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Mai 2012


 
Neulich schon hat mich das Wahlergebnis überhaupt nicht interessiert. Heute immer noch nicht. Daher habe ich mir einmal die Wählerwanderung angeschaut, insbesondere die zu den Piraten, weil sie quasi die Genese ihrer Wählerschaft bloßlegt:

SPD:20%
Grüne:17%
Linke:17%
CDU: 13%
Nichtwähler:15%
FDP:9%
Sonstige:9%

Die „Sonstigen“ müssen Aliens sein, eventuell auch Splitterparteien oder Erstwähler. Nicht wirklich überraschend: Die Piraten sind die Mitte der Mitte der Mitte, Sir. Allein der hohe Anteil der Linken sticht heraus; hier dürfte sich aber die Hoffnung auf etwas „irgendwie anderes als die anderen“ manifestieren und nicht der Glaube daran, dass die Piraten Sozialrevolutionäre sind. Und selbst wenn: Die Erfinder von Hartz IV schwafeln in ihrem offiziellen Programm auch von „demokratischem Sozialismus“.

Zweifel, Trotz und Peanuts

Einsteigen hätte ich auch können mit einer Meldung wie “Feynsinn auf 10 Millionen Euro geschätzt”. Selbst unsere vom Geist des Zweifels völlig unbeleckten Systemmedien üben sich im kollektivem Kopfkratzen und tun sich schwer im Glauben an einhundert Facebook-Milliarden. Irgendwo sinnieren sie über “1,4 Milliarden Chinesen”, die dafür von der Datenkrake “vernetzt” werden müssten. Ja sicher, wir leben ja in Zeiten 110-prozentiger Zustimmung, da kann das klappen.

Derweil raten Filz und Muddy Griechenland herunter und sogleich eine Handvoll spanische Banken. Rembrandt? Ägypten? CCC und 100 Milliarden? Im Grunde reden wir hier von Peanuts. Die Ursachen wurden beseitigt, aber nicht die Symptome, was leider die Wiederkehr der Ursachen zur Folge hatte. Widerstand ist zwecklos. Sie werden assimiliert werden.

Sehen Sie doch: 2+2=5! Burks hat den nicht ganz frischen Artikel aus der “Zeit” ausgegraben, nachdem der preislich ausgezeichnet worden war. Er ist zwar stellenweise etwas holprig; etwa der Begriff “Reaktanz”, der mir doch zu nah an der Synonymität zu “Trotz” angelegt ist. Allemal aber interessant ist der Überblick über einige Belege für die Dummheit der Masse. Wussten wir noch gar nicht.

Ein Zitat daraus, das mir trotz seiner verschraubten Konstruktionsfehler gefällt, ist das hier:

Die einzige Haltung, die garantiert jeder Revision standhält, ist vermutlich der Zweifel.

Fehlkonstruiert deshalb, weil der Zweifel selbst die Kraft der Revision ist. Dass der Zweifel eine “Haltung” sein kann, und zwar eine besonders standhafte, ist dennoch eine Aussage, welche die windschiefe Formulierung verzeihen lässt. Ja, das wäre ein Thema höchster Relevanz, das mir ohnehin seit einigen Tagen im Kopf herum geistert und mich zweifeln lässt: Habe ich dazu nicht irgendwo schon alles gesagt? Ist nicht eh schon alles Relevante gesagt?

Eigentlich regiert sie nicht, sie reagiert ja kaum. Keine Gelegenheit aber lässt sie aus, um die interne Konkurrenz auszubooten, kaltzustellen oder abzuschießen. Dass Röttgen durchaus auch an der so überzeugend regierenden Bundes-CDU gescheitert ist, eine Petitesse am Rande. Selten aber hat sich die Bleierne so brutal eines lieben Kollegen entledigt. Der CDU winkt mehr denn je die Implosion, wenn Miss Attila einmal aus dem Sattel fällt. Vielleicht bleibt trotzdem noch einer übrig und wird der nächste Alleinherrscher.

 
blockupIch werde mir ein schönes Wochenende machen, muss eh an Pfingsten arbeiten und reise daher nicht bei rentneruntauglichem Wetter nach Frankfurt. Ist das nicht unsolidarisch? Ich beobachte mit einem gewissen Schmunzeln die gerichtlichen Auseinandersetzungen um die geplanten Aktionen, und da sind wir auch schon mitten drin in meinem Unverständnis. “Geplante Aktion” ist schon nicht wirklich Rock’n Roll, und dieses ewige “Bitte bitte” Sagen der Deutschen ist irgendwie unsexy. Wenn ich ein Bankenviertel lahmlegen will, kündige ich das nicht monatelang an und mache es von keiner Genehmigung abhängig.

Ich weiß nicht, ob es in Deutschland jemals zu einem Bewusstsein kommt, das nicht bei der Wetterkarte endgültig in den Wohlfühlmodus schaltet und bis dahin durstig aufgesaugt hat, was es morgen zu denken hat. Eine massenhaft verbreitete Einsicht in die Verhältnisse dergestalt, dass die Menschen wissen, dass, wie, warum und von wem sie vereimert werden. Ein Unbehagen, das sich von Zweifeln nährt, sich nur durch Information kurzfristig beruhigen lässt und daraus folgend selbsttätig nach Aktion schreit. Dann nämlich wäre der Punkt erreicht, an dem die Banken erzittern könnten. Das müsste dann auch niemand mehr ankündigen oder genehmigen, weil die Menschen sich das gar nicht verbieten ließen.

Uns geht’s gut

Wenn Polizisten sich fragen müssten, auf wessen Seite sie stehen, wessen Rechte sie schützen sollen, was Demokratie und Rechtsstaat bedeuten, auf die sie vereidigt sind und wer die öffentliche Ordnung wirklich gefährdet, das wäre eine Lage, in der man sich mit den Banken anlegen könnte, ohne am Ende eine Demonstration der Schwäche abzuliefern. Hat irgendwer in den Marmorhallen Angst vor den Protesten? Nein? Dann taugen sie wenig. Ich will den Campern, Organisatoren und Protestlern gar nicht nachsagen, ihr Engagement sei überflüssig, falsch oder sonstwie abzulehnen. Sie sollten nur nicht den Fehler machen zu glauben, sie könnten in dieser Form damit Erfolg haben.

Viel zu wenige interessiert der ganze Karneval überhaupt. Diejenigen, auf die es ankäme, stellen nicht einmal einen Zusammenhang her zwischen den Banken, dem Protest und ihrem eigenen Leben. Geschweige denn wären sie schon auf dem Weg, sich über die Zustände in der Welt zu empören. Ihnen geht es gut. Sie vertrauen der Kanzlerin. Sie verstehen nicht einmal ansatzweise, was es hier zu protestieren gibt. Okay, dass die Banken Fehler gemacht haben, das wissen sie. Aber jetzt wird ja alles geregelt. Und wenn wir nicht mehr über unsere Verhältnisse leben, kommt auch das Wachstum wieder. Das ist der Informationsstand. Gegen den würde ich gern protestieren.

 
pferd

Sie ziehen lange keine Loren mehr, die Pferde an der Ruhr. Ausgemustert wie die anderen Traditionen, die Kumpel und der Norbert, fristen sie ihr tristes Altenteil auf einer abgelegenen Wiese, verlassen und vergessen. Ab und an verirrt sich ein Spaziergänger in der Gegend, auf der Suche nach Arbeit und Brot. So mancher wird sich umschauen und einen kurzen Gedanken wagen an rheinischen Sauerbraten. Wenn der Zossen nicht schon zu zäh ist und eh vom Staub ganz trocken.

feld

Grünrote Landschaft: Die Zäune stehen noch, rund ums Brachland, wo früher Weiden im Saft standen und Äcker von fleißiger Hand durchfurcht wurden. Es lohnt sich nicht mehr. Aus Stadt und Land fliehen die Jungen, die Alten können nicht mehr als ihre Schrebergärtchen bewirtschaften. Wäre der Boden nicht belastet mit Schwermetall und Industriestaub, man könnte Gefallen finden an der Landschaft. Doch das scheinbare Idyll trügt.

verbot

Was auch immer hier wächst, die Leute aus dem Kohlenpott haben wenig davon. Hieß es früher “Willste übern Rasen laufen, musste dir ein Grundstück kaufen”, so singt der Volksmund heute: “Egal wohin ihr lauft, ist alles schon verkauft”. Selbst die letzte Brache, die hinterste von Bergschaden vernarbte Parzelle, gehört unbekannten Grundbesitzern. Was ehedem die Lehen derer von Bohlen und Halbach waren, gehört heute der Bank. Die Schilder erinnern an längst vergessene Phänomene. “Kinder”, so hießen früher die jüngsten Menschen hier. “Eltern” waren ihre biologischen Vorfahren. Aus Haftungsgründen verzichtet man heute auf solche “Elternschaft”.

balk

Daher ziehen sie sich zurück, machen sogenannte “runde Tische” und fressen ihren Pferden das Futter weg. In den Abendstunden sitzen sie gern beim Schein von Öl- und Wachslampen vor dem Haus. In diesen Tagen, da der Frost auch Ende Mai durch die Nächte kriecht, müssen sie sich warm anziehen. Mehr als die Kaltmiete ist nicht drin, und offenes Feuer hat die Landesregierung verboten. Diese Region hat mehr verdient als unser Mitgefühl. Fördern Sie die Künstler des Ruhrtals, schreiben Sie den Urhebern des Elends!

 
wahlfyIch nehme an, man erwartet von einem politischen Blogger eine Stellungnahme zum Wahlausgang? Es ist nicht statthaft, sich angewidert und leicht deprimiert zu verkriechen? Nein?

Also gut. Fangen wir mit diesem Lindner an, seinem Stamme Nimm und den hohlen Früchten, die das gewählt haben. Neiiin, der ist ja soo nett! Und der muss ganz ganz wichtig sein, der war nämlich jeden Tag im Fernsehen. Morgens, mittags und abends. Dann wähle ich den mal.

Aargh! Man kann sich nicht nur verlassen auf die Dummheit der Menschen und ihre völlige Unfähigkeit, Lügen oder Propaganda zu erkennen, man kann sich inzwischen auch darauf verlassen, dass sie reichlich und ungehemmt damit eingedeckt werden. Der Triumph einer unglaublichen Manipulation durch pure Präsenz dürfte einmalig sein in der Geschichte des Landes. Vielen Dank für die Wiederbelebung der Splitterpartei durch ihre Freunde in den Etagen. So blieb uns das korrupteste Stück erhalten, das man in der Politik kaufen kann. Ich baue ein Hotel in der Schlossallee.

Ein Loch ist im Eimer

Wäre der Eimer nicht längst voll, hätte er noch ein bisschen für Sylvia Löhrmann aufnehmen können. Die schon wieder in ihrer ersten Reaktion der SPD gratuliert hat. Frau Löhrmann braucht keine Einführhilfe, sie kennt sich bestens aus. Frau Kraft kann mit ihr Tennis spielen, Schlitten fahren und sogar Schwimmen gehen. So etwas kann ich nicht analysieren, da kommen mir die Wortstämme durcheinander.

Wie ich zuletzt sehr intensiv wahrgenommen habe, kommt es vielen auf die Personen an. Neulich schrub ich bereits, dass das nicht klug ist, weil der Ton eigentlich nicht so wichtig ist, in dem die bizarren Ankündigungen vorgetragen werden und das Gesicht auch nicht. Perfekt ergänzt wird das Spiel aber durch die andere Fraktion der Kreuzchenmaler. Die nämlich, denen alles egal ist. Egal? Hauptsache nicht so wie die anderen? Dafür gibt es doch jetzt diese Piraten, die nehm’ ich! Herr, misch’ Hirn ins Treibholz!

Und dann die Linke. Ihre Klientel ist weitgehend so frustriert und derart bedient, dass sie gar nicht mehr wählt. Hat ja doch alles keinen Sinn. In dieser Depression werden sie nach Kräften bestärkt von einer Bundespartei, die sich die beiden abgefahrensten Freaks aus der Muppetsshow ausgesucht hat, um potenziellen Wählern den Rest zu geben. Die abgehalfterten Führern Geburtstagskärtchen schreiben und rhetorisch so virtuos unterwegs sind wie eine Mischung aus Günther Oettinger und Edmund Stoiber.

Danke für den Fisch

Die Landespartei befehdet sich erst bis aufs Blut und findet dann öffentlich nicht mehr statt. Und die Medien haben ihren Spaß daran, genau das nicht zu ignorieren, was zwar irrelevant, aber höchst erregungsfähig daherkommt. Was müssen diese Leute für schlechten Sex haben, wenn ihnen sowas gefällt?

Ist das eine Ödnis, in der ich mich nicht einmal über das wohlverdiente und völlig angemessene Wahlergebnis der CDU freuen kann! Eine demokratische Wahl hat stattgefunden. Ich glaube, das ist nichts mehr für mich.
Bitte führen Sie mich nicht zu Ihren obersten Repräsentanten! Niemals! Auch mit dem Rest Ihrer Spezies möchte ich bitte keinen weiteren Kontakt haben. Ich werde diesen Planeten sofort wieder verlassen. Sobald ich einen verdammten Lift kriege.

“Vulgär”, so definierte wenn ich mich recht erinnere einst Adorno, bedeute “auf Seiten seiner eigenen Entwürdigung stehend”. In diesem Sinne immer vulgärer wird die deutsche Journaille, die sich zu einem Verband Nützlicher Idioten entwickelt. Mit der Vergabe des “Henri-Nannen-Preises” an die “Bild” für ihr heuchlerisches Spiel mit Christian Wulff ist ein Niveau erreicht, das sich nicht mehr unterbieten lässt. Eine “Investigation”, die in jahrelangem Ranwanzen und Hochjubeln sowie dem final intriganten Absägen besteht, ist eher einen Marcus Iunius Brutus-Preis wert. Ich schlage vor, man benennt den klebrigen Weihrauchtopf des “Qualitätsjournalismus” um, in “Gerd-Heidemann-Preis”. Das träfe es besser und steht in derselben Tradition.
Glückwunsch an Hans Leyendecker und die SZ-Crew, die sich dafür wenigstens zu schade sind.

 
bibFrüher waren Aufrufe vom Künstlern und Schriftstellern ein Korrektiv der Politik. Sie standen meist links vom Mainstream, waren besser informiert als die meisten Bürger, ihre Motive Solidarität und eine demokratische Gesinnung. Was die Blindgänger der empörten “Urheber” anbetrifft, so weht der Wind von der gegenüberliegenden Seite. Sie haben zwar ganz offenbar keine realistische Vorstellung von der aktuellen Entwicklung in Technik und Medien, machen sich keine Mühe, ihre Ansprüche gegen die Zukunft der Bürgerrechte abzuwägen und bringen nicht einmal das Bewusstsein auf, dass die unter Vertrag stehenden Autoren nicht alle sind, die kreativ arbeiten. Eines aber ist für sie unantastbar: Ihr Eigentum. Ganz im Sinne neoliberaler Propaganda nach Art der INSM identifizieren sie dieses obendrein mit “Freiheit”.

Abb.: Antiker Verbrecher – Urheberrechtsverletzer auf frischer Tat

Das Niveau solcher kapitalistischer Manifeste kennen wir aus Talkshows und Kampagnen wie “Sozial ist, was Arbeit schafft”. Für diese Halbgescheiten gilt demnach “Kunst ist, was uns Geld einbringt”. Die angeschlossenen Kampagneros ihrer Verwerter erklären über ihre Verkündungsorgane derweil, warum die Argumente der Gegner alle falsch seien, zum Beispiel, dass die Interessen der Verlage die Interessen der Künstler seien. Lesen die das eigentlich? Sehen sie sich also als Mehrwertproduzenten? Damit könnte ich wenigstens arbeiten. Am Rande bemerkt: Ich habe die FAZ aus den Favoriten geworfen, deren Agitprop in der Sache meinen Verstand beleidigt.

Die Tradition von Aufrufen und Resolutionen von Künstlern war das Einschreiten für Humanität und Fortschritt. Die “Urheber”- Hanswurste machen einen Aufstand ihrer Kasse wegen und um des Erhalts überkommener gesetzlicher Bestimmungen. Überkommen nicht wegen moralischer Ansichten, mit denen ich diese Gierhälse gar nicht konfrontieren möchte. Überkommen schlicht wegen der Unmöglichkeit eines “Weiter so!”.

Freiheit ist Eigentum

Es geht nicht. Der Preis der Kontrolle von ‘Vertriebswegen’ und der Verfolgung Kriminalisierter würde die Gesellschaft fundamental ändern. Sie würden sich wundern, wieviel “Freiheit” da noch übrig bliebe. Es geht nicht – wie naiv! – um die Frage, ob bald allen alles gehört, sondern welche Veränderung man hinnehmen will und welche nicht. Ob man die Zukunft gestalten will oder den Besitzrechten totale Priorität einräumen.

Die da so krakeelen, das sind übrigens die, die drin sind. Deren Verlage uns hier draußen schreiben, dass wir nicht “ins Verlagskonzept passen”. Die hemmungslos – siehe Hegemann – die wirklich freien Autoren abschöpfen, um sich zu bereichern. Die freie Journalisten bis aufs Blut aussaugen und zum Berufswechsel zwingen. Die ihre Leser verachten und immer miesere Qualität servieren, weil diejenigen, die freiwillig zahlen, ihnen in Scharen davon laufen und denen nichts anderes dazu einfällt als Leute rauszuwerfen.

Überall stellen sie ihre Zollhäuschen auf, wollen hier noch etwas abgreifen und dort noch mitkassieren. Alles, was ihnen dabei entgeht, rechnen sie als “Schaden” auf. Derweil wird ihnen dieselbe Legitimität zugebilligt wie allen anderen Halsabschneidern. Was macht man da? Na klar: Eine Anzeigenkampagne. Die Liste der Willigen werde ich mir jedenfalls kopieren. Sollte mir je einer dieser Kapitalkünstler als “Intellektueller” untergejubelt werden, haue ich ihm diese Bankrotterklärung um die Ohren.

Ich hatte mich ja eh schon gefragt, welche Gespenstergeschichten sie uns noch unterjubeln würden und ob als nächstes vielleicht die mit Explosivstoff getränkte Schambehaarung käme, die folgerichtig am Flughafen entfernt werden muss. Unterhosenbomber! Auf so einen Schwachsinn muss man erst mal kommen. Ja und wer kam wohl darauf?
Verschwörungen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

 
brainpipeGibt es eigentlich noch Wissenschaften? Und wenn es die gibt, tragen sie noch etwas bei zu Bildung, Alltag und Wirklichkeit? Mir fallen auf Anhieb eine ganze Reihe von Leistungen ein, die ich den (Geistes-)Wissenschaften abverlangen möchte, die sie aber nicht annähernd erbringen.

Zum Beispiel eine aktuelle Analyse der Beziehungen von Entscheidern und ihren Einrichtungen. Als sei es nicht wichtig, etwa die Verflechtungen diverser Körperschaften aufzuzeichnen. Wer ist wie mit wem verbunden? Ministerien, Dienste, Konzerne, einflussreiche Personen, Medienhäuser et cetera. Oder auch nur einmal die Finanzbranche: Wer hat wann für wen gearbeitet, wohin gewechselt, aus Vorständen in Aufsichtsräte, in Ratingagenturen und dann womöglich in eine Regierung? Wo ist das politikwissenschaftliche oder soziologische Institut, dass solche Arbeit leistet?

Wo ist das germanistische Institut, das die Verschlagwortung ganzer Kulturbereiche und der Wirtschaft untersucht, das Veränderungen in der öffentlichen Semantik untersucht, nachweist, einordnet? Wo das psychologische, das die Wirkung aktueller Medienprodukte präsentiert – Begriffe, Inhalte, Strukturen? Welche Kognitionen entstehen unter welchen Bedingungen oder einfacher: Wie bilden sich ‘Meinungen’, wer nimmt wie von wo aus Einfluss, was hat dabei den größten Erfolg? So etwas untersuchen ggf. die Koofmich-Psychos der PR-Konzerne; wo aber bleibt der Beitrag der Wissenschaft?

Die Koofmichs beherrschen das Spiel

Nicht besser sieht es aus mit der Präsentation von Wissen und Wissenschaft in den Medien. Wo sind die Untersuchungen zum Transfer wissenschaftlicher Inhalte in den öffentlichen Diskurs? Diverse sogenannte “Think Tanks” und Pressestellen leisten sich Vorzeige-Professoren oder wenigstens gute Kontakte zu solchen, aber seriöse Wissenschaft verkriecht sich in den Akademien. Das ist obendrein oft sogar besser, denn wenn einmal ein Untrainierter zum Interview gebeten wird, lässt er sich gern von ihm völlig fremden Routinen der Medien überrollen. Diejenigen, die das Spiel beherrschen, sind wiederum gern selbst Demagogen oder Narzissten, die lieber schwätzen als forschen.

Wer kümmert sich um die Wirkung von ‘Wissen’? Komplexere Inhalte werden regelmäßig zu Häppchen verarbeitet, die nichts mehr zu tun haben mit den verschachtelten Aussagen, die eigentlich vonnöten wären, um Wirklichkeit abzubilden. Obendrein werden sie noch mit semantischen Triggern vermengt (“Wachstum”, “Islamisten”, “Kommunismus”), deren Effekt jede Vermittlung von Inhalten zunichte macht.

Wo ist die Aufklärung über Veränderungen in den “Narrativen”, der großen Erzählung, in die Inhalte eingepasst werden müssen, um ‘glaubwürdig’ zu wirken? Beispiel: Wenn morgen Aliens auf der Erde landen, wird das zunächst niemand glauben, weil noch nie welche gesehen wurden. “Es gibt keine Aliens auf der Erde”, ist der Konsens. Was davon abweicht, wird nicht geglaubt. Es gibt eine ganze Menge solcher Aussagen (“Wachstum ist etwas Gutes”), die ebenso wirksam sind. Während Interessengruppen alles tun, um diese Narrative zu beeinflussen, weiß kaum jemand, dass und wie sie funktionieren.

Traurige Kapitel

Kommen wir kurz zum traurigsten Kapitel: “Ökonomie”. Jeder Wissenschaftler eines beliebigen Instituts kann das Kartenhaus „Neoliberalismus“ mühelos zum Einsturz bringen. Dessen Annahmen, Zirkelschlüsse und sprachliche Verkommenheit halten einfachsten Überprüfungen nicht stand. Obendrein sind 30 Jahre empirischer Feldforschung genug um zu sehen, dass dieser Quatsch fatal in die Irre führt. Warum machen das eigentlich nicht Erstsemester aller Studienrichtungen als Fingerübung?

Worauf ich aber vielmehr hinaus will: Wo bleibt eine Wirtschaftswissenschaft? Warum gibt es keine? Wo sind die kreativen Modelle alternativen Wirtschaftens? Wo der Streit um die stimmigen Ideen für ein nachhaltiges Wirtschaften, frei von den Dogmen des Kapitals? Wo die Ansätze für zweite, dritte und vierte Wege? Gibt es niemanden in den Universitäten, den das interessiert?

Oder wo bleibt eine fundierte Religionskritik, die sich wenigstens halb so viel Mühe macht wie die verschrobenen Institute der Konfessionen? Die analysiert, welche Wege Religiosität geht, was aus ihrem Rückgang resultiert und wie man diesen nach Kräften fördern kann? Wo sind die Erkenntnisse über die Bedürfnisse, die Religion scheinbar befriedigt und wie man das in einer aufgeklärten Welt auffangen kann?

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass uns die Wissenschaft ganz en passant weggestorben ist, noch ehe die Katastrophe von Bologna akademischer Alltag wurde. Wer einen kennt, der irgendwo lehrt, kann ja mal fragen, was mit denen los ist. Vielleicht atmet da ja doch noch wer.

 
eurofaschIm Januar sprach ich vom “Protektorat Südost”, nachdem Griechenland nicht nur ein “Ministerpräsident” von Goldman Sachs vorgesetzt wurde, sondern auch mit einer faktischen Entmachtung von Regierung und Parlament geliebäugelt wurde – zugunsten eines “Sparkommissars”. Bitter genug, wenn man sich genötigt sieht, so zu formulieren. Entsetzlich, wenn das Kapital dazu übergeht, dergleichen offen zu fordern. Thomas Straubhaar gebührt die Ehre, öffentlich nach dem Gauleiter zu rufen und wortwörtlich die Errichtung eines “Protektorates” Griechenland zu verlangen. Wie es bei den neoliberalen Wirrköpfen und ihrem psychotischen Neusprech üblich ist, liefert er auch noch die schizophrene Begleitmusik dazu:

Das bedarf diplomatischen Fingerspitzengefühls, um nationalen Stolz, Eitelkeiten und den Widerstand von Interessengruppen bei der Neugründung Griechenlands zu überwinden.

Widerstand im Keim ersticken

Wer Christoph Waltz in “Inglorious Basterds” gesehen hat, kann sich vorstellen, wie dieses “diplomatische Fingerspitzengefühl” aussieht. Freundlich und besonnen im Ton, adrett und akkurat im Auftreten, werden “Stolz, Eitelkeit und Widerstand” im Keim erstickt. Nicht weniger als eine “Neugründung Griechenlands” traut der ‘Botschafter der INSM’ sich und der Interessengruppe der Finanzdienstleister zu. Das klingt doch wesentlich diplomatischer als “Besetzung”, “Unterwerfung” oder “Anschluss”.

Warum eigentlich nicht? Ich möchte Leistungsträgern wie Thomas Straubhaar die Chance geben, ihre Ideen und ihr diplomatisches Fingerspitzengefühl auszuprobieren. Sie sind doch wie es heißt stets mit der Bürde der großen ‘Verantwortung’ beladen. INSM-Straubhaar soll bitte nach Athen fahren und sich der öffentlichen Debatte über seine Vorschläge stellen. Das würde vermutlich mehr bewegen als jede Parlamentswahl und das Verhältnis der Finanzbranche zur Bürgerschaft sehr wirksam zurechtrücken. Ich fürchte allerdings, die Fingerspitzen könnten dabei empfindlich leiden.

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