Beizeiten ist es sinnvoll, das verminte Terrain nicht nur mit Staunen zu beäugen, sondern es zurück zu gewinnen. Die neoliberale Kampfparole “Sozial ist, was Arbeit schafft” ist nicht zufällig das propagandistische Banner einer asozialen Marktpolitik. Man darf in Maßen sogar dankbar sein für diesen Leitsatz, denn er offenbart die Widersprüche und repräsentiert durchaus angemessen die Perversität der Ideologie.

jedase

Quelle: Wikimedia Commons / Clemensfranz

Dem gegenüber ist ein Begriff des Sozialen, der nicht verkehrt, verstümmelt und sinnentleert wäre, wieder zu etablieren. Die obige Definition halte ich dabei für eine gute Arbeitsgrundlage. Ich kam darauf übrigens schlicht durch den Stand der Diskussion, die immer wieder auf die Frage hinausläuft, ob die Henne oder das Ei neu zu konstruieren sei, ob es am Menschen, dem individuellen, liegt oder am Gesellschaftssystem, dass man nicht so recht voran kommt mit der Alternative.

Eines muss man dem Neoliberalismus lassen: Er ist da völlig konsistent. Ein asoziales Individuum begründet eine asoziale Gesellschaft, und weil die beiden sich das leisten können, nennen sie das dann “sozial”. Der “Wettbewerb” ist ihre Tugend und Gottgefälligkeit, jeder gegen jeden, jeder für sich und Stark gegen Schwach. Die Spaltung der Gesellschaft in möglichst viele Grüppchen und am Ende in Einzelkämpfer ein effizientes Mittel ihrer Machtausübung. Tief religiöse Mitglieder dieser Sekte glauben tatsächlich, dies sei die Erfüllung und der Zweck des menschlichen Daseins, die anderen machen einfach so mit.

Jeder gegen jeden

Wer sich davon nicht überzeugten lässt, kann recht schnell verzweifeln und sich fragen: Ist der Mensch so blöd (geworden) oder bloß die Gesellschaft so fürchterlich zugerichtet? Da ja das eine das andere prägt und die Entwicklung des Sozialverhaltens der Mitmenschen auch keinen Grund zum Optimismus bietet, fragt sich auch: Kann dieser Mensch überhaupt irgend etwas Besseres zustande bringen? Müsste man den nicht zuerst ändern?

Iwo, so schwierig ist das gar nicht. Eines darf man wohl vorausschicken: Der edle Mensch, der ob seiner Einsicht und Weisheit gefeit wäre vor der Verführung zu Brutalität und Unterdrückung, auf den können wir lange warten. Die Gesellschaft hingegen, die das verführbare Mangelwesen stets läutert und ihn auf dem Pfad der Tugend hält, die kann es auch nicht sein – wäre sie doch autoritär und wiederum von Menschen geleitet, die ob ihrer Macht der Verführung erliegen würden. Und darum gibt es keine Lösung.

Keine, die auf der einen oder anderen Seite ansetzt, sondern nur eine, die beides verbindet. Die den Menschen mit seiner Gesellschaft und also die Menschen miteinander verbindet. Das übrigens ist die Stärke der demokratischen Idee, dass die Bürger miteinander an ihrer Gesellschaft arbeiten. Und dies wiederum macht eine Demokratie unmöglich, wo der Wettbewerb um Eigentum die Verhältnisse bestimmt. Anstatt sich als Teil der Welt zu betrachten, werden die Menschen dazu angestachelt, sich die Welt anzueignen, und zwar jeder für sich, gegen die anderen und ohne Rücksicht auf die Folgen. Ja, das schafft auch Arbeit. Ebenso wie Elend, Missgunst, Ignoranz, Brutalität, kurzum: Die dümmste denkbare Form von Egoismus in der denkbar größten Ausweitung.

Man hat immer die Wahl

Solchen Verhältnissen muss und kann man nicht mit naiver Nächstenliebe begegnen. Es hilft auch kein Konzept, die Einzelnen zur Tugend zurück zu führen, auf dass sie Dank ihrer Erleuchtung die Welt bessern. Es kann aber hilfreich sein, auf einzelne Entscheidungen einzuwirken und deutlich zu machen, dass man immer die Wahl hat, etwas mitzumachen und etwas anderes nicht.

Wer immer noch glaubt, es gäbe ein gerechtfertigtes Eigentum, dass man schütze müsse und sich denjenigen anschließt, die darauf ihre Religion gründen, sollte also wissen, wofür er sich da entscheidet. Wer glaubt, er kenne den einzig richtigen, besseren Weg und es komme nur auf diejenigen an, die diesen Weg ebenfalls gehen, sollte wissen, gegen wen er sich da entscheidet. Wer sich davon nicht mürbe machen lässt, der mag vielleicht den Weg der parlamentarischen Demokratie gehen und gemeinsam mit anderen den besten Weg suchen. Das Parlament dieser Demokratie ist freilich nicht ein hässliches Gebäude im Spreebogen, sondern da, wo gesprochen und gestritten wird.

Ein Motto hätte ich übrigens auch. Es ist ja das, was längst auf die Straßen getragen wird, von denen, die sich selbst nach ihm benannt haben, den “Indignados”. Es ist zufällig der erste Satz im Artikel I des Grundgesetzes der BRD.