Nicht ganz zu Unrecht echauffiert sich die geschätzte Kollegin Vera Bunse über die Ignoranz der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die sich für “Konsequenzen für Deutschland aus der internationalen Internetüberwachung” offenbar nicht die Bohne interessieren. Nicht ganz zu Unrecht, denn ihre Kritik geht ein wenig am Gebaren der überbezahlten Adabeis und Container für Drittmittel vorbei.

Die sogenannten “Abgeordneten” nämlich sind Abgeordnete ihrer Fraktionsvorsitzenden, nicht etwa ihrer Wähler. Sie werden also von Spitzenfunktionären mit klarem Auftrag in den Plenarsaal geschickt. Dort haben sie an der Stelle die Hand zu heben, wo die Nomenklatura das vorsieht. Diese wiederum stellt zu diesem Zwecke – und da machen alle mit, einschließlich der sog. “Linken” – sicher, dass niemand zu viele Hanseln abordnet, sondern nur einen zuvor vereinbarten Teil, damit niemand die Veranstaltung für eine echte Debatte missbraucht und sich so einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschafft.

Ein Klo, ein Puff, ein Hinterhof

Der hier neulich schon als sympathischer Abmahner erwähnte politische Allzweckdödel Volker Beck brachte das heute auf den Punkt: “Früher in Bonn hätten wir tatsächlich bis halb neun getagt, da ging es oft mal bis in die Morgenstunden. In Berlin herrschen ein wenig andere Sitten, weil es auch mehr Alternativen zum Plenarsaal gibt“, plauderte er fröhlich aus. Nun, was stellt sich der Wähler dieser abgehobenen Snobs aus konzentriertem Parlamentarierersatzstoff vor unter “Alternativen zum Plenarsaal”? Ein Klo, ein Puff, ein Hinterhof? Völlig richtig! Verabredet wird also das Abstimmungsergebnis, das dann für die Idioten an den Fernsehschirmen so umgesetzt wird. “Reden” werden schriftlich eingereicht und gelten dann als gehalten, zu den Akten, zur Rundablage und ab zur Sonne zur Freiheit. Endlich Ferien!

Spulen wir kurz ein wenig zurück in die Zeit, als Artikel wie dieser hier noch nicht komplett überflüssig waren (ich sage dies, obwohl er vermutlich mehr Leser haben wird als die ungehaltenen Reden). Nein, nicht vor dem Krieg, auch nicht in der Nachkriegszeit, sagen wir so vor 20-30 Jahren nur. Da konnte noch jeder, der ab und an die Tagesschau geguckt hatte, zumindest mit ein wenig Mühe glauben, es gebe im Bundestag Abgeordnete (z.b. ihres Wahlkreises), die ihrem Gewissen verpflichtet Debatten folgen, um an deren Ende ihre Zustimmung oder Ablehnung kundzutun. Sie konnten das, weil sie anwesend waren. Weil sie abgestimmt haben. Nach Abschaffung der Anwesenheit wurde inzwischen aber auch die Abstimmung abgeschafft – für die meisten jedenfalls. Der Trick, wie ein abwesender Abgeordneter seinem Gewissen folgt, lässt sich sicher irgendwie erklären. Bedauerlicherweise fragt aber niemand danach.

Ersatzgewissen aus Gewissensersatz

Die Gewissensentscheidung von – sagen wir – Dr. Anton Hofreiter aus Oberhaching wird also von Cem Özdemir getroffen, bei Whisky und Zigarre mit seinen Freunden von Atlantikplanschverein, bei einer Line auf dem Bahnhofsklo oder einer Mörderlatte bei Macchiato im Café Einstein. Abstimmen darf dann einer, der gerade die Dienstschicht übernimmt. Was daran demokratisch sein soll, ist eine Frage, die es gar nicht erst in den Hals schafft, in dem sie stecken bleiben möchte. Sie ist bereits in die Keramik entfleucht. Überhaupt wird es seit Jahren zunehmend schwieriger, die demokratischen Elemente in den parlamentarischen Strukturen zu finden, selbst unter Zuhilfenahme eines Rastertunnelmikroskops. Das reicht aber noch nicht, um die Verachtung der Nomenklatura gegenüber den Resten einer Volksbeteiligung an ihrer Herrschaft hinreichend zum Ausdruck zu bringen.

Nein, der Parlamentarismus, den sie zur Bühne der Farce einer kapitalistischen Demokratiesimulation gemacht haben, ist nicht einmal mehr parlamentarisch. Nicht einmal annähernd. Es gibt für nichts eine Alternative, alle Entscheidungen liegen streng auf der Linie eines Sachzwangs, den das Kapital seinen Abgeordneten diktieren darf. Aber zum Plenarsaal, da gibt es gleich “viele Alternativen” für die Parlamentarier.
Wer sich da noch an Wahlen beteiligt, hat eigentlich kein Recht mehr, sich über die Zustände zu beschweren. So rum wird ein Schuh draus.