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November 2013


 
Die Medien im kapitalistischen Zeitalter haben die Aufgabe von der Religion übernommen, die Leute ruhig zu halten, indem sie ihnen ständig vor Augen führen, dass man die eigene bescheidene Lage verbessern könne, wenn man sich nur anstrenge.”

 
It’s better to burn out than to fade away? Aus dem Alter bin ich grundsätzlich mal raus, und es kommt auch darauf an, wie man ausbrennt. Es ist kein Knall, mit dem man sich unter tosendem Applaus aus der Manege verabschiedet. Es ist eher wie Sisyphos, der mitten auf dem Hang einen Sprint auf der Stelle hinlegt. Eine Minute lang ist das vielleicht noch lustig, dann wendet sich auch das Publikum gelangweilt ab.

Es geht mir gut. Ich habe alles, was ich brauche, ein Dach überm Kopp, Familie, Freunde, einen meist erträglichen Lohnjob und das Talent, mich vor Publikum so zu äußern, dass mir Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil werden. Das Problem, das sich daraus ergibt, ist aber eine Erwartung, der ich immer weniger gerecht werde. Ich spreche da in erster und zweiter Linie von meiner eigenen. Hätte ich die nicht, wäre Feynsinn nicht das, was es ist. Nach knapp 2500 Texten merke ich aber, das die Tanks allmählich leer sind.

Die Substanz, von der Feynsinn jahrelang gezehrt hat, politische Debatten und Nachrichten, hat sich zu einem Klumpen giftiger Sinnlosigkeit verdichtet. Kein Detail ist mehr relevant, weil das große Ganze schon für den Restverstand im Halbschlaf als blanker Irrsinn erkennbar ist. Die produzierte Öffentlichkeit aber übt sich in Routine. Inmitten der Trümmerlandschaft eines Parlamentarismus, der sich erst von der Demokratie und dann vom Rechtsstaat getrennt hat, diskutieren sie über die Farbe der Gardinen.

Nur Narr, nur Dichter

Ich finde das seltenst lustig. Keine Ahnung, wie der Pispers darüber noch Witze machen kann. Ich bin aber auch kein Moralist wie ein Dieter Hildebrandt, der uns noch sehr fehlen wird. Und sonst? Ist da irgend ein Aufbegehren? Vorboten der Revolution? Wenigstens Spuren einer intellektuellen Reaktion auf die Endzeit? Wüsste ich wohl was von. Vielleicht suche ich ja an den falschen Stellen.

Ich kann auch ein Schnitzel schreiben, aber das ist Handwerk. Der letzte Text hier ist so ein Beispiel. Ich finde ihn gut. Hätte ich ihn nicht für das Blog geschrieben, wäre er wirklich gut geworden. Wäre – sieht man darüber hinweg, dass ich ihn vermutlich gar nicht geschrieben hätte. Fahrradkette. Und so sitze ich immer öfter da, will mich zwingen, weil es Zeit für den nächsten ist und stelle fest, da ist nichts und da wird nichts, und das frustriert mich. Ich will es nicht so weit kommen lassen, dass ich gar keinen Spaß mehr habe und womöglich für ein paar Dollar von der VG Wort nur noch launigen Murks abliefere.

So wird das nichts. Ich hoffe, dass die Obsession noch nicht zu weit fortgeschritten ist. Dass ich noch anders kann. Vielleicht mache ich eine Pause, ein paar Wochen. Ich weiß es noch nicht. Danke einmal mehr für den ganzen Fisch, und lasst mich noch für eine Weile im Feedreader.

 
zombeco Das schwarze Nashorn war das dümmste Säugetier auf der Erde. Es war mit allen Waffen ausgestattet, passiv wie aktiv – einem ganz ordentlichen Panzer für ein Tier des Känozoikum, prächtigen Hörnern, die ihm seinen Namen gaben, und einem wuchtigen Unterbau, der sich bei Bedarf sogar beachtlich beschleunigen ließ. Es wurde als Pflanzenfresser ausgelegt, um nicht unnötig durch bewegliche Nahrung provoziert zu werden. Es war unangefochten.

Dennoch war es aggressiv wie Flußsäure, hemmungslos wie eine Hafenhure und von der Gnade eines ausgehungerten Leoparden. Trotz erbarmungswürdigen Ungeschicks und anderer Handicaps wie völligem Fehlen eines Motivs konnte das Nashorn in seiner Lebenszeit stapelweise Todesopfer generieren. Es war daher über 50 Millionen Jahre ein wichtiger, nein der wichtigste Indikator für diese Form der Dummheit.

Als die Mäuse die Erde betrieben, verpassten sie das Resultat ihres eigentlichen Experiments um einige hundert Millionen Jahre. Es wurde durch eine zufällige Zeitreise noch einmal hervorgebracht, aber mutmaßlich wiederum ignoriert. Wie dem auch sei, die Geduld der Mäuse war nicht einmal gering; dennoch begannen sie das Experiment zu manipulieren. Im Endeffekt beraubten sie sich dabei – im Rahmen einer noch zu handhabenden Wahrscheinlichkeit – jeder Möglichkeit, das Experiment noch erfolgreich zu Ende zu bringen. Tatsächlich schafften sie genau damit aber eine Unwahrscheinlichkeit, die exakt dem Grade entsprach, der nötig war, um die Frage aller Fragen doch noch zu beantworten. Wie bereits bemerkt, notierten sie dies aber nicht.

Nicht zu stoppen

Mit den Jahrtausenden, vor allem dem Erscheinen der Menschen auf dem Planeten, vertieften sie sich derart in ihre Manipulationen, dass sie ihre Schwänze nicht mehr bemerkten, wenn jemand darauf trat. Immer wildere Phantasien lebten sie aus, um zu testen, was mit dieser Spezies noch ging, und sie wurden wirklich niemals enttäuscht. Dieser Phase verdanken wir unter anderem die Erfindung des Popcorns, doch das ist eine andere Geschichte.

Es kam dann zu einer Zäsur, die der Chronist hier festhalten möchte, falls den pelzigen Ingenieuren auch dieser Zusammenhang entgangen ist oder er ihrer sprichwörtlich schlampigen Dokumentation zum Opfer fallen sollte. In einem genialen Werk soziopathologischer Testverfahren injizierten die Mäuse einem hochentwickelten Menschenhabitat einen zweistufigen Wirkstoff, der die Grenzen ihrer Fähigkeit zu dissoziativer Anpassung ausloten sollte, den menschlichen Leid/Nonsens-Faktor®. Wieviel Schmerz waren diese Wesen bereit auszuhalten, ohne dass sie irgend einen Sinn darin erkannten, wieviel andererseits dazu fähig, anderen Leid zuzufügen, ohne Sinn und Zweck, freiwillig und ohne Gegenwehr?

Nachdem bereits einige hundert Jahre erstaunliche Ergebnisse mit einem System erzielt wurden, in dem Menschen ihre Interessen und Erkenntnisse vollständig einem papiernen Fetisch untergeordnet hatten, wollten die Mäuse endlich wissen, wann dieses System kollabieren würde. Sie erhöhten sämtliche Werte, begünstigten alle Faktoren, die den Menschen inmitten eines Paradieses voller Ressourcen die Hölle auf Erden bereiteten. Dabei waren sie überzeugt, binnen Monaten zum Ende zu kommen. Sie erfanden die Reaganomics.

Dreißig Jahre später kapitulierte das schwarze Nashorn, gratulierte dem uneinholbaren Sieger und verließ endgültig die Erde.

Bildquelle oben: Wikimedia Commons / Acey Duecy

Boris Johnson ist also ausdrücklich der Meinung, ausdrücklich “Superreiche” sollten per se in den Adelsstand erhoben werden. Sie seien eine verfolgte Minderheit. Man müsse ihnen “demütigen” Dank zuteil werden lassen, kurzum: Der Boris ist ein Stiefellecker der unschlagbar übelsten Sorte, einer, der die Welt einteilt in Herren und Sklaven und welche wie ihn, die sich von den Sklaven noch zu ihrem Stellvertreter wählen lassen, um anstelle der Herren die Sklaven zu treten. Ja, das ist ekelhaft, es treibt einem das Adrenalin dampfend durch sämtliche Körperöffnungen. Das ist die moderne Demokratie®, eine verdammte Jauchegrube, in der die feisten Fürsten ihre Leibeigenen in deren eigener Scheiße ersäufen.

So etwas ist ein Unfall, der sich selbst in der vielleicht etwas offeneren, mitteilsameren britischen konstitutionellen Oligarchie nicht ereignen sollte. Das Narrativ sieht so etwas wie „Superreiche“ nämlich gar nicht vor. Sie finden nicht statt. Es gibt eine natürliche Verbindung zwischen Reichtum und Leistung. Jenseits einer Grenze, an der noch dem letzten Trottel mit einem chemisch gereinigten Hirn auffällt, dass das nicht mehr stimmen kann, ist die Grenze des Redens. Wo das Gold ist, da ist Schweigen.

Die feine deutsche Art

Hat der Boris nicht kapiert. Deshalb regen sie sich jetzt über ihn auf. Zurecht. Geben ihm unschöne Namen. Zurecht. Wollen ihm ans Fell, und zwar gründlich. Zurecht.
Wer aber hat das kapiert? Wer macht es besser, perfekt nachgerade? Richtig: Angela Dorothea Merkel. Frau Merkel spricht nicht über Arm und Reich. Nie im Leben käme sie auf die dumme Idee, ein ekliges Wort wie „Superreiche“ in den Mund zu nehmen. Für sie gibt es Wachstum®. Wohlstand®, Leistungsträger®, Arbeitsplätze®, Zukunft®, Aufschwung® und Chancengerechtigkeit®. Für sie gibt es die große „gemeinsame Lösung“® und „Sozial ist, was Arbeit schafft“©. Knapp vorbei an alten großdeutschen Weisheiten und marktkonform. Soziale Marktwirtschaft® eben.

839 Haushalte mit einem Vermögen von mehr als 100 Millionen US-Dollar gibt es in Deutschland. Deutschland ist der abonnierte Exportweltmeister, so erfolgreich, dass sich inzwischen sogar US-Ökonomen beschweren. Und was sagt die Angela dazu? Dass wir Superreichen dankbar sein müssen? Dass wir alle zufrieden sein könnten? Nein. Sie sagt, die, über die man gern redet, müssten alle sparen. Am Staat. An Sozialleistungen. An den Ärmsten der Armen. Weil wir im internationalen Wettbewerb® stehen. Mit den Superreichen in China(393), Saudi-Arabien(826) und den USA(2.692). Dafür kann man nicht genug Menschen arm und noch ärmer machen.

In der nächsten Stunde lernen wir dann, wie man Leute verhungern lässt und trotzdem für sich arbeiten.

 
pool

Die FAZ schreibt im Zusammenhang mit dem galaktischen Versagen beim Projekt Elbphilharmonie, “dass Politiker für ihre Entscheidungen am Ende nicht haften müssen“, “Fahrlässigkeit” also Folgenlos für sie bleibe. Für sie; mitnichten für alle anderen, vor allem nicht für das System.

Es ist nur ein kleines Detail, aber es macht deutlich, wie offen der Parlamentarismus für Versagen ist – und damit gleichermaßen für Korruption. Die Haftung für Großprojekte trägt nämlich am Ende niemand, ausgerechnet für solche Unternehmungen also, bei dem so viel Geld fließt, dass selbst Bruchteile davon dafür ausreichen, Entscheidungen zu beeinflussen. Projekte, die grundsätzlich von Konzernen durchgeführt werden, die nach getaner Arbeit beteiligten Politikern gern lukrative Posten anbieten.

Burn Money, Burn More Money

Auf der Ebene politischer Stellvertretung können Funktionäre so viel Schaden anrichten wie die Naturgesetze zulassen, ausbaden muss das immer die Allgemeinheit. Man kann bei Großprojekten auch nicht erwarten, dass Einzelpersonen finanziell haften, sonst dürfte man nur noch Milliardäre wählen. Wie aber sieht die Verantwortung aus, die Totalversager tragen? Sind sie von der CDU, können die Wähler sich für die SPD entscheiden. Sind sie von der SPD, steht die CDU zur Verfügung. Dazu kommen noch Grüne und FDP, die dasselbe tun und der Illustration allgemeiner Alternativlosigkeit hinreichend dienen.

Selbst die Versager persönlich können sich sowohl wiederwählen lassen als auch in hochdotierten Posten enden, wo sie mit denen der anderen Seite die nächsten Milliarden verbrennen. Dabei wäre es einfach, zumindest dies zu verhindern. Wer einen Schaden verursacht, der ein bestimmtes Maß überschreitet, könnte von allen vergleichbaren Ämtern und Posten ausgeschlossen werden. Er könnte wenigstens seinen Pensionsanspruch verlieren.

Ich will allerdings gar nicht darauf hinaus, solche romantischen Vorstellungen verwirklichen zu wollen. Wer sich anschaut, wie es in der Wirklichkeit aussieht, erkennt nicht nur das Gegenteil. Er wird auch nicht leugnen können, dass es sich bei dieser Art Vergabe und Finanzierung, ebenso wie bei der Veruntreuung von privaten wie Steuergeldern zur Finanzierung von Unternehmen [via Sargnagelschmiede], um Akte des Klassenkampfes handelt. Wer oben ist, wird oben bleiben, und wer unten ist, sorgt mit seiner eigenen Arbeit dafür, dass das so bleibt. Klassenkampf ist die Steigerung von Korruption. Das ist kein Bug, sondern ein Feature.

 
schahs… man auf der Gewinnerseite steht. Okay, der Wettbewerb® ist öde, fad, Extrem Boring als Leistungssport. Warum? Weil der Klassenfeind längst am Boden liegt, schon kaum mehr erkennbar ist und sich schon seit Jahrzehnten nicht mehr wehrt. Auch die Disziplinen sind weder neu noch aufregend: Haushaltsdisziplin zum Beispiel, Sparen bei denen ohne Geld. Fad. Staatshilfen streichen. Öde! auf Mittellose einprügeln ohne dass Gold und Geschmeide runterfallen. Booring!

Nein, wenn man wenigstens etwas Abwechslung haben will beim Schinden Wehrloser, muss schon die Mittelschicht ran. Die Kapos, die selbst die Nächsten sein könnten oder andere Davongekommene. Beamte zum Beispiel, die nach weniger Staat schreien und mies bezahlte Handlanger, die Arbeitslosen nachstellen. Ich sage immer: Wer nicht bloß ein bisschen anquälen will, sondern voll durchfoltern, der braucht schon Leute, die eine Vorstellung von der Angst ihrer Opfer haben; gesottene Sadomasochisten.

Diese geben sich längst ein Stelldichein in den Suhlen, die als “Job Center” verharmlost werden, unter der immerhin tendenziell korrekt benannten “Agentur für Arbeit” die Speerspitze der Entwürdigung, Bespitzelung, Gängelung und Vernichtung von Arbeitslosen. Die “Agentur”, wie ihre Erniedrigungszentralen vor Ort, ist zwar völlig ungeeignet dafür, Menschen brauchbare Stellenangebote zu vermitteln, dafür aber äußerst kreativ in der Verfolgung der Opfer der kapitalistischen Endkrise – und ihrer Angehörigen.

Schinderei nur vom Experten

Die Idee, Hilfeempfänger jetzt auch “im Internet” zu verfolgen, ist Freistil-Baseball für Feinschmecker. Ohne Sinn und Verstand, brutal, kriminell und von der Überzeugung durchdrungen, dass niemand eine Würde hat, solange noch aus irgend einem Loch Blut spritzt, wenn man reinschlägt. Wer also zu viele Klamotten bei Ebay verkauft und Hartz IV bezieht, muss als Sozialschmarotzer bestraft werden. Oder wer Verwandte hat, die noch Hausrat zu verkaufen haben, oder einen kennt, der so etwas kann.

Die Absicht folgt dem schon altbekannten Schema siehe oben, an das man sich im Grunde gewöhnt hat. Neu ist allerdings der Kopfschmerz angesichts der Möglichkeiten einer Durchführung. Hier hätte man noch vor wenigen Monaten sagen können: Was sind denn das denn für hohle Fritten? Wie soll irgendwer erkennen, ob Mupfelmaus87 die alleinerziehende Arbeitslose Magda Lena ist, die auf Ebay jeden Monat einen Hunderter macht, um illegal teure Markenwindeln zu kaufen? Zumal das nach dem üblichen Kontenstriptease eh nicht zu verbergen wäre?

Inzwischen müssen wir anders denken: Totale Überwachung findet statt. Klassenkampf ebenfalls. Welchen Grund sollte es also geben so zu tun, als wollte man das eine nicht im Sinne des anderen zur Anwendung bringen? Das Grundgesetz etwa? Artikel eins vielleicht?
Haha. Hahaha. Haaahhahahahahaha …

 
typstarLange nichts mehr zum Tagesgeschäft gesagt, wozu auch? Mitunter ist aber das Langweiligste, Erwartbarste, Durchschaubarste dann doch wieder große Unterhaltung. Was Frau Nahles da medienträchtig unter das Häuflein der restlich Interessierten gewürfelt hat, macht mir Spaß. Die SPD ist Mitte, absolut. Mitten drin in einer derart sinnlosen Simulation von Politik, wie es nur eine Partei kann, die noch nie eine eigene Überzeugung hatte, sondern immer nur versucht hat, es allen recht zu machen. Sie ist die älteste Schabracke im ältesten Gewerbe der Welt.

“Nach links öffnen” will sich die SPD also – beim nächsten Mal! Wenn die Mehrheiten wieder und vermutlich endgültig so weit rechts liegen, dass sie eh nicht mehr drankommt. Wenn sie beginnen wird, sich an einstellige Zustimmungsraten zu gewöhnen. Wenn sie endlich niemand mehr braucht und niemand mehr fragt. Hach, das wird herrlich sein!

Jetzt hätte sie die Mehrheit, und da ihre Funktionäre so unklug waren, die Restbasis fragen zu wollen und daher fürchten, dass Einschüchterung und Medienmacht nicht ausreichen könnten als Wall gegen die Riesenblamage, wird eine verzweifelte Lüge aufgetischt: Ihr müsst uns jetzt unterstützen Merkel zu wählen, dann werden wir irgendwann auch wieder den Regierungschef stellen, mit der Erlaubnis der wichtigen Leute im Land.

Gegen sozialdemokratischen Extremismus

Auf gar keinen Fall aber darf das jetzt sein, denn sie haben sich vor der Wahl nicht für die Möglichkeit einer Mehrheit entschuldigt, die nicht das Gütesiegel „deutsche Mitte“ hat: Sie wollen nicht in den Verdacht einer Kooperation mit Leuten geraten, die lautstark gegen Ausbeutung polemisieren. Das könnten Sozialisten sein. So etwas geht nicht. Nicht in der Realität der SPD.

In dieser Realität kam übrigens noch nie vor, was sie auch jetzt wieder verdrängt: Ein globaler Klassenkampf. Zwar gab es Zeiten, in denen die SPD für die Armen und Benachteiligten einstand, Arbeitslose etwa noch als Opfer der Verhältnisse sah und nicht als Schuldige, aber Klassenkampf war ihr immer suspekt. Klassenkampf klingt undeutsch, riecht nach Umsturz und muss um jeden Preis verhindert werden. Im Zweifel immer national – gegen den Franzmann oder den Russen, rechts – gegen Kommunisten und Sozialisten – und sowieso für das Kapital, mit dem sie Frieden geschlossen hat. Liebevoll nennt sie es Soziale Marktwirtschaft®.

Dass die Partei “die Linke” ihrerseits ebenfalls für Kapitalismus ist und den Klassenkampf, den Warren Buffet uns extra erklärt hat, weder so nennt noch annimmt, reicht noch nicht. Dass sie weder Marxisten sind noch Revolutionäre und sogar ebenfalls Soziale Marktwirtschaft® befürworten, hilft auch nicht, denn inzwischen ist der SPD die Sozialdemokratie verdächtig; die kann sie sich nicht leisten. Aber beim nächsten Mal, vielleicht. Wenn die Nation sie nicht doch wieder für Wichtigeres braucht. Entschuldigt hat sie sich ja jetzt.

 
„Ruhe im Leiden!“ Der Kerkermeister schlufft durch die Zellen und ermahnt die an Ketten hängend Geschundenen zur Zimmerlautstärke. Vielleicht hat er Kopfschmerzen und kennt den freundlichen Tankwart nicht, dem solche Probleme Togal sind.
So ungefähr habe ich mir abseits akademischer Betrachtung vorgestellt, was in Schillers Aufsatz „Über Anmut und Würde“ zu lesen ist, dass Würde nämlich eigentlich „Ruhe im Leiden“ sei.

Vielleicht muss so auch Artikel 1 des Grundgesetzes verstanden werden, demnach also des Menschen Ruhe im Leiden unantastbar sei: Wer sich einmal abgefunden hat, dem kann man nichts mehr anhaben. Es handelte sich demnach nicht um eine Rechtsnorm oder ein Ideal, sondern um die Beschreibung eines Zustandes, den erreicht zu haben dem Menschen, zumal als Bundesbürger, grundsätzlich unterstellt wird.

Kein Grund zur Beunruhigung

Das wäre jedenfalls visionär gewesen, beschreibt es doch durchaus zutreffend den Status Quo dieser Tage. Die einen pfeifen derart infernalisch im Walde, dass von Ruhe keine Rede sein kann. Ihr „Uns geht’s gut“ hat die Singvögel in Forst und Flur vertrieben oder zum Schweigen gebracht. Nur Einzelfälle von Uhu und Kuckuck halten noch dagegen, man munkelt, sie seien zu Tauben mutiert.

Die anderen halten still, haben sie doch ohnehin nichts zu sagen. Das haben sie sich gemerkt, ansonsten bedenklich wenig. Passé ihr „starker Arm“, der ganz anderes stillstehen ließ, als sie die Stimme noch erhoben, ohne sie gleich abzugeben, als sie gar noch einig und gemeinsam sangen. Ihr Gesang ward bang und bänger, und heute halten sie eben den Rand, an den sie sich haben drängen lassen. Immerhin: Man hängt sie nicht an Ketten, weit und breit “>keine Sklaverei in Sicht*, das sagt sogar der Kaiser. Um wieviel mehr muss es für uns also heißen: Ruhe bewahren!
 

*Ja, es geht um eine Sportveranstaltung, aber das Statement von Herrn Beckembauer ist ein Must-see. Btw: Nachfolger Hoeneß steht gerade wegen Steuerhinterziehung vor dem Kadi, Vortandschef Rummenigge wurde jüngst deswegen vorbestraft. So seh’n Sieger aus.

[Update:] Weil das überall unvollständig zitiert wird, hier die Abschrift von Beckenbauers Einsicht:

Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen, also die laufen alle frei rum, weder in Ketten gefesselt und auch mit irgendwelcher Büßerkappe am Kopf, also das habe ich noch nicht gesehen.

 
Der freie Wettbewerb sprengt die Fesseln des überteuerten Staates, in dem er nicht zur Entfaltung kommt. Wenn die Troika kommt, wird nicht mehr lange gefackelt. Was eine “Troika” ist? Das sind die drei, die zu sagen haben. Die Macht. Cäsar, Crassus, Pompeius. Wer fragt da schon nach? EZB, IWF, EU-Kommission, weiß der eifrige Schüler. Was IWF ist? EZB? Na was Mächtiges. Woher das seine Macht hat und wie das etwas bestimmen kann? Ja du meine Güte, wer soll das wissen?

Wer das wissen will? Gute Frage. Vielleicht wollen das gar nicht so wenige wissen, aber wie sollen sie wissen, was sie wissen wollen, wenn sie nicht einmal wissen, wer warum welche Entscheidungen trifft? Wenn sie jahrzehntelang dasselbe erzählt bekommen, und kaum fragen sie nach, sagt doch jeder etwas anderes. Die Troika zieht um und befiehlt Kürzungen, so viel hat sich herumgesprochen. Warum darf sie das? Wer hat ihr das erlaubt? Und noch einmal: Wer zur Hölle ist das überhaupt?

webehue

In Griechenland haben sie jetzt endgültig den staatlichen Rundfunk gestürmt und zum Schweigen gebracht, in Spanien droht dasselbe. Hören Sie nun, was die Troika sagt (wer sagt das eigentlich bei der Troika, wie können überhaupt eine Zentralbank, eine Einrichtung der EU und eine der UN mit einer Stimme sprechen, vor allem aber: Wieso ist immer Frau Merkel dabei? Das wüsst’ ich mal gern):

Wie dem auch sei, die Troika sagt, die Troika hätte nicht gesagt, man müsste das Staatsfernsehen dichtmachen und mit Gewalt räumen. Die Troika sagt nur, Griechenland darf nur noch Geld für wichtige Sachen ausgeben, also U-Boote zum Beispiel, und nicht unwichtige, also Rundfunk zum Beispiel. Na Gott sei dank, dass die Troika nur nicht missverstanden wurde.

Staat ist zu teuer, Griechenland ist besonders zu teuer, darum muss jetzt feste privatisiert werden, denn privat kann alles besser. Vor allem erklären, warum privat alles besser kann. Dafür braucht man nun wirklich keinen Staatsfunk. Was man braucht, ist der Schutz des Eigentums. Dafür kommt der Eigentumsschutzmann und schützt. Zur Not auch den Staat vor seinem Rundfunk.

 
stroeb

Gähn. Müdigkeit ist gefährlich, sie macht ähnlich unkritisch wie kiffen. Es hat sich ein Bundestagsabgeordneter, obendrein einer, den seine Partei nie auf einen ‘sicheren Listenplatz’ gesetzt hätte und der gegen die “Großen” aus der Koalition regelmäßig ein Direktmandat holt, also ein Wissen und Gewissen erlaubt. Das ist das, was woanders die Fraktionsvorsitzenden mit der Kelle auf die Nickelemente verteilen, die dafür eine Abgeordnetenentschädigung bekommen. Eine, die “Diät” genannt wird und darunter noch eine, die dann auch so heißt.

Ströbele hat nicht nur den Kopf geschüttelt, sondern gleich die Hand eines Verräters an der transatlantischen Wahnidee, Feind des Bündnisses, dessen gleichnamiger “-fall” ursprünglich dem Weltkrieg vorbehalten war, inzwischen aber die Lizenz zum freigeistigen Töten aus niederschwelligen Motiven bedeutet. Der friedensnoble Oberbefehlshaber verschwendet sein stolzes Talent keineswegs durch übertriebene Preiswürdigkeit.

Im Rahmen dieses Dauerbündnisfalles haben sich inzwischen Geheimpolizeien in den verbündeten Staaten zum weitgehend unabhängigen Management von Terror, Gewalt und Erpressung entwickelt, wovon man lieber nichts wissen will. Schließlich haben die geheim operierenden ‘Dienste’ ein Allerlei an Information zusammengetragen, mit dem sich vermutlich jeder Diätennehmer, der nicht schnell genug oder an der falschen Stelle nickt, zur baldigen Besserung bewegen lässt oder gar zum Ausscheiden aus dem Amt.

Alt, unabhängig, extrem gefährlich

Ein Geschmäckle davon, den faden Aufguss solcher Praxis, erleben wir in diesen Tagen, präsentiert von den üblichen Verdächtigern aus Springerpresse und der staatlichen Erpresse aus der Finsternis. Ausdrücklich beruft sich der Hetzerverlag auf Geheimdienstkreise, als seine Schreibtäter Ströbele mit dem (bösen!) russischen Geheimdienst in Verbindung bringen. Erst heißt es, der FSB habe das Treffen arrangiert, dann heißt es, er habe es nur beobachtet. Wie auch immer: Die waren dabei, woraus der Leser folgern soll: Ströbele, der olle Terroristenanwalt und sowieso der Agent Snowden arbeiten für den Feind!

Das klingt nicht nur halbherzig, es schmeckt nach kalter Asche. Das ist die Routine der Verleumdungsmaschine in diesem Land, aber Ströbele ist kein Wulff und schon gar kein ehrgeiziger Hinterbänkler, der vor der erhobenen Hand kuscht oder für ein Leckerli Männchen macht. Er ist alt und unabhängig, eine furchtbare Mischung für Strippenzieher. Die lassen das nicht einfach durchgehen, zeigen daher launig die Instrumente und stehen nun vor der Entscheidung, ob sie sich jetzt clever still verhalten oder das ganz große Fass aufmachen sollen.

Für einen Augenblick kann man im Scheitern beobachten, was sonst meist gelingt – und bekommt eine Ahnung davon, welche Rolle die ‘Dienste’ und ihre ‘Informationen’ im Bund mit den Medienkonzernen spielen. Ströbeles Coup macht ihn womöglich aber noch gefährlicher, denn er verfügt sicher über Informationen, die er nicht preisgeben durfte, solange er sie als Geheimnisträger erhalten hat. Was er durch Snowden weiß, ist hingegen seine Sache. Ich wünsche ihm gute Gesundheit und allseits unfallfreie Fahrt.

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