Unter all den Beweihräucherungen und bemühten Erklärungen der angeblichen Popularität des Freiherrn von Wirtschaft zu Guttenberg erscheint die halbgare in der “Zeit” zunächst noch erträglich, aber auch dort werden die entscheidenden Fragen erst gar nicht gestellt . Immerhin werden dort nicht nur angebliche Chrakterstärken eines Adligen aufgereiht, aber auch Jens Jessen läßt sich darauf ein, dem Adel per se Adel zu unterstellen. Als gäbe es keine krähenden Celebrities blauen Blutes, einen pöbelnden, pissenden und raufenden “Welfenprinzen” etwa oder eine Salonsirene von Thurn und Taxis. Bei Jessen ist der Adel edel:

Die Erziehung zur Contenance führt zu einer Verachtung der Larmoyanz. Ein Adliger wird sich selten wie der Bürger zu einem larmoyanten Seelchen entwickeln, allerdings auch selten zu einem Künstler oder Intellektuellen. Eine gewisse Verachtung für die eigenen Unpässlichkeiten und Gemütsbewegungen wird ihn immer auszeichnen, und das heißt nun auch: katastrophensicher und unter Umständen sehr tapfer machen.”

Nein, auch das ist ein Vorurteil, und wenn es im Gewande einer Halbkritik daherkommt, weil Jessen feststellt, daß die Guttenbergs und der Restadel wohl doch nicht alle im Widerstand waren, wird es nicht besser. Peinlich wird es gar, wenn Karl-Theodors Vater unwidersprochen zitiert wird:

Wir sind so erzogen worden, dass man für das, was man für richtig hält, zur Not auch sterben können muss.

So kennen wir das. Der Adel stirbt immer zuerst, wenn es zum Äußersten kommt.
Da setzt sich einer hin, um zu erklären, warum die Botoxbirne so populär sei und schreibt eine kitschige Eloge auf den Adel. Bei Jessens oben ist mal wieder keiner zu hause.
Selbstredend hat die Karriere des Mannes nach Glos mit seinem Stand zu tun. Daß er eine Stelle eingenommen hat, auf der zuvor ein bayrischer Problembär Winterschlaf gehalten hat, machte ihn wie jeden anderen erst einmal zu einer Aussicht auf Erlösung. Was dann kam, ist aber eben Boulevard und Klatschspalte. Der Mann sieht aus wie Oma sich einen Schwiegersohn vorstellt, er kann vor Geld nicht laufen und trägt beste Garderobe spazieren. Er ist nicht vom Schlage der normalkorrupten Emporkömmlinge und Radfahrer, die das Wahlvolk gestrichen satt hat. Daß er eben nichts hat leisten müssen für diesen “Erfolg”, schon gar nicht – wie unfaßbar lächerlich – sein Leben riskieren, ist dem Qualitätsjournalisten in seiner feuchten Anbetung keinen Gedanken wert.

Es scheint niemandem so recht aufzufallen, aber “Ka-Te” ist keine Charity-Lady, sondern Wirtschaftsminister. Seine vorgeblichen Kompetenzen für dieses Ressort, das wurde am Rande der Seite 10 abgehandelt, waren zunächst einmal erlogen. Schwamm drüber. Seine Rolle beim Fall Opel war kapriziös, zeichnete ihn aber weder durch besondere Klugheit aus noch durch irgend etwas, das man ein “Konzept” nennen könnte. Womit wir bein Hauptproblem sind: Konzepte, Ideen, Wissen, planvolles Handeln und Durchsetzungsfähigkeit, das wären die Kompetenzen, die ein Minister mitbringen sollte. War davon bislang auch nur die Rede? Im Gegenteil. Der Herr Freiherr muß über Geld nicht sprechen. Er hat es, und wie Jessen feststellt, bleibt ihm ja sein Adel, sollte es jemals anders sein. Welch ein Zeugnis für jemanden, der den Staat durch eine Wirtschaftskrise führen soll!

Was Guttenberg als Figur, als Promi und Gesicht in den Medien so dankbar geeignet macht, ist aber das, was in den Wirtschaftsspalten des Qualitätsjournalismus derzeit en vogue ist: Verdrängen, Verschweigen und Gesundbeten. Und wenn dann doch die nächste Blase platzt, haben wir ja immer noch unseren Adelstitel.
Das beruhigt das Volk, denn es repäsentiert die Zustände angemessen und nimmt viel Gift aus der Debatte:
Die zu kurz kommen, fühlen sich wieder aufgehoben. Sie müssen sich nicht mehr als Leistungsverweigerer und Versager beschimpft fühlen, sondern sie sehen, daß sie von vornherein keine Chance hatten. Die anderen, die es haben, finden das ohnehin gerecht.
In die Oberschicht, so erkennen alle zu ihrer Beruhigung, wird man eben hineingeboren.