimmung”, für die sich dennoch jeder Unionschef vor ihr in Grund und Boden geschämt hätte. Die Medien, der im Todeskampf noch einmal aufleuchtende Neoliberalismus und die faden Alternativen sind ihre Freunde. Sie verwechselt das mit echter Macht.
Die CDU ist nicht mehr konservativ. Innerparteiliche Kritiker sagen:
“Wir müssen unsere Wähler auf der Grundlage einer erkennbaren christlichen Orientierung mit Botschaften zur Leitkultur, zur Bedeutung von Bindung und Freiheit, zur Familie, zum Lebensschutz und zum Patriotismus ansprechen.”
Dieses reaktionäre Gruselkabinett taugt zwar auch nicht zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts, aber sie formulieren als autoritäres Gegenideal, daß es etwas geben muß, das zu bewahren wäre. Beliebigkeit ist zur Tradition nicht geeignet, deshalb sind Merkels fehlende Überzeugungen für ihre Partei ein stärkeres Gift als für jede andere. Ihre effiziente Ignoranz zerstört die Basis der CDU wie Schröders Neoliberalismus die der SPD gesprengt hat.
Aus dieser Sicht lüftet sich auch ein wenig mehr der Schleier über dem Wahlerfolg der FDP. Es ist so einfach: Wenn die Konkurrenz sich derart selbst zerlegt, reicht es schon aus, sich nicht zu verändern. Die FDP ist inzwischen die konservative Partei. Erzreaktionär konserviert sie die Rezepte von gestern, wobei es ihr durchaus zugute kommt, daß diese bereits als tödliche Mixtur in Erscheinung getreten sind. Unbeirrbar, bar jeden Realitätssinns marschiert sie weiter. Das ist Prinzipentreue! Die FDP macht die Politik, die Guttenberg nur darstellt: Treue bis in den Tod, wissentlich elitär und antidemokratisch.
Es ist der selbst verschuldeten Erosion der Volksparteien zu verdanken, daß die kleineren größer werden. Die Linke wäre unter dem Druck der Medien und ihres unreflektierten Selbstbezugs längst nicht so erfolgreich, obwohl sie die einzige Partei ist, die erkennbar Ziele formuliert. Die Grünen sind ein trauriger Haufen, der irgendwie akzeptabel ist und die wenigsten peinlichen Persönlichkeiten aufbietet – obwohl sie inzwischen ein Maß an Korrumpierbarkeit erreicht hat, das ihr vor Schröder/Fischer kaum jemand zugetraut hätte.
Das ist die Geröllwüste, über die Königin Angela herrscht. Die rosige Zukunft bietet eine organisierte Beliebigkeit, die womöglich in diverse extremistische Experimente mündet – auch jenseits hemmungsloser Begünstigung und Selbstbedienung. Ich erwarte die Renaissance des Streits um politische Grundkonzepte. Vernüftige Überzeugungen, die zu einer wahren Demokratie führen, können dabei auch eine Rolle spielen. Eine äußerst vage Hoffnung.
[update:] Jens Berger diagnostiziert erwartbare Ermüdungserscheinungen ebenso bei der “konservativen” Wonderwoman Ursula von der Leyen.
Januar 12th, 2010 at 09:02
“der im Todeskampf noch einmal aufleuchtende Neoliberalismus”
Da bin ich mir nicht so sicher. Was wie ein Todeskampf erscheinen mag, ist möglicherweise die letzte Metamorphose zum schlüpfenden Insekt, das erstmalig sein wahres Gesicht zeigt. Die Frage ist, ob der schützende Kokon (Bundesregierung+Medien) lange genug die Sicht davor versperrt, was sich da eigentlich verpuppt.
Januar 12th, 2010 at 10:32
“Ich erwarte die Renaissance des Streits um politische Grundkonzepte. Vernünftige Überzeugungen, die zu einer wahren Demokratie führen, können dabei auch eine Rolle spielen. Eine äußerst vage Hoffnung.”
Indeed. ;) Und selbst wenn sich innerhalb dieses unseres Standortes – mehr ist das ja nicht und wesentlich auch nie gewesen – eine solche Debatte entfalten sollte, bliebe sie angesichts der Machtverlagerung auf den EU-Apparat auch weitgehend folgenlos, auch wenn ‘wir’ dort sozusagen ‘stärkste Fraktion’ sind.
Ich hatte ‘über die Tage’ Gelegenheit, mit einigen alten Bekannten zu plaudern, die mittlerweile in Brüssel rumwerkeln. Unverkennbar schon auf dieser allenfalls mittleren Ebene war eine deutlich erkennbare Verachtung für die ‘Unschlüssigkeit’ demokratischer Prozesse im Gegensatz zur ‘Expertise’ des eigenen Apparates. Mithin – elitär und antidemokratisch. Und noch stolz darauf – aber hallo…
Januar 12th, 2010 at 11:02
“…die wissen, daß man das Kreuzchen auch woanders machen kann.”
Man kann nie wissen. Vielleicht steigt Rudolf Scharping vom Fahrradpräsidium herab und verzichtet letztendlich doch zu Gunsten von Müntefering III.
Ich glaube, erst danach spült die Demokratie endlich Claudia Roth nach oben.
Januar 12th, 2010 at 11:35
„Ich bin mal liberal, mal christlich sozial, mal konservativ“.
Merkel, last spring bei Anne Will
außerdem ist sie modern. Aber noch lang nicht so modern wie die CSU im Kern modern ist, die ist nämich so modern wie konservativ. Deswegen muss der schwarzen Graf die Kohlschröderin auch ablösen. Wir werden sicher bald sehen, wie Vernüftige Überzeugungen, die zu einer wahren Demokratie führen vom zu Guttenberg aufgegriffen und in ganz neuer,wirklich konservativer Modernität ihren Ausdruck findet…
Januar 12th, 2010 at 12:58
“Aber noch lang nicht so modern wie die CSU im Kern modern ist, die ist nämlich so modern wie konservativ.”
‘Konservativ sein heisst heute, an der Spitze des Fortschritts zu stehen’ – war sogar, if memory serves, von FJS seelig…
Januar 12th, 2010 at 14:29
Zitat von SpOn:
“Das Bundesgesundheitsministerium holt sich fachkundige Hilfe für die Erarbeitung der Gesundheitsreform. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” (“FAZ”) berichtet in ihrer Ausgabe am Dienstag, Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) wolle Christian Weber zum neuen Abteilungsleiter für Grundsatzfragen im Ministerium machen. Die Zeitung beruft sich dabei auf “sichere Quellen in Berlin”. Derzeit ist der 53-Jährige stellvertretender Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV).”
Damit ist Rösler reif für den Abschuss, wenn die Opposition es nicht total versaut…
Januar 12th, 2010 at 15:23
Mhhh…lass mal überlegen…wer ist diese Opposition.
Ah, richtig.
SPD, Linke und Grüne.
Und mindestens 2 der 3 genannten stellen sich so dermaßen dämlich an, das Rösler nichts passieren wird, ebensowenig wie Roettgen übrigens, der ja auch fleißig “Fachkompetenz” aus der Privatwirtschaft in sein Ministerium geholt hat.
Immerhin hat Rot-Grün dieses Verfahren erst etabliert.
Rösler sollte nur nicht übermutig werden und anfangen am Hindukush Tanklaster bombardieren zu lassen.
Januar 12th, 2010 at 18:25
@flatter
“Und es wird den Untergang der CDU bedeuten.”
Das setzt voraus, daß es eine “CDU” als solche gibt oder gegeben hätte. Was genau sollte das sein? Die CDU, wie quasi alle medial legitimerten Parteien, dienen im maroden Schafspelz der Demokratie wie selbstverständlich als lobbyistisches Werkzeug zur Durchsetzung der Interessen derjenigen, die vor lauter Noblesse und Besitz mit ihrer Zeit nichts besseres anzufangen wissen als dumm und gemein und noch gieriger als ihre Vorfahren zu sein…
Wie sollte das Prinzip CDU (oder setzen Sie hier ein Parteikürzel Ihres Vertrauens ein) untergehen? Und schon gar wegen Fr. Merkel?
Januar 12th, 2010 at 19:54
@horatio:
Gehe getrost davon aus, daß die CDU-Wähler das bislang anders sehen und keine Partei je zu einer absoluten Mehrheit kommt, wenn sie keine Inhalte vertritt, die von den Wählern honoriert werden. Mir stellt sich die Frage, ob die CDU zurück in Richtung 50% marschiert oder eher in Richtung 20%. Ich gehe von Letzterem aus, und das ist das Ende der Volkspartei CDU. Sollten sich gar 5 Parteien auf diesen oder ähnlichem Niveau begegnen, wäre das eine andere Republik.
Januar 12th, 2010 at 21:01
Auf welchem Niveau oder Rübenacker sich die Prozente begegnen, – es wäre zu exakt 100 Prozent die gleiche Republik und Zuckerernte. Danke für die Aufmerksamkeit.
Januar 12th, 2010 at 21:26
Laßt uns ins Wasser gehen!
Januar 12th, 2010 at 22:21
Gerade drüben bei PHOENIX, Thema Agenda 2010:
Klaus Brandner:”Wir haben alles richtig gemacht!”
Jawoll.
Das ist unsere Opposition.
Januar 12th, 2010 at 22:33
Brandner ist echt zum fremdschämen.
Und ich muss nun im Mai der SPD meine Erststimme geben damit Pinky & Brain nicht weiterregieren können.
Wie ich es hasse.
Januar 12th, 2010 at 23:39
@Alvar Hanso
Ja, dess isses was mir heute schon den Kopf zerbricht. Im Mai Pest wählen um die Cholera zu vermeiden. Es nutzt nix: Wenn wir schlimmeres vermeiden wollen müssen wir Hannelore Kraft *heul* wählen. Es bleibt uns nix erspart!
Wohin wird uns dat führen?
@flatter
Genialer Post!
Januar 13th, 2010 at 00:37
Großartig :)
Januar 13th, 2010 at 05:37
flatter, Du glaubst offenbar noch immer an die Grundfunktionen einer echten Demokratie. Das ist bedauerlich. Du wirst erleben, dass das Versagen der CDU keine größeren medialen Auswirkungen haben wird, und dass das Versagen dieser Bundesregierung auch nicht den Konzepten, sondern allerhöchstens irgendwelchen Personen angelastet werden wird – vielleicht wird auch Merkel dereinst geopfert. Aber die Partei an sich … nein, die wird weiter über jeden Zweifel erhaben sein und im Blätterwald des neoliberalen Irrsinns (der keinesfalls am Ende ist, wie Du es dir wünschst) ihre Steigbügelhalter finden.
Es ist keine Umkehr, kein Innehalten, keine Zäsur in Sicht. Du liest es doch jeden Tag. Das alberne Gezerre um Merkels Nichtstun ist doch genauso vorhersehbar gewesen, wie alles andere. Und du kannst getrost davon ausgehen, dass auch bei der nächsten Wahl (nicht nur in NRW) noch immer sehr, sehr, sehr viele Menschen ihr Kreuz bei dieser Partei machen werden. Die Medien tun alles dafür, damit sich das nicht ändert.
Die Kriege gehen weiter, die Umverteilung und der Sozialabbau gehen weiter, die Privatisierungen gehen weiter … mit Merkel oder notfalls auch ohne sie. Wo ist da irgendwo auch nur ein händerringender Hinweis darauf, dass das aufhören möge?
Ich sehe keinen.
Wollen wir wetten, dass die CDU in NRW im Mai ein gutes Ergebnis einfahren wird? Und das, obwohl der “Arbeiterführer” Rüttgers Hartz IV zum Thema gemacht hat, das er als Landespolitiker gar nicht groß beeinflussen kann? Die Medien werden dafür sorgen.
Die CDU wird uns als angebliche “Volkspartei” erhalten bleiben – das ist so sicher wie das “Amen” in der Kirche.
Januar 13th, 2010 at 06:43
Mönsch, wenn ick dette früha jewusst hätte, wie dette so looft hia, denn hätt’ick in Staatsbürjakunde nich so jenau uffjepasst unn mir den “Schwarzen Kanal” mit Karl-Eduard von Schnitz… nich so oft anjekiekt. So ha’ick andauand det Jefühl, ick kenn’ die janze Schohse schon. Kiekste, wa?
Januar 13th, 2010 at 10:29
@Charlie: Ich sehe, wie es seit Jahren schhlimmer wird, das bedeutet, daß es auch besser werden kann. Wenn man nur heult und den Sand in den Kopf steckt, wird es ganz sicher nicht besser. Vor allem aber “glaube” ich an die Dynamik von Diskursen, Solche entstehen und vergehen, Episteme kommen und gehen. Es wird in asehbarer Zeit nichts mehr geben, das die Kraft des Neoliberalismus entfaltet, wie er sie vor der Bankenkrise hatte. Das ist eine Prognose.
Januar 13th, 2010 at 17:13
[...] einhergeht, umschreibt Feynsinn das unserer Ansicht nach sehr treffend mit dem Titel „Merkel macht den Schröderkohl“. Dabei kann sie natürlich für sich beanspruchen, dass sie seinerzeit ganz maßgeblich an der [...]
Januar 13th, 2010 at 18:28
Habe gerade, 13.01.10, 18:22 h, Ulala 2 (von der Leier) gehört (DLF). Jezz will sie ‘mal “bei Hartz IV genauer hinschauen und den Menschen besser erklären” – den Hartzies und uns bleibt auch nix erspart. Man iss mir schlecht geworden – ich geh’ jezz zum Drogenhändler meines Vertrauen und gieß’ mir einen auf die Lampe!
Januar 14th, 2010 at 04:26
@ flatter:
“Es wird in absehbarer Zeit nichts mehr geben, das die Kraft des Neoliberalismus entfaltet, wie er sie vor der Bankenkrise hatte. Das ist eine Prognose.”
Du scheinst das wirklich zu glauben? Nun gut … ich halte dagegen. Es sind nirgends (nicht nur in Deutschland nicht) irgendwelche Anzeichen zu erkennen, die einen solchen Optimismus stützen könnten.
Der Neoliberalismus ist so tief und fest verankert in den Köpfen der Mächtigen in der Wirtschaft und Politik – man müsste diese kompletten Köpfe austauschen, um da Bewegung hinein zu bekommen. Und dass das (leider) utopisch ist, wirst Du ja nicht anzweifeln, oder?
Das Casino läuft doch längst wieder. Ackermann schwafelt wieder von 25% Rendite (und erzielt sie womöglich auch!). Und im Tarifstreit im Öffentlichen Dienst erleben wir gerade live, wie der Neoliberalismus sich weiter behauptet.
Eine “Umkehr” sieht anders aus.
Januar 14th, 2010 at 05:05
[...] Merkel macht den Schröderkohl [...]