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Oktober 2012


 
priv

Ich traf heute auf eine “Presseschau” in einer Tageszeitung. Wie herrlich überflüssig, dachte ich mir, zusammenzufassen, was alle die schreiben, die dasselbe schreiben wie die, die über jene schreiben. Zwölf Formulierungen desselben beim Autor der dreizehnten. Dabei ist das schon eine Leistung, denn wie oft lese ich auch noch denselben Wortlaut, weil ohnehin nur Agenturmeldungen abgeschrieben werden. Das müsste doch auch eigentlich den Verfassern solcher “Presseschauen” auffallen. Nicht? Dass überall dasselbe steht?

Zur Bestätigung der Bestätigung wird dann also zitiert. Hier und da werden dann Simulationen von “links” und “rechts” eingestreut – “rechts” wird übrigens niemand genannt, das sind alles “Konservative” – in der berechtigten Hoffnung, dass der Leser dumm genug ist, diese Kategorien zu übernehmen. Neulich sprach jemand in vollem Ernst die mir seit Jahrzehnten bekannten Worte: “Der ‘Spiegel’ ist mir zu links”. Man sagt das offenbar so wie “Guter Rat ist teuer” oder “Hier regiert der S Null Vier”. Es ist unabhängig von Inhalt und Bedeutung, ein Plappern und Zwitschern, das schon immer so war. Während die Singvögel inzwischen Handyklingeltöne gelernt haben, verblödet die angebliche Belesenheit zusehends und schützt sich vor intellektueller Überforderung durch ständige Wiederholung.

Plappern und Zwitschern

Niemand prüft irgend etwas, die ‘Kategorien’ sind selbst schon Simulationen. Wo es früher eine Schublade gab, findet sich heute eine Klappe, die sich nicht einmal mehr öffnen lässt. Nur die Aufschrift ist noch da. So kommt es, dass zum Beispiel ein Jakob Augstein die inkarnierte publizistische “Linke” darstellt. Der “Spiegel”, der es ja wissen muss, weil dort einmal sein Ziehvater wirkte, hat das so festgelegt: “Im Zweifel Links”, was nicht einmal so falsch ist, denn Zweifel kennt der Mann ja keine. Der Leser merkt sich also: Augstein links! Man hätte doch auch Fleischhauers Tiraden den “kleinen Stürmer” nennen können oder “Wo’s braun wird, rechts ab”, das wäre vielleicht ein Hinweis gewesen. Stattdessen gilt das dort inzwischen als “Mitte”. Von da aus ist Augstein dann auch wieder links und die Welt in Ordnung.

Was will ich mit einer Mainstreamschau im Mainstream? Nun mag man fragen: “Was will der Mann dann?”. Streit will der Mann! Der unerträgliche Einheitsbrei, die Industrie der Alternativlosigkeit, kann sich nur noch erregen, wenn irgendwer ein Empörungspüppchen hochhält und zum Beispiel dem Papst Pissflecken auf die Kutte montiert oder wenn eine Fußballmannschaft einen schlechten Tag hatte. Dass aber inzwischen noch ein Journalist dem anderen, ein Blatt dem anderen, ein Sender einer Zeitung die Leviten liest, dass jemand eine wirklich politische Haltung einnimmt, seine Meinung sagt und Kollegen öffentlich wegen deren Meinung angreift, wo gibt es das noch? Das ist also dann der ‘globale Wettbewerb’, wenn sich alle einig sind und “Links” und “Rechts” sich zur Redaktionssitzung mit Bussi begrüßen? Verdammte Axt, das ist nicht das, was ich “Pluralismus” nenne.

 
In “junge Welt” erinnert Mario Tal an die Geschichte der staatlich geförderten Nationalsozialisten, die nicht nur die Geheimdienste, sondern auch einen antikommunistisch-faschistischen Untergrund organisiert haben. Vom “Technischen Dienst des BDJ”, der immerhin als rechtsextreme Organisation verboten wurde über “Gladio” bis hin zu aktuellen Ereignissen zieht sich eine braune Spur militanter Geheimzirkel. Immer wenn es heikel wurde, lief der Aktenschredder heiß, was eine lange stabile Tradition hat. Es lässt sich gesichert feststellen: Es hat von Seiten der Bundesrepublik und der US-Behörden eine aktive Unterstützung von Nazis als ‘Bollwerk gegen den Kommunismus’ gegeben, und Spuren sind immer wieder vernichtet worden. Was könnte man Übleres über ‘demokratische’ Geheimdienste sagen?

Besonders übel ist vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass sich hinter solchen Strukturen noch immer sogenannte “transatlantische” Clubs und Zirkel treffen, auf Einladung und unter Geheimhaltung. So etwas ist antidemokratisch bis ins Mark. Die Geschichte zeigt dabei, dass solchen Strukturen zutiefst zu misstrauen ist. Das ficht freilich unsere ‘Volksvertreter’ nicht an. Mitglieder aller neoliberalen Parteien finden sich dort, aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen. Wer vor zwanzig Jahren prognostiziert hätte, dass ein Chefgrüner einmal Mitglied der “Atlantikbrücke” würde, den hätte man eingewiesen. Inzwischen ist der hysterische Antikommunismus bei der immer noch so genannten parlamentarischen “Linken” fest verankert.

Die antikommunistische Front

Vertuschung ist das oberste Gebot im Zusammenhang mit den Aktivitäten von Nazis und ihrer Unterstützung durch die Geheimdienste. Es gibt dazu keine Erkenntnisse, denen man trauen kann, man ist also auf Spekulationen angewiesen. Es stellt sich zwangsläufig die Frage, wie der Rechtsterrorismus in Deutschland, insbesondere im Osten, aufgebaut wurde. Die Strategie, die die Atlantiker und sonstige Antikommunisten immer bevorzugt haben, war der Einsatz und die Förderung Rechtsextremer als Werkzeug gegen die Linke. Lag es daher nicht nahe, die Unsicherheit nach dem Ende der DDR zu nutzen und so viele Jugendliche wie möglich in eine vermeintlich kontrollierte rechtsextreme Szene zu integrieren, um zu verhindern, dass die absehbare Unzufriedenheit und Orientierungslosigkeit in ein trotziges Aufblühen ‘linksextremer’ Strukturen mündet?

Mir erscheint dieses Szenario plausibel. Genau das ist das Problem. Verschwörungstheorien erklären gemeinhin wenig, aber sie sind ein guter Indikator für das, was möglich ist, was man den Herrschaften zutraut. Rassistische Morde sind schon nicht mehr auszuschließen. Ein systematischer Aufbau faschistischer Subkulturen ebenso wenig.

 
may

Es gibt Unpersonen, die aus dem Diskurs verbannt werden, es gibt Schweigen und Vertuschung und es gibt den Umgang des politisch-medialen Komplexes mit Karl Marx. Dem angeschlossen ist auch die Wissenschaft, die aber immerhin noch wissen darf, wer der Mann war. Ich habe auch nichts gegen Stéphane Hessel, nicht einmal dagegen, dass er von einer Gazette als Väterchen verbrämt wird, aber “Vater der Kapitalismuskritik” ist dann doch ein Schuss Richtung Eckfahne. Rechte Eckfahne.

Ich bin selber immer bemüht, so wenig wie möglich mit Marx zu argumentieren. Das liegt zunächst daran, dass ich gern im Kontext bleibe und nicht immer das Besserwissen von außen her holen will. Dann liegt es bekanntermaßen daran, dass mir zu viele Marxisten zu sehr auf die Murmeln gegangen sind und schließlich daran, dass es ja reicht ihn zu zitieren, wenn es nicht mehr anders geht. Diese Gelegenheit wiederum findet sich allzu häufig in den Scheindebatten um die Rettung des Kapitalismus. Warum übrigens nennt man Herrn Hessel nicht dessen “Retter”, wo er ihn nur an der Oberfläche ‘kritisiert’, um ihn gegen alle Wirklichkeit zu verteidigen? Was ist das für eine “Kritik”, die sich keinen Schritt über die gegebenen Verhältnisse hinaus wagt?

Die gute alte Zeit

Hessel spricht von einer guten alten Zeit nach dem II. Weltkrieg, als “die Wirtschaft stabil war und die Grundbedürfnisse der Europäer befriedigte, eben weil die Märkte reguliert wurden“. Aha, so einfach ist das. Eine Ursache, eine Folge. Wo ist dann die Erklärung für das, was folgte? Plötzlicher Gierausbruch? Gottgewollter Wertewandel? Verführung durch den Antichristen? Oder warum wurde “der Markt” nicht mehr “durch den Dialog zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Staat reguliert“, die “vernünftige Begrenzung der Bereicherung” aufgehoben? Womöglich durch die plötzlich einbrechende “Globalisierung”?

Letzteres ist die neoliberale ‘Erklärung’, die Marx bekanntlich schon 1848 zurückgewiesen hat. Warum wurden die Gewerkschaften so geschwächt, alles korrumpiert, was sich der Entwicklung hätte in den Weg stellen sollen, wieso erodierte die staatliche Regulierung der ‘Märkte’ in solchem Ausmaß? Wer Marx gelesen und verstanden hat, kennt das Problem des Kapitals, langfristig Profite zu erzeugen. Es stößt in der realen Wirtschaft auf Grenzen, ab denen die Profitraten marginal werden. So marginal, dass sich Investitionen nicht lohnen und Zinsen nicht mehr erwirtschaften lassen. Sobald also mehr oder weniger zufällige technische Neuerungen, die Produktion und Konsum erheblich steigern, ausbleiben, kollabiert das System zwangsläufig.

The Show must go on

Der Ausweg in die sogenannten “Kapitalmärkte” und die mittelfristige Steigerung der Renditen durch globalen Lohnabbau war der einzige und letzte Weg. Das ist eine Erklärung, und eine bessere habe ich bis heute nicht gehört oder gelesen. Geschweige denn hätte jemand eine Idee, was denn mit dem ganzen Kapital passieren soll, wenn man die “Märkte reguliert”. Ebenso wenig hat jemand eine Erklärung, wie eine Marktwirtschaft aussehen soll, die von Staats wegen so kontrolliert wird, dass unabhängig von den möglichen Profiten vorgegebene Grenzen eingehalten werden. Das wäre nämlich tatsächlich der Staatssozialismus, vor dem die FDP solche Angst hat. Dann lasst uns bitte darüber reden, ob wir den wollen. Er scheint ja immerhin besser zu sein als der Kapitalismus je werden könnte.

Aber nein, die Show muss weitergehen. Es soll und muss und darf nur eine “Marktwirtschaft” sein, eine “soziale”, in der die Sonne im Westen aufgeht. So sieht sie aus, die ‘Kapitalismuskritik’, die diskutiert werden darf. Ihre Väter, Kinder und Enkel sind allesamt Kapitalisten.

Einfach mal einen Tag lang von sich selbst in der dritten Person sprechen (Vor- und Zuname nennen!). Die sparsame Mimik der Gesprächpartner für Bewunderung halten. Dann um wichtigen Posten bewerben. Ihre Chancen waren nie so gut.

 
bverfsal

Die Echternacher Springprozession heißt so, weil der Fortbewegungsmodus der dortigen Veranstaltung vorsieht, erst zwei Schritte vor zu gehen, dann einen zurück und so fort.
“Salamitaktik” nennt sich das Spiel, eine Strategie scheibchenweise umzusetzen, damit das nicht so auffällt. Dabei wird jede neue Scheibe mit dem Versprechen serviert, das sei jetzt auch ganz sicher die letzte.

Uns doch wurscht

Letzteres kennen wir seit langem beim Abbau der Bürgerrechte. Hier wird eine Maut eingeführt, nur für LKWs und nur für das Kassieren einer Gebühr. Dann wird das System zur Überwachung eingesetzt, als nächstes eine PKW-Maut eingeführt, natürlich nur für die Gebühr, vorläufig …; Dort wird die Überwachung von Telefon und Internet verschärft, natürlich nur gegen schwerste Kriminalität wie Terrorismus oder das Abschlachten von Säuglingen. Dann wird das ausgeweitet auf ‘organisierte” Kriminalität, die immer weiter ausgelegt, bis schließlich auch der Download urheberrechtlich geschützter Dateien irgendwie ‘organisiert’ ist und der 12-jährige Fan ein Schwerstkrimineller.

Gegen solche Mittel einer Diktatur, aus diktatorischer Gesinnung für diktatorische Überwachung, gibt es ein Hindernis, das den antidemokratischen Scharfmachern aus dem Zirkel der “inneren Sicherheit” häufig im Wege steht. Es handelt sich dabei um das Grundgesetz, dessen Schutz das Bundesverfassungsgericht trotz permanenten Beschusses noch nicht ganz aufgegeben hat. Wie wir wissen, ist aber die Abschaffung, Aushöhlung und Pervertierung der Verfassung per Gesetz kein strafbewehrtes Delikt, sondern anerkannter Sport, der bald olympisch werden dürfte. Jedenfalls wenn es alle so treiben wie die Bundesregierungen und viele ihrer westlichen Partner.

Was hinten rauskommt

Die Echternacher Salamitaktik geht dabei so: Es wird ein Gesetz auf den Weg gebracht und mit der Zustimmung willfähriger lobbygepäppelter Abgeordneter durch die Parlamente gebracht. Jemand, der lesen kann, klagt dagegen beim BVerfG und erhält – inzwischen selbstverständlich – Recht. Das Gesetz wird für null und nichtig erklärt, die Regierung beauftragt, ein neues auf den Weg zu bringen. Diese liest das Urteil aufmerksam und verfasst in einem neuen Verfahren einen Entwurf, der die vom Gericht zurückgewiesenen Teile drastisch verschlimmert. Dieses Gesetz wird dann kassiert, es folgt ein neuer Auftrag usw..

Ein virtuos gespieltes Stück aus dieser Staatsoperette haut uns die Bordkapelle Merkel zwei derzeit um die Ohren, dass diese nur so wackeln. Das Falsetto, das den Karl-Heinz Pawla-Gedächtnispreis für besonders dreistes Koten in hoheitliche Akten verdient, bewertet Udo Vetter angemessen. [via daMax] Wenn das Abschöpfen intimer Daten unter Richtervorbehalt nur in Grenzen möglich ist, was macht man dann? Genau: Den Richtervorbehalt weglassen, dann ist das ja unbegrenzt erlaubt. Logisch.

 
merkgreMissis Mop notiert die außerordentliche Beliebtheit der Kanzlerin und ihrer Deutschen im Rest Europas, die nicht völlig zu Unrecht besteht. Dass Frau Merkel den Faschismus in Südeuropa erheblich fördert, ist dabei wie wir wissen ein Kollateralschaden. Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag hat ihr bescheinigt, sie sei ganz sicher keine Faschistin. Das war nötig geworden, weil die Linken sich des Vorwurfs erwehren mussten, sie hätten sich mit solchen solidarisiert, die wiederum mit denen solidarisch seien, die Merkel mit Hakenkreuzen in Verbindung brachten.

Abb.: Ausschnitt aus der griechischen “Demokratia”

Wohlgemerkt ist es nicht das Thema deutscher Außenpolitik, wo die faschistischen Parteien zweistellige Zuwächse haben und was mit einer deutschen Außen-, Wirtschafts- und Außenwirtschaftspolitik zu tun haben könnte. Vielmehr wird schon die Möglichkeit der Möglichkeit einer Verbindung von Europas Miss Brüning 2.0 mit einer gewissen Folgeerscheinung unter Acht und Bann gestellt. Höchstens ein bisschen an frühere Besatzungen erinnern dürfe man, wenn man Linker ist oder Grieche, so der Linke. Aber auch nicht so. Aha.

Die Deutschen können sich auch diesmal herauswinden, denn sie waren und sind ja zu zwei Dritteln im Widerstand. Nur eine Minderheit hat Frau Merkel gewählt. Na gut: Was die anderen mitgewählt haben, hat dann zu zwei Dritteln dem ganzen Desaster zugestimmt, einschließlich aller ‘Experten’, unter dem Druck und dem Jubel der Medien, der Zustimmung der Wählerinnenundwähler® und lautem “Mein Geld gehört mir, mein Euro bleibt hier!” – Getöse, überparteilicher Herabwürdigung “der Griechen” und anderer “Faulpelze” sowie euphorischer Zustimmung zu unmenschlicher Härte gegen jedermann.

Härte ist unsere Pflicht

Derweil werden die Mauern hochgezogen gegen Einwanderer, “Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan”, weil Frontex noch nicht genug ist. Dies trifft hauptsächlich Sinti und Roma, die man von ‘Partner’ Ungarn ja auch schweigend internieren lässt und dem, Verzeihung, faschistischen Terror überlässt. Ich male auch ganz sicher keine Hakenkreuze, aber das tun die fleißigen Helferlein dortselbst dort selbst. Nicht aus Protest übrigens, sondern weil sie das gut finden. Sie sprechen von der “Befreiung Ungarns von der Zigeunerkriminalität“. Darf man das wenigstens “Faschismus” nennen?

Das alles ist weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich. Das ist Faschismus, der über das Anfangsstadium hinaus gewachsen ist. ‘Damals’ gab es den übrigens auch nicht nur in Deutschland. Nein, Frau Merkel ist nicht Hitler, und selbst der war austauschbar. Frau Merkel ist eine devote Dienerin des Kapitals, die keine Gnade kennt und kein Abwägen. Sie dient auch keinem nationalen Interesse, ihr geht es um ‘globale Wettbewerbsfähigkeit’. “Die Würde des Menschen” wird von ihrer Stabilitätspolitik nicht berührt. Sie muss lediglich wichtigeren Aufgaben weichen. Darin sind sich die Wichtigeren im internationalen Geschäft völlig einig. Es gibt also keinen Grund, als Deutscher besonders stolz zu sein. Wir tun nur unsere Pflicht.

Ich hatte zuletzt zu dem Thema geschrieben: “Es geht um nicht weniger als die Zerstörung von Arbeit als Prinzip, das Leben (“verdienen”) und Identität (Stolz) spendet.” Ich möchte das an dieser Stelle noch einmal vertiefen, aus gegebenem Anlass und weil die Lösung vom Begriff des Arbeiters und seiner Arbeit für soziale Alternativen entscheidend sein könnte. Wenn ich an dieser Stelle “Begriff” sage, geht es nicht um ein Wort, um Haarspalterei, sondern es geht ganz selbstverständlich um das, was mit dem Begriff verbunden ist, sowohl die gesellschaftliche Wirklichkeit als auch die Konnotationen. Wer “Arbeit” sagt, meint etwas, von dem er vielleicht gar nichts weiß.

Ich werde mich mit einigen dieser Konnotationen befassen, die man erst einmal loswerden muss, wenn man über eine zukünftige Gesellschaftsorganisation verhandeln will. Es wird nämlich nicht reichen, plakativ “Lohnarbeit” abschaffen zu wollen, wenn das ganze Drumherum bestehen bleibt. Wer das ändern will, muss die Säge tief ansetzen. Eine der großen Illusionen, die in beinahe jedem Kopf von rechts bis links und reich bis arm steckt, ist die Mär vom Fleiß. Wer viel arbeitet ist fleißig. Fleißig sein ist gut. Wer fleißig ist, verdient etwas. Er verdient mehr als jemand, der weniger fleißig ist.

Die Tugend der Sklaven

Diese scheinbar völlig selbstverständlichen Weisheiten haben eines gemeinsam: Sie sind durch und durch grundfalsch. Nichts daran ist wahr. Fleiß ist eine jener ‘Tugenden’, die in einer Sklavengesellschaft den Unfreien zugedacht ist. Wer sich selbst knechtet, mehr noch als die Herrschaft es verlangen würde, gilt als tugendhaft. Diese Grundmoral der Ausbeutung ist ein Herrschaftsinstrument, dass darum den eben Herrschenden schlicht nützt. Seine Übernahme als Ideologie der “Arbeiter” selbst, grenzt an Irrsinn. Der Arbeiter, der stolz ist auf seine Arbeitsleistung, ist ein Sklave, der seine Unterwerfung vollständig verinnerlicht hat.

Dem zur Seite steht mit dem Vehikel “verdienen” die nächste ideologische Allzweckwaffe. Wer fleißig ist, “verdient”. Im Endeffekt bedeutet dies nicht ein Recht, sondern die moralische Pflicht zur Unterwerfung unter das Lohnprinzip, dies wird ja ausdrücklich politisch so formuliert: “Wer nicht arbeitet, muss auch nicht essen”. Eine Pflicht, die unausgesprochen natürlich den Profiteuren nicht obliegt. Wer reich ist, muss seine Existenz nicht rechtfertigen. Mit zynischen Sprüchen wie “Jeder kriegt, was er verdient”, wird der Status Quo für “gerecht” erklärt. Abhängige, die am selben Ort vergleichbare Arbeit leisten, werden oft nach Stunden bezahlt. Damit wiederum wird die allgemeine Regel ins Gegenteil verkehrt und behauptet, wer mehr arbeite, bekomme auch mehr. Dabei gilt für die Verteilung via Arbeit dasselbe wie für Verteilung allgemein: Wer reich ist, bekommt mehr.

Der Schnellste im Hamsterrad

Arbeiterparteien und ihre Nachfolgeorganisationen gehen diesem Unsinn nach wie vor auf den Leim und stricken fröhlich mit an der Legende vom Fleiß. Sie tun es, indem sie teils ebenfalls behaupten, teils einfordern, dass mehr Fleiß zu mehr Wohlstand führe. Dies war aber nie der Fall, nie vorgesehen und ist auch schlicht sinnlos. Letzteres u.a. deshalb, weil zu allen Zeiten unterschiedliche Arbeiten unterschiedlich bewertet wurden und weil es hieße, dass mehr Arbeit, die zu weniger Erfolg führt, besser wäre. Haben technische und wissenschaftliche Entwicklungen zu einer immensen Produktivität geführt, damit alle möglichst viel arbeiten? Wo ist da der Sinn? Fleiß ist allein deshalb kontraproduktiv, weil Intensität, Tempo und Menge in produktiven Prozessen sich nicht nach den überschüssigen Energien Einzelner richten können, weil die vielleicht gerade auf Koks sind. Fleiß ist Unsinn.

Im nächsten Text zum Komplex werde ich mich mit dem Problem der Aneignung beschäftigen, die in keinem logischen Zusammenhang mit Arbeit steht, dennoch aber flächendeckend damit in Verbindung gebracht wird.

 
Was die Presse sich da wieder zusammengurkt, ist schwer zu ertragen. Vor allem die Rechten von Springer bis “Spiegel” schütteln sich in Krämpfen des Versuchs, Romney Chancen anzudichten, die er nicht hat. Ähnlich wie bei der letzten Wahl, als deren Experten sich völlig sicher waren, dass Hillary Clinton zur Kandidatin gekürt würde.

Ich hege meinerseits keinen Zweifel daran, dass Obama wiedergewählt werden wird und mag hier weder auf Spökenkiekerei noch auf das Zählen von Erbsen und Linsen eingehen.
Wenn Romney gewinnt, mache ich mein Blog dicht.

Da ich gerade bei dem Thema bin, im folgenden zur Ergänzung aus meinem alten Schmöker ein Auszug, der sich mit der Struktur von Filmstories befasst. Fokus ist die kapitalistische Gesellschaft als eine der “Selbstsorge”.

Die Bilder werden passend zur stillen Ideologie produziert. Gefragt sind die Einzelkämpfer. Stereotypen, deren Unabhängigkeit so weit geht, dass sie über jedem Gesetz stehen, vor nichts Angst haben und reuelos töten. Die Einzelnen werden in überhöhten Positionen dargestellt, ausgestattet mit einer Verfügungsgewalt, von der die realen Individuen nur träumen können. Egal, ob Science Fiction, Fantasy, Krimi, Historien- oder Actionfilm, das Schema ist stets das des Einzelhelden oder Führers, der Kraft seiner Macht die Handlung spätestens zum Happy End bestimmt. Was vom Mainstream dann noch bleibt an Darstellung von Zwischenmenschlichkeit, sind Liebesgeschichten, die auf ihre Weise die Stellung der Einzelnen überhöhen und mit den Problemen realer Beziehungen nicht belastet sind. Einzig der Humor kann, in besonders gelungenen Einzelfällen von Komödie, noch Bilder liefern, die mit Realität korrespondieren. Nur in der bewusst gebrochenen Darstellung, dem Witz, ist noch Wirklichkeit.

Wieder breitet sich der Hauch einer Verschwörungstheorie aus: Werden die Einzelnen von der bösen Filmindustrie verdummt und gehirngewaschen? Nein. Zwar ist es völlig richtig, zu sagen, dass sich das System mit Hilfe solcher “Medien” reproduziert, aber das System folgt keinem Machtinteresse Einzelner oder elitärer Gruppen. System ist System ist System. Die Bilder folgen den Bedürfnissen der Einzelnen wie diese den Bildern. Daher lassen sich aus den Produktionen der Kitschindustrie eben auch Rückschlüsse auf den Zustand der Kultur ziehen.

Letzteres sei als Empfehlung in den Raum gestellt. Es liegt mir fern, in einem Zirkelschluss so zu tun, als sei die These von der Einzelkämpfer – Ideologie in zeitgemäßen Filmproduktionen ihr eigener Beweis, weil es so schön zur Behauptung der Tendenz zur Selbstsorge passt. Die These ist an dieser Stelle so unbeweisbar, wie sie anderenorts überprüfbar ist. Es lassen sich beinahe beliebige Beispiele dafür heranziehen: Vergleicht man die Darstellung der Einzelnen und ihrer angewandten Handlungsmacht in den Produktionen mit den Wechselwirkungen zu kollektiven Zwängen und Ansprüchen und vergleicht diese Konstruktionen mit realen Handlungssituationen, wird man feststellen, dass die Rolle des Einzelnen, sein Einfluss auf das System, in dem er sich befindet, in den Produktionen aufs Gröbste überhöht wird. Und man bedenke, dass dieses Schema Anwendung findet in einer Kultur, die ohnehin den Einzelnen sehr viel mehr Handlungsfreiheit gibt als in irgend einer anderen Kultur der Menschheitsgeschichte.

Der Unterschied zwischen den realen Einzelnen und den Filmhelden, das macht das ideologische Moment der Bilder aus, besteht darin, dass der Filmheld Glück hat, wobei er dieses Glück seiner ihm eigenen Macht verdankt, wo reale Einzelne sich im Geflecht fremder Machtansprüche verlieren. Man darf dankbar sein, wenn dieses Schema in Form einer märchenhaften Geschichte präsentiert wird, um den Bezug zur schon seltsamen Sehnsucht der Einzelnen nach dem Ende ihrer Ohnmacht wenigstens zu retten – es ist ja nur ein Traum. Vollendete Verblödung suggeriert, starke Männer könnten reale Probleme durch Gewalt gegen das Böse lösen. Die Wirklichkeit der Demokratie zeigt sich nicht zuletzt daran, dass solche Blödheit nicht mehr dem gegängelten Proletariat vorbehalten ist, sondern längst auch die Mächtigsten befallen hat. Präsentiert sich der Präsident als Cowboy, erheischt man wohl einen kurzen Blick ins Reich der Ideen: Hier kommt die Komik zu sich selbst.

Bemerkenswert am Schema der filmischen Massenproduktionen ist der Ursprung des dort erzeugten Scheins in der Frustration. Figuren, die solche Allmachtsphantasien ausfüllen, derer sich reale Einzelne bedienen, um ihre Ohnmachtsgefühle zu ertragen, haben jederzeit Konjunktur. Der Kampf ums Dasein auf der Leinwand ist existentiell, groß und ein Abklatsch der Mythen. In göttlichen und übermenschlichen Dimensionen wird dort ausgetragen, was im Alltag an der Tücke des Objekts und in den Mühlen der Verwaltung scheitert. Die mannigfaltigen Ursachen der Alltagsfrustration werden nicht benannt oder hinterfragt, sondern die durch sie erzeugte und angestaute Energie wird genutzt, um die Einzelnen an die “Story” zu binden. Leiden und Erlösung werden so zubereitet, dass die im realen Leben Unbefriedigten für eine kurze Zeitspanne entspannen dürfen. So wird noch das völlige Scheitern des Konzeptes “Selbstsorge” triumphal ins Gute gewendet. Dass Unterhaltung so funktioniert, ist nicht als “amoralisch” zu brandmarken. Warum sollte ausgerechnet die Unterhaltungsindustrie dem Guten dienen, wenn das korrumpierte Schöne durstig aufgenommen wird? Der Bezug auf Wahrheit würde solche Fragen aufwerfen. Aber was gilt die Wahrheit im Kampf der Einzelnen? Und ist sie nicht obendrein langweilig?

(2005)

 
odysseus

Odysseus, so heißt es gemeinhin, sei ein außerordentlich kluger und listenreicher Mann gewesen, der ob seiner Klugheit und seines Listenreichtums die mystischen Mächte überwand und derart der aufgeklärten Weltsicht den Sieg über das Dunkel der Mythen beschert habe. Wie so oft ist in dieser quasi offiziellen Lesart einiges durcheinander geraten und das Wichtigste verschwiegen worden. Zum Beispiel dass er noch vor dem Listen- über ganz banalen wirtschaftlichen Reichtum verfügte.

Verfügte wie über die ‘Kameraden’, die keine waren, weil sie nicht gefragt wurden. Ob sie starben, Qualen erlitten oder Abenteuer erlebten, stets standen sie unter Befehl. Ihr Herr legte dabei weder besonderen Wert auf ihre Meinung noch auf ihre Interessen, es ging immer nur um seine. Ihr Erfolg war seiner, alles, was sie bekamen, war das, was er ihnen ließ. Sie waren Lohnsklaven. Ihnen kam die Arbeit zu, ihm der Ruhm und das Vergnügen.

Freiheit in Verantwortung

So zum Beispiel als er vermeintlich die Sirenen „überlistete“. Jedem, der ihren Gesängen lauschte, drohte der Tod. Nichts Genaues weiß man nicht, aber wer sich von ihnen betören ließ, den zog es auf die Insel, der nie jemand lebendig entkam.
Um also in den Genuss des Gesangs zu kommen ohne die Konsequenzen tragen zu müssen, pfuschte er sich durch. Regeln galten nämlich, Mythos hin oder her, für Herrn Odysseus nicht. Sie galten nur für die Lohnsklaven. Denen befahl er also, sich die Ohren mit Wachs zu verstopfen und die Befehle auszuführen, die er ihnen zuvor gegeben hatte. Dazu gehörte das Befolgen der Route und dass sie ihn an einen Mast binden mussten, um ihn bis zu einer bestimmten Stelle zu ignorieren.

Dies übrigens heißt seitdem bei den Herren „Freiheit“. Die einen befolgen die Befehle noch, wenn sie sie gar nicht mehr hören können, die anderen nehmen zwar nicht mehr am Leben teil, nehmen sich dafür aber, gefesselt in der eigenen Habgier, was allen anderen verwehrt ist. Dies ist ihnen gestattet wegen ihrer besonderen Fähigkeiten und Leistungen. Odysseus nannte man dafür (und dafür, dass er im Krieg sehr effizient töten konnte) einen „Helden“.

Ein großer Führer

Was widerfuhr nun dem Helden am Mast wirklich? Die Sirenen zeichneten sich durch das schlechthin komplette Wissen der Welt aus und verliehen in ihren Gesängen den Zuhörern eine Vorstellung von deren wahrer Größe. Hier das Universum – da du. In diesem Schock war bis dahin jeder Amok gelaufen und hatte sich unverzüglich suizidiert. Odysseus aber kam nicht dazu, ihm waren ja die Hände gebunden. Er hörte Dinge wie „Du bist ein Honk, Odysseus, ein Niemand. Jeder deiner Kameraden ist mehr wert als du. Ach was, jedes Schwein steht über dir, lässt es doch nicht andere für sich leben und sterben.

Das erschütterte ihn zutiefst, was er aber wie gesagt mangels Handhabe überlebte, obzwar einen Nervenzusammenbruch erleidend. Nachdem ihn seine ‘Kameraden’ wieder aufgepäppelt hatten, berichtete er ihnen davon, wie großartig das alles gewesen sei – und er selbst natürlich, dass er es wieder einmal geschafft hatte. Seine Großartigkeit ließ dann erst ein paar Kameraden von Seemonstern fressen, dann alle anderen ertrinken, als er aber als einziger Überlebender (vermutlich hatte er sich aus den Überresten der ‘Kameraden’ ein Floß gebaut) die Heimat erreichte, konnte er tolle Geschichten erzählen, die seinen Status als Held und Herrscher festigten. Zur Feier seiner Rückkehr ließ er noch eine Hochzeitsgesellschaft hinrichten und sich daraufhin als großen und gerechten Führer seiner Nation feiern.

Seitdem wird immer wieder versucht, dieser Karriere nachzueifern. Dies gelingt freilich bis heute nur den Besten der Besten der Besten.

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